All you can read
Hoppauf! Von hier weg sind es nur noch 4.128 Zeichen!
Text von Florian Scheuba & Thomas Maurer
First things first: Wir wollen Sie, die Sie diesen Text gerade lesen, gleich einmal dafür loben, dass Sie diesen Text lesen. Falls Sie zur Gattung der Von-hinten-zu-lesen-Beginner gehören, loben wir Sie dafür, dass sie auf diesem Wege unserer Letzte-Seite-Kolumnisten-Eitelkeit Nahrung geben.
Falls Sie sich orthodox von vorne bis hinten durch das aktuelle Heft gearbeitet haben, so finden wir ihre methodische Konsequenz äußerst lobenswert. Aber natürlich nur, wenn Sie nicht geschummelt und zwischendurch Seiten überblättert haben.
In diesem Fall müssten wir noch einmal ein ernstes Wort mit Ihnen sprechen.
Es ist nämlich so: A la Carte ist ein so genanntes „All you can read“-Heft. Sämtliche im Heft untergebrachten Artikel sind im Kaufpreis inbegriffen. Durch Ignorieren ganzer Seiten schädigen Sie nicht nur sich selbst (Sie haben ja bereits das ganze Paket bezahlt), Sie erschweren der Redaktion auch empfindlich die Kalkulation der nächsten Hefte.
Hier und heute wollen wir es bei einer Mahnung belassen, in der Gastronomie aber werden ähnlich gelagerte Fälle neuerdings immer häufiger kostenpflichtig: „Wer nicht aufisst, muss mehr zahlen“, titelte unlängst der Kurier, und im Artikel erfuhr man dann, dass etwa das in der Lugner City beheimatete Pan-Asia-Restaurant Wok Today sich mittlerweile unter den Schutz eines Schildes begeben hat, auf dem zu lesen ist: „Übrig gelassene Speisen müssen wir leider extra verrechnen.“
Denn, so führt der Kurier-Artikel weiter aus: „6,50 Euro kostet das Menü normalerweise. Ist der Teller bei Bezahlung nicht leer, gibt es einen saftigen Aufschlag – bis zum doppelten Preis. Auf die Frage, ob das öfter vorkomme, heißt es nur: ‚Natürlich, wir sind ein All-you-can-eat-Lokal.‘“
Auf den ersten Blick mag es befremden, dass es Menschen wollüstige Dekadenzkitzel bereitet, Lebensmittel erst auf Teller zu schaufeln und dann entsorgen zu lassen.
Vielleicht aber ist das einfach die Wutbürger-Antwort auf das Vorenthalten von Doggybags.
Denn dass es in All-you-can-eat-Häusern keine solchen gibt, ist logisch: Zu wahrscheinlich wäre es, dass die vom Sparefroh inspirierte Kundschaft dazu übergeht, ihre vorm Lokal geparkten Kleintransporter mit „Resten“ zu füllen.
Was aber, wenn man nun ein solches Lokal betritt, sich einen Teller richtet und dann feststellt, dass das Essen einfach sehr schlecht schmeckt? Vermutlich tut man gut daran, den dann bei Verlassen des Hauses anfallenden Strafbetrag unter „Wieder was gelernt, was ich mir eh gleich hätte denken können“ zu verbuchen.
Das Einführen von ähnlichen Mechanismen in der Top-Gastronomie könnte allerdings die ganze Branche durcheinanderbringen: Ein Bouteillen-Nichtaustrink-Strafzuschlag könnte das Weißwein-Angebot auf heimischen Karten massiv von heimischen 15-Volumenprozent-Botrytisbomben in Richtung deutsche Kabinettrieslinge drehen, ein ähnliches Pönalkonzept in den Nose-to-Tail-Häusern dafür sorgen, dass Rüssel, Hoden und Kutteln endlich auch aufgegessen und nicht nur bestellt werden. Und die fragwürdige Maxime „Lieber den Magen verrenkt als dem Wirten was g’schenkt“ würde zum allgemein anerkannten Motto gastroökonomischer Vernunft.
Anwendungen in anderen Bereichen sind ebenfalls denkbar.
Etwa zur Eindämmung der – im Burgtheater unter Peymann an ihren Zenit gelangten, aber noch nicht ausgestorbenen – Sitte, Theateraufführungen ausschließlich deshalb aufzusuchen, um dann an einer sehnsüchtig erwarteten Stelle dem eigenen Missfallen durch geräuschvolles vorzeitiges Verlassen der Vorstellung Ausdruck zu verleihen.
Da könnte es pädagogisch durchaus hilfreich sein, wenn der oder die Protestierende an der Garderobe gleich noch einmal den doppelten Kartenpreis entrichten müsste.
Beziehungsweise könnten – um auf ein anderes, aber doch verwandtes Feld zu wechseln – die Wiener Festwochen ihr nächstes Frank-Castorf-Gastspiel auf diesem Weg vom Zuschussprojekt in eine fette Cashcow verwandeln.
Sie aber, werte Leserinnen und Leser, braucht das nicht länger zu kümmern, Sie haben demnächst den letzten Buchstaben des aktuellen Heftes erreicht und können sich dann ein Flascherl Wein aufmachen. Aber schön brav austrinken, gell?