Von Köchen und Liebhabern

Alles kocht. Kochkurse und Kochbücher boomen, begabte Hobbyköche zaubern im privaten Rahmen mitunter bemerkenswerte Menüs. Die Unterschiede zwischen Amateuren und Profis sind trotzdem gewaltig.

Von Köchen und Liebhabern

Text von Eva Rossmann Illustration: Auge
Es ist noch nicht lange her, dass mir ein erfolgreicher, gebildeter, auch einflussreicher und trotzdem sympathischer Mann beschrieb, wie er einem Tag entgegenfiebert: dem Tag, an dem er in der Küche von X. (der Name steht für mindestens zwanzig andere Top-Köche und -Köchinnen) sein wird. Seine Kinder haben ihm einen Kochkurs geschenkt und seither ist der begeisterte Hobbykoch hin- und hergerissen zwischen Vorfreude – und Angst. Was, wenn er nicht gut genug ist? Wenn er sich ungeschickt anstellt, ihn der große Meister als kleinen Stümper enttarnt?
Zynisch könnte man meinen, gar nicht übel, da ersparen sich Manager und andere, die die Welt im Griff zu haben scheinen, viel theoretischere und saftlosere Selbstfindungsseminare. Ein Tag in der Küche von X. und schon weiß man wieder, wo man steht: ganz unten, selbst unter den Lehrlingen, die ja immerhin täglich um den Kochkünstler sein dürfen (auch wenn diese respektlos genug sein könnten, das weniger als Ehre denn als Notwendigkeit zu empfinden). Empfiehlt sich, so gesehen, auch als Geschenk von genervten Ehefrauen oder unterdrückten Mitarbeitern.
Aber warum eigentlich dieser übergroße Respekt?
Worin besteht der Unterschied zwischen Amateuren der Kochkunst und ihren professionellen Kollegen?
Nicht nur Kochkurse mit Promis erfreuen sich beachtlicher Nachfrage, auch Kochen boomt, ist schick geworden. (Was man alleine am Umstand sieht, dass plötzlich so viele Männer voll Freude am Herd stehen – zumindest dann, wenn es Lob zu ernten gibt. Aber das ist eine andere Geschichte …) Spitzenköche und solche, die von Medien und Lobbys dazu stilisiert wurden, haben Star-Nimbus, sind Gurus. Finde ich übrigens in Ordnung, von einem Kochstar habe zumindest ich persönlich mehr als von einer Fernsehmoderatorin mit Schrillstimme und Silikonbusen. Ich kann essen, was er (und sein Team) kocht, ich kann in Medien Rezepte erhaschen, ich kann seine Kochbücher kaufen und versuchen, so zu kochen wie er.
Wahrhaft hingebungsvolle Amateure, Liebhaber der Kochkunst, gehen sogar noch weiter: Sie lesen und lernen alles, was ihnen in die Finger kommt. Theoretisch können sie einem den Unterschied zwischen Hochlandrind, Angus, Galloway und mongolischem Steppenrind erklären (bitte nicht sofort nachblättern, um herauszufinden, was das für ein Rind ist und wie es schmeckt, das mongolische Steppenrind habe ich gerade erfunden), sie sind im Besitz der neuesten Küchengeräte, sie haben schon überall auf der Welt gegessen und kennen selbstverständlich sowohl die Bücher von Anthony Bourdain sowie auch "Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst" von This-Benckhard.
Hmm. Ich bin auch so eine. Ohne ein Kochbuch neben meinem Bett fühle ich mich irgendwie nicht zuhause (auch wenn mir der eine oder andere Wälzer zwischen Lesen und Einschlafen schon beinahe mein kostbares Riechorgan zerdrückt hätte). Mein Faible für Küchengeräte übersteigt nach wie vor bei weitem die Kapazität unserer Küche, und als ich zum ersten Mal angerückt bin, um Buchinger in der Küche zu helfen, tat ich es mit einem Messerset, das deutlich teurer war als sein Alltags-Werkzeug.
Aber seit ich zwischen der Rolle einer Amateurin und der einer (fast) Köchin pendle, sehe ich vieles entspannter.
Ich kenne eine durchaus angesehene und von diversen "Führern" (übrigens: Österreich hat europaweit die größte "Führer"dichte, auch wenn man nun unter "Führer"kult zum Glück etwas viel Harmloseres versteht als vor sechzig Jahren) ausgezeichnete Köchin, die auf einem Branchenausflug sehr erstaunt war, dass das hübsche leicht pelzige Blatt in ihrer Hand frischer Salbei sein soll. Meinem dem Kochkurs entgegenfiebernden Amateur würde Derartiges nie passieren, er könnte wohl aus dem Stand mindestens fünf Salbeiarten aufzählen und beschreiben, wie sie zu verwenden sind, bis hin zum Ananassalbei. Klar wissen zumindest die Top-Leute der Branche viel, sie beschäftigen sich ja, wenn sie wirklich gut sein wollen, mit (fast) nichts anderem, sind sozusagen professionelle Liebhaber, seit sie mit 15 eine Lehre begonnen haben. Aber die wahren Unterschiede liegen trotzdem anderswo:
Ein Amateur hat Hingabe für jedes seiner Gerichte, er will es perfekt machen, kann so etwas schaffen, das im Einzelfall auch Kreationen der ganz Großen überflügelt. Er kann kaum atmen, ohne über das Kochen zu reden. In den Küchen französischer Sternetempel hingegen wird, während man duftig-duftende Geschmackserlebnisse anrichtet, vor allem über Fußballresultate und Sex gefachsimpelt (pardon, ich wollte ergriffene Kochkursschüler ohne ausreichende Sprachkenntnisse nicht desillusionieren). – Wenn Sie übrigens gerne öfter mit Köchen zusammen sein wollen, dann diskutieren Sie mit ihnen bitte nicht in ihrer Freizeit über Rezepte, sie lieben das in etwa so wie Ärzte, die endlich gemütlich bei einem Glas Wein sitzen und die ganze Tischgesellschaft beginnt, ihre Krankengeschichte zu erzählen.
Das Wichtigste aber, das Kochprofis und Hobbyköche unterscheidet, ist wohl Routine.
Dieses Durch-ständig-immer-wieder-tun-erlernt-und-erfahren-Haben. Auch ein ganz durchschnittlicher Koch, einer dem Rinderrassen und Salbeisorten so egal sind wie japanische Seidenmalerei, wird ohne Probleme in einer halben Stunde zwanzig, dreißig, vierzig Leute abfüttern können, er schaut gar nicht hin, er weiß, ahnt, wann das Steak medium rare ist.
Handbewegungen passieren einfach, wenn Koch oder Köchin gut ist, ohne Hektik, fließend, es geht ums Tun (beinahe) ohne zu denken. Und stolz ist man mehr auf die Bewegungen, auf den locker-lässigen Umgang mit dem man Rohprodukte zu Essbarem verwandelt, als auf jeden einzelnen Teller, der die Küche verlässt.
Und dann ist da natürlich noch der Stress. Er bricht auch bei Hobbyköchen aus, aber es ist schon etwas anderes, ob Freunde im Esszimmer sitzen und dir gerade das Trüffelsoufflé zusammengefallen ist, oder ob fünfzig zahlende Gäste auf zwanzig verschiedene Gerichte warten, die einen begeisterte Stammgäste (Achtung! Da ist die Erwartungshaltung hoch, da muss man besonders aufpassen!), die anderen einfach zufällig hereingeschneit (Die muss man überzeugen, wen, wenn nicht die!) und dann noch solche, die jetzt schon skeptisch dreinschauen (Also denen wird man es schon zeigen! Wir sind gut!). Und dann ist die frische Rindsuppe im Kühlhaus noch zu warm, um sie einfach (wie notwendig) degraissieren, entfetten, zu können, der Oberkellner hat einem Gast versprochen, für sein Kind Erdäpfelpüree zu liefern, auch wenn das noch nie auf der Karte gestanden ist, sondern bloß Serviettenknöderl, Kürbiskrapferl, Erdäpfelnockerl, Nudeln, Braterdäpfel, frittierte Pont-Neuf-Erdäpfel, verdammt, kann das Kind nicht davon was essen, und plötzlich beinahe alle Leute die gewokten Nudeln wollen, aber bloß zwei Woks da sind. Wenn einem diese Art von Stress (mehr so ein akutes Überlebenstraining, manchmal zwei Mal am Tag) nicht gefällt, wer darauf nicht geradezu süchtig ist, oder zumindest auf das Gefühl hinterher, der sollte lieber doch Generaldirektor und Hobbykoch bleiben.
Naja, und dann gehört zum Profi-Kochen noch eine gewisse Hitzebeständigkeit. Klar gibt es unterschiedlich ausgerüstete Küchen, aber im Sommer können die meisten nahe am Herd schon Temperaturen bis zu fünfzig Grad erreichen.
Nichts für solche, die sorgsam und auf innere und äußere Schönheit bedacht, mit gepflegten Kreationen aufwarten wollen. Da fließt der Schweiß nicht nur im übertragenen Sinn, und wer wirklich cool ist, gibt es nicht einmal zu.
Was also kann ein belesener, für seine Maßstäbe routinierter und jedenfalls großartig kochender Liebhaber lernen, wenn er sich für ein, zwei oder vier Tage zu einem Kochkurs bei einem der "Meister" begibt? Lässige Routine wohl nicht.
Kniffe. Die berühmten Kniffe, nach denen jeder Koch, jede Köchin immer wieder gefragt wird. Es geht um die großen und die kleinen Geheimnisse.
Man darf – gemeinsam mit anderen – eng neben dem großen X. stehen und er wird es raus lassen, was man immer schon wissen wollte. Bloß dass man keinen Unsinn fragen sollte, etwas, worüber nicht nur der Starkoch, sondern auch alle anderen in der Küche lächeln. Und darf man gar mitarbeiten, wird man bemüht sein, den Schnittlauch mindestens so exakt zu schneiden wie der Jungkoch, der im Monat gerade einmal doppelt so viel bezahlt bekommt wie der dreitägige Kochkurs kostet. Man wird gelobt (egal, wie der Schnittlauch aussieht) und das ist wunderbar (auch wenn zweifelhaft ist, ob einem das in Zukunft küchentechnisch weiterhelfen wird).
Bloß die Sache mit den Kniffen ist die: Natürlich gibt es welche, aber das sind keine Geheimnisse, es handelt sich eher um eine Abwandlung der Routine, man weiß eben, dass zarte Fischfilets bloß auf der Hautseite gebraten werden, damit sie nicht strohig schmecken. Mit Glück kann man sich so etwas abschauen. Nicht, dass es in Profi-Küchen nichts zu lernen gäbe, beim Buchinger lerne ich wöchentlich (neben Techniken übrigens auch ganz anderes wie Gruppendynamik auf engstem Raum) dazu. Geht es aber um die berühmten Küchengeheimnisse, erzählt er gern die Geschichte vom französischen Spitzenkoch, der regelmäßig ins Kühlhaus verschwunden ist, wenn er seine geniale Gänseleber zubereitet hat.
Alle haben ihn angefleht zu sagen, was er macht, ob er Portwein oder Madeira oder doch einen ganz anderen Süßwein verwendet, welches Gewürz, das man immer schon geahnt, aber nie ganz erkannt hat, dabei ist. Dabei hat er die Gänseleber bloß gesalzen (nein, nicht mit einem der vielen besonderen Salze, die Kochliebhaber inzwischen besitzen müssen, sondern mit ganz gewöhnlichem feinen Tafelsalz).
Erkenntnis … Dafür kann man schwitzen, Zwiebel schneiden, man muss hitzebeständig und zäh sein. Kochen in einer Profiküche möglichst wie ein Profi, um zum Profi zu werden. Aber warum?
Antwort gibt es darauf keine, nur dass man selbst als Kochliebhaberin ziemlich verrückt sein muss (und auf einen Koch treffen, der mindestens ebenso verrückt ist, sich auf einen einzulassen).
Bietet sich also doch eher ein Kochkurs an, irgendwas kann man sich ja immer abschauen. Hoffentlich. Geltungsfreudige (und welcher leidenschaftliche Koch, welche Köchin, egal ob Profi oder Amateur wäre das nicht, da zumindest gibt es keinen Unterschied) können überdies erzählen, dass sie beim großen X. in der Küche waren. Auch: "Als ich vergangenen Sommer in Frankreich beim Y. gekocht habe, du weißt schon, bei dem mit den zwei Michelin-Sternen …" macht sich gut. Man muss ja nicht erzählen, worüber die in der Küche geredet haben.
Aber bitte jedenfalls nicht zu viel Demut, Unterwürfigkeit und schon gar keine Angst. Ganz abgesehen davon, dass die Stars der Branche ganz nett daran verdienen, wenn sie Amateure in ihre Küche lassen: Ich kenne welche, die sollen nicht einmal diese ganz neuen extrem harten eigentlich wirklich unverzichtbaren Titanmesser haben …