Schmeck’s und Glas und Rock’n’roll

Vor vielen, vielen Jahren, wir mussten uns noch kaum rasieren, waren in der Welt der bildenden Kunst die „jungen Wilden“ für ein paar Jahre das Maß aller Dinge.

Dass dieses Label sich als haltbarer erweisen würde als die meisten der damit Etikettierten, überrascht nicht. Wer wäre nicht gern irgendwann einmal jung und wild gewesen?

Vermutlich gab es im Lauf der Jahre in vielen Branchen eine so genannte Subkultur. Ziemlich wahrscheinlich gab es junge Wilde unter den Netzwerkadministratoren, Landschaftsgärtnern und Weißwaren-Grossisten, ziemlich sicher unter den Friseuren und Architekten, ganz sicher bei Köchen und Winzern.

Und nun sind offenbar die Sommeliers dran.

Auch sie scheinen, wie jeder Tabubrecher mit Takt und Anstand, sich der uralten Tradition zu beugen, der zufolge die jeweiligen Jungwilden der gerade aktuellen Berufssparte daran zu erkennen sind, dass sie
a) „Popstar-Nimbus versprühen“ und folglich
b) „als die neuen Popstars gefeiert werden.“

Nehmen wir zum Beispiel Herrn Billy Wagner aus Berlin, der in seinem eigenen Lokal auch als, ähm, Weinkellner tätig ist. Der trägt im Dienst einen langen roten Bart und nicht zugebundene Stiefel, was ihm ein beeindruckendes Echo aus der Printlandschaft beschert. Sei es Die Zeit („Billy Wagner ist der Popstar unter den Weinexperten“), Die Presse („Hipster-Sommelier und Sommelier-Popstar“), Die Welt („Prophet und Popstar“), die Berliner Zeitung („Der Popstar des Weins“) oder Der Standard („Billy Wagner ist der Popstar der Sommelierszene“): Das Bedürfnis, die Begriffe „Billy Wagner“, „Popstar“ und „Sommelier“ in einem Satz unterzubringen, ist offenbar so ununterdrückbar wie prestigeträchtig, weshalb wir verdammt froh sind, das hiermit auch hinter uns gebracht zu haben.

Was jedenfalls gar nicht mehr geht, so entnehmen wir dem Standard, sind Sommeliers, die sich „mit strengem Blick und steifer Haltung dem Tisch näherten. Bewaffnet mit einer ledergebundenen Weinbibel und dem unvermeidbaren Silber­schälchen an der Halskette.“

Nun ja. Ältere Zeitzeugen meinen sich erinnern zu können, dassmöglicherweise einst in den Drei Husaren tatsächlich Frack und Silberschälchen zu sehen waren, zumindest in Österreich aber kennt man diese Adjustierung fast ausschließlich aus Fernsehspielfilmen, in denen eine Szene in einem Nobelschuppen jener Art angesiedelt ist, von der Drehbuchautor und Regie annehmen, dass das einfache Fernsehvolk sich so einen Nobelschuppen vorstellt.

Aber sei’s drum. Wir mögen Wein, wir mögen Pop, und es gibt auch viele Sommeliers, die wir mögen. Wenn es dem reibungslosen Ablauf eines mehrgängigen Abends dienlich ist, sind wir – innerhalb vernünftiger Grenzen – bereit, unsere jeweiligen Getränkeberater um Autogramme anzugehen, mit kostspieliger Leibwäsche zu bewerfen oder bei ganz wilden Avantgardeeinlagen – z. B. der Ankündigung, einen maischevergorenen Welschriesling nicht nur im Burgunderglas, sondern obendrein mit vierzehn Grad Trinktemperatur zu servieren – jederzeit in exaltiertes Johlen, auf Wunsch kombiniert mit exzessivem Headbangen auszubrechen.

Einfacher wird ein Restaurantbesuch so natürlich nicht, aber andererseits fällt uns wegen solcher kleiner Höflichkeiten auch kein Zacken aus der Krone.

Bleibt für Sowohl-Pop-als-auch-Wein-Fans die Frage nach den Sub­genres. In Österreich ist da bereits einiges prominent besetzt: Eveline Eselböck glänzt im Rollenfach „Madonna“, Steirereck-Urgestein Adi Schmid geht problemlos als der „Randy Newman des Rebensafts“ durch und Hermann Botolen als „Bryan Ferry für gereifte Adult-Pop-Weine“.

Aber wer wird Exotenfächer wie Electroclash, Post-Dubstep, Nu Metal oder Neo-Gothic besetzen?

Wie bringt man eine klassische Punk-Attitüde mit dem Sommeliershandwerk in Einklang, ohne die Flasche gleich durch die Fensterscheibe zu feuern oder überhaupt dem feisten Bourgeois, der sie bestellt hat, über den Plutzer zu ziehen? Und werden Techno-Sommeliers nur fade, auf irgendwie monotone Weise ununterscheidbare Weine ausschenken? Wird es zwischen den in „Wein-Bravo“ und „Rolling Winestone“ gefeaturten Stars irgendwelche Schnittmengen geben?

Wir sind schon sehr neugierig.