Antonio Carluccio

Antonio Carluccio hat den Briten die italienische Küche beigebracht, mit seinen TV-Sendungen auch das österreichische Publikum begeistert. Nach wie vor setzt er sich mit seinen Büchern für authentische italienische Kochkultur ein. Der Gründe genug, dass Antonio Carluccio bei der diesjährigen "Trophée Gourmet A la Carte" die internationale Ehren-Trophée erhielt.

Antonio Carluccio

Text von Michaela Ernst Fotos: Manfred Klimek
Er erzählt gerne Witze. "Ein alter Mann sitzt weinend auf einer Parkbank. Kommt ein junger vorbei und fragt: ,Was fehlt Ihnen?‘ Antwortet der Alte: ,Ich bin 95 Jahre alt und habe eine wunderschöne, junge, blonde Freundin, die daheim auf mich wartet.‘ Wundert sich der Junge: ,Wo liegt jetzt das Problem?‘ Seufzt der alte Mann: ,Ich weiß nicht mehr, wo ich wohne!‘"
Antonio Carluccio, der Starkoch, verwendet nicht Rezepte, sondern Witze, um mit Menschen in Verbindung zu treten. Auf seiner Homepage www.carluccios.com existiert sogar ein eigener Link "Antonio’s jokes". Er sagt, je nach Tageszeit, "Hallo!" oder "Guten Abend!", und dann erzählt er gleich eine kleine Zote, um die Stimmung aufzulockern. Wenn alle lachen, freut sich der Meister und strahlt mit. Denn sein primäres Ziel ist wieder einmal erreicht: einen Gemeinplatz zu schaffen, auf dem sich alle verstehen und es gut haben.
Ansonsten trägt Carluccio starke Züge eines sentimentalen Menschen. Es lässt sich schwer sagen, ob das immer so ist. Oder ob dies an seiner Wiederkehr nach Wien liegt, wo er als junger Mann zwei offenbar wunderbare Jahre – "it was fantastic!", ruft er und rudert dabei mit den Armen – verbracht hat.
Wehmütiges Strahlen steigt also in seinen Augen auf, als er das Hotel Sacher verlässt und in die Kärntner Straße biegt: "Ich weiß nicht, ob es 40 oder 45 Jahre her ist, dass ich hier lebte. Jedenfalls ist damals die Straßenbahn durch diese Straße gefahren", schildert er ergriffen und kann es kaum glauben, dass auch ein anderer, ein jüngerer Mensch dieses Bild im Kopf hat. Wie sollte sich dies schließlich, nach Carluccios Zeitrechnung, ausgehen? "Wissen Sie", erklärt er freundlich, aber doch sehr bestimmt, "in meinem Herzen fühle ich mich wie 25. Selbst wenn ich vielleicht schon etwas älter aussehe."
Carluccios tatsächliches Alter, das in bester Reife die 60 überschritten haben dürfte, scheint tatsächlich ein Geheimnis zu sein. Weder in seinen Büchern, noch in Interviews wird darüber ein Wort verloren. Nachdem er darauf Wert legt, als stilvoller Dauer-Twen und nicht wie ein Vertreter der Vätergeneration behandelt zu werden, gebietet es zumindest die Höflichkeit, nicht weiter nachzubohren.
Fest steht: Antonio Carluccio kam damals einer Frau wegen nach Wien, was das Vergnügen für ihn multiplizierte. "Es waren immer die Frauen, die mich von meinem piemontesischen Heimatort Ivrea aus in die Welt zogen und dadurch weiterbrachten."
Sein schelmisches Grinsen verrät: Hätte er vor 23 Jahren nicht seinen Lebensmenschen kennen gelernt, Priscilla, die Schwester des bekannten britischen "lifestyle"-Begründers Sir Terence Conran, wäre Antonio Carluccio bis heute ein Liebhaber ohne festen Wohnsitz. Denn die Inhalte, die er vermittelt – Lebensfreude und die Wertschätzung für das Unverfälschte – benötigen keine fixe Adresse. "I became a real world citizen. A man who is able to live überall, Hauptsache die Leute sind gescheit", erläutert er in einem Sprach-Mischmasch, das bescheidener klingt, als es gemeint ist. Denn Antonio Carluccio versteht nach wie vor jedes Wort Deutsch, sogar wenn dieses stark wienerisch gefärbt ist.
Die Begegnung mit Priscilla legte für ihn den vermutlich wichtigsten Grundstein für seinen internationalen Erfolg. Denn deren Bruder Terence bot 1981 Carluccio die Geschäftsführung des Künstler-Treffs "Neal Street Restaurant", gleich neben der Oper in Covent Garden, an. Im Eiltempo machte der begabte Italiener daraus den besten Italiener der Stadt. Luciano Pavarotti, Placido Domingo, Kiri Te Kanawa, Angela Gheorghiu und viele andere Opernstars wurden zu seinen Stammgästen. Ein Jahr später kaufte Antonio Carluccio das kulinarische Juwel, in dem er auch ambitionierte Jungkollegen anlernte – der berühmteste: "Naked Chief" Jamie Oliver, zu dem der Lehrmeister heute eine freundliche, aber distanzierte Einstellung pflegt.
Schenkt man seinen Worten Glauben, hat Carluccio selbst in Wien Kochen gelernt. "Ich kam in diese Stadt ohne Sprachkenntnisse und ohne Geld. Aus reiner Liebe." An der Uni belegte er einen Sprachkurs. In der Maturaschule Dr. Roland holte der strebsame Romantiker, der zuvor in Italien seinen Unterhalt als Arbeiter bei Olivetti bestritt, sein Abitur nach. Mit kleinen Jobs hielt sich Antonio Carluccio über Wasser. "Weil ich wenig Geld verdiente …, nein: Weil wir
eigentlich alle damals sehr wenig hatten, waren wir gezwungen, die meiste Zeit daheim zu
essen. So begann ich, in meiner kleinen Wohnung in der Salesianergasse zu kochen. Wusste ich etwas nicht, rief ich meine Mutter an. Sie verfügte schon damals über eine gewaltige
Rezeptesammlung."
Nicht nur das. Seine Mutter besaß außerdem diesen Sinn für Präzision, der Carluccio schon früh erkennen ließ: Ein gutes Gericht verlangt nicht nur nach den richtigen Zutaten und der passenden Abmischung, sondern vor allem nach Respekt. So wie gute Freunde oder Geschäftspartner lässt man auch Essen nicht warten. Selbst wenn es sich dabei nur um ein paar Nudeln handelt, die in siedendem Wasser schwimmen. "Als ich noch ein Kind war, schickte mich die Mutter jedes Mal, wenn sie Spaghetti kochen wollte, zum Bahnhof, damit ich mich erkundige, ob der Zug Verspätung hat. Mein Vater war Bahnhofsvorstand und da konnte man nie genau wissen, ob er pünktlich zu Tisch erscheint. Mama gab immer erst dann die Nudeln ins Wasser, wenn sie wusste, dass mein Papa fünf Minuten später im Haus sein würde. Da sehen Sie, welchen Stellenwert bei uns das Essen hatte."
Beim Mittagessen in der "Cantinetta Antinori" blickt Antonio Carluccio daher streng auf das servierte, offenbar nicht à la minute gekochte Spargelrisotto: "Man verwendet hier etwas, was eigentlich nicht ins Risotto gehört: Schlagobers. Aber, ich weiß, es muss so sein, weil keiner der Gäste die Zeit hat, auf ein frisch zubereitetes Risotto zu warten. Und es würde sich natürlich auch wirtschaftlich niemals rechnen. Man muss diesen Aufwand bedenken, oft bestellt ja nur eine Person." Also werde das Risotto leicht vorgekocht, erklärt er. Erst nach konkreter Bestellung verfeinert und finalisiert es der Koch mit Obers. Antonio Carluccio kostet ein, zwei Bissen und zieht ein freundliches Gesicht: "Es schmeckt trotzdem gut." Er selbst hat Gnocchi mit Ragout bestellt. Die bleiben selbst im vorbereiteten Zustand authentisch. Als Nachspeise wählt er Erdbeeren mit Zitrone – "etwas Leichtes, schließlich habe ich heute schon frische Buchteln gehabt".
Wenn Carluccio nach Wien kommt, steht stets eine tour de souvenir auf dem Programm. Den wichtigsten Punkt dieses sentimental angehauchten Spaziergangs hat der britische Verfechter italienischer Kochkunst – diesmal kam er angereist, um für sein Lebenswerk die "Ehren-Trophée Gourmet" entgegenzunehmen – bereits hinter sich gebracht: Frühstück im Café Hawelka mit zwei Eiern im Glas und jenen bereits erwähnten Buchteln. "Für meine damalige Clique und mich bedeutete das Hawelka die Welt: Es war unser zweites Zuhause, unsere Bank, bei der wir anschreiben lassen konnten, unser soziales Netz."
Ein anderer der einstigen Hot Spots war der "Zwölf Apostel Keller", den Antonio Carluccio heute nicht aufsucht – genauso wie den Schnitzel-Vermarkter "Figlmüller": "It’s for tourists", merkt er betont neutral an. Das Restaurant "Plachutta" am unteren Ende der Wollzeile schätzt er dafür umso mehr: "Ich kenne keine zweite Adresse, bei der man gekochtes Rindfleisch in derartiger Qualität und in so vielen Varianten angeboten bekommt."
Wie damals brauche er, der kulinarische Spaziergänger, auch heute nicht viel zum Glücklichsein. Ein paar frische Kräuter, frisches Brot, einen Wald, in dem man Pilze findet, ein Stück Holz, aus dem sich ein Spazierstock schnitzen lässt und bitte – bloß kein Chichi. Dass er mit seiner Alimentari-Kette "Carluccios Café" mittlerweile 700 Mitarbeiter beschäftigt, erfährt der Zuhörer von Antonio Carluccio wie nebenbei. Als ob dem gesegneten Italiener die Geschäfte einfach zugeflogen wären. Die unzähligen Bücher, die er verfasst hat (das jüngste widmet er seinen Lieblingsgewächsen: "Mushrooms", sein kommendes der italienischen Provinzküche), die BBC-Serie "Das italienische Fest", die er Mitte der 90er über Jahre hindurch gedreht hat – tja, alles wie vom Himmel gefallen.
Viel besser als in der Rolle des smarten Businessman gefällt sich der schlaue Charmeur eben als Vagabund, der mit einem seiner 300 eigenhändig bearbeiteten Wanderstäbe durch das Land seiner Kindheit schwärmt, um Verborgenes ans Licht zu heben und Bedrohtes zu bewahren: "Wissen Sie", sagt er frei von Koketterie, aber eindeutig betört von den Bildern, mit denen das Leben ihn bislang verwöhnt hat: "Die Leute, die es wirklich ernst meinen mit der Essenskultur, sind stets sehr einfache Menschen."