So viele Kochbücher

Von "Kochen, Kampfkunst und Sport" sowie einem Österreich-Buffet in Frankfurt

So viele Kochbücher

Text: Eva Rossmann Illustration: Auge
Wer heutzutage noch kein Kochbuch geschrieben hat, der hat es einfach nicht geschafft. Das trifft nicht nur auf Köchinnen und Köche zu. Kochen ist "in". Und wer ein Kochbuch schreibt, gibt vor, was gekocht wird, was also angesagt ist. Wer daher ein Trendsetter sein will, schreibt ein Kochbuch.
Alljährlich fahre ich auf die Frankfurter Buchmesse. Das tut dem Verkauf meiner Kriminalromane gut, aber auch meinem Realitätssinn. Denn dort sind so viele Bücher ausgestellt, dass man sich gar nicht mehr fragen muss, ob die eigenen noch nötig sind. Es ist dasselbe wie mit der Vorstellung, eine aus einem Dorf, einem Bezirk, einem Land, einem Kontinent, einer Welt zu sein. Je mehr aufgezoomt wird, desto mehr Ameise in einem Ameisenhaufen, nicht relevant. – Aber da. Und daran halte ich mich fest, letztlich ist es das, was zählt: Das Da-Sein.
Und jedes Buch, das geschrieben wird, mit der Hoffnung, wichtig zu sein, gut zu sein, von möglichst vielen bemerkt, gar geliebt (und natürlich hervorragend verkauft) zu werden, folgt demselben Prinzip. Es ist da, und die Frage, ob man das auch noch gebraucht hat, ist daher müßig. Man muss es ja nicht kaufen.
Seitdem ich meine Kriminalromane mit Kochrezepten garniere, mehr aber noch, seit ich beim Buchinger auch professionell koche, werde ich gefragt, welche Kochbücher ich denn für unverzichtbar halte. Erstens: Ich habe beim Bett mindestens ein Kochbuch liegen, welches es ist, hängt von vielem ab: was mir zu Weihnachten geschenkt wird, welche Produkte gerade saisonal im Überangebot da sind und daher nach neuen (alten) Verarbeitungsideen schreien, manchmal sind es Bücher, die nicht mehr in ein Regal gepasst haben, oder sie sind mir empfohlen worden, oder, oder …
Zweitens: In der Küche beim Buchinger liegen keine Kochbücher herum. Im Trockenlager lagert der "Duch", Legende für alle Profis, die ab und zu ja doch nachblättern müssen, wie genau Chaud-froid-Saucen gemacht werden, oder woraus die Garnitur Richelieu tatsächlich besteht. Mein Kochlehrbuch liegt (inzwischen ziemlich abgegriffen) neben meiner Ersatz-Kochhose. Vor allem wenn es um Desserts geht, schleiche ich mich hin und wieder still zu ihm und blättere nach Massen und Teigen. Und dann gibt es im oberen Stock des Lokals, von uns "Lehrerzimmer" genannt, noch weitere Kochbücher, sie nehmen rund 25 Laufmeter ein, es dürfte sich also grob geschätzt um 1.000 Stück handeln, nicht inbegriffen die internationalen Kochzeitschriften (in denen ich nie das wieder finde, was ich irgendwann vor zwei Wochen aufgeblättert habe).
Trotzdem: Viel schlimmer, als ein Kochbuch zu verlieren oder es gar nicht zu besitzen, wäre es, wenn das Erdäpfelnockerlrezept, das auf der Pinwand in der Küche hängt, verschwindet. Denn an dem haben wir so lange gearbeitet, bis die Nockerln aus 5 Kilo mehligen Erdäpfeln genau so werden, wie wir uns das vorstellen.
Jedenfalls: Auf der Frankfurter Buchmesse kann man gar nicht anders, als über Kochbücher zu stolpern. Das fängt schon beim heurigen Gastland Korea an. Ich liebe koreanische Küche (dank Kim habe ich inzwischen auch eine Ahnung, was sie sein kann). Die Koreaner haben mit Kimchi geworben, in einem Zelt, hinter dem ich die Wolkenkratzer von Frankfurt aufragen sah (nicht bis ganz nach oben, denn es war Nebel), sie beschenkten mich mit Kimchi-Kochbüchern und Kimchi-Kostproben. Zweitere kamen aus einem Fertig-Packerl, aber anders als bei uns scheint so etwas in Korea nicht versteckt zu werden, das Kimchi war gut, und darum geht es ja schließlich, oder? In den nächsten Wochen also werde ich mich in die Kunst des Fermentierens von Kraut, Rüben und Gurken vertiefen – das habe ich zumindest vor, und sollte mir doch die Zeit fehlen, dann bekommen die Kochbücher einen Ehrenplatz bei meinem Bett (zumindest bis sie auf den Boden fallen und Maria sie dann irgendwo anders hinschichtet). Noch etwas bleibt mir fürs Leben vom Buchmesse-Schwerpunktland Korea: Sie haben ihre mitgebrachten Bücher nach Sparten geordnet und die entsprechende Kategorie hieß: "Kochen, Kampfkunst und Sport" – womit endlich das, was wir jeden Sonntagmittag in der "Alten Schule" (kann sein, auch an anderen Tagen) versuchen, perfekt beschrieben wäre.
Um übrigens sowohl beim Fernöstlichen zu bleiben als auch zum Beginn zurückzukehren: Niemand ist ein echter Promi, wenn er kein Kochbuch veröffentlicht hat. – Das ist nicht nur bei uns so, sondern auch in Singapur: Neben berühmten Köchen präsentieren auch Radio-DJs und Schauspieler ihre Lieblingsrezepte: allerdings meistens nur mehr als DVD. – Wie man danach kochen kann, habe ich die Verlagsrepräsentantin gefragt. Sie hat bloß gelächelt und gemeint, das muss man ja nicht, es gehe schließlich ums Entertainment. Und wer es doch wolle, der könne ja mitschreiben.
Promis, aber noch ganz traditionell in Hochglanz auf einem Buchcover verewigt, sollen auch im deutschsprachigen Raum die Töpfe zum Kochen und die Kassen zum Klingeln bringen. – Wobei zwischen Promis, die eigentlich Köche sind, und solchen, die eigentlich gar keine sind, nicht weiter unterschieden wird. Gekauft wird das Buch, dessen Autor die Leser aus dem Fernsehen kennen. Und sollten es sich bescheidene Hobby-Köche nicht zutrauen, das zu fabrizieren, was ihnen Witzigmann, Jamie Oliver und Co. vorzeigen, auch für die gibt es inzwischen das passende Buch: "Keine Angst vor großen Köchen" heißt es und eine lächelnde, langhaarige, blonde junge Frau, deren Namen ich leider vergessen habe, tritt dabei als Vermittlerin zwischen den Kochgöttern und Normalsterblich-Kochenden auf.
Apropos Kochgötter und so: Für jeden Kochbuch-Freak ist es natürlich Pflicht, bei den französischen Verlagen vorbeizuschauen. Einmal abgesehen von den Klassikern in Prachtaufmachung: Was mir zu den neuen französischen Kochbüchern einfällt, ist: BUNT. Leuchtende Farben, praktisches Format, nicht teuer, dafür poppig-plakativ. Keine Allround-Kochbücher mehr, sondern ein Kochbuch für jedes Thema, egal ob das Kürbis oder Kuchen, Crumbles oder marokkanische Tajines sind. Und: keine Promis auf dem Cover! Stattdessen hat sich einer der großen Verlage ein Siegel ausgedacht: "Recettes Controlées" – kontrollierte Rezepte. Alle, die schon die schmerzliche Erfahrung gemacht haben, dass Semmelknödeln ohne Semmeln etwas fehlt, können aufatmen. Ob Frankreich mit bunt, praktisch, überprüft und ohne Promis einen neuen Trend vorgibt? Oder gibt es solche Trends längst nicht mehr, sondern (zu)viel von allem?
Oetker hingegen versucht sich der Masse zu entziehen – nicht beim Kochbuchverkauf, man hat ein riesiges Areal gemietet, und die erstaunte Frage meines Mannes, ob die nicht eigentlich Backpulver verkaufen, verpufft angesichts der vielen Kochbücher. Hier wird live gekocht und da bekannt ist, dass die Heerscharen der Literaturbeflissenen ständig hungrig sind, hängt ein großes Schild über der Schauküche: "Essen nur mit Gutschein!"
Man tappt hungrig weiter, blättert schließlich in einem italienischen Kochbuch aus deutscher Feder und liest, dass man die geschnittene Zwiebel in Fett "dünstet". Woher sollte der Kochbuchautor auch wissen, dass zum Dünsten immer Flüssigkeit gehört? Vielleicht ist er im Hauptberuf Sänger?
Neben dem Vielen stoße ich dann doch noch mit müden Beinen und Augen auf Herausragendes: "gaumenfreuden und kunstgenuss. meine Art zu leben", erschienen im Hädecke-Verlag, geschrieben und künstlerisch gestaltet von Bruno Bruni. Es ist ein tatsächlich anderes Kochbuch und nicht bloß bemüht, anders zu sein. Erzählungen aus ein paar Jahrzehnten Italien, Grafikkunst, Bilder, Rezepte, wie man sie selten so gut und pur findet – ein Gesamtkunstwerk. Aber wie oft kommt es auch schon vor, dass ein weltberühmter Maler tatsächlich auch ein großartiger Koch ist, als Lithograph gearbeitet hat und darüber schreiben kann?
Und dann noch ein ganz anderes Kochbuch, da ist nix mit Kunst, sondern nur mit Können. Und trotzdem hat es mir genauso gefallen. "Konditorei Patisserie Bäckerei" aus dem Trauner-Verlag, ein Kochbuch für Profis gedacht, Handwerkszeug, da ist wirklich alles beschrieben … niemand soll mir damit kommen, dass Bücher nichts bewegen können. Mit Hilfe dieses Kochbuches werde ich die Schwerkraft überwinden, werden sich Kuchenmassen heben und Soufflés luftig bleiben wie … ein Gedicht. (Hoffe ich. Vielleicht darf ich dann sogar einmal auf den Patisserie-Platz beim Buchinger, auch wenn der Herd wohl weiterhin mein natürliches Revier bleiben wird.)
Die Halle mit den amerikanischen Kochbüchern war mir übrigens zu weit weg, alles geht sich auf der Buchmesse einfach nicht aus, längst hat es die Durchsagen gegeben, dass die Messebesucher gebeten werden, das Gelände zu verlassen, und so mache auch ich mich auf den Weg von der theoretischen Kulinarik hin zum Österreich-Empfang. Wer zu einem Buffet eingeladen ist, sollte sich tunlichst nicht beschweren. Also halte ich als Gast den Mund (etwas weniger zu essen, schadet mir gar nicht). Als Köchin freilich habe ich einen gewissen patriotischen Stolz und das, was da als "Friedensreich Hundertwasser Buffet" (warum auch immer es so geheißen hat) daher kam, hat sich die österreichische Küche wirklich nicht verdient. Die "Wiener Schnitzel" haben, vorsichtig formuliert, schon länger auf dieser Welt verbracht, als es ihnen gut tut, man hat sie so weich gemacht, dass sich McDonalds vor Neid an seinen Chicken verschluckt, dafür war aber auch nicht mehr zu erkennen, ob es sich ursprünglich um Kalbfleisch oder Schweinefleisch gehandelt hat. Wie die Panier zustande gekommen ist, gibt ebenso viel Rätsel auf: Eines ist aber klar: In Fett gebacken hat man die arme Fleischmasse nicht. Zum Apfelstrudel fällt mir bloß "der Teig als Werkzeug zur Körperverletzung" ein, und über den Rest schweige ich lieber. Ich wollte mich mit österreichischem Wein betrinken. Aber: keine Chance. Es gab deutschen und italienischen. Und viele Spekulationen, warum dieses Buffet und warum so. Ich bin der festen Überzeugung, dass Gastgeber und Kunststaatssekretär Morak nur dem Buchmarkt helfen wollte. Wer so schlecht isst, beginnt vielleicht schon aus Verzweiflung, Kochbücher zu kaufen und selbst zu kochen.
Vielleicht sollte man ein Kochbuch für Caterings schreiben: Österreichische Küche weltweit, oder so. – Noch ein Kochbuch? Naja, vielleicht doch nicht dieses, sondern ein Mira-Valensky-Kochbuch mit all den Kochrezepten aus den Krimis und einigen mehr – nun gut, gerade ist ein sehr schönes Camilleri-Kochbuch erschienen, aber da es bekanntlich alles schon gibt, warum nicht noch eines mehr? Vielleicht mit Kurzkrimis drinnen oder einer ganz besonderen Aufmachung. (Oh je, an Bruno Bruni komme ich nie heran!) Und: Wer braucht schon Krimis, wenn er gerade kochen will?
Außerdem gibt es da ohnehin noch andere Projekte, Buchinger hat es gerade geschafft, dass sein Weinviertel-Kochbuch "Alte Schule – Rezepte" als Taschenbuch aufgelegt worden ist, wie wir Büchermenschen wissen, eine besondere Ehre. Und wir haben da gemeinsam so eine Idee für etwas ganz Neues, oder zumindest fast ganz Neues, besser, man verliert kein weiteres Wort darüber, sonst könnte jemand diese Idee klauen.
DAS Kochbuch, das den grellen Singapore-Markt ebenso erbleichen lässt wie die Hundertschaft an deutschen TV-Köchen, ein Mega-Seller und dabei äußerst praktisch, das, was uns allen noch gefehlt hat. – Oder auch nicht …