Vitello Tonnato – Nicht Fisch? Nicht Fleisch?

Fisch und Fleisch auf einem Teller? Was auf den ersten Blick gar nicht zusammenzupassen scheint, macht den Reiz von Vitello tonnato aus: Dünn geschnittenes Kalbfleisch wird mit fein pürierter Thunfischsauce serviert.



Vitello Tonnato – Nicht Fisch? Nicht Fleisch?

Text: Andrea Karrer


Illustration: Peter Jani

Die Spezialität aus dem italienischen Piemont war in früheren Tagen ein typisches Gericht für Festtage, heute findet man den Vorspeisenklassiker auf jeder Antipastiplatte. Das ursprüngliche Rezept stammt aus dem 18. Jahrhundert und nannte sich damals „vitel tonne“. Man verstand darunter allerdings keine Sauce aus Mayonnaise und Thunfisch und auch kein gekochtes Kalbfleisch. Es handelte sich vielmehr um ein Stück Fleisch, das gemeinsam mit eingesalzenen Sardellen geschmort, dann in Scheiben geschnitten, mit seiner eigenen Sauce bedeckt und mit Kapern garniert wurde. Nach Zubereitungsart und Aussehen war das Gericht also viel näher mit dem Rinderschmorbraten Brasato verwandt.

Der Begriff „tonne“, der heute mit Thunfisch in Zusammenhang gebracht wird, könnte eher auf die französische Sprachtradition zurückgehen – damals wurde im Piemont Französisch gesprochen – und schlicht „mit Sauce“ bedeuten. Die Einführung von Mayonnaise und Thunfisch für das heute gekochte und nicht mehr geschmorte Kalbfleisch ist viel einfacher und schneller und dennoch authentisch. Diese Zubereitungsform kennt man im Piemont schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts.

Ich habe schon Gerichte gesehen, die sich Vitello tonnato nannten, bei denen aber das in Scheiben geschnittene Kalbfleisch aber lediglich mit einem Klecks Sauce garniert war, oder die Sauce wurde separat dazu gereicht. Dies widerspricht der Grundidee des Gerichts, denn die Thunfischsauce soll das Fleisch durchdringen, damit die Aromen der Sauce sich mit dem Fleisch verbinden. Das Fleisch muss vor dem Servieren mindestens drei bis vier Stunden – optimal wären vierundzwanzig Stunden – in der Sauce ziehen.

Welches Fleisch? Am besten nimmt man Kalbsbraten oder Kalbsnuss, das man mit Hilfe von Küchengarn fest in Façon bringt, damit der Braten erstens beim Garen seine Form behält und zweitens sich später besser tranchieren lässt. Dann schneidet man mit einem kleinen scharfen Messer kleine Schnitte in das Fleisch, in die man nun kleine Anchovisstücke und etwas Knoblauch presst. Das so präparierte Kalbfleisch in einen schweren Topf geben, der gerade groß genug ist, um es bequem zu fassen. Nun den Fond (am besten wäre Kalbsfond, milder Hühnerfond tut’s auch, ansonsten nimmt man Wasser) mit Wein, etwas Wasser, Zwiebeln, Karotten, Stangensellerie, Lorbeer, Petersilie und Pfefferkörnern aufkochen, das Fleisch einlegen und langsam zum Kochen bringen. Wenn das passiert ist, wird die Hitze reduziert und, wie bei einer Suppe, das Kalbsfleisch bei geringer Hitze etwa 1 Stunde und 40 Minuten gekocht bzw. so lange, bis das Kalbfleisch weich ist, wenn man es mit einer Fleischgabel ansticht. Ganz wichtig: Es sollte innen noch zart rosa sein und somit saftig und ja nicht trocken. Am besten lässt man den Braten im Fond auskühlen.

Welchen Fisch für die Thunfischsauce? Vitello tonnato ist eines der wenigen Gerichte, in dem Dosenthunfisch kulinarisch und moralisch erlaubt ist. Deshalb greift man aber auch zur Qualitäts-Thunfischdose, Billigware liegt in Billigolivenöl und das ruiniert den feinen Geschmack vom Kalb (und nicht nur von dem…).

Für die Thunfischsauce Olivenöl (einer der seltenen Fälle, bei denen Olivenöl für die Mayonnaise vorzuziehen ist; das intensive Aroma gibt der Sauce einen vollen Geschmack) mit Dotter, Thunfisch, Anchovisfilets und Zitronensaft im Mixer bei hoher Geschwindigkeit ganz kurz pürieren. Dann nach und nach Obers dazugeben und zum Schluss etwas von der abgekühlten und abgeseihten(!) Kalbssuppe unterrühren, bis die Sauce die Beschaffenheit von leicht angeschlagenem Schlagobers annimmt. Wahrscheinlich genügen 4 EL Kochfond. Dann noch Kapern einrühren und die Sauce abschmecken. Herrlich!

Den ausgekühlten Braten auf ein Tranchierbrett legen, Küchengarn entfernen und das Fleisch (oder mit der Aufschnittmaschine in dünne Scheiben schneiden) in gleichmäßig dünne Tranchen schneiden. Auf einer Servierplatte etwas Thunfischsauce verstreichen, die Fleischscheiben in der Sauce dicht nebeneinander, aber nicht überlappend anordnen. Restliche Sauce darübergießen und glatt verstreichen, damit jede Scheibe Fleisch mit der Sauce überzogen ist. Mit Frischhaltefolie zudecken und das Vitello tonnato mindestens vierundzwanzig Stunden im Kühlschrank durchziehen lassen.

Vor dem Servieren auf Raumtemperatur bringen. Dann die Scheiben so sorgfältig wie möglich leicht überlappend im Kreis auf einer großen Anrichteplatte oder in einer Schüssel anordnen. Mit einem Löffel die gesamte Sauce darübergeben. Kalbfleisch und Thunfischsauce mit Petersilie bestreuen, mit Zitronenscheiben, Kapern und schwarzen, entsteinten, in schmale Scheiben geschnittenen Oliven garniert servieren.

Vitello Tonnato mit gegrilltem Gemüse

Zutaten für 4 Portionen

Fond:
150 g weiße Zwiebeln
4 Knoblauchzehen
300 g Kalbsparüren (Kalbsabschnitte)
200 g Thunfisch aus der Dose, abgetropft
60 ml Olivenöl
1 Sardellenfilet
2 Lorbeerblätter
30 g Kapern
2 Thymianzweige
2 Basilikumstiele
60 ml Cognac
20 ml Balasamico
500 g Tomaten
Salz, Pfeffer
Kalbsfilet (Gewicht nach Bedarf)
Salz, Pfeffer

Grillgemüse:
1 kleine Aubergine, geputzt, in Scheiben geschnitten
1 kleine Zucchini, geputzt, in Scheiben geschnitten
12 Kirschtomaten, halbiert
1 rote Zwiebel, geschält, in Ringe geschnitten
je 1 rote und gelbe Paprikaschote, geputzt, in Stücke geschnitten
Salz, Pfeffer
Olivenöl zum Grillen

frischer Thunfisch (Gewicht nach Bedarf)
Salz, Pfeffer, Olivenöl zum Marinieren
frische Kräuter und Rucola zum Garnieren

Fond: Zwiebeln und Knoblauch schälen, grobwürfelig schneiden und mit Kalbsparüren und Thunfisch in Olivenöl unter Rühren gut anrösten. Sardellenfilet, Lorbeerblätter, Kapern und Kräuter zugeben und mitrösten; mit Cognac und Essig ablöschen und einkochen lassen. Tomaten zugeben und ca. 5 Minuten bei geringer Hitze kochen lassen. Mit 800 g Eiswürfeln auffüllen und ca. 1 Stunde und 20 Minuten bei geringer Hitze garen. Hinweis: Aufsteigenden Schaum mit einem Siebschöpfer immer wieder abschöpfen. Salzen und pfeffern und durch ein Sieb passieren.

Kalbsfilet rundum salzen und pfeffern, in den Fond einlegen und bei ca. 60°C darin 30 Minuten ziehen lassen.

Grillgemüse: Gemüse salzen und pfeffern und in erhitztem Olivenöl grillen.

5 Minuten vor dem Anrichten Thunfisch in Scheiben schneiden. Mit Olivenöl, Salz und Pfeffer marinieren.

Kalbsfilet in dünne Tranchen schneiden und mit mariniertem Thunfisch und Grillgemüse anrichten. Mit Basilikum, Rucola und eventuell schwarzen, entkernten Oliven garniert servieren.