Abgeschmeckt

So natürlich, direkt, schlagfertig, so schnell im Kopf! Was Deutschlands populärster Fernsehkoch und Live-Show-Liebling in eine Gesprächsstunde packt, wird seinem Ruf gerecht: Tim Mälzer ist eine Rakete, die an beiden Enden zündet.



Abgeschmeckt

Text von Ro Raftl Fotos: Peter M. Mayr

Feuer! Er glaubt, es liege einfach an seinem Charakter, „zu brennen“.

Sagt: „Alles, was ich mache, mach ich viel. Ein Glas Wein am Abend trinken – kann ich nicht. Wenn Wein, dann sind es zwei Flaschen!“ Geht deshalb auch „wahnsinnig ungern essen“, weil das immer „in den Bereich Stopfen gerät“. Mit der Arbeit läuft es ebenso. „Macht ja auch echt Spaß! Hab von nix Ahnung, was ich tue, darf aber alles tun“, spielt Deutschlands populärster Fernsehkoch und Live-Show-Liebling mit mehr als zwei Millionen verkauften Kochbüchern lässig den Bescheidenen. So natürlich, so schlagfertig, so schnell im Kopf wie Tim Mälzer daherkommt, mutet’s fast kokett an, wenn er sich zum großen Kind erklärt, das naiv mit blauen Augen durch die Welt läuft. 40 ist er jetzt, und: „Meine Projekte haben schon eine große Einschlaghöhe, und ich laufe immer Gefahr, meine Grenzen anzukratzen.“ Aber: „Ich hab’ mir selten die Finger verbrannt.

Negative Erfahrungen gehören natürlich dazu.

„Für die finanziellen Belange seines auf 1.000 Quadratmeter dimensionierten Hamburger Lokals „Bullerei“ hat er Partner, kompetente Berater, „sonst crasht es mich an die Grenze zur Pleite. Ein guter Stürmer steht ja auch nicht im Tor und hält den Ball. Bisschen Risiko sollte man eingehen, und nicht schon vorher übers Scheitern grübeln: „Man muss ja nicht todesmutig sein, kann sich aber doch erst mal freuen, bevor man sich Sorgen macht.“ Bullen-Coolness außen vor. Gegen die Tendenz des „Sensibelchens“ Mälzer, sich ständig zu hinterfragen. Kritik wegzustecken lernen zum Beispiel, ohne am Boden zerstört zu sein, wie er’s an manchem Mitarbeiter erlebt, für den der Abend nach einer Gäste­beschwerde gelaufen ist. Während sich andere umdrehen und sagen: „Ein Idiot, der hat keine Ahnung.“

Das Krasseste freilich sei die Brachialität der Medienwelt. Ein Wunder? Mälzers Show „Schmeckt nicht, gibt’s nicht!“, seit 2004 auf VOX, glänzte als Deutschlands erfolgreichste Kochsendung, 2006 bekam er dafür die „Goldene Kamera“, seine Bücher „Born to Cook“ I und II gingen weg wie die warmen Semmeln, sein (erstes) Hamburger-Lokal „Das weiße Haus“ hatte bis zu acht Monate Reservierungszeit. Nicht genug, Mälzer begab sich mit dem abendfüllenden Live-Programm „Ham’se noch Hack“ auf Tour durch 35 Städte. Ausverkauft! Insgesamt 60.000 Besucher. Ein Medien-Hype!

„Mit dieser Intensität muss man erst umgehen lernen“, sagt er heute bereits gelassen. Nach der einschneidenden Erfahrung, „wie das kochende Tempotaschentuch“ permanent, ob positiv oder negativ, zu jedem möglichen Thema befragt, und weit kraft­raubender noch, von jedem beurteilt zu werden – „als Künstler, als Vollidiot, als Proll, als nett, sympathisch, völlig unmöglich. Ich hab’ ständig versucht, mein Bild zu erklären, dabei tausend Ängste aufgekocht. Darf ich zugeben, dass ich nicht perfekt bin? Natürlich auch zu viel getrunken – bis zum Burnout.“

Ja, vor vier Jahren – schnippschnapp, vor laufender Kamera während der Sendung „Born to Cook“ zusammengeklappt! Er hätte auch dann noch weitergearbeitet, doch der Sender VOX verschrieb ihm eine Pause, also ging er in eine Schweizer Klinik, um danach wie Phönix aus der Asche noch höher zu schießen. „Das Burnout“, sagt er ernsthaft, „war eine existenzielle Erfahrung. Die schmerzhafteste und beste Zeit meines Lebens. Zum Glück kam diese Ohrfeige so früh. Noch Zeit und Kraft genug, um vieles zu revidieren.“

Balance. Er machte sich eine Weile rar im Fernsehen und bei Interviews – obwohl Mälzer 2008 beim Fernsehgipfel in Madrid zu den sieben wichtigsten TV-Köchen weitweit erklärt wurde, von Radio Regenborgen zum „Medienmann des Jahres“, und überdies den Live Entertainment Award für die „Beste Live Show des Jahres“ erhielt. Vergleichsweise rar. Vor allem in Bezug auf Nina, mit der er seit acht Jahren zusammen ist. Nö, öffentlich treten sie nicht mehr gemeinsam auf, wollen nicht „das Marianne & Michael-Syndrom“ bedienen. Der Darling der Massen lächelt fast verträumt: „Das erste Mal haben wir miteinander geknutscht, als sie 18 war und ich 20. Wir haben in so’nem Lack- und Lederladen am Kiez gearbeitet. Aber da wollte sie noch ’nen anderen Kerl. Sie wurde meine beste weibliche Freundin, aber auf den nackten Bauch hätte sie mir nicht greifen dürfen. Das erotische Potenzial blieb unangetastet. Bis sie mich dann doch wollte.“ Jetzt haben sie ein kleines Häuschen auf Mallorca, im Südosten in einem Naturschutzgebiet. Pure einsame Natur als unabdingbarer Hektikausgleich. Kinderwünsche? „Sie schon. Ich bin nicht sicher, ob es meine eigene Brut sein muss, der ich meine Werte weitergebe. Ob ich nicht lieber einen Ort für eine Pflegefamilie schaffen will. Hab großen Respekt vor der Verantwortung, der ich momentan weder mental noch emotional gerecht werden kann.“

Sagt das nicht von ungefähr: Hat für „Sesamstraße“ 13 Folgen mit vier quirligen Kindern gekocht. Betreut mit dem Bundesministerium für Ernährung das Projekt „Küchen für Deutschlands Schulen“. Mahnt Verantwortung ein: „Am Schulessen sollte nicht gespart werden.“ Begegnet „dieser ewigen Kostendiskussion“ mit dem kernigen Spruch: „Wenn man unbedingt Dosenfutterfraß haben will, sollte man sich einen Hund anschaffen, aber kein Kind.“ Schätzt „das gemeinsame Ritual“ allerdings höher ein als Vollwertkost. Belegt es: An einer Bremer Schule zog er eine Woche lang ein Konzentrations- und Leistungsprojekt durch. „Wir haben regelmäßige, gemeinsame Mahlzeiten eingeführt und Wassertrinken während des Unterrichts erlaubt. Innerhalb dieser Woche wurde bei den Konzentrationstests eine Leistungssteigerung von über 25 Prozent erreicht. Die Rektorin dieser Schule erzählte mir, dass seit Einführung der Schulkantine die Zahl der körperlichen Auseinandersetzungen deutlich zurückgegangen sei.“ Das stand im Zeit-Magazin. Beweis Nummer zwei erlebte er kürzlich am eigenen Leib: Nach zwei Wochen solistischer Kulinarikreise durch Holland, Frankreich und die Schweiz aß er zum ersten Mal wieder mit Freunden in Italien eine Pasta: „War nicht sooo toll, aber für mich der größte Genuss nach 14 Tagen alleine essen.“

Freunde haben einen hohen Stellenwert im Leben des Wirts aus Leidenschaft, der nach einem Abitur mit Ach und Krach wohl gerne Architektur studiert hätte, aber auf keine Schule mehr wollte, stattdessen beschloss, Hoteldirektor zu werden, und unterwegs sein Talent fürs Kochen entdeckte. Jamie Oliver etwa, mit dem er in London beim Italiener Gennaro Contaldo gekocht hat, „als wir vom Tuten und Blasen noch keine Ahnung hatten. Gennaro hat die Grundtendenz meines Kochens geprägt, das Italolastige, das dem Produkt Vorrang vor dem Handwerk gibt.“ Oliver hat ihn auf die Karriere eingestimmt, denn: „Als wir ein paar Jahre später auf Gennaros Terrasse saßen, hatte Jamie schon sein erstes Buch herausgegeben und machte Fernsehen. Lud mich zu einer Sendung ein – und ich war geflasht! Keine deutsche Kochsendung war so lebendig. Was er reingebracht hat, war Energie.“ Das Angebot von RTL zu einer 1: 1-Kopie von Olivers Sendung lehnte Mälzer ab: „Doch drei Monate später kam VOX. Jetzt smsen Jamie und ich munter aneinander vorbei. Keine Zeit …“

Nase im Wind. Tim Mälzer brennt auch nach seinem Zusammenbruch weiter. 2009 ging ein bisschen weniger hektisch in die nächste große Runde. Er startete im April seine neue Sendung im ARD „Tim Mälzer kocht“, sperrte im Juli die „Bullerei“ auf, legte 2010 mit Bedacht ein paar Schäuferln nach: Mit der vierteiligen ARD-Doku „Essen ist Leben“, mit einer Messerserie für KAI, und einem Kochbuch, gemeinsam mit Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann. Es war Liebe auf den ersten Blick, als er Witzigmann auf dem Münchner Viktualienmarkt begegnete: „Regionalspieler trifft Championsleaguestar. So ging ich hin. Es handelte sich um eine Blindverkostung, Bio und nicht Bio, und das Wunder: Eckart, meiner Wahrnehmung nach frei von jeder Kritik – nur noch Respekt! – hörte sich das an. Ist seit 45 Jahren dabei und immer offen für neue Entwicklungen. Urteilt nicht ab, beschäftigt sich damit. Es war eine so tolle Begegnung. Auf Augenhöhe, aber nicht doof.“ Der junge Stern schwärmt ungeniert: „Er ist die Wurzel allen Schaffens. Seine Gerichte brauchen drei Stunden in der Zubereitung, meine 20 Minuten. Okay, manchmal kann ich vier Stunden an einer Vorspeise rumfinkeln, aber das ist dann schon wie Meditation. Eckart ist auf der Suche nach dem perfekten Rezept, ich bin auf der Suche nach dem richtigen Gericht für den richtigen Moment.“

Ehrlich: „Mich nervt dieses Geassel mancher Leute um Essen.“ Mälzer nennt seine „Bullerei“ am liebsten „Pizzeria ohne Pizza“ nach dem menschenfreundlichen Konzept „Italiener ums Eck“. Ungern hört er „Restaurant“ als Bezeichnung für die Mega-Halle mit 90 Angestellten, wobei Küchenchef Tom Roßner natürlich ein Uralt- und Busenfreund ist. Will, dass der Laden funktioniert, auch „Geld verdient“, sehnt sich nicht nach „Sternen“ („vielleicht hab ich auch gar nicht das Talent zum Sternekoch“). Erklärt: „Ich geb’ viel Geld für Essen und Trinken aus, aber meine Freunde sind eher weniger in der Gastronomie verankert, investieren gerne 14 Euro in einen Gin Tonic, aber nicht in ein Hauptgericht. Verstehen eine gute Pasta, einen Schmorbraten, ein Wiener Schnitzel, aber kaum Maine-Hummer mit Buchenraslingen in Nussbutter sautiert, zu astronomischen Preisen. Hab’ für viele Promis gekocht, auch für die englische Königsfamilie, seh’ mich trotzdem lieber als kochenden Wirt – und am liebsten kocht man doch für die, die einem nahestehen.“ Dogmatismus ist Mälzer abgeneigt. Den Glaubenskriegen fürs Hundertprozentige. (Gesund, vollwertig, Bio, alles gut, doch diese abschätzigen Blicke, wenn er mit dem Supermarktsackel ins Reformhaus ging: „Hab’ mich gefühlt, als hätte ich Ladendiebstahl begangen!“ Jetzt geht er halt vorher in den Bioladen. Ist ja lernfähig.) Vor allem aber will er mehr über die Produktion von Lebensmitteln lernen. Übers Brotbacken, wobei ihn der Gedanke an gutes frisches Brot verzückt: „Der Geruch, der Geschmack, Abendbrot – mit Butter, Zucker, Olivenöl, zum Käse und zum Salat, da kannst du viele Menschen glücklich machen.“ Lacht über seinen Neuerwerb: Bienenwaben. Die hat er in Frankreich gesehen, fürs Dach der „Bullerei“ besorgt, „jetzt werden wir Bullerei-Honig haben“. Ob’s der beste sein wird, lässt er dahingestellt, freut sich einfach über das Spielzeug: „Wie wenn man im Töpferkurs seine erste Vase macht. Sieht scheußlich aus, fällt um, das Wasser rinnt aus, aber man ist stolz wie Bolle, weil’s die erste ist.“

Ja, und er hat auch zum ersten Mal gesehen, wie Karfiol wächst – und fand den festen, starken Strunk „wunderschön“. Als Gärtner experimentiert er schon eine Weile herum, in seinem Olivenhain auf Mallorca, seit vergangenem Jahr aber auch in Hamburg als Pionier der dortigen Schrebergärten-Initiative. Hat eine Parzelle gepachtet, allerdings kaum gejätet, sodass es bei der Ernte spannend wurde, Unkraut und Pflanzen auseinanderzudividieren: „Heuer bin ich etwas professioneller vorbereitet.“


Der 40-jährige Tim erinnert sich an die Großeltern: „Sie hatten eine Baumschule“, beseitigt jedoch jeden verklärenden Romantizismus: „Das sind die Maurer des Gartens, die dreckigen Gärtner.“ Immerhin hat er unzählige „Bauernweisheiten“ von ihnen lieben gelernt. Etwa den Spruch: „Es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“