Du sollst mir kein Bildnis machen

Der Königsweg zu mehr Lebensqualität beim Essengehen scheint beschritten worden zu sein.

Der Angelpunkt der modernen Medienwelt ist Content-Management. Wer legt die Themen vor, wo werden die relevanten Debatten ausgetragen?

Die letzte Ausgabe von A la Carte hat mit einem mehrseitigen Artikel zum Thema: „Im Restaurant das eigene Essen mit dem Handy fotografieren – ja oder nein?“ Einmal mehr die Konkurrenz alt aussehen und ein sogenanntes „It-Theme“ entstehen lassen.

Etwas verspätet, wie das so unsere Art ist, wollen wir aber auch Teil dieses Diskurses werden.

Keine Frage, dass in besseren Häusern ein Großteil der Gäste über den Tellern hängt wie mikrofilmkamerabewährte Agenten in Kalter-Krieg-Spionagefilmen verdient als kulturelles Phänomen Beachtung.

Für unbegründet halten wir jedoch die Sorge, dass die Verbreitung unprofessioneller Essensfotos den Ruf der betreffenden Restaurants schmälern könnte, verfügt doch mittlerweile noch das nebbichste Kindergartenhandy über Autofokus, automatischen Weißabgleich, prozessorgesteuertes Farb-Grading und Bearbeitungs-Apps, mit denen man Gruppenbilder von Familientreffen in dreidimensionale Alien-Kongresse und retour verwandeln kann.

So gesehen ist eher mit per Internet verbreiteten Speisenfotos zu rechnen, die ebenso bizarr perfektioniert wirken wie jene Modefotos, auf denen die Models sechs zusätzliche Rückenwirbel und ein Antigravitationsfeld um die Brüste zu haben scheinen.

Wenn also erst einmal die Speisen auf den Society-Fotos aus dem „Marchfelderhof“ appetitanregend aussehen werden, wird man wissen, was die Uhr geschlagen hat.

Vielleicht hängen ja viele Köche dem angeblich in Naturvölkern gepflegten Aberglauben an, dass mit jedem Foto ein Stückchen Seele geraubt wird. Ein Glaube, der ja auch durch den Anblick viel fotografierter Köche, wie z.B. Andi und Alex, zusätzlich genährt wird.

In diesem Zusammenhang möchten wir ein Fundstück nachreichen, von dem wir meinen, dass es das Fotografierproblem an der Wurzel zu kappen vermag. Wir zitieren aus der Kronenzeitung:

Restaurant gibt Gästen Rabatt, wenn sie ihr Handy abgeben

Los Angeles. Einen Rabatt der besonderen Art bietet das „Eva Restaurant“ in Los Angeles seinen Gästen an. Wenn sie ihr Handy beim Kellner abgeben, erhalten sie 5% Ermäßigung. „Beim Essen sollte man den Alltagsstress vergessen“, sagt der Restaurantchef.

Na also.

Natürlich sollten fotophobe Restaurateure sicherheitshalber weitere 5% Abschlag für all jene in Aussicht stellen, die obendrein darauf verzichten, Fotoapparate ohne Telefonfunktion (doch, doch, die gibt es noch!) bei sich zu führen.

Und auch sonst scheint uns damit ein Königsweg zu mehr Lebensqualität beim Essengehen beschritten worden zu sein. Nachdenken sollte man unseres Erachtens im Weiteren über folgende Vergünstigungen:

• Nichtbestellen von Prestigeweinen, die noch Jahre von ihrer ersten Reife entfernt sind: –10%

• Verzicht auf Korkreklamationen aus reiner Wichtigtuerei: –10%

• Es unterlassen, Inhaber und Kochbrigade in wagnerianischer Opernlautstärke zu duzen, um so das gesamte Lokal über die eigene Sonderstellung in Kenntnis zu setzen: –30%

• Die Gänge nicht vernehmlich mit ähnlichen in Spitzenhäusern auf fünf Kontinenten vergleichen: –10%

• Meiden somatisch heikler Konversationsthemen (künstlicher Darmausgang, Stronach-Kandidatur, Swingerclub-Anekdoten): –10%

• Kein Ordern ermüdender Speisenmodifikationen („Das Entrecote, aber ohne Fleisch“ bzw. „Die Gorgonzola-Gnocchi medium rare, bitte!“): –20%

• Abstand davon nehmen, dem Koch oder der Köchin anlässlich der abschließenden Höflichkeitsrunde konstruktive Vorschläge zur geschmacklichen Perfektionierung einzelner Gänge zu unterbreiten: –10%

Wie unschwer festzustellen ist, könnten dann der, der diszipliniert genug ist, sich an alle Einschränkungen zu halten, mit einem Reibach von 10% der hypothetischen Gesamtrechnung aus dem Lokal gehen.

Diese Summe vor der Tür mit dem Handy zu fotografieren und auf Facebook zu posten, sollte über die erlittenen Entbehrungen hinwegtrösten.