Unter Druck

Oder: Wie man eine Obstpresse fachmännisch zweckentfremdet. Text von Thomas Maurer · Fotos von Ingo Pertramer Einige an sich voneinander unabhängige Faktoren haben beinahe zwangsläufig zum Thema dieser Geschichte geführt. Erstens fühle ich mich von jeher auf eine merkwürdige, halb amüsierte, halb faszinierte Art vom überschäumenden Bombast gründerzeitlicher Objektgestaltung angezogen. Mit eingeprägten allegorischen Tugenddarstellungen dekorierte…

Oder: Wie man eine Obstpresse fachmännisch zweckentfremdet.

Text von Thomas Maurer · Fotos von Ingo Pertramer

Einige an sich voneinander unabhängige Faktoren haben beinahe zwangsläufig zum Thema dieser Geschichte geführt.

Erstens fühle ich mich von jeher auf eine merkwürdige, halb amüsierte, halb faszinierte Art vom überschäumenden Bombast gründerzeitlicher Objektgestaltung angezogen. Mit eingeprägten allegorischen Tugenddarstellungen dekorierte spanischlederne Sessellehnen, banale Rasierspiegel, gestützt von korinthischen Säulen und gekrönt von reich dekorierten Tympana (ich habe, zugegeben, die Mehrzahl gerade nachgeschlagen), Tischhaxen in Form von Lyren oder Karyatiden, von Sphingen und/oder Greifen getragene Suppenschüsseln: Auf eine sacht perverse Art kann ich davon kaum genug kriegen, habe es aber, im Interesse meiner geistigen Gesundheit, gleichzeitig stets vermieden, dieser Vorliebe im eigenen Wohnbereich mehr als nur symbolischen Raum zu gewähren.

Entsprechend entzückt war ich daher, als ich vor Jahren erstmals einer Entenpresse ansichtig wurde. Dieses Relikt aus der weitgehend versunkenen, ästhetisch ähnlich gepolten kulinarischen Welt der klassisch französischen Hochküche war einst das Renommierobjekt jedes Spitzenrestaurants mit Selbstachtung; das Exemplar, das mir damals vor Augen kam, war obendrein vorbildlich gestaltet, es ruhte auf detailfreudig ausgearbeiteten silbernen Entenbeinen, hatte stilisierte Flügel, und kaum ein Quadratzentimeter seiner Oberfläche war undekoriert.

Daraus ergab sich zweitens umgehend ein Interesse für das Gericht, dessen Erschaffung der einzige Zweck dieser monströsen Objekte war und ist: die klassische französische Canard au sang, wie sie im Pariser La Tour d’Argent seit 1890 zelebriert wird, allerdings, aus organisatorischen und finanziellen Gründen, seit 1967 durchgehend in meiner Abwesenheit.

Drittens bekam der staatlich diplomierte Meisterfotograf Ingo Pertramer zu einem runden Geburtstag das 1971 erschienene berühmt-berüchtigte Kochbuch Köstlichkeiten internationaler Kochkunst des damaligen Ritz-Westberlin-Chefkochs Werner Fischer geschenkt, ein nur noch ­antiquarisch um teuer Geld erhältliches, anregend haarsträubendes ­Kompendium, in dem sich neben Rezepten wie „Schildkröten-Parfait“, „Robbe im Teigmantel“ und „Bärenfleischtorte“ (man fragt sich, warum gerade „Elfenbein-Consommé“ fehlt) auch, quasi als Ausflug in die Normalität, die genannte Blutente findet.

Und viertens kam einst mit einem geerbten Haus auch eine kleine Obstpresse in den Pertramer’schen Besitz, was ihn im gemeinsamen Gespräch zu Spekulationen darüber anregte, ob man nicht mit dieser eine originale Entenpresse einfach substituieren könne. Ich fand zwar den eklatanten Mangel an schwersilbern wucherndem bildungsbürgerlichen Zierrat, der diesem rustikal-funktionalen Gerät zu eigen war, sehr bedauerlich, aber in der Sache hatte er vermutlich recht. Man würde es ausprobieren müssen.

Die Ente dazu hatte ich überraschenderweise bereits. Bei meinem letzten Besuch auf dem hier schon mehrmals erwähnten Bauernhof der Mangalitza-Spezialisten Christoph und Isabella Wiesner habe ich sowohl einen Kauf- als auch einen Einstellvertrag über eine Moschusente abgeschlossen, weil die punkto Hausschlachtung aus Erfahrung vorsichtig gewordenen Wiesners das mittlerweile so halten und diesbezüglich inzwischen auch offiziellerseits insoferne Recht bekommen haben, als seit August eine Gesetzesnovelle in Kraft ist, der zufolge für Menschen, die ihr Fleisch direkt am Bauernhof ihres Vertrauens beziehen wollen und dabei auch die Konfrontation mit dem Schlachtvorgang nicht scheuen, die Einschränkung gilt, dass die „bloße Übergabe (des Tiers) am Schlachttag“ diese Praxis nicht länger legitimiert. Damit ist zwar nicht wirklich geklärt, ab wann einen diese Übergabe dazu berechtigt oder ob man sich künftig formal als Landwirt registrieren wird lassen müssen, um auf diese Weise an Fleisch zu kommen, komplizierter als bisher wird das aber alles absehbarerweise werden. Um Sinn oder Unsinn dieses legislativen Schritts abzuwägen, reicht hier der Platz nicht, jedenfalls gratuliere ich mir insgeheim dazu, beizeiten die beiden vermutlich legitimierenden Zettel ausgefüllt und unterfertigt zu haben.

Nach Beantwortung dieser organisatorischen tut sich eine kulinarische Frage auf: Woher würden wir eigentlich wissen, ob unsere presswerkzeugtechnische Rustikalvariante tatsächlich ein Resultat gezeitigt hat, das mit dem Original einigermaßen mitkann? Wir fanden es daher angezeigt, uns bei diesem Unterfangen von einem mit allen Wassern der Hochküche gewaschenen Menschen unterstützen zu lassen, und so holten wir morgens um neun vor seiner Wohnung einen fröhlichen jungen Mann mit dem Erscheinungsbild eines nach einer Zeitreise notdürftig als Berliner Hipster eingekleideten Wikingers ab: Lukas Mraz.

Seit dessen Heimkehr ins väterliche Mraz und Sohn (das jetzt streng­genommen Mraz Sohn und der Sohn vom Mraz-und-Sohn-Sohn heißen müsste) hat das Lokal, nun vom aktuellen Generationen-Gespann bekocht, seinen eh schon glänzenden Ruf nochmals kräftig aufpoliert, was Lukas als unseren Kompagnon ebenso qualifiziert wie seine angenehme Art und augenscheinliche Fähigkeit, auf Fotos ungemein dekorativ zu wirken.

Unterwegs halten wir noch einmal an einem Supermarkt, um die Saucenküchen-Trias Butter-Cognac-Portwein anzuschaffen; bei dieser Gelegenheit erwähnt Lukas beiläufig, Canard au sang bisher ebenfalls weder gegessen noch zubereitet, aber immerhin doch eine Vorstellung davon zu haben, und wenig später erreichen wir den verwunschen verwilderten Radikalbauernhof der Wiesners.

Auch Lukas ist nicht zum ersten Mal hier, die Wiesners sind, auf eine ganz andere Art, ebensolche Qualitätsfanatiker wie er, und solche Leute finden zueinander, zumal in Kleinstaaten, in denen so was eher die Ausnahme darstellt.

Zunächst trinken wir Kaffee und diskutieren das Rezept. Sowohl Werner Fischers Kochbuch als auch die französische Küchentradition bestehen dafür auf Enten, die erstickt wurden. Das klingt bereits so horribel, dass wir eilig beteuern, unsere Ente ganz normal schlachten und lediglich nicht ausbluten lassen zu wollen. Das allerdings sei, wie Christoph Wiesner ausführt, kein rein verarbeitungstechnischer Unterschied, sondern be­deute, dass das Tier nach seiner Betäubung und dem ins Schädelinnere führenden Schnabelstich zwar hirntot sei, aber de facto trotzdem langsam ersticke. Das könne, führt er weiter aus, vor allem bei gesunden Freilandtieren wie den seinen beklemmend lang dauern und sei jedenfalls kein schöner Anblick. Ingo Pertramer und ich schweigen daraufhin eine ­Runde, Lukas Mraz fängt laut darüber nachzudenken an, dass es zwar vielleicht nicht originalgetreu, aber durchaus möglich wäre, das Blut der Ente separat aufzufangen, mit Salz zu rühren und später die Sauce damit zu binden. Und so kommen wir überein, mit der Tradition zu brechen; schließlich haben wir ja auch schon die silberne Zelebrationspresse weggelassen. Man muss ja im Allgemeinen nicht alles im Leben einmal gesehen und ausprobiert haben, und für jene gewissen Grenzbereiche der französischen Küche, wo auch Ammern in Cognac ertränkt und Hummer im Ofen totgeröstet werden, gilt das im Speziellen.

Zumal der nun anstehende Schlachtungsvorgang ohnehin für uns, die wir so was im Gegensatz zu Christoph Wiesner nicht dauern machen, auch so schon ein wenig pulsfrequenzerhöhend ist.

Die Wiesners werden, weil sie eh schon dabei sind, auch gleich zwei Aylesburyenten für den Hausgebrauch schlachten, danach ist meine etwas weniger fette Moschusente dran.

Zunächst aber lernen wir einmal, wie man Schlachtgeflügel transportiert: mit einem beherzten Griff unter die Flügel nämlich, der es einem ermöglicht, das daraufhin völlig ruhig werdende Tier wie eine Handtasche herumzutragen. Lukas hält die erste Ente, während Christoph das richtige Setzen des Bolzenschusses demonstriert: Man hält den Kopf der Ente fest, und zwar nicht unterm Kopf, sondern am Schnabel, weil ansonsten die Chancen gar nicht schlecht stehen, dass man sich den Bolzen auch gleich in die eigene Handfläche rammt. Auf das metallische „Klack“ des Bolzenschusses folgt die sofortige Durchtrennung der Halsgefäße, und obwohl daraufhin das Blut reichlich aus dem kopfunter gehaltenen Vogel strömt, bewegen sich Hals und Flügel noch deutlich länger, als man eigentlich annehmen möchte. Das Gefühl, das sich beim Be­obachten dieses Vorgangs einstellt, unterscheidet sich doch einigermaßen von der in holde Ignoranz gepackten, appetitbefeuerten Vorfreude, mit der man im Geschäft eine bratfertige Ente aussucht.

Das Ganze wiederholt sich mit der zweiten Wiesner’schen Privatente, dann bin ich mit meiner dran. Den Bolzenschuss übe ich sicherheitshalber an einem bereits toten Exemplar, worauf ich vor mein lebendiges trete, seinen Schnabel ergreife und ihm – „klack!“ – den Bolzen ins Gehirn jage. Dann zücke ich das Messer und schneide dem Tier den Hals durch. Als ich dem Blut beim In-die-Schüssel-Rinnen zusehe, fällt mir ein, dass ich eigentlich allmählich wieder ausatmen könnte, und das tue ich dann auch.

Das Rupfen ist für mich zwar eine Premiere, aber einfach Küchenhandwerk und somit emotional so gut wie neutral. Das Tier kommt ins Brühwasser und muss dort, da ja das Entengefieder wasserabweisend ist, gegen den Strich gebürstet werden, um das angestrebte Durchweichen zu ermöglichen. Das Rupfen selbst ist eine simple, einigermaßen zeitraubende und in den gar nicht einmal unangenehmen Geruch warmer, nasser Federn eingebettete Ange­legenheit. Anschließend wird das nun nackte, aber noch stoppelige Tier in ein Wachsbad getaucht(„Was ist das eigentlich für ein Wachs?“ – „Geflügelwachs.“ – „Aha.“), zwei, drei Mal, dann in kaltes Wasser, dann nochmal Wachs und dann abermals zum Aushärten ins Kaltwasser. Die starre Wachskruste lässt sich anschließend samt Kielresten gut abkletzeln, und die paar Kiele, die auch dieser Behandlung getrotzt haben, werden dann per Pinzette entfernt.

Auch das nun anstehende Ausnehmen ist für mich eine Premiere, aber, obwohl ebenfalls Küchenhandwerk, ein wenig fordernder. Zunächst führt man einen Y-Schnitt um die Kloake (tut mir leid, aber so heißt die Hecköffnung bei Vögeln nun einmal) und massiert behutsam, um nichts zum Platzen zu bringen, die Gedärme heraus. Im Weiteren muss man nun den Magen von der Speiseröhre lösen, die Leber vorsichtig von unten nehmen und herausziehen (hier zu patzen heißt die Galle und damit schlimmstenfalls den ganzen Vogel zu ruinieren) und schließlich das Herz mit einem Ruck herausziehen. Glaubt man nun, wie beispielsweise Lukas Mraz und ich, die Sache hinter sich zu haben, wird man noch von Christoph Wiesner dazu angehalten, blind im Vogelleib tastend auch Luft,- und Speiseröhre zu ergreifen und ungeachtet ihrer Glitschigkeit aus dem Hals zu ziehen, was eigentlich gar nicht geht, aber irgendwann doch auch erledigt ist. Und so kann unsere Ente nebst Blut in die Küche gebracht werden, wo schon Bräter und Presse warten.

Zunächst muss, so trägt Ingo aus dem Buch ­Fischer vor, die Ente bratfertig gebunden werden, was Lukas ein halblautes: „Ah ja, Scheiße, das hab ich auch gelernt irgendwann, wie das geht“, entlockt, und tatsächlich gelingt es ihm dann bereits im zweiten Anlauf, ein ungemein fachmännisch wirkendes Stück Küchenchef-Makramee zu knüpfen.

Die Ente kommt zum Anbraten bei ca. 240 Grad für 20 Minuten ins Rohr, was in unserem Fall bereits zu einer Garung am oberen Rand des Gewünschten führt. Die Brüste werden abgenommen, die Keulen auch, erstere werden warm gestellt, zweitere fertiggebraten. Anstatt des für die Sauce geforderten „guten, reifen Bordeaux“ greifen wir zu einem anständigen Weinviertler Zweigelt, dafür kann uns niemand vorwerfen, an der Butter gespart zu haben. Und weil wir schon dabei sind, uns am erhabenen Erbe der klassischen französischen Küche zu vergehen, ersetzen wir auch noch spontan den Port durch einen von den Wiesners zur Verkostung angebotenen, mit neun Kilo Honig und 16 Kilo Sauerkirschen angesetzten und auf stolze 17 Volumenprozent durchgegorenen Fruchtmet. Auch die Beilage zum ersten Gang, der Brust mit der aus der Karkasse gepressten Sauce, haben wir pragmatisch auf frisches Baguette downgegradet, dafür werden wir uns beim zweiten, den Entenkeulen, an die authentische Empfehlung „grüner Salat“ halten. Als auch die Leber durch ein feines Sieb passiert und somit zum späteren Einarbeiten in die Sauce vorbereitet ist, hat endlich Ingos Obstpresse ihren großen Auftritt.

Und siehe: Es funktioniert. Lukas und ich wenden zwar das gesamte uns zur Verfügung stehende Muskelschmalz dafür auf, er für das Drehen der Schraube, ich für energisches gegenläufiges Festhalten der Presse, aber dafür werden wir auch mit einem guten Viertelliter blutroten Fleischsafts belohnt. Dennoch wirken die Überreste der Karkasse noch saftig genug, dass sich ein Weiterverwenden als Geflügelsuppenbasis durchaus empfiehlt.

Der Entensaft kommt im Weiteren in die köchelnde Saucenbasis, die dann so weit abkühlen muss, dass Blut und Leber eingearbeitet werden können, dann wird angerichtet, fotografiert und gegessen.

Den Entenschlägeln hätte vermutlich ein etwas längeres Garen bei niedrigerer Temperatur nicht geschadet, andererseits hat ja eine gewisse Bissfestigkeit auch etwas für sich.

Und die Brust mit der Sauce, deretwegen wir ja das Ganze veranstaltet haben, wirkt, auch wenn keiner von uns den Vergleich mit dem Original hat, sehr überzeugend französisch: demonstrativ raffiniert und grobianisch intensiv zugleich; so gut, dass man mehr will, und so üppig, dass man sich fragt, ob das auch gescheit ist.

Ob eine erstickte Ente besser gewesen wäre, weiß ich nicht, und ich habe auch nicht vor, es herauszufinden. Die Obstpresse jedenfalls hat sich bewährt.

Eine opulent ornamentierte Entenpresse hätte ich freilich immer noch gern. Einfach so. Man könnte ja Filzer und Bleistifte reinstecken. Oder Apfelsaft pressen.

Rezept nach Lukas Mraz
Zubereitung: Ente von innen und außen gut mit Salz und Pfeffer würzen.
Auf ein Blech legen und im vorgeheizten Ofen bei 240 °C Umluft 20 Minuten garen.
Die Brust und die Keulen auslösen, und den Rest der Ente durch eine Apfelpresse drücken.
Die Keulen bei 120 °C noch 20 Minuten im Rohr weitergaren.
120 g Butter in einem Topf schmelzen, 1 EL Senf und ½ TL Paprikapulver dazugeben, mit 80 ml Cognac und 80 ml Wiesners Sauerkirsch-Met sowie 300 g Zweigelt ablöschen.
Das Ganze um ein Viertel reduzieren und mit dem gepressten Entensaft aufgießen. Ab jetzt nicht mehr über 80 °C erhitzen! Bei 70 °C mit passierter Entenleber und dem aufgehobenen Blut abbinden und bis 80 °C unter ständigem Rühren erhitzen.
Mit Salz, Met, Cognac und ein bisschen Butter abschmecken und durch ein Tuch abseihen.
Die Brust in 1 cm dicke Scheiben schneiden und wortwörtlich in der Sauce ertränken.
Die Keulen auf grünem Salat servieren.