Alles immer Augenschmaus

Im Schlaraffenland, im Alltäglichen und in der Kunst. Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme, sagt Ingried Brugger. Wünscht sich das besondere Ambiente, den schön gedeckten Tisch mit gut gekochten Speisen, gutem Wein, guten Gesprächen. Die Ästhetik des Tafelns. Auch im Bank Austria Kunstforum. Ab Februar anschaubar in der Ausstellung "Vom Essen im Stillleben".

Alles immer Augenschmaus

Text von Ro Raftl Fotos: Peter M. Mayr
Naschmarkt? Reiseführer-Allgemeingut, Eitelkeitsjahrmarkt für Hinz und Kunz. Die Avantgarde sucht sich eine andere Bühne. Tritt am Karmelitermarkt auf, wo die Auswahl simpler ist, saisonaler, erdiger, vor allem samstags, wenn die Bauern landfrische Ware ankarren, Kartoffeln, Zwiebel, Äpfel, Salat. „Im Sommer ist so schön Draußensitzen“, findet Kunstmanagerin Ingried Brugger. Beim Georgier „Madiani“ oder vorm „Marktachterl“, da spielt dann auch immer Musik. Um es noch einen Tick spezieller zu haben, muss man die Leopoldgasse bis zur Nummer 17 gehen. Da liegt rechter Hand das „Skopik & Lohn“, diese karamellfarbene Melange aus Avantgarde-Gasthaus und französischem Bistro. Küche und Weine sind fein, zum Augenschmaus aber verhilft der Raum. Die Spannung von Maler Otto Zitkos „treibend-getriebenen Linien“ (© Herbert Lachmayer) in Schwarz auf Decken- und Wändeweiß.
Brugger hat sich den Karmelitermarkt zu Fuß erschlossen, ist ja nicht weit von der Tuchlauben, wo sie mit dem Maler Christian Ludwig Attersee, dem Mops Xavier und dem Lhasa-Apso-Rüden Jules hauptwohnt. Sehr oft geht sich ein Karmeliter-Samstag nicht aus, denn entweder bekocht sie Gäste in Attersees Jugendstilvilla am Semmering oder steckt als Direktorin des Bank Austria Kunstforums in zehrenden Ausstellungsvorbereitungen.
Das reduziert ihren Appetit: „Viele essen bei Stress, wenn sie unglücklich sind oder Liebeskummer haben. Bei mir ist es umgekehrt, ich bin Entspannungsesserin. Kaum sitz ich im Urlaubsflieger, ess ich alles zusammen.“ Die Intellektuelle sagt wirklich „zusammenessen“. Das klingt ländlich. Stimmt, sie stammt aus dem Salzburgischen. Was nicht stimmt, ist der Rückschluss, dass eine, die 57 Kilo auf 1,74 Meter wiegt, pro Tag nur drei Salatblätter vorsichtig kaut. Nein, aber sie kommt momentan selten zu Entspannungsessen: Die italienische UniCredit Group hat sich die Bank Austria einverleibt, und das Haus Freyung 8, in dem das Kunstforum etabliert ist, steht zum Verkauf. Weshalb zu hinterfragen, zu verhandeln, auch zu kämpfen ist, ob sich die UniCredit ein Museum leisten und als Mieter vor Ort bleiben will. Schließlich ist das Publikum, gut 300.000 Besucher jährlich, diese City-Location gewöhnt.
Brugger muss viel Job-Fliegen, oft um sechs Uhr früh, viel telefonieren, viele E-Mails schreiben. Das lässt sie ein wenig dramatisch und ihren Porzellanteint noch ein bisschen weißer wirken. Unterstreicht ihr fragiles Flair internationaler Boheme, das sie mit selbst entworfenen Teilen, japanischem Designer-Schick, Prada-Couture und noch viel mehr geschmacksicher zur Geltung bringt. Die grünbraungoldenen Augen schwimmen in futterferne Konzentrationsräume davon. Bloß die ausdrucksstarken Hände kann man sich leichtfingrig zupfend, schnipselnd, knetend und quirlend vorstellen.
Begreiflich, dass die Gestresste das „Skopik & Lohn“ als Esspunkt wählt – es firmiert auch als Bar, wo man viel Kaffee und Wasser trinken kann. Sie isst zwar ein paar Happen Oktopussulz am Kürbis, kostet zwei Gabeln vom Bœuf Bourguignon, doch wichtig ist ihr, dass das Lokal ihre Vorstellung vom Tafeln erfüllt: ein witzig, urig oder edel gedeckter Tisch in besonderem Ambiente, gut gekochte Speisen, guter Wein, gute Gespräche. Essen sei für sie mehr als Nahrungsaufnahme, sagt sie, vermeidet das Modewort „Gesamtkunstwerk“, fügt nur an, dass sie’s am liebsten mit Freunden tut.
„Augenschmaus“ wäre ein Wort, das der 45-jährigen Widder-Jungfrau-Horoskopmischung naheliegt. So übertitelt sie zumindest die Ausstellung „Vom Essen im Stillleben“, mit der sie ab 10. Februar fürs Bank Austria Kunstforum Kunst und Leben in der Darstellung von Essen und Trinken verknüpft. Der Pressetext klärt auf, „dass Stillleben lange als Schmutzmalerei abgetan und in der akademischen Hierarchie auf den untersten Rang verwiesen wurden, da das Was der Darstellung vermeintlich bedeutungslos war (…), währenddessen die Bilder zum Experimentierfeld für revolutionäre malerische Entwicklungen mutierten – von Chardin und Goya bis zu Monet, Cézanne und Picasso (…), weshalb durch anschauliche Gegenüberstellungen historischer und moderner Werke erstmals die Kontinuitäten, Differenzen und die Bandbreite des Stilllebens in seinem materiellen und symbolischen Bezug zum Leben beleuchtet werden soll“. Die Ausstellungskuratorin erklärt salopper: „Man wird beispielsweise einen ausgeweideten Ochsen aus dem 17. Jahrhundert sehen, daneben „Fleisch“ von Goya, daneben „Würstl unter Plexiglas“ von Damien Hirst, daneben einen Blick von Lovis Corinth in einen Schlachterladen. Solche Gruppen werden entstehen, nicht chronologisch geordnet, sondern nach Themen.“ Bedeutungsvoll: „Fast nur Hauptwerke“. Siegessicher: „Die Leute werden es lieben.“
Umso mehr, da ein Katalog bei Prestel erscheint, mit wissenschaftlichen Aufsätzen, aber auch mit Rezepten 14 führender internationaler Köche, die Gerichte zu einzelnen Bildern kreieren. Die kulinarische Beratung übertrug sie A-la-Carte-Herausgeber Christian Grünwald, der den Inspirationen der Sterne am Topf nachjagt. Ameisen wären leichter zu fixieren. Christian Petz unterstützt ihn, hat sich für „Taube mit Eierschwammerln“ zu dem Bild Pilze von Koloman Moser entschieden. Johanna Maier und Leonard Cernko (für Russland) befinden sich noch in der Schöpfungsphase – so wie der Baske Juan Mari Arzak, der Niederländer Jonnie Boer, Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann, die weltweit einzige 3-Sterne-Köchin Anne-Sophie Pic, der Elsässer Marc Haeberlin für Frankreich und Pierre Wynants aus Belgien – Köche aus den Ländern, aus denen die Stillleben kommen.
Brugger denkt an Stillleben ihrer Kindheit. An ihre Lieblingsspeisekammer, in der nur Torten standen, dicht an dicht: buntbestreuselter Zuckerguss, dunkelmatte Schokoglasur, fettcremige Spritztürmchen wie Miniaturen russisch-orthodoxer Kirchen. Elffach geschichtete Dobostorten, so geil, dass ein einziges Stück zum Schlechtwerden reicht und die cremelose Mohn- und Sachertortenabteilung, die dafür dicke Schlagobersgirlanden verlangte. Das war Schlaraffenland.
Beim „Metzgerwirt“ in Zell am See, wo sie aufwuchs. In einer Wirtshausfamilie, so groß, dass sie über den ganzen Pinzgau verstreut ist: „Bei Familientreffen sind wir zumindest 30 Leute.“ Diese Torten aß sie auch, obwohl sie längst „keine Süße“ mehr ist. Die ungarische Salami aber hat sie ins Erwachsenenleben hinübergerettet, seit Studententagen immer vorrätig: In den 60erJahren war das eine Novität – der „Metzgerwirt“ dekorierte seine Aufschnittplatten mit ungarischer Salami. „Toll, ich hatte das wahnsinnig gern“, erdet sich die Kunstsetterin jedes Mal, wenn sie heimfährt, zu ihrer 88-jährigen Oma, zur goldenen Hochzeit der Eltern, zum Fünfziger eines Lieblingscousins. Der „Metzgerwirt“ wurde von der Verwandtschaft zu einem großen Romantikhotel ausgebaut, doch Ingried wollte mit dem Gastgewerbe nie etwas zu tun haben. „Immer ein Stress. In den Siebzigern wurde die Gegend touristisch massiv erschlossen, viele Busse kamen, alle gleichzeitig. Da wurden an einem Mittag 700 Essen serviert, und jeder war schrecklich nervös.“ Da hatte auch keiner die Zeit, sie kochen zu lehren: „Ehrlich gesagt, hab ich mich auch nicht dafür interessiert. Konnte Spiegeleier braten. Reichte.“
Der Vater war Förster, die Mutter Lehrerin, schließlich Direktorin einer berufsbildenden kaufmännischen Schule, die Tochter ging mit 18 nach Wien studieren, Kunstgeschichte, Germanistik, Architektur. „In den verschiedenen WGs hab ich meist Kartoffelsalat gemacht. Dann unglaublich herumexperimentiert, bis ich auf die Kochbücher kam.“
Frankreich à la carte von Joël Robuchon war das erste, mit dem sie „besser“ kochen lernte. Es ist vergriffen (bloß Amazon bietet ein Sammlerexemplar um 42 Euro an). Französisch Geschmortes kocht und mag sie nach wie vor, bestellt auch bei „Skopik & Lohn“ Bœuf Bourguignon, vermisst allerdings die Karotten und Pilze, die sie mit Speck extra zubereitet und über die eingeköchelte Weinsauce gießt: „In der schmeckt mir französischer Burgunder am besten.“
Als sich Ingried an der TU in Berlin mit Architektur befasste, kam der Wein halt von Aldi – „wir hatten ja kein Geld“ –, aber es war trotzdem „der Lebensabschnitt, der die Zeit für alle Hoffnungen dieser Welt lässt“. Mit sehr, sehr viel Spaß: „Damals wie heute feiere ich gerne ab. Hab’s damals allerdings besser vertragen“, sagt die Raucherin, die weiß, dass sie aufhören oder zumindest auf Zigarren umsteigen sollte. Die Weintrinkerin, die das „Ehrliche“ mag. Weder „was Verbasteltes“ noch einen unglaublich teuren Weinkeller braucht. Sie mag österreichischen Weißwein, weil ihr die Säure an gut kultivierten jungen Veltlinern gefällt. Speziell der GrüVe vom Jurtschitsch: „Der hat Qualität, da kann man auch mehr trinken. Alte Rotweine, klar, Mouton-Rothschild, auch die Tignanellos, aber ich glaub, dass man sie nicht immer trinken, sondern etwas Besonderes sein lassen sollte.“
Beim Essen geht es ihr nicht anders: „Gute Qualität einfach zubereitet. Diese überkandidelten Essen, an denen man die Fertigkeit der Zubereitung bewundert, die Fantasie, die Kreativität, Essen, die der Kunst verwandt sind, die brauch ich nicht oft. Diese Reduktionsgeschichten von der Johanna Maier sind was Wunderbares, aber ich könnt sie nicht jede Woche haben.“ Pasta in allen Variationen, Fisch, Salate, vielleicht ein Kalbsgulasch. Das sind alltagstaugliche Speisen.
Attersee, ihr Ehemann, kocht zwar nicht, kauft aber gerne Lebensmittel ein. „Das Problem: Er kauft, was ihm am besten schmeckt, und das ist Fleisch. Riesige Fleischstücke, die ich dann zubereiten muss.“ Mittlerweile gelang ein Kompromiss: „Manchmal darf er, manchmal bekommt er eine Einkaufsliste mit.“
Sieht so eine Muse aus? „Infam“ würde Brugger jedem, der sie so nennt, ins Gesicht schleudern. „Ich bin selbstständig, emanzipiert, intellektuell, Managerin. Eine Muse lebt ja auch durch die Augen des Mannes und darin würde ich mich nicht realisieren.“ Dreht den Gedanken um: „Eine wie ich würde nicht mit schlechten und unbedeutenden Männern zusammen sein. Natürlich muss man sein Selbstbewusstsein trainieren, viel lernen. Aber früher war ich als Sportlerin gut unterwegs, als Skifahrerin, Leichtathletin, Eiskunstläuferin, da nimmt man sich selbst wahr. Auch die Disziplin kommt aus solchen Übungen.“ Vergangenen September hat sie den Segelschein gemacht. Am Attersee. Denn sie erhebt Anspruch auf den Steuermann, nicht nur auf den Vorschoter. Selbst wenn sich der dreifache Segelstaatsmeister Attersee einstweilen noch besser auskennt „Wahrscheinlich bin ich auch ehrgeizig.“ Darüber hinaus liegt sie im Zeitgeist: „Ein Gott war immer auch eine Art Sportler“, schreibt etwa Peter Sloterdijk in seinem modephilosophischen Bestseller „Du musst dein Leben ändern“.
In den zehn Jahren mit ihrem ersten Ehemann, dem jetzigen Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, hat Brugger noch fast jeden Abend für Gäste gekocht. Fällt ihr nicht ganz leicht, sich
daran zu erinnern, dass sie mehrere Männer geliebt hat. Sei aber eine Frage der Haltung für sie, der Vergangenheit gegenüber ehrlich zu bleiben. Sie weder zu verdammen noch zu verklären. Schließlich sei man am eigenen Glück, am eigenen Unglück auch selbst schuld. Jetzt jedenfalls kocht sie nur noch am Wochenende – und das sehr gerne alleine. Nicht mit jemand anderem in der Küche, „denn
Kochen ist auch eine Tätigkeit, bei der man gut nachdenken kann, und ich muss immer so viel nachdenken.“ Für ihre Hunde mit den hochempfindlichen Mägen kocht sie ebenso: Couscous mit Fisch. Oder Huhn mit Karotten und Buchstabensuppe. „Ja, denn Buchstaben-Nudeln sind so klein, dass man sie nicht schneiden muss. Und diese Hunde mögen Nudeln.“