Du hast mir mein Orange verpatzt

Der Grat zwischen Kontroverse und Konfusion kann verdammt schmal sein.

Es gibt Dinge, die spalten die Menschheit. Koriandergrün löst entweder „Pfau, super!“ oder „Pfui, Seife!“ aus, Ähnliches gilt für die Schauspielkünste von Tom Cruise.

Fahrzeuge der SUV-Klasse werden (in der Regel von den Besitzern) als gediegen und sicher oder (in der Regel von allen anderen) als Kampfpanzer für Egoschweine mit der Ästhetik eines Dinosaurier-Melanoms empfunden. Auch Wagner-Opern lösen kaum einmal Reaktionen wie: „Naja, ab und zu, warum nicht?“ aus.

Und neuerdings gibt es natürlich Natural Wines.

Wobei „neuerdings“ relativ ist. Als uns beiden von Evelyn Eselböck erstmals ein Radikalwein von Josko Gravner sanft aufgezwungen wurde, hatten wir beide noch kein graues Haar am Haupt. Wir fanden dieses merkwürdig schilcherfarbene, leicht trübe Getränk damals durchaus gewöhnungsbedürftig, das aber mit der Tendenz: „Kann man sich dran gewöhnen.“

Mittlerweile sind wir, vermutlich weil wir charakterloserweise auch immer schon sowohl die Stones als auch die Beatles für gute Bands gehalten haben, Anhänger einer fröhlichen Promiskuität zwischen den Weinstilen, wofür wir, völlig zu Recht, von unbedingten Anhängern herkömmlicher Hochglanzkreszenzen ebenso verachtet werden wie von puristischen Natural-oder-Nix-Zeloten.

Letztlich, finden wir, ist das als Auseinandersetzung nur eine Fortsetzung der Frage: „Trinken Sie lieber Rot- oder Weißwein?“, die ja auch nur unwesentlich sinnvoller ist, als ein an Literaturfreaks gerichtetes „Mögen Sie lieber die Vokale oder die Konsonanten?“

Aber natürlich zeitigen Natural Wines, das können wir bezeugen, auch reservierte Ablehnung, lodernden Hass oder behutsam artikuliertes Befremden à la „Wenn ich nicht wüsst, dass ich bei Dir daheim sitz und Du mir den Wein sicher mit Absicht gegeben hast, tät ich sagen, der is hin“.

Letztlich aber geht es dem Naturwein auch nicht anders als vielen Bands oder Fußballklubs: Das, was fürs Image am schädlichsten ist, sind die eigenen Anhänger. Und so sind wir, schwupps, beim Standard, der seit einiger Zeit eine leicht zu übersehende Weinkolumne im Portefeuille hat. In einer der jüngsten davon stießen wir auf die so ziemlich befremdlichste Pro-Naturwein-Argumentation, die uns bisher untergekommen ist: „Die Weine schmecken halt nicht mehr nach Ananaskompott – was schon irritieren kann.“ Uns zum Beispiel, da wir uns nicht erinnern konnten, jemals nach Ananaskompott schmeckenden Wein getrunken zu haben.

„Es gibt aber Rebsorten, die man eigentlich nur mehr ,orange‘ trinken will: Ekelhaft riechenden Sauvignon oder den aufdringlichen Geschmack des Traminers, dem man mittels Maischegärung beikommen kann.“

Nun sind wir die Letzten, die bestreiten würden, dass es grandiose, „orange“ vergorene Sauvignons (z. B. von Sepp Muster) oder Traminer (z. B. von Gernot Heinrich) gibt.

Aber, aaahaber: Ein ekelhaft riechender Sauvignon ist vermutlich einfach ein Scheißwein, den man so wenig trinken sollte wie eine ekelhaft riechende Schinkensemmel essen. Und sich über den „aufdringlichen Geschmack“ von Traminer zu erregen (gemeint ist vermutlich der plump halbtrockene, parfumdampfende Tankwagentraminer, der inzwischen eh schon auf der roten Liste steht), erscheint uns ähnlich berechtigt, wie eine Austernplatte mit dem Vermerk zurückzuschicken, sowas aufdringlich Schmeckendes esse man nicht.

Dem Geschmack von Austern kann man bekanntlich – frag Richard Lugner – mit Ketchup „beikommen“.

Der Maischevergärung von weißen Trauben ähnliche Kräfte zuzuschreiben, ist, auch wenn’s lieb gemeint war, die vermutlich größte Beleidigung, die man einem so produzierten Wein zufügen kann.

Vielleicht aber kündigt sich da auch schon der nächste große Wein-Hype an: Weine, die nicht so schmecken, wie sie schmecken, wenn sie so schmecken, wie sie halt schmecken: Muskateller ohne Muskataroma, Rieslinge ohne Säure, Cabernets ohne Tannin?

Möglich ist alles.

Schließlich erscheint der Playboy künftig auch nur noch unter Verzicht auf Bilder nackter Damen.