Zum Wohl
Welchen Wein zu welcher Speise? Warum Regeln etwas für Ängstliche sind.
Zum Wohl
Text von Eva Rossmann Illustration: Tim Möller-Kaya
Hektik in der Küche. Es ist eins und Sonntag und alle Tische sind besetzt. Hannes würzt das cremige Kraut mit Muskatnuss und schwenkt die Pfanne mit den Pilzen und stellt eine neue Portion Zuckerrübensuppe auf den Herd. Renate hetzt mit den überfälligen Grillerdäpfeln herbei. Sind sie gesalzen? "Natürlich", kommt es zurück. Christina ruft: "Zwei oder drei Orangen-Kürbis-Salat?" Mario schluckt ein Pofesen-Endstück, Provision für einen ewig hungrigen Pubertierenden, und räumt gleichzeitig seine Arbeitsfläche frei. Buchinger hat die Mangalitza-Schulter aus dem Konvektomat gehoben, gute fünfzehn Kilo heißes Schweinefleisch, er manövriert damit an uns vorbei, die Dunstabzugshaube vibriert vor Kraft, es zischt und brutzelt und gerade als er seine knusprige Fracht abstellen will, wird er von einer Dame gestoppt. Sie steht wie aus dem Nichts im Durchgang zum Schankraum und strahlt ihn an. "Ich wollte Ihnen einfach persönlich gratulieren", ruft sie begeistert. "Danke", keucht Buchinger mit dem Schwein und ich räume schnell die halb angerichteten Fischteller auf die Seite, damit er nach einer Drehung um neunzig Grad das Vieh doch loswerden kann. Schwein aus dem Ofen ist nicht nur schwer, sondern auch heiß. Verdammt heiß, vor allem, wenn man nicht damit ge-echnet hat, das Blech länger als fünfzehn Sekunden zu tragen. Doch die Dame redet weiter, hält ihn für einen Heroen, der allen Naturgewalten trotzt. So eine Mischung aus Atlas und Feuergott Vulcanus. Ich fühle mich ja im Zusammenhang mit Schweineteilen dieser Größe eher wie Sisyphus: Kaum ist das eine verkauft, kommt das nächste an. Die Gäste lieben es. Zum Anrichten ist es allerdings weniger fein. "Da ist frei", unterbreche ich die Dame wenig höflich und Buchinger kann Sissi-Sau endlich auf die Nirostafläche stellen. Jetzt erst kriege ich mit, dass es unserem begeisterten zutraulichen weiblichen Gast gar nicht ums Schwein geht. Es geht um den Wein. Einfach wundervoll, so etwas von kreativ, nie wäre sie auf die Idee gekommen, zu den Grillfischen auf Schwammerl-Couscous einen Rotwein zu trinken, aber dieser leicht gekühlte Zweigelt sei einfach der perfekte Begleiter zu Karpfenfilet und Co. gewesen. Buchinger dankt und ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Ist er einfach froh, das Schweins-Trumm verletzungsfrei geparkt zu haben? Ist er erleichtert, dass er die Dame a.) glücklich gemacht hat und b.) sie wieder in Richtung Gastraum abgeschwirrt ist? Zweigelt zu den Fischen. Warum auch nicht? – Anders herum gefragt aber: Warum?
"Von mir war die Weinempfehlung nicht", murmelt er, während ich ihm Messer und Tranchiergabel reiche.
Zwei Stunden und einen gastronomischen Sonntagmittag später habe ich geklärt, was geschehen ist: Eigentlich sollte der Zweigelt auf einen ganz anderen Tisch, aber in der Hektik und bei all den Menschen, die nach Wein gefragt und nach Gläsern gegriffen haben, ist er bei der Dame mit dem Fisch gelandet. Rudi, der findigste aller Schauspieler, die einen Kellner geben, hat auf ihren fragenden Blick hin in seinem besten Serbisch-Deutsch sofort gesagt: "Ist er besondere Empfehlung von Chef."
Welcher Wein zu welcher Speise passt: Das ist eben auch eine Sache des Vertrauens, der Fantasie und bisweilen der glücklichen Charaktereigenschaft, etwas gut finden zu wollen. Ich erinnere mich an großartige vielgängige Abendessen bei Armando Zanotto im Veneto. Er hat für uns nicht nur die Speisen-, sondern auch die Weinfolge zusammengestellt. Mit schräg gestelltem Oberkörper, den Kopf leicht zur Seite geneigt, so etwas wie ein tief meditierender Turm von Pisa, ist er mit dem Zeigefinger über seine Karte gefahren, hat gemurmelt, letztendlich aufgestrahlt, genickt und uns mitgeteilt, dass er jetzt genau den richtigen Wein wisse. Wir sollten uns bitte überraschen lassen. Dieses Ritual hat sich mit Sicherheit siebzig-, achtzigmal wiederholt, bis er sein unvergleichliches "Tre Panoce" wegen Rückenproblemen, Alters und eines untalentierten Sohnes geschlossen hat. Und abgesehen von einem einzigen Bardolino (von dem ich gefunden habe, er schmeckt, wie es im Vorzimmer des Damenklos riecht – irgendwie eigenartig parfümiert) hat er immer genau das Richtige getroffen. Wir haben seine Zusammenstellungen gelobt und genossen. Erst im Nachhinein und um einige eigene gastronomische Erfahrung reicher, habe ich den Verdacht, dass wir alles (oder eben fast alles) auch gut finden wollten. Dass wir offen waren für die – fast immer – interessanten Dialoge von Speise und Wein. Aber zum Essen und Trinken gehört eben auch Abenteuerlust. Und eine positive Grundhaltung zum Genuss.
Natürlich gibt es die Super-Experten, die einem sofort wortreich erklären können, warum dieser oder jener Weinviertel-DAC ganz sicher nicht zur Kürbisvariation passt, weil dazu ausschließlich ein Riesling geht, Jahrgang 2007, kräftig, aber nicht zu schwer ausgebaut, eher steinobst-fruchtig als mit Honigtönen. Manche kennen sich tatsächlich verdammt gut aus bei Wein, das ist ja in den letzten Jahren neben dem Kochen zu einem Hobby geworden, mit dem man ganz schön Punkte sammeln kann. Andere werden vor allem von der Angst umgetrieben, übers Ohr gehaut zu werden. Wenn ein Ober, wenn ein Wirt einen Wein empfiehlt, dann will er ihn einfach loswerden, ist ihre finstere Vermutung. Tatsächlich würde auch ich das nicht generell ausschließen – ich habe hochpreisige Weinbegleitungen erlebt, wo ich ganz sicher bin, dass hier Ladenhüter verbraten wurden. Aber als Prinzip gibt es das in halbwegs funktionierenden Lokalen nicht. Zu viel Spaß macht es, zu überlegen, was zu welchem Essen passt, und wenn dann noch wie bei uns dazukommt, dass wir alle Winzer und Winzerinnen kennen, dann macht es überdies Freude, ihre Produkte weiterzugeben, dafür zu sorgen, dass Produzent und Konsument quasi übers Glas zusammenkommen. Und das haben Renate, Herr Walter und Co. schon drauf. Ängstlichen wird eben ein Kostschluckerl gebracht. Das beruhigt und macht nicht selten offen für die ganze Flasche.
Dass Weine liegen bleiben, ist ihr geringeres Problem, das größere ist, den Wein, den unser Gast auf Tisch fünf bei der Geburtstagsfeier vor vier Wochen getrunken hat, auch tatsächlich vorrätig zu haben. Wie viele andere Lokale haben wir nicht allzu viel Platz zum Lagern. Und wollen ihn auch nicht haben. Weil es bei aller Weinliebhaberei ja auch zu rechnen gilt. Aber wir haben es mit unserer Weinkarte mit ausschließlich lokalen Winzern ohnehin einfacher, als es mit einer internationalen Weinauswahl wäre. Schon gut, die Weinproduzenten quasi ums Eck zu haben. Wobei …
Sonntagmittagsküchengeschichte zwei: wieder Hektik, diesmal Buchinger nicht mit einem überdimensionalen Schweinsflügerl, sondern auf Teufel komm raus gemeinsam mit mir einen Zwölfpersonentisch anrichtend. Alles soll warm und gleichzeitig rausgehen, keiner fragt danach, dass unsere Küche dafür eigentlich nicht gebaut worden ist und warum man uns eigentlich pro Kochperson nur zwei Arme zugestanden hat und da steht wieder wer im Durchgang. Buchinger ist eindeutig konzentrierter als ich, er nimmt sie nicht wahr, die gedrungene Weinviertler Gestalt, menschgewordene Ableitung eines kleineren Weinfasses, ganz oben ein Hut, der im Zwielicht des Durchgangs irgendwie phosphoreszierend schimmert – vielleicht auch nur, weil er schon seit so vielen Jahren auf dem runden Kopf ruht. In breiten Händen eine Weinflasche, uns einladend entgegengestreckt. Ich stoße Buchinger vorsichtig an, er sieht mich irritiert an, ich deute zum Durchgang. Die Weinviertler Gestalt macht einen Schritt nach vorne: "Der neue Wein."
Buchinger: "Siehst net, dass ich anrichte?"
Weinbringer: "Willst ihn gleich kosten?"
Buchinger: "Des is, wie wenn der Hamilton am Formel- 1-Start steht und seine Freundin kommt und fragt: ,Schatzi, was willst nach dem Rennen essen?‘"
Weinbringer, irritiert: "Ja, eh. Kostest ihn halt am Abend."
Bevor es noch mehr Formel-1-Vergleiche (Buchinger liebt sie) und diplomatische Zusammenstöße zwischen Wirt, Wein und Überbringer geben kann, nehme ich die beiden Flaschen. Es dauert noch ein wenig, bis sich unsere lokale Erscheinung zurückzieht, er scheint es schon zu bedauern, uns zwei seiner besten Jungen gegeben zu haben. Und beim abendlichen Verkosten sind wir uneins: Ich finde den Wein untermittelprächtig, den Lieferanten aber einzigartig. Buchinger findet den Wein gar nicht so übel, während er den Produzenten eher nostalgisch als einen sieht, mit dem er in den Kindergarten gegangen ist. Wir bestellen zwölf Flaschen und werden dafür Gäste suchen, die reschen Wein traditioneller Machart lieben. Die gibt es. Irgendwie mag ich die Typen ja, die nicht schon sieben Verkaufs- und neun Marketingseminare besucht haben und dann bei uns einfallen und nach dem Abendgeschäft ihre Kreszenzen präsentieren. Nicht das Weinkosten ist das Problem, sondern was sie gelernt haben: Sie müssen jeden ihrer Weine genau beschreiben und auch entsprechend anpreisen. Da sitzt dann ein Winzer, nippt etwas angestrengt am Glas und wirft mit Ausdrücken wie "macht unglaublichen Trinkspaß", "ist ein perfekter Speisenbegleiter", "besticht durch seine Völle am Gaumen und durch seinen langen Abgang" um sich, als würde ich nur so begreifen, was ich trinke. Am schönsten ist es, wenn sich bei uns Winzer zufällig treffen und am Abend, oft spät am Abend, über ihre Weine reden. Wie sie wachsen, wie sie sich entwickeln, was zu erwarten ist, was sie beschäftigt: Bio oder nicht? Übernimmt Sohn oder Tochter den Betrieb? Macht es Sinn, bei den vielen Weinprämierungsorganisationen einzureichen? Kann die neue Sorte Rathay was oder eignet sie sich am besten als Verschnittpartner? Da lerne ich, da genieße ich. Da überlege ich, welche heimischen Rotweine zu den Weinviertler Wildhasen passen könnten, die gerade vor zwei Stunden geliefert worden sind. Und Buchinger sagt wieder einmal: "Die Regeln sind für die Ängstlichen. Wie immer macht‘s die Sauce, das saure Beiwerk, Gewürze, Schärfe – sie entscheiden, welchen Wein sie wollen."
Und sollte zufällig Sonntagabend sein, steht er auf, stellt die untertags geöffneten Bouteillen auf den Tisch und wir beginnen mit dem, was ich für die beste Art halte, Weine nicht zu lange altern zu lassen: abtrinken. Es wird fachgesimpelt und manchmal einfach blöd geredet und nach viel Kochen klingt der Tag, klingt die Woche aus, sie wird ausgetrunken, mit dem guten Gefühl, dass zwar wenig perfekt ist, doch manchmal erstaunlich viel harmonieren kann und bisweilen alles passt.