Appetit auf Natürlichkeit

Trautmann isst alles. Von der Hand in den Mund. Böck ist heikler. Der Schauspieler und Intendant der Sommerspiele Kobersdorf hat's gern pur, natürlich, einfach, österreichisch.

Appetit auf Natürlichkeit

Text von Ro Raft Fotos: Peter M. Mayr
Trautmann in Kobersdorf. Februar. Dunkelheit. Der Schneewind treibt große, fette Flocken. Schloss Kobersdorf trotzt im Licht der Jaguarscheinwerfer wie eine mittelalterliche Wasserburg, die der Sommerfestspielplatz wirklich einmal war. Wolfgang Böck, der Intendant seit sechs Jahren, hat ein Wollkapperl über den kahl geschorenen Schädel gestülpt und breitet die Arme für ein Foto aus. Lacht, gesättelt, gesättigt, gestärkt. Vom späten Mittagessen in Ritzing beim "Horvath", dem künftigen Festspiele-Caterer, einem Wirt mit großem Ruf. Von der Inspektion des Horvath’schen Weinkellers, profund gefüllt mit sämtlichen Feinheiten des Mittelburgenlands. Von ein, zwei, drei Achteln der leichten trockenen Weißen, die ein Wahlburgenländer, der aus Linz stammt und als Wiener Kieberer berühmt geworden ist, selbst an heißen Julitagen nicht spürt, geschweige denn im kalten Februar. Man muss es hier sagen, obwohl wir uns im Territorium des Blaufränkischen bewegen: Der L+T (leicht und trocken) vom Weingut Sommer aus Donnerskirchen ist das Lieblingsgetränk des Herrn Intendanten, "lebenslänglich", frei nach der Trautmann-Folge Nummer vier. Gleich danach kommt Sommers Grüner Veltliner Classic, der gut als Nachmittags- und Winterwein taugt. Der Rote ist den Abenden mit Sonja vorbehalten, Böcks Allerliebster seit 23 Jahren. Sie mag die Blaufränkischen von Umathum oder von den Vitikult-Winzern, sie stammt schließlich aus Draßburg. Vom Cognac, den der einsam-wölfische Inspektor Trautmann in seinem Stammcafé am Karmelitermarkt kippt, wenn ihn der Blues plagt, ist im echten Leben des Schauspielers nur anlassweise die Rede. Schein und Wirklichkeit, Sie verstehen?
Trautmann ist Böck ist Trautmann – zumindest im Kopf der fernsehenden Österreicher. Kulinarisch der Rossleberkäs-Semmel verpflichtet, dem Burenhäutl, gierig auf Süßigkeiten. Denken Sie nur an die Szene, in der er so hastig in einen Krapfen beißt, dass der Zucker staubt und rundherum am Dreitagebart pickt. Stillgelegt vom ORF nach der zehnten Folge vergangenen Dezember. Der Plan zu einem (freien) Kinofilm steckt noch in den Anfängen. "Jederzeit", sagt Böck. Nicht zuletzt, weil Trautmann eine der Lieblingsfiguren seines Schöpfers Ernst Hinterberger ist, ursprünglich für die Endlosserie Kaisermühlenblues erfunden. Böck auch nah auf den Leib geschrieben, nachdem ihn der Autor mit Adi Hirschal "Strizzilieder" singen hörte. Hinterberger habe spontan geurteilt: "Der Hirschal spielt einen Strizzi, der Böck ist einer." Was sich – siehe Schein und Wirklichkeit – weder in der soliden Karriere noch im Privatleben des 56-jährigen Schauspielers manifestiert, aber für sein Bekenntnis spricht: "Ich hätte nach Berlin, Zürich, Hamburg gehen können, doch die Geschichten, die ich im Bauch trag, sind in Österreich zu Hause." Deutlich schön etwa in den Drei-Brüder-Filmen zu sehen, mit Erwin Steinhauer und Andreas Vitasek auf dem Weg nach Santiago de Compostela.
In Wien wohnt Wolfgang Böck mitten im Siebenten, "klass" im Grätzel Lerchenfelder Straße. Okay, der Schokofreak wird die Geruchswellen in der Zürcher Sprüngli-Chocolaterie niemals vergessen, die Glückshormone wie Champagnerperlen im Kopf zerplatzen ließen, doch das Altlerchenfelder Zuckerlgeschäft mit den Pralinentürmen in der Auslage kann das auch. Zehn Deka Rohkost auf dem Weg ins Stadttheater Walfischgasse, wo er in Helmut Korherrs Revue über 100 Jahre Hakoah, den erfolgreichen jüdischen Sportclub aus Wien, am 24. März Premiere hatte – und Böck ist topfit. Hakoah kann rufen.
Trotzdem beklagt er, dass der Eissalon "Riva" verschwunden ist, mitsamt dem alten Ehepaar vom Gardasee, das nur in der Eissaison anreiste, sie immer zuckersüß, er immer muffig. Weint genussvollen Stunden nach, die er sich mit Futter fürs Hirn aus der Buchhandlung vis-à-vis bei einem Eis mit Schlag und einem Campari Soda vertrieb, sowie dem rapiden "Landschaftsverlust" in der Stadt wie im Burgenland, und seine Ehefrau aus Draßburg stimmt ihm zu. Sie gehört zum Kapitel Wirklichkeit, mit prickelnder Note beim Kennenlernen: Weil sie Böck mit "Servus, Ela!" begrüßte, ihr darüber das Gesicht einschlief, während er ein paar Sekunden später doppelt sah. Ela war die Freundin eines Freundes und hatte ihre Zwillingsschwester Sonja mitgebracht. Das Abendessen in dem teuren französischen Restaurant schmeckte wie Asche, doch eine Motorrad-Ausfahrt später kamen sie sich nicht nur kulinarisch näher. Den Heiratsantrag hat er ihr allerdings erst 16 Jahre später gemacht. Als der Oldtimer-Freak – der mittlerweile fünf Ducatis und acht Jaguars, vom Jaguar E-Type, Baujahr 1967 bis zu einem 68er 240Mk2, in Draßburg garagiert – endlich den ultimativen Jaguar für sie gefunden hatte. Sie fährt auch damit.
Sonja Kremsner, die mit Zwillingsschwester Ela ein Architekturbüro betreibt, kocht (fast) täglich für Mann und Sohn: Felix Caspar ist 18, und seine Eltern hängen der vernünftigen Meinung an, dass gemeinsames Essen die Familie bindet. So gegen fünf Uhr nachmittags. "Uns reicht das", sagt die zarte Architektin artig. "Wenn mi der Hunger plagt, fall i wo auf a Topfengolatschen ein", gesteht der feste Mann. Der sich (aus rein soziologischem Interesse) auch dem Junkfood nicht völlig verschließt. "Wer heikel ist, bleibt übrig", hieß die Trautmann-Folge Nummer eins. Bei Sonja gilt das nicht: "Der Wolfgang ist sehr heikel! Und sehr bodenständig", sagt sie. Weshalb sie nouvellecuisinale Experimente eher unterlässt. Die Harmonie puristisch sichert: "Rindfleisch könnte täglich auf dem Tisch stehen." Er legt ein Schäuferl nach: "Erdbeeren aus Südafrika im Winter gibt es bei uns nicht. Und die Marmelade wird von den eigenen Marillen eingekocht." Trotzdem unabdingbar: das Olio Celo von der Azienda Agricola Sancin, das sie kistenweise aus der Nähe von Triest holen. "Das Wunderbare an diesem Olivenöl: Man darf es auch extrem erhitzen, ja sogar damit frittieren." Weiters ganz wichtig: frischer Rosmarin, der in Stöckeln auf der Wiener Terrasse und in Sträuchern im Draßburger Garten wächst. Für die Rosmarinkartoffeln, eines von Böcks Grundnahrungsmitteln: geschält, geviertelt, gesalzen, in Olio Celo gebadet, im Rohr ein bisschen knusprig gebraten. Abgesehen vom Fleisch natürlich. Das Hendl beispielsweise wird mit einem Brei aus Rosmarin, gehacktem (nicht zerquetschtem) Knoblauch, Salz und Olivenöl gefüllt. Zur Fleischeslust meint Böck kategorisch: "Diät halten und vegetarisch essen ist gut für Leute, die dazu geboren sind. Für mich nicht."
Das Rosmarin-Huhn kann der Chef selbst zubereiten, doch erst beim Roastbeef, seiner Lieblingsspeise, läuft er zu Hochform auf – obwohl das Lieblingsöl ausnahmsweise nicht zum Tragen kommt, sondern das Kokosfett Ceres. Er schnurrt seine Handgriffe nur so herunter: "Ein gutes Kilo Feisch – von der Kuh besser als vom Ochsen oder Stier – salzen und pfeffern und im fast rauchenden Ceres anbraten, damit sich die Poren schließen. 24 Stunden stehen lassen und dann erst 40 Minuten bei 180 bis 200 °C im Backrohr garen. Das Beef herausnehmen, das Kokosfett wegschütten, zwei große Stück Butter mit dem Fond vermischen, fünf Minuten im Rohr ziehen lassen. Dazu Salzkartoffeln und gedünstetes Gemüse." Um zu wissen, von welchem Tier das Fleisch kommt, braucht man natürlich den richtigen Fleischhauer. Ha! Böck hat ihn. Seine kastaniendunklen Augen glänzen. Er wirft sich richtig in die Brust. Denn nur so kann man Purismus richtig leben. Besser einfach heißt folglich auch das erste kulinarische Reisebuch Böcks, in dem er mit dem Boot durch die Lagunen nach Venedig schippert. "Nein, nicht meins", korrigiert er, "geschrieben hat es Günther Schatzdorfer, Autor und Maler, ich hab ihn bestenfalls inspiriert, als Reisebegleiter, Co-Trinker, -Esser und -Segler. Wie im zweiten gemeinsamen Werk, 50 Jahre Appetit, in dem Sonjas damals noch leer stehendes Draßburger Großtantenhaus zum Austragungsort kulinarischer Erinnerungen, Träume, ja Halluzinationen wird. Da der Poet und der Kommissar erst spätabends dort ankommen, die Frau aber verreist, der Hausschlüssel in ihrem Auto, die Speisekammer leer ist und die Wirtshäuser längst geschlossen haben. Nur der Keller bietet Vorrat zum Schöntrinken einer unendlich scheinenden Nacht mit knurrendem Magen.
Jetzt sitzen wir um den massiv-schlichten Bauernstubenküchentisch im Draßburger Haus, milde umspült vom L+T aus dem Hause Sommer, diskutieren, wie man Palmen im Freien über den burgenländischen Winter bringt, und bewundern den neuen, auf alt getrimmten Holzherd, auf dem die Rindsuppe köcheln kann wie zu Großtantes Zeiten. Kaum stand er da, wär er fast in Flammen aufgegangen samt der ganzen Küche: "Ein Freund ist auf den modischen Trip aufgesprungen, dass Herren jetzt am Herd stehen", knurrt der Schauspieler so traurig wie Trautmann über die wiederkehrenden Vergeblichkeiten des Polizistenberufs, "und hat erklärt, er kocht jetzt Coq au vin. Was schiefgegangen ist, weiß ich nicht, ich hab mich den anderen Freunden gewidmet. Nur das: Es hat so geraucht, dass die Nachbarn die Feuerwehr alarmieren wollten. Und das Hendl ein klarer Fall für den Müll war." Kulinarisch noch schlimmer sei ihm bloß der Urlaub auf Mauritius erinnerlich: "Nobelanlage mit superteurer, superexklusiver kreolischer Küche. Im Prospekt. Das Wasser ist uns im Mund zusammengelaufen. Bloß hat der Oberboss, ein Riesenkerl mit Pferdeschwanz, null Komma nix zusammengebracht. Net amal simple Nudeln. Wir sind täglich wie die Indianer durch die Anlage geschlichen, um auszuforschen, in welchem der vier Restaurants er grad nicht kocht. Die letzten paar Tage sind wir mit einem Boot auf die kleinen Nachbarinseln gefahren und haben uns in spottbilligen Barbecue-Hütten am Strand von dieser Niederlage sondergleichen erholt."

Trautmann isst alles. Von der Hand in den Mund. Böck ist heikler. Der Schauspieler und Intendant der Sommerspiele Kobersdorf hat’s gern pur, natürlich, einfach, österreichisch.

Text von Ro Raft