Jenseits von Gut und Bio

Sind wir Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft?

Text von Florian Scheuba & Thomas Maurer

Wir haben beim Schreiben dieser Kolumne ein etwas mulmiges Gefühl. Irgendwie trauen wir uns selbst gerade nicht recht über den Weg. Und Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, auch nicht.

Schließlich sind dem Magazin, das sie soeben in Händen halten, hohe Standards beim Essen und Trinken ein Grundanliegen. Qualitativ, aber folgerichtig auch ökologisch. Und da liegt möglicherweise auch schon ein fetter Hund begraben.

Unlängst schockte uns nämlich Die Presse mit folgendem Enthüllungsknüller aus der Welt der Wissenschaft: „Warum bio uns böse machen kann – wer bio kauft, fühlt sich schnell besser. Damit steigt aber die Gefahr, dass man woanders schlechter handelt, warnen Ökonomen.“

Im ersten Moment waren wir zwar erleichtert, dass diese Warnung lediglich von Ökonomen und nicht von richtigen Wissenschaftlern ausgesprochen wird, ein wenig grüblerisch stimmte uns das Folgende aber doch. Immerhin deckt sich die im Artikel angeführte Dominanz schwerer Pseudogeländewagen vor Biosupermärkten mit unseren eigenen Beobachtungen. Und auch an „Nicht immer ist der edle Wunsch nach einem gesunden Planeten Hauptgrund für den Griff nach ökologischen Waren. Entscheidend ist vielmehr der hohe Status, den grüne Produkte ihren Käufern verleihen, haben Forscher herausgefunden“ dürfte was dran sein, wenn man auch für diese No-Na-Erkenntnis nicht unbedingt Forscher von Wichtigerem abhalten hätte müssen.

Allerdings ist auch dieser Statusgewinn je nach sozialem Bezugsrahmen stark variabel. Unser geschätzter Kollege Robert Palfrader etwa durfte kürzlich belauschen, wie sein Waldviertler Zweitwohnsitz nicht nur als Sehenswürdigkeit vorgestellt („Und doda wohnt da Kaiser.“), sondern auch einer brutalen soziologischen Kritik unterzogen wurde: „Und im Gorten hot er sicha ollas bio, des Oaschloch.“

Aber sei’s drum. Außer Frage steht wohl, dass das Streben nach Prestige und Sozialstatus, kombiniert mit der Überzeugung, das Beste – sprich: Teuerste – sei für einen Ausnahme-Leistungsträger wie einen selbst gerade gut genug, anfällig für ethisch grenzwertiges Verhalten macht. Was aber, wenn tatsächlich auch die hochherzige Absicht, der Welt etwas Gutes zu tun, automatisch zu Verrohung und Moralschwäche führt?

Welche Schlussfolgerungen wären dann zu ziehen? Muss man sich, wenn man als Schöffe bei Gericht einberufen wird, extra ein besonders unethisches, aus Käfigeiern, Hormonschinken und Superbenzin zusammengestelltes Frühstück antun, um später moralisch handeln zu können?

Wird die FPÖ die grünalternativen Bobo-Bezirke erobern, weil sich die dortigen Tendenzveganer wenigstens in der Wahlkabine einmal was richtig Schmutziges gönnen wollen? Müssen wir befürchten, dass das im Zuge der Registrierkassenpflicht über sämtliche Gastronomen zwangsverhängte gute Gewissen in Steuerfragen zwangsläufig dazu führt, dass diese im Gegenzug mit Fundstücken aus der Tierkörperverwertungstonne zu kochen beginnen?

Und werden Charity-Fundraising-Dinners in Zukunft, um möglichst hohe, aus schlechtem Gewissen generierte Spenden einzufahren, Gerichte wie „Babydelphin-Geschnetzeltes“ oder „Buntes Potpourri von den aussterbenden Tierarten“ servieren?

Man wird sehen.

Sollte sich dieser Welterklärungsansatz durchsetzen, werden womöglich auch einige Rätsel der jüngeren Zeitgeschichte transparenter. Vielleicht speist sich Graf Mensdorff-Pouillys odiose Geschäftsgebarung daraus, dass die Straußenzucht, die er früher betrieb, ein ökologisches Tierparadies war, und er deshalb seine aufgestauten Karma-Gutpunkte einfach irgendwo anders verjubeln musste. Und der ungebrochen laute juristische Nachhall der Ära Schüssel wäre die logische Folge des bekannt puritanischen Lebenswandels ihres Namenspatrons.

Unser mulmiges Gefühl jedenfalls ist immer noch da. Nebenan, in der Küche, harren ein Kisterl Biogemüse und ein Waldviertler Ökokarpfen ihrer kulinarischen Endbestimmung. Dazu ist schon ein Flascherl biodynamischer Weißburgunder entkorkt. Zu welchen Bestialitäten wir nach dieser enthemmenden Mahlzeit imstande sein werden, mögen wir uns gar nicht vorstellen.