Vorbereitung ist alles

Für ein gutes Stück Fleisch braucht es mehr als nur untadelige Herkunft und Rasse. Die neuen Strategien für den optimalen Genuss erstaunen selbst Profiköche.

Text von Florian Holzer
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Natürlich kann man versuchen, von einem lebendigen Rind abzubeißen, frischer geht es nicht. In einigen Kulturen hat der Verzehr – oder zumindest die Tötung unmittelbar davor – lebendiger Tiere hinsichtlich eines ultimativen Frischekicks durchaus eine gewisse Tradition, allerdings geht es da eher um Meeresfrüchte oder Reptilien. Und Show spielt da nicht selten eine gewisse Rolle.

Aber das sind Nebenschauplätze. Bei Fleisch – und auch bis zu einem gewissen Grad bei Fisch – ist die absolute Frische nicht unbedingt ein Vorteil. Denn um genießbar zu sein, muss Fleisch zuerst einmal die Totenstarre der Muskulatur hinter sich ­gebracht haben. Und schließlich dürfen sich Enzyme daran machen, die Faserstruktur der Muskulatur ein bisschen aufzulösen, ja, das ist natürlich der Beginn eines gewissen Verwesungsprozesses, aber ja, nur dadurch wird Fleisch erst zart, köstlich – und auch genießbar.

Das war seit jeher bekannt und wurde über Jahrhunderte ohne große Aufregung auch so gehandhabt, geriet mit zunehmender Industria­lisierung des Schlachtbetriebs und dem Suggerieren von „Frischfleisch“ aber ein wenig in Vergessenheit. Wir erinnern uns an diese Phase des hellroten Rindfleischs mit diesem gewissen „Kau-Effekt“, es war keine leichte Zeit. Vor etwa zehn Jahren wurde die „Reifung“ im Zuge der Kultivierung eines neuen Steak-Kults dann nicht nur wiederentdeckt, sie trieb auch ihre Blüten: Reiferekorde und die Zubereitung von Verwestem unter großem Applaus waren die Folge. Auch da mussten wir durch.

Mittlerweile ist diese Lust nach Extremen weitgehend abgeklungen und man gelangte zur Erkenntnis, dass Fleisch mit kontrollierter Reifung erstens sehr viel besser schmeckt, dass man es zweitens aber nicht übertreiben muss, vor allem aber wuchs drittens das Interesse am Thema sehr. Und damit die Beschäftigung mit Alternativen zu den beiden bisherigen Standards, der praktischen und unkomplizierten Reifung im Vakuum in Kunststoffbeuteln (wet-aging) und der archaischen, durchaus aufwendigen, kostspieligen, aber halt auch spektakulären Trockenreifung am Knochen (dry-aging).

So etwa entwickelte der hessische Fleischhauer Dirk Ludwig eine Methode, rohes Fleisch in Mineralwasser einzulegen und darin zu reifen, wirklich durchgesetzt hat sich dieses Verfahren bis heute allerdings nicht. Auch die Reifung in Asche machte ihre Runde, im Gegensatz zu Mineralwasser eine basische Substanz, das Verfahren sorgte unter Freunden ungewöhnlicher Fleischzubereitung durchaus für erstaunte Begeisterung. Die doch eher schmutzende Handhabe wird dem weltweiten Erfolg allerdings wohl im Wege stehen; anders als die Reifung in Fett, was seit Jahrhunderten vor allem als Konservierung und mit Schweineschmalz gemacht wird, auch hier zeigten sich positive Effekte sowie ein Zartheitsgewinn des Fleisches. Geeignet ist diese Methode nicht zuletzt für Stücke, die keine natürliche Fettummantelung besitzen und sich für Trockenreifung daher nur bedingt eignen; und nicht zuletzt die Reifung in der sogenannten „Salzgrotte“, für die sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Fleischveredler entschieden, so auch die Fleischerei Baumgartner in Gloggnitz. Es wird von antibakteriellem Milieu gesprochen, in dem das Fleisch ungefährlich vor sich hin reifen kann, tatsächlich spielt wohl auch die schöne Optik der mit semitransparentem Salzstein ausgekleideten Reiferäume eine gewisse Rolle.

Die spektakulärste der elaboriertesten Fleischreifungen ist aber wohl jene, die die beiden Schweizer Lucas Oechslin und Marco Tessaro vor zehn Jahren in Neuhausen am Rheinfall entwickelten. Für ihre LUMA-Methode lassen sie nämlich Edelschimmel an Beef, Schwein und Kalb. Je nach Größe und Art des Stücks wird das Fleisch in Kühlräumen von einem Pilz, den sich der gelernte Biotechnologe Oechslin und der Polymechaniker und Tourismusmanager Tessaro mittlerweile weltweit patentieren ließen, durchdrungen. Auf dem Fleisch entsteht dann tatsächlich ein weißer Schimmelrasen. Der Pilz, so erklärt Oechslin, hilft sowohl bei der Umwandlung der Totenstarre als auch baut er Kollagen ab, und das nicht ohne aromatische Spuren zu hinterlassen: Nach LUMA-Verfahren gereiftes Fleisch zeichnet sich neben seiner Zartheit durch einen speziellen, zart nussigen Geschmack aus.

In der Anfangsphase hätten sie auch mit anderen Enzymen experimentiert, erzählt Lucas Oechslin, mit Papain zum Beispiel, das auch bei der Matjes-Herstellung beim Fermentieren des Proteins hilft. Damit sei der Effekt aber nur an der Oberfläche geblieben, nur der Pilz schaffte die gewünschte Durchdringung.

Die Küchenchefs wären anfangs natürlich entsetzt gewesen, erinnert sich der Biotechnologe, aber sie seien damals einfach zu den Top-Chefs hin und hätten das Fleisch vor Ort präsentiert, „das hat dann meistens geholfen“. Nach der ersten Verkostung waren die Vorbehalte gegenüber des „verschimmelten Fleisches“ dann meistens verflogen. Mittlerweile exportieren die Schweizer mehr als 40 Tonnen davon pro Jahr in die ganze Welt, in Österreich war es vor allem Silvio Nickol, der sich für das speziell gereifte Fleisch interessierte. Er sei stets auf der Suche nach optimal gereiftem Fleisch, hatte dann einmal die Gelegenheit, das LUMA-Porc der Schimmelreifer zu probieren und „war mega-begeistert“. Die so behandelte Ware sei einfach zarter als sonst, so Nickol, und mit diesem ganz speziellen Geschmack versehen: „Ich mag Rindfleisch wirklich gerne, ich weiß, wie Beef schmeckt. Aber das ist was Besonderes.“ Und er versuche auch, das eigenwillige Aroma bei seinen Kreationen zu unterstreichen, augenblicklich etwa, indem er LUMA-Beef mit ebenfalls zartnussig-süßem Mais in verschiedenen Texturen und Ausformungen kombiniert, „ein komplett rundes Erlebnis, da muss man gar nicht viel machen“.

Hinsichtlich Dry-aging war man bei Wiesbauer Gourmet, der 2003 in Reidling bei Traismauer gestarteten Gastronomie-Linie des bekannten Wiener Wursterzeugers, schon relativ früh dran: 2006 machte sich Geschäftsführer Ernst Stocker zum Ziel, dem gerade aufkeimenden Steak-Boom nicht nur Beef aus Argentinien und den USA beistellen zu wollen, „wir wollten ein österreichisches Rind, das sich zum Grillen eignet“. So etwas gab es damals nämlich noch nicht. Stocker erkundigte sich hinsichtlich Trockenreifung, vergewisserte sich, ob das in Österreich überhaupt erlaubt ist, holte toxische Gutachten ein und entwickelte ein Produkt, bei dem die Abdeckung mit Rindertalg, die vierwöchige hängende Reifung, die anschließende Zerlegung, Vakuum-Verpackung („ich kann’s mir nicht erklären, aber es wird dadurch noch zarter“) und Verschickung mit computergesteuerter Präzision ablaufen.Allerdings beschränkt sich die „Vorbereitung“ von Fleisch ja nicht nur auf dessen Reifung, man kann da auch noch den einen oder anderen Schritt weitergehen. Und so entwickelte man bei Wiesbauer Gourmet vor sieben Jahren eine Methode, um auch Fleisch mit einer „Geling-Sicherheit“ anbieten zu können: sous-vide. 2013 experimentierte man mit vakuumgegarten Gansln, das kam gut an, worauf Stocker in die Vollen ging: Eine riesige doppelwandige Stahlbox mit geschlossener Koch-Anlage, in die vier ebenfalls selbst konstruierte Regalwagen mit je 1.000 Kilo vakuumierten Fleischstücken hineinpassen. Acht Mal pro Stunde kann das Monstrum („es ist wie ein U-Boot“) geflutet werden, ein Jahr lang wurde entwickelt, 3,5 Mio. Euro wurden investiert. Der Erfolg kam ­allerdings nicht sofort, erst die Entwicklung von butterweich vorgegarten Spareribs brachte den Durchbruch. Der Break-even war nach vier Jahren erreicht, verrät Stocker, an die zehn Millionen Umsatz verzeichne ­allein das Sous-vide-Sortiment. „Ich will niemanden davon überzeugen, ich will nur sagen: Ich hab’s“, stapelt Ernst Stocker ein bisschen tief, angepeilter Markt für das mittlerweile recht große Sous-vide-Sortiment sei in erster Linie Catering, immerhin werden 20 bis 25 Prozent der Edel-Convenience – vor allem Entenbrust, Gansl und Spareribs – auch in die Gastronomie geliefert.

Und sogar noch ein bisschen weiter geht man bei Aumaerk, dort wird im Strebersdorfer Gewerbegebiet „fertiges Gourmetfleisch“ hergestellt, das Albert Adrià immerhin mit „ten points out of ten“ bewertete und dessen Testimonial-Stammbuch einen nicht unwesentlichen Teil der aktuellen Kochelite abbildet.

Harald Neumaerker war Verleger, Mediziner und Automechaniker, der von sich behauptet, nicht kochen zu können, als er vor 15 Jahren damit begann, Garungsmethoden und Kochtechniken zu studieren. Und eine Technik entwickelte, von der man nur weiß, dass sie aus 19 verschiedenen Schritten besteht, 192 Stunden dauert und durch acht Testverfahren kontrolliert wird. Streng geheim und hinter nur mit Magnetcode zu öffnenden Türen wird hier in Strebersdorf Fleisch von Rind, Schwein, Kalb und Geflügel mit einer Kombination aus Schall, Magnetismus und speziell gesteuerten Temperaturkurven „zubereitet“. „Wir gehen dorthin, wo sous-vide aufhört“, sagt Neumaerker.

Der „Pork Royal“ genannte Schweinebauch ist auch tatsächlich nicht von schlechten Eltern, fast schon unheimlich zart, fast schon unheimlich knusprig. Gute Reifung sei für das aufwendige Geheim-Verfahren unabdingbar und wird ebenso eingefordert wie artgerechte Haltung der Tiere, Fettabdeckung, Muskelwachstum und pH-Wert. Die Gastronomie ist Aumaerks Hauptkundschaft, wobei man davon ausgehen muss, dass wohl nicht immer auf der Speisekarte vermerkt wird, dass dieser unglaubliche Schweinsbraten nicht nach original Omas Rezept, sondern in den geheimen Hightech-Labors in Strebersdorf hergestellt wurde, Kreuzfahrten waren ebenfalls ein wichtiger Markt, an Privatkunden wendet man sich erst seit zwei Jahren verstärkt. 2019 verließen 170 Tonnen „fertiges Gourmetfleisch“ das Firmengelände.

Und kann man eigentlich auch Fisch reifen lassen? Klar kann man, zumindest Sebastian Baier kann es. Der junge Fischhändler in dritter Generation aus Geesthacht bei Hamburg begann vor einiger Zeit damit, das Dogma, dass ein Fisch besser sei, je frischer er ist, in Frage zu stellen. „In dem Moment, wo man mehr als 20 Kilometer vom Meer entfernt wohnt, ist das mit der Frische ohnehin nur mehr eine Behauptung.“ Baier lässt ausgesuchte Fische zwischen zwei und sechs Wochen reifen. Voraussetzung dafür, dass man bei Fisch so verfahren könne, sei ein „guter Fang“, also dass beim Fischen schnell und behutsam gearbeitet werde, ohne Schleppnetz und mit Dynamit sowieso schon einmal gar nicht.

Hat er Zugriff auf so ein Exemplar, wird das dann akribisch gereinigt, entschleimt und von allem, was eine Reifung definitiv nicht verträgt, befreit. Wenn es sich um einen „guten“ Fisch handelt, also Wildfang, gut gefangen und schnell angelandet, könne man jeden Fisch reifen lassen, weiß ­Sebastian Baier mittlerweile. „Es hängt allerdings vom Fett-Protein-Verhältnis ab, wie lange.“ Manche Fische seien nach drei bis vier Tagen top, am fünften kann man sie aber wegschmeißen, wieder andere reifen sechs Wochen wunderbar „und haben dann sogar so eine Art Frischkäse-Note“. Mit Ablehnung für sein außergewöhnliches Projekt hatte er kaum zu kämpfen, erinnert sich der junge Mann, „die Leute vertrauen mir, dass ich weiß, wie man Fische optimal lagert. Der Fischhandel ist sowieso eine Sache des Vertrauens.“

Fleischerei Anton Baumgartner
Hauptstr. 7, 2640 Gloggnitz Tel.: 02662/42 433
www.fleischco.at

Luma
8212 Neuhausen am Rheinfall Tel.: 052/670 02 11
www.luma-dac.com

Wiesbauer Gourmet
Wiesbauer Str. 1, 3454 Reidling
Tel.: 02276/66 66-0
www.wiesbauer-gourmet.at

Aumaerk
Strohbogasse 1, 1210 Wien
Tel.: 01/33 13 01 30
www.aumaerk.com

Sebastian Baier
Zwischen den Kreiseln 17, 21038 Börnsen
Tel.: +49/40/78 01 19 69
www.fischfeinkost-baier.de