Vernebelungstaktiken
Weltweit postuliert die Köcheavantgarde Räuchern als trendiges Stilmittel zur Erlangung von mehr Aroma und Geschmack. Ob der Qualm auch im Gastraum Sinn macht oder eher nur stört – ist Geschmackssache.
Vernebelungstaktiken
Text von Anna Burghardt Fotos: Manfred Klimek
Was für ein Glück, dass Lebensmittel verderblich sind. Würden Erdbeeren nie schimmeln, gäbe es vermutlich keine Marmelade, würden Fleisch und Fisch ewig halten, weder Gänseconfit noch Räucherforelle. Und höchstwahrscheinlich wäre nie jemand auf die Idee gekommen, einmal "über Oolongtee geräucherte Entenbrust" anzubieten. Denn zum verfremdenden Zitieren, in diesem Fall zum Spiel mit der Semantik des Rustikalen, eignet sich schließlich in der hohen Gastronomie nur, was einmal ernst gemeint war. Sprich: Der Rauch als konservierungstechnische Notwendigkeit wird zum Geschmacks- und Effekt-i-Tüpfelchen für Noblesse-übersättigte Gaumen. Oder zum heimelig-wohligen Krisenzeitentröster. Räucherpfeifen gibt es mittlerweile im Gastronomiebedarf und Gerichte wie "Crème brûlée vom chinesischen Rauchtee" finden sich bald einmal in einem Kochbuch. Heston Blumenthals berühmtes Speckeis oder Ferran Adriàs Interpretation von Grillgemüse, Streifen von Gemüsegelee mit Holzkohleöl, sind nur zwei Beispiele für einen Trend, der auch hierzulande Einzug gehalten hat.
Für Alexander Fankhauser aus dem Tiroler Hochfügen haben die mehr oder weniger dosierten Rauchschwaden in den heimischen Spitzenküchen viel mit Sentimentalität zu tun: "Der Rauchgeschmack ist halt was Typisches, was Traditionelles, den Leuten taugt das wirklich."
Und nicht nur der Geschmack. An der optischen Inszenierung des Geräucherten käme man in einer gewissen Liga praktisch nicht mehr vorbei. "Die Leute erwarten das schon richtig, dass sie in einem noblen Restaurant einen Teller mit Glashaube serviert bekommen, der dann am Tisch gelüftet wird, und sie nichts mehr sehen vor lauter Rauch." Bei Fankhauser bekommt man das zwar auch manchmal, es scheint in seinem Fall aber eher ein Zugeständnis an den Gast zu sein. "Das ist ja alles mehr Show, ich arbeite lieber mit dem Rauch als Geschmackskick." Etwa bei einem Kalbsfilet für ein Carpaccio, in das er "ganz kurz, aber mit g’scheiter Hitze und viel Rauch voll reinfährt", wie er sagt. Das Ergebnis ist eine geräucherte Außenschicht und ein rohes Inneres, für Alexander Fankhauser eine sehr spannende Kombination und etwas ganz Neues für dieses Stück Fleisch. Überhaupt sei das Räuchern à la minute, wie er es mit einem alten Wok und verschiedenen Hölzern oder getrockneten Kräutern macht, für die Spitzengastronomie eine gute Möglichkeit zur Abgrenzung: "Es geht ja nicht, dass man immer teurere und seltenere Produkte kauft für den letzten Kick." Der aromatisch durchdachte Rauch ist für ihn eine wunderbare Möglichkeit, zur Genüge bekannte Lebensmittel neu zu aromatisieren. Aber bitte jetzt nicht ständig alles räuchern. "Sonst haben wir wieder den Thunfischtatar-Effekt."
Die Sorge, dass das ausgeklügelte Vollpofeln in der Küche stilistisch verwässert und langweilig wird, hat Heinz Hanner seit einiger Zeit nicht mehr. "Mit der Cloche, also dieser Glashaube, macht’s schon jeder, wir haben was anderes." Und zwar eine hauchdünne essbare Geleefolie, die über Schüsseln gespannt wird, wo sich etwa Entenleber und Entenzunge in trauter Eintracht finden. "Wir heben dann diese Folie in der Küche an, blasen Rauch rein, zum Beispiel vom Kirschholz, und dichten’s dann wieder ab." Bei Tisch steigt dann der Rauch auf, wenn die Geleefolie aufgestochen wird. "Diese Folie ist also quasi die Cloche."
Hanner nennt den Geschmack, der aus dem Rauch resultiert, das Primäraroma. "Am Ende des Kochvorgangs, wo alles aromatisch eigentlich schon abgeschlossen ist, wie man meinen könnte, kommt dann noch ein zartes Raucharoma dazu." Unter reger Beteiligung des Geruchssinns wird dieses zuerst wahrgenommen und lässt erst allmählich den eigentlichen Geschmack durch. Dieses ganz kurze Räuchern, das im Prinzip nur auf dem Weg von der Küche zum Tisch stattfindet, sollte einen sehr subtilen Einfluss auf ein Gericht haben und nicht alles andere übertünchen, die Technik ist also ziemlich heikel. Wer sie beherrscht, wird mit einem schönen Kontrast belohnt, sagt Hanner. "Diese leichte Räucheraromatik und innen dann was Frisches, das kann schon was." Er verwendet Elektropfeifen, um Gewürze oder Kräuter anzuzünden und den Rauch mittels Schlauch gezielt wo hineinzuleiten. Sei es eine Cloche, ein Teller mit Folie oder eine Schokoladehohlkugel. Wenn Heinz Hanner diese Desserterfindung beschreibt und mit anschaulichen Handbewegungen präzisiert, wirkt er wie ein kleiner Bub, der von seinem aus Holzresten gebauten und tatsächlich schwimmenden Boot erzählt: "In so eine Schokohohlkugel" – Handhaltung Torwart beim Ballfangen – "kommt ein Lebkuchenparfait hinein. Dann füllen wir mit einem Schlauch Sternanis- oder Zimtrauch ein." – Handbewegung Schlängeln – "Dann servieren wir das Ding, schmelzen mit einem Bunsenbrenner eine Öffnung in die Schokolade, pffffssss" – Zeigefinger kreist – "der Deckel kippt rein, der Rauch steigt auf." Und der Erfinder strahlt.
Für Heinz Hanner hört das Räuchern also nicht bei der Hauptspeise auf. Für Desserts verwendet er nicht nur die Elektropfeife und Gewürze wie Zimt, Kardamom oder Nelken, sondern auch ein weißes Pulver, das sich in Null Komma nix auflöst, seines Zeichens gefriergetrockneter Rauch vom spanischen Küchenspielzeughersteller Sosa. "Damit wird’s dann interessant bei Sachen, die ich nicht wirklich klassisch räuchern kann, zum Beispiel Flüssigkeiten wie Milch." Eine süße Creme mit Räucheraroma sei dann möglich, als Basis für Eis zum Beispiel.
Bei den Desserts ist für Hanner rauchtechnisch noch lange nicht der Plafond erreicht: Sein Cognacparfait mit Kaffeesauce im Zigarrenrauch oder der Whiskygeleekaviar, eingeschlossen in innen flüssigen Kaffeedrops und mit Rauch umnebelt, sind ironische Zitate par excellence, Männerrituale übersetzt auf gut Hannerisch. "Statt im Rauchsalon bekommen die Gäste bei uns den Whisky und die Zigarre als Dessert." Heinz Hanner wüsste ein totales Rauchverbot in Restaurants jedenfalls geschickt zu umgehen.
Ein anderer Koch verzichtet aus eigenem Antrieb auf den Rauch im Lokal: Silvio Nickol vom Restaurant "Schlossstern" in Velden möchte sich nicht in die Liste derer einreihen, die ihre Gäste einnebeln. "Sollen sich da andere Köche austoben, ich halte nichts von diesen Showelementen." Nickol führt richtiggehend konsumentenschützerische Argumente an. In Restaurants sei die Decke oft niedrig, sagt er, da würden dann andere Gäste ungefragt mithineingezogen, wenn jemand am Nachbartisch Rauchwolken über seinem Teller schweben hat. Darum verzichtet er auf Rauchinszenierungen mit Cloche und Co. und nützt allein die geschmacklichen Möglichkeiten. Etwa wenn er Rindermark räuchert oder Gemüse. "Geräucherte Pastinaken mit säuerlichen Früchten sind ja eine ganz tolle Kombination." Ideen hat Silvio Nickol genug. Sein Lardoeis, für das der Lardo kurz angeräuchert wird, kommt überraschend gut an, mit Süßholz und anderen Hölzern stehen noch Experimente an. "Die Dosierung ist beim Räuchern vermutlich das Allerwichtigste, wichtiger als die Wahl des Räuchermittels", sagt er. "Es soll ja nur eine Veredelung stattfinden, das Grundprodukt muss immer erkennbar bleiben." Wie Alexander Fankhauser glaubt Nickol, dass das Räuchern vor allem dafür genützt werden sollte, neue Geschmacksrichtungen zu ermöglichen, das Spektrum der bekannten Zutaten mittels Rauch aromatisch zu erweitern. "Das Überraschungsmoment ist ganz wichtig beim Räuchern." Das geschmackliche, wohlgemerkt.
Während Silvio Nickol also bloß auf das Aroma des Rauches setzt, geht es Markus Mraz, ebenso wie Hanner, auch um den optischen Effekt. Er füllt etwa Suppe in eine Petrischale, eine flache zylindrische Glasschale mit Deckel aus dem Laborbedarf, und leitet in der Küche Grünteerauch hinein. "Der Gast sieht dann zuerst nur ein Nebelfeld und nicht, was er eigentlich zu essen bekommt, erst allmählich lüftet sich das Geheimnis." Ratespielchen scheint Mraz generell zu mögen. Das Spannende an seinem Vanilleeis im Zimtrauch – für das er einen gläsernen Dekantiertrichter verwendet, den er über das Eis stülpt – sei die aromatische Ambivalenz: "Da weiß man nicht, isst man jetzt ein Vanilleeis oder ein Zimteis." Räucherexperimente kann sich Mraz auch für Hobbyköche gut vorstellen. Eine klassische Imkerpfeife mit Blasbalg bekommt man um wenig Geld. Sie diente ursprünglich Imkern dazu, mittels Rauch die Bienen fernzuhalten, eignet sich aber genauso fürs Räuchern mit Früchtetee, Thymian, Sternanis und Ähnlichem. "Mit Haschpfeifen sollte man’s lieber nicht probieren, wir haben das gemacht und uns ist der Plastikventilator geschmolzen", erzählt er lachend. Wen mehr der Rauchgeschmack an sich interessiert, dem empfiehlt er, mit fertigem Räuchersalz, Holzkohleöl – zum Beispiel für eine Mayonnaise zum Steak – oder Räucherkäse zu schummeln. Außerdem ist das Aroma so besser dosierbar. Denn wie durchdringend echter Rauch ist, merkt auch der Laie schnell. Man braucht nur seine Jacke für drei Minuten in ein Beisel zu hängen.