Untergrund-Bewegung

Untergrund-Bewegung Zuchtpilze sehen nicht immer aus wie Champignons. Und schmecken auch nicht so. Und Zuchtpilze haben nicht nur eine mehr als tausend Jahre währende Vergangenheit, sondern vor allem eine atemberaubende Zukunft. Text: Florian Holzer / Fotos Peter M. Mayr Champignon ist nach wie vor der Champion. Jeder kennt ihn und jeder liebt ihn in Österreich…

Untergrund-Bewegung

Zuchtpilze sehen nicht immer aus wie Champignons. Und schmecken auch nicht so. Und Zuchtpilze haben nicht nur eine mehr als tausend Jahre währende Vergangenheit, sondern vor allem eine atemberaubende Zukunft.

Text: Florian Holzer / Fotos Peter M. Mayr

Champignon ist nach wie vor der Champion. Jeder kennt ihn und jeder liebt ihn in Österreich – zumindest, wenn er paniert wird. Der Champignon ist strahlend weiß, organoleptisch vermittelt er Frische, sein Aroma ist mit gutem Willen zwar wahrnehmbar, spielt aber keine Rolle – der Champignon ist für den Massenmarkt daher wie geschaffen.

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts wird das weiße Schwammerl gezüchtet. In französischen Melonenfeldern, die mit Pferdemist gedüngt worden waren, sprossen immer wieder prächtige Kulturen, man nahm sich der Sache an und kultivierte. Anfang des 18. Jahrhunderts entstand eine regelrechte Pilzzucht-Industrie in den Kalksteinbrüchen nahe von Paris, 300 Züchter gewannen aus Höhlen und Stollen an die dreißig Tonnen Pilze – pro Tag. Pilzzucht wurde zum Thema, Lehrbücher vermittelten illustrierte Anleitungen, Champignons in Tischladen oder auf Wandregalen zu züchten, englische Hotels züchteten gleich in der Küche und auch Österreich-Ungarn profilierte sich dank enormen Aufkommens von Pferdemist vor allem aus militärischen Beständen zu einem der weltweit größten Anbieter gezüchteter Champignons, wie Walter Haidvogl, Pilz-Experte, Zucht-Ausstatter und Autor in seinem kurzen historischen Aufriss der Pilzzucht dokumentiert.

Heute wird in Österreich immer noch sehr viel Champignon gegessen – vor allem paniert –, gezüchtet wird er aber kaum mehr. Ungarn und Polen können das Massenschwammerl weitaus billiger anbieten, haben auch heute immer noch Zugriff auf Pferdemist in interessanten Dimensionen, die Lohnkosten sind mit den österreichischen nicht vergleichbar, die Transportwege nach Österreich jedoch vertretbar lang, erklärt Richard Poltnig, Pilz-Händler seit den 70er-Jahren und gewissermaßen die Graue Eminenz der Pilz-Szene in Österreich.

Ernst Lenz in Lauterach, der seine Champignons seit 1968 zuerst im eigenen Keller und dann in einem 300 Meter langen, ehemaligen Luftschutz-Stollen der Stadt Bregenz im Gebhardsberg züchtet, ist einer der Letzten. „Ein teures Hobby meines Vaters“, sagt Tochter Bettina Lenz. Handelsketten hätten für Champignons mit hoher Qualität – langsam und unter natürlichen Bedingungen gewachsen, daher besser in der Struktur und intensiver im Aroma – wenig Verständnis, sagt sie. Ihre durchschnittlich 200 bis 300 Kilo pro Tag verkauft sie an die lokale Gastronomie und am Markt.

Aber die Champignon-League bietet wenig Neues, ganz anders die Zuchtpilz-Szene Asiens, die auf etwa 2.000 Jahre Erfahrung in China und Japan zurückblicken kann und in den vergangenen zwanzig bis dreißig Jahren nicht nur technologisch enorme Fortschritte machte, sondern ein stetig größer werdendes Sortenspektrum feilbietet, gegen das der Champignon im wahrsten Sinne des Wortes blass aussieht: Shiitake, Austernpilz in Braun, Gelb, Rot und Blau, Enoki, Pioppini, Kräuterseitling, Buchenrasling oder der nicht nur optisch spektakuläre Pom Pom alias Affenkopf oder Igelstachelbart. Der kulinarische Aspekt ist bei diesen Pilzen natürlich nicht unwesentlich, in vielen asiatischen Küchen übernehmen Shiitake & Co eine bedeutende Rolle als Eiweißlieferant. Ausgelöst dürften den Boom allerdings Untersuchungen in den 70er-Jahren haben, die diesen Pilzen auch medizinische Nebeneffekte zuschrieben. Man fand eine Provinz in Japan, in der Krebs völlig unbekannt war, Shiitake allerdings täglich am Speiseplan stand, und zog Schlüsse daraus. Kanebo, japanischer Kosmetik-Riese, interessierte sich Mitte der 80er-Jahre für das Thema „functional food“ und gründete in Finnland die bis heute größte Zuchtanlage Europas. Finnland übrigens nicht auf Grund des guten Holzes, auf dem die Pilze hätten gedeihen können, wie man vielleicht meint – das holten die perfektionistischen Japaner ohnehin per Schiff aus Japan –, sondern wegen des enormen Wasserbedarfs: 300.000 Liter pro Tag. „Kanebo hatte Geld“, erinnert sich Richard Poltnig, „die Produktion war extrem aufwendig und teuer, ein Kilo kostete 170 Schilling, aber ich war begeistert.“

Nicht zuletzt strengere Bestimmungen bezüglich der Behauptung von gesundheitlichen Benefits von Nahrungsmitteln ließen die Shiitake-Euphorie zwar wieder etwas abflauen. Das im Pilz enthaltene Polysaccharid Lentinan erwies sich dann doch nicht als Krebs-Wundermittel und Kanebo zog sich bald aus dem Schwammerl-Business zurück. „Ich liebe den Shiitake-Pilz aber trotzdem“, sagt Poltnig, kulinarisch sei er extrem vielseitig einsetzbar. Von einem Gericht in Thomas Kellers French Laundry in Sonoma, schwärmt Poltnig noch heute begeistert: Die fünf Geschmacksrichtungen wurden in jeweils einem Löffelchen thematisiert, Umami in Form einer sagenhaft intensiven Shiitake-Suppe

Der neue Star am Zuchtpilz-Sektor scheint derzeit jedenfalls der Kräuterseitling zu sein, vor einigen Jahren noch ein vor sich hintrocknender Exot auf Marktständen und in Bioläden, mittlerweile aufgrund seiner haptischen und optischen Ähnlichkeit mit dem Steinpilz und des feinen Geschmacks ein gerne genommener Speisepilz, dem man großes Entwicklungspoten-zial attestiert. Johannes Edlinger, einer der Gemüse- und Spargel-Barone im Marchfeld, zum Beispiel. Er lernte im Zuge einer -Studienreise nach Japan die dortige Pilzzucht-Technologie kennen und erkannte darin aufgrund der ganzjährigen Verfügbarkeit eine interessante Ergänzung seines saisonalen Gemüse-Angebotes. Edlinger begann mit einem japanischen Unternehmen eine Zusammenarbeit, die allerdings nicht lange hielt und von -einer Kooperation mit dem süd-koreanischen Pilzzucht-Spezialisten Quali Korea abgelöst wurde. Vor fünf Jahren gründete man eine -eigene Gesellschaft, von den Koreanern kommen Technologie, Gerätschaft und Techniker, von den Marchfeldern kommt die Möglichkeit, „den europäischen Markt kennen zu lernen“, erklärt Geschäftsführer Mario Freiberg.

Die Anlage ist eindrucksvoll und vermittelt nicht unbedingt das Gefühl, dass hier etwas hergestellt wird, das man sich später vielleicht mit ein bisschen Speck und Kräutern in der Pfanne brät. Die Pilzzucht in Raasdorf ist eine Hochtechnologie-Angelegenheit, vieles ist geheim, findet in Labors, Reinräumen und jedenfalls hinter verschlossenen Türen statt. Erst im Juni wurde eine neue, eine Million Euro teure Produktionshalle mit 800 Quadratmetern Produktionsfläche in Betrieb genommen, die den Output auf 25 bis 30 Tonnen pro Monat verdreifachte. Mit dem Export nach Deutschland begann man vor einem halben Jahr, die Schweiz wird gerade anvisiert.

Edlingers Pilze in Reinkultur seien die Einzigen in Europa, die nach diesem modernen, asiatischen Verfahren arbeiten, erklärt Freiberg. Man sei autark und habe sich außerdem für einen biologischen Anbau entschieden, allerdings weniger aus Überzeugung als vielmehr aufgrund der Tat-sache, dass chinesische Anbieter konventionelle Ware um ein Vielfaches billiger anbieten würden und man mit den Biopilzen eine Qualitäts-Nische besetzen wolle.

Der erste Schritt bei der High tech-Zucht besteht in der Mischung des Substrats: Sägespäne von Buche und Fichte (weiches Holz zur Bindung von Feuchtigkeit, hartes Holz als Zellstoff-Lieferant) mit Schrot aus Getreide, Mais und getrocknetem Gemüse. Dieses Pulver kommt in Plastik-flaschen, die ein bisschen an alte Milchflaschen erinnern, es wird auf Paletten gepackt, sterilisiert und in einem Reinraum, der mit den gleichen Luftfiltern wie in Spitälern vor Fremd- und Schadpilzen geschützt wird, vollautomatisch mit Pilz-Mycel infiziert. An die 7.000 solcher Flaschen wandern dann pro Tag in die Kultivierung. Während der nächsten 30 Tage breitet sich das Mycel in der Flasche aus, danach wird gescratcht (die trockene Oberfläche maschinell abgekratzt), und dann darf der Kräuterseitling in den Reiferäumen seine Früchte ausbilden. 21 Tage braucht er dazu, 100 bis 120g Pilze wachsen aus einer Flasche, Computersteuerungen sorgen für optimale Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Beleuchtung lediglich dafür, dass die Kappe eine appetitlich braune Farbe annimmt. Natürlich könnte man den Pilz auch weitaus schneller züchten, erklärt Mario Freiberg, „Wildpilze saugen sich mittels eines explosionsartigen Stoßwachstums in kurzer Zeit mit bis zu 99% Wasser voll“. Beim Zucht-Seitling (der übrigens auch bei uns natürlich vorkommt, allerdings „tot geerntet“ wurde) steuert man das Wachstum in Richtung maximaler Zellbildung – was den Pilzen nicht nur eine erstaunliche Festigkeit gibt, sondern auch eine rekordverdächtige Haltbarkeit von zumindest zwei Wochen. Geerntet wird manuell, die ganzen Pilzstöcke kommen samt einem kleinen Rest des Nährbodens in die Kühlung, endgültig abgeschnitten und verpackt werden sie erst bei Bestellung.

Derzeit macht der Kräuterseitling 60% der Produktionsmenge bei Edlinger aus. Edel-Austernpilz ist das zweite Produkt, die Zucht von Buchenrasling alias Buna Shimeji, einem kleinen, würzigen, in Büschen angebotenen Pilz, läuft gerade an.

Walter Haidvogl ist gelernter Drogist und gleichermaßen -passionierter wie autodidaktischer Pilzzüchter. Er arbeitete vier Jahre lang in den Labors von Edlingers Pilz-Fabrik. Diesen Herbst will er mit einer eigenen, kleinen Zuchtpilz-Produktion beginnen, „aber keine Kräuterseitlinge, der Pilz spricht mich nicht an“. Die Nische interessiert ihn mehr, die speziellen Pilze, die winzigen Pioppini -etwa, weiße Buna Shimeji, Shiitake und eventuell der Wildpilz namens „wolliger Scheidling“, der sich gut auf gebrauchtem Shiitake-Substrat züchten lässt. Kleine Mengen geschmacklich anspruchsvoller Pilze in der Dimension von 400 Kilo pro Monat möchte Haidvogl, der auch mit großer Leidenschaft in der Hobbyzüchter-Zeitung Der Tintling publiziert und Zucht-Utensilien für Hobbyzüchter anbietet, aus seinen Substrat-Säcken wachsen lassen. Er befindet sich derzeit aber noch auf der Suche nach aufgelassenen Weinkellern für die Produktion.

Darüber, dass Zuchtpilze in absehbarer Zukunft eine bedeutende Rolle auch in der europäischen Gastronomie spielen werden, sind sich jedenfalls alle kulinarischen Auguren einig, die Möglichkeiten erscheinen unerschöpflich. Auch die der Zubereitung. Abseits der Panade.

Die Sorten

Affenkopf/Igelstachelbart
Der auch Pom Pom genannte Pilz ist ein absolutes Super-Schwammerl: Über seine gesundheitliche Wirkung kann die westliche Medizin nur Mutmaßungen anstellen, in der östlichen ist sie seit Jahrtausenden bekannt. Abgesehen davon hat der wuschelige Korallenpilz eine Struktur, die an Kalbfleisch oder festes Geflügel erinnert, und einen köstlichen fruchtig-würzigen Geschmack. Trotz verhältnismäßig einfacher Zucht wird der Affenkopf hierzulande wohl nie gezüchtet werden, da zu exotisch und daher nur schwer zu verkaufen.

Austernpilz
Ein sogenannter Saprobiont, der sich parasitär vom Lignin von Bäumen ernährt. Der Austernpilz ist auf der ganzen Welt zu Hause, in zahlreichen Farben und Varianten erhältlich und zählt heute mit Champignon und Shiitake zu den am meisten gezüchteten Pilzen weltweit, man geht von einer Anbaumenge von 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr aus. Der Austernpilz hat ein etwas ausgeprägteres Aroma als der Champignon, mit leichten Schärfe-Akzenten. Roh gilt er als schwer verdaulich, lässt sich aber in allen nur möglichen Arten zubereiten.

Buna Shimeji
Ein in Büscheln wachsender und auch so angebotener Baumpilz, der nicht nur hübsch aussieht, sondern auch wunderbar schmeckt. Der im deutschen Sprachraum Buchen-rasling genannte Pilz ist festfleischig und verfügt über ein deutliches, frisch-moosiges Pilzaroma, das auch an grüne Nüsse erinnert. Äußerst dankbar hinsichtlich Zubereitung wird er gebraten oder im Wok -besonders gut.

Champignon
Der weltweit wichtigste Zuchtpilz, in zahlreichen Varianten erhältlich: zum Beispiel der sogenannte Cremechampignon, dessen Eigenschaften ein grau-braun gefärbter Kopf und ein etwas höherer Preis sind; oder der Riesenchampignon, im anglikanischen Sprachraum auch Portobello genannt, dessen Dimension zahlreiche kulinarische Möglichkeiten eröffnet. Der Champignon existiert auch in einer (mittlerweile raren) Wildform, dem Wiesenchampignon, und ist in dieser einer der besten Speisepilze überhaupt. Zucht-Champignons werden auf einem Substrat aus sterilisiertem Pferdemist gezogen.

Enoki
Enoki oder auch Samtfußrübling ist ein typisch japanischer Pilz, vor allem deshalb, weil hier auch eine spezielle Ästhetik angepeilt wird, die man mit gartenkünstlerischen Bonsai-Methoden erlangt: Enoki-Pilze haben lange Stiele, winzige, weiße Kugelköpfe und erinnern stark an Korallen. Geschmacklich nicht uninteressant, werden sie dennoch meist primär als Zierde verwendet, etwa gebündelt in japanischen Ramen-Suppen.

Kräuterseitling
Ein in Mitteleuropa und dem mediterranen Raum anzutreffender Pilz, der seit einigen Jahren rasant Marktanteile gewinnt. Die Vorteile des gezüchteten Kräuterseitlings sind seine Festfleischigkeit, seine lange Haltbarkeit und seine zumindest mit Phantasie erkennbare Ähnlichkeit mit dem Steinpilz. Geschmacklich hat der Kräuterseitling nicht wahnsinnig viel zu bieten, lässt sich aber leicht verarbeiten und nimmt jedes Aroma dankbar auf.

Mandelegerling
Ein Vertreter aus der Familie der Champignons, allerdings mit einem weitaus interessanteren Geschmack, den Walter Haidvogl als „Amaretto-ähnlich“ angibt. Bisher war der in Brasilien und den USA wild vorkommende Pilz primär für Fans von Heil- und Vital-pilzen interessant, 
da werden ihm sagenhafte Dinge nachgesagt, aber auch kulinarisch hat dieses Schwammerl einiges zu bieten.

Pioppini
Der Südliche Schüppling – unter diesem Namen wohl schwer vermarktbar – ist einer der interessantesten Zuchtpilze der vergangenen zwanzig Jahre und konnte sich in Europa bisher hauptsächlich in Italien durchsetzen, weshalb der italienische Name Pioppino recht gebräuchlich ist. Geschmacklich einem Wildpilz durchaus ebenbürtig und mit überaus hübschem Äußeren gesegnet, zählt der Pioppino mittlerweile zu den fixen Gästen in italienischen Pilzgerichten.

Shiitake
Der älteste der Zuchtpilze, seit etwa 2.500 Jahren wird der Pilz, der am Pasaniabaum wächst, in China und Japan gezüchtet, sowohl als Nahrungsmittel als auch als Heilpflanze. Aromatisch gibt der Shiitake unter den Zuchtpilzen wahrscheinlich am meisten her, sein ausgeprägt nussig-ledrig-pilziges Aroma wird in diversen asiatischen Küchen sehr geschätzt, Shiitake gilt – besonders getrocknet – als Umami-Granate. Bei keinem anderen Lebensmittel ist der Anteil an natürlichen Glutamaten so hoch wie beim getrockneten Shiitake. In Europa kommt der Pilz in seiner Wildform nicht vor, wird aber immer häufiger gezüchtet.

Trüffel
Ein ganz eigenes Kapitel, eine ganz eigene Art der Zucht. Kurz gesagt: -Trüffeln sind symbiotische Pilze, die an den Wurzeln ihrer Wirtspflanzen leben. Trüffelzucht geschieht also, indem mit Trüffeln infizierte Bäumchen gesetzt werden, zumeist Eiche oder Haselnuss. Nach mindestens vier Jahren und ein wenig Glück kann man ernten, züchtbar sind in unseren Klimazonen Burgunder- und Périgordtrüffeln, Zucht-erfahrungen mit letzterer gibt es in Nordspanien und Südfrankreich seit Jahrzehnten. 
(www.trueffelgarten.at)

Kontakt

Walter Haidvogl
Korbgasse 16–18/3
1230 Wien
www.pilz-kultur.at

Ernst Lenz
Kreuzgasse 12
6923 Lauterach
T 05574-737 89
www.trueffel.at

Edlingers Pilze in Reinkultur
Lange Feldgasse 17
2281 Raasdorf
T 02249-893 85
www.edlingers-pilze.at

Frischpilze Service R. Poltnig
Laudongasse 13/11#
1080 Wien
T 01-406 23 64

Untergrund-Bewegung

Zuchtpilze sehen nicht immer aus wie Champignons. Und schmecken auch nicht so. Und Zuchtpilze haben nicht nur eine mehr als tausend Jahre währende Vergangenheit, sondern vor allem eine atemberaubende Zukunft.

Text: Florian Holzer / Fotos Peter M. Mayr

Champignon ist nach wie vor der Champion. Jeder kennt ihn und jeder liebt ihn in Österreich – zumindest, wenn er paniert wird. Der Champignon ist strahlend weiß, organoleptisch vermittelt er Frische, sein Aroma ist mit gutem Willen zwar wahrnehmbar, spielt aber keine Rolle – der Champignon ist für den Massenmarkt daher wie geschaffen.

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts wird das weiße Schwammerl gezüchtet. In französischen Melonenfeldern, die mit Pferdemist gedüngt worden waren, sprossen immer wieder prächtige Kulturen, man nahm sich der Sache an und kultivierte. Anfang des 18. Jahrhunderts entstand eine regelrechte Pilzzucht-Industrie in den Kalksteinbrüchen nahe von Paris, 300 Züchter gewannen aus Höhlen und Stollen an die dreißig Tonnen Pilze – pro Tag. Pilzzucht wurde zum Thema, Lehrbücher vermittelten illustrierte Anleitungen, Champignons in Tischladen oder auf Wandregalen zu züchten, englische Hotels züchteten gleich in der Küche und auch Österreich-Ungarn profilierte sich dank enormen Aufkommens von Pferdemist vor allem aus militärischen Beständen zu einem der weltweit größten Anbieter gezüchteter Champignons, wie Walter Haidvogl, Pilz-Experte, Zucht-Ausstatter und Autor in seinem kurzen historischen Aufriss der Pilzzucht dokumentiert.

Heute wird in Österreich immer noch sehr viel Champignon gegessen – vor allem paniert –, gezüchtet wird er aber kaum mehr. Ungarn und Polen können das Massenschwammerl weitaus billiger anbieten, haben auch heute immer noch Zugriff auf Pferdemist in interessanten Dimensionen, die Lohnkosten sind mit den österreichischen nicht vergleichbar, die Transportwege nach Österreich jedoch vertretbar lang, erklärt Richard Poltnig, Pilz-Händler seit den 70er-Jahren und gewissermaßen die Graue Eminenz der Pilz-Szene in Österreich.

Ernst Lenz in Lauterach, der seine Champignons seit 1968 zuerst im eigenen Keller und dann in einem 300 Meter langen, ehemaligen Luftschutz-Stollen der Stadt Bregenz im Gebhardsberg züchtet, ist einer der Letzten. „Ein teures Hobby meines Vaters“, sagt Tochter Bettina Lenz. Handelsketten hätten für Champignons mit hoher Qualität – langsam und unter natürlichen Bedingungen gewachsen, daher besser in der Struktur und intensiver im Aroma – wenig Verständnis, sagt sie. Ihre durchschnittlich 200 bis 300 Kilo pro Tag verkauft sie an die lokale Gastronomie und am Markt.

Aber die Champignon-League bietet wenig Neues, ganz anders die Zuchtpilz-Szene Asiens, die auf etwa 2.000 Jahre Erfahrung in China und Japan zurückblicken kann und in den vergangenen zwanzig bis dreißig Jahren nicht nur technologisch enorme Fortschritte machte, sondern ein stetig größer werdendes Sortenspektrum feilbietet, gegen das der Champignon im wahrsten Sinne des Wortes blass aussieht: Shiitake, Austernpilz in Braun, Gelb, Rot und Blau, Enoki, Pioppini, Kräuterseitling, Buchenrasling oder der nicht nur optisch spektakuläre Pom Pom alias Affenkopf oder Igelstachelbart. Der kulinarische Aspekt ist bei diesen Pilzen natürlich nicht unwesentlich, in vielen asiatischen Küchen übernehmen Shiitake & Co eine bedeutende Rolle als Eiweißlieferant. Ausgelöst dürften den Boom allerdings Untersuchungen in den 70er-Jahren haben, die diesen Pilzen auch medizinische Nebeneffekte zuschrieben. Man fand eine Provinz in Japan, in der Krebs völlig unbekannt war, Shiitake allerdings täglich am Speiseplan stand, und zog Schlüsse daraus. Kanebo, japanischer Kosmetik-Riese, interessierte sich Mitte der 80er-Jahre für das Thema „functional food“ und gründete in Finnland die bis heute größte Zuchtanlage Europas. Finnland übrigens nicht auf Grund des guten Holzes, auf dem die Pilze hätten gedeihen können, wie man vielleicht meint – das holten die perfektionistischen Japaner ohnehin per Schiff aus Japan –, sondern wegen des enormen Wasserbedarfs: 300.000 Liter pro Tag. „Kanebo hatte Geld“, erinnert sich Richard Poltnig, „die Produktion war extrem aufwendig und teuer, ein Kilo kostete 170 Schilling, aber ich war begeistert.“

Nicht zuletzt strengere Bestimmungen bezüglich der Behauptung von gesundheitlichen Benefits von Nahrungsmitteln ließen die Shiitake-Euphorie zwar wieder etwas abflauen. Das im Pilz enthaltene Polysaccharid Lentinan erwies sich dann doch nicht als Krebs-Wundermittel und Kanebo zog sich bald aus dem Schwammerl-Business zurück. „Ich liebe den Shiitake-Pilz aber trotzdem“, sagt Poltnig, kulinarisch sei er extrem vielseitig einsetzbar. Von einem Gericht in Thomas Kellers French Laundry in Sonoma, schwärmt Poltnig noch heute begeistert: Die fünf Geschmacksrichtungen wurden in jeweils einem Löffelchen thematisiert, Umami in Form einer sagenhaft intensiven Shiitake-Suppe

Der neue Star am Zuchtpilz-Sektor scheint derzeit jedenfalls der Kräuterseitling zu sein, vor einigen Jahren noch ein vor sich hintrocknender Exot auf Marktständen und in Bioläden, mittlerweile aufgrund seiner haptischen und optischen Ähnlichkeit mit dem Steinpilz und des feinen Geschmacks ein gerne genommener Speisepilz, dem man großes Entwicklungspoten-zial attestiert. Johannes Edlinger, einer der Gemüse- und Spargel-Barone im Marchfeld, zum Beispiel. Er lernte im Zuge einer -Studienreise nach Japan die dortige Pilzzucht-Technologie kennen und erkannte darin aufgrund der ganzjährigen Verfügbarkeit eine interessante Ergänzung seines saisonalen Gemüse-Angebotes. Edlinger begann mit einem japanischen Unternehmen eine Zusammenarbeit, die allerdings nicht lange hielt und von -einer Kooperation mit dem süd-koreanischen Pilzzucht-Spezialisten Quali Korea abgelöst wurde. Vor fünf Jahren gründete man eine -eigene Gesellschaft, von den Koreanern kommen Technologie, Gerätschaft und Techniker, von den Marchfeldern kommt die Möglichkeit, „den europäischen Markt kennen zu lernen“, erklärt Geschäftsführer Mario Freiberg.

Die Anlage ist eindrucksvoll und vermittelt nicht unbedingt das Gefühl, dass hier etwas hergestellt wird, das man sich später vielleicht mit ein bisschen Speck und Kräutern in der Pfanne brät. Die Pilzzucht in Raasdorf ist eine Hochtechnologie-Angelegenheit, vieles ist geheim, findet in Labors, Reinräumen und jedenfalls hinter verschlossenen Türen statt. Erst im Juni wurde eine neue, eine Million Euro teure Produktionshalle mit 800 Quadratmetern Produktionsfläche in Betrieb genommen, die den Output auf 25 bis 30 Tonnen pro Monat verdreifachte. Mit dem Export nach Deutschland begann man vor einem halben Jahr, die Schweiz wird gerade anvisiert.

Edlingers Pilze in Reinkultur seien die Einzigen in Europa, die nach diesem modernen, asiatischen Verfahren arbeiten, erklärt Freiberg. Man sei autark und habe sich außerdem für einen biologischen Anbau entschieden, allerdings weniger aus Überzeugung als vielmehr aufgrund der Tat-sache, dass chinesische Anbieter konventionelle Ware um ein Vielfaches billiger anbieten würden und man mit den Biopilzen eine Qualitäts-Nische besetzen wolle.

Der erste Schritt bei der High tech-Zucht besteht in der Mischung des Substrats: Sägespäne von Buche und Fichte (weiches Holz zur Bindung von Feuchtigkeit, hartes Holz als Zellstoff-Lieferant) mit Schrot aus Getreide, Mais und getrocknetem Gemüse. Dieses Pulver kommt in Plastik-flaschen, die ein bisschen an alte Milchflaschen erinnern, es wird auf Paletten gepackt, sterilisiert und in einem Reinraum, der mit den gleichen Luftfiltern wie in Spitälern vor Fremd- und Schadpilzen geschützt wird, vollautomatisch mit Pilz-Mycel infiziert. An die 7.000 solcher Flaschen wandern dann pro Tag in die Kultivierung. Während der nächsten 30 Tage breitet sich das Mycel in der Flasche aus, danach wird gescratcht (die trockene Oberfläche maschinell abgekratzt), und dann darf der Kräuterseitling in den Reiferäumen seine Früchte ausbilden. 21 Tage braucht er dazu, 100 bis 120g Pilze wachsen aus einer Flasche, Computersteuerungen sorgen für optimale Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Beleuchtung lediglich dafür, dass die Kappe eine appetitlich braune Farbe annimmt. Natürlich könnte man den Pilz auch weitaus schneller züchten, erklärt Mario Freiberg, „Wildpilze saugen sich mittels eines explosionsartigen Stoßwachstums in kurzer Zeit mit bis zu 99% Wasser voll“. Beim Zucht-Seitling (der übrigens auch bei uns natürlich vorkommt, allerdings „tot geerntet“ wurde) steuert man das Wachstum in Richtung maximaler Zellbildung – was den Pilzen nicht nur eine erstaun-liche Festigkeit gibt, sondern auch eine rekordverdächtige Haltbarkeit von zumindest zwei Wochen. Geerntet wird manuell, die ganzen Pilzstöcke kommen samt einem kleinen Rest des Nährbodens in die Kühlung, endgültig abgeschnitten und verpackt werden sie erst bei Bestellung.

Derzeit macht der Kräuterseitling 60% der Produktionsmenge bei Edlinger aus. Edel-Austernpilz ist das zweite Produkt, die Zucht von Buchenrasling alias Buna Shimeji, einem kleinen, würzigen, in Büschen angebotenen Pilz, läuft gerade an.

Walter Haidvogl ist gelernter Drogist und gleichermaßen -passionierter wie autodidaktischer Pilzzüchter. Er arbeitete vier Jahre lang in den Labors von Edlingers Pilz-Fabrik. Diesen Herbst will er mit einer eigenen, kleinen Zuchtpilz-Produktion beginnen, „aber keine Kräuterseitlinge, der Pilz spricht mich nicht an“. Die Nische interessiert ihn mehr, die speziellen Pilze, die winzigen Pioppini -etwa, weiße Buna Shimeji, Shiitake und eventuell der Wildpilz namens „wolliger Scheidling“, der sich gut auf gebrauchtem Shiitake-Substrat züchten lässt. Kleine Mengen geschmacklich anspruchsvoller Pilze in der Dimension von 400 Kilo pro Monat möchte Haidvogl, der auch mit großer Leidenschaft in der Hobbyzüchter-Zeitung Der Tintling publiziert und Zucht-Utensilien für Hobbyzüchter anbietet, aus seinen Substrat-Säcken wachsen lassen. Er befindet sich derzeit aber noch auf der Suche nach aufgelassenen Weinkellern für die Produktion.

Darüber, dass Zuchtpilze in absehbarer Zukunft eine bedeutende Rolle auch in der europäischen Gastronomie spielen werden, sind sich jedenfalls alle kulinarischen Auguren einig, die Möglichkeiten erscheinen unerschöpflich. Auch die der Zubereitung. Abseits der Panade.