Auf den Spuren der Zeitlosigkeit

Katharina Tinnacher gehört zu jener jungen Generation steirischer Winzer, die der Region ein neues Gesicht gaben. Mit einer sanften, aber bestimmten Kurskorrektur steuert sie das Weingut ihrer Eltern ganz nach oben.

Foto von Regina Hügli
Text von Christina Fieber

In einem Ranking der schönsten Weinbaugebiete wäre die Südsteiermark wohl ganz vorne angesiedelt. Eine pittoreske Hügellandschaft, garniert mit Wäldern, Streuobstwiesen und unzähligen Weingärten, deren Rebzeilen wie in die Hänge geritzte Schraffuren aussehen. Die Hügel sind so weit voneinander entfernt, dass die Häuser und Höfe, die Kirchen und Buschenschanken, die Kastanienbäume und Pappelalleen auf der anderen Seite winzig klein wirken, als wären sie bloß ein Scherenschnitt – eine possierliche Miniaturlandschaft, die sich allmählich im Horizont auflöst. Selbst die Heerscharen von Ausflüglern, die an den Wochenenden im Herbst die Südsteirische Weinstraße stürmen, vermögen der Idylle nichts anzuhaben – nur einen Hügel weiter herrscht ­wieder Beschaulichkeit.

Was so lieblich erscheint, ist eines der herausforderndsten Weinanbaugebiete – für diejenigen, die davon leben: ­steile Weinberge, deren Rebzeilen nicht in Terrassen angelegt, sondern senkrecht hinabfallen und nur in Handarbeit zu bewirtschaften sind, ein kapriziöser Mix aus mediterraner Wärme und alpiner Kühle sowie Niederschlagsmengen von gut und gerne 1.000 Millimeter pro Jahr. Selbst in Sommern wie dem letzten, wo ganz Österreich unter Hitze und Trockenheit ächzte, reg­nete es in der Südsteiermark fast täglich. An manchen Tagen dampfte es in den Weinbergen wie in einem tropischen Regenwald – ein Schlaraffenland für Pilzkrankheiten, ein Alptraum für jeden Weinbauern, für Katharina Tinnacher Alltag. Sie ist hier aufgewachsen, eine von zwei Töchtern einer Winzerfamilie.

„Wir haben von klein auf mitbekommen, was Arbeit bedeutet“, sagt sie. Die Mädchen waren im Weinberg oft dabei, halfen bei der Lese, erlebten, wie die Launen der Natur den Weinbau bestimmen und dass es für die Eltern kaum freie Wochenenden gab. Jeder schenkte man fünf Rebstöcke, um die sie sich kümmern mussten, sie sollten früh lernen, wie das Hauerhandwerk funktioniert. Dennoch hätten die Eltern nie Druck auf die Töchter ausgeübt, Winzerin zu werden oder gar den Betrieb zu übernehmen. Statt der üblichen Ausbildung in der Weinbauschule ­besucht Katharina Tinnacher ein humanistisches Gymnasium, nach der Matura geht sie nach Wien, interessiert sich für ein Kunststudium, landet dann doch auf der BOKU, Universität für Bodenkultur, studiert dort Weinbau, später Pflanzenwissenschaften. Der Wunsch, Winzerin zu werden, sei erst allmählich gewachsen, mit den Studienreisen ins Ausland und den Begegnungen mit Weinbauern aus aller Welt. Als sie 2013 zurückkehrte, habe der Vater gleich Nägeln mit Köpfen gemacht und ihr den Betrieb überschrieben. 40 Weinjahrgänge habe er begleitet, das sei eine runde Zahl und genüge, befand er. Mit 27 Jahren trägt sie von nun an die gesamte Verantwortung alleine.

Katharina Tinnacher gehört zu jenen jungen steirischen Winzern, die der Region ein neues Gesicht, vielleicht sogar eine neue, ganz eigene Identität geben. Die Elterngeneration verhalf in den frühen 1990er-Jahren der bis dahin unbeachteten Region zu Ruhm und Ansehen. Aus den Sorten Sauvignon blanc und Chardonnay, der in der Steiermark Morillon genannt wird, entstanden Weine internationalen Zuschnitts. Lagengewächse mit ausgeprägter Frucht und üppiger Textur, „Steirische Klassik“-Weine als Gegenpart, spritzig und unkompliziert. Griff man bei den Topweinen schon mal gern tief in die Holzkiste, sollten die Einstiegsgeschichten weitgehend indifferent bleiben. Das sei halt damals der Trend gewesen, erklärt die Winzerin. „Unsere Eltern haben das Fundament geschaffen, auf dem wir aufbauen“, beschwichtigt sie, „nur deswegen sind wir jetzt in der komfortablen Situation, die Dinge zu hinterfragen.“

Eine taktvolle Formulierung für die stilistische Kurskorrektur, die mit dem Generationenwechsel bei den Steirischen Terroir- und Klassikweingütern, STK, eingeläutet wurde, einer Vereinigung, die von ihren Vätern gegründet worden war. Die Weine sind heute präziser, feingliedriger und zeigen deutlicher ihre Herkunft. Man etablierte eine Rieden-Klassifizierung, die für alle gängigen Rebsorten der Region gilt. Viele stellten auf Bio um – auch das, sagt Tinnacher, sei nur möglich, weil die wirtschaftliche Basis von den Eltern geschaffen wurde. Sie hätten ihnen auch die Möglichkeit ­gegeben zu reisen, internationale Kontakte zu knüpfen und ihren Horizont zu erweitern. Katharina Tinnacher entwickelte daraus nicht nur ein ­natürliches Selbstwertgefühl, sondern auch die klare Vision, wie ihre Weine schmecken sollen. Die Winzerin analysiert gerne, jede Entscheidung, jeder Arbeitsschritt wird reflektiert. Man hört ihr gerne zu, sie weiß durchaus um die Bedeutung guter Erzählungen, ohne in Plattitüden zu verfallen.

Von Beginn an habe sie die Freiheit gehabt, Weine genau nach ihren Vorstellungen zu machen. Aber Selbstdarstellung interessiere sie nicht, vielmehr sei sie davon getrieben zu ergründen, was die Stilistik der Region ausmacht, der 250-jährigen Winzertradition ­ihrer Familie auf den Grund zu gehen und daraus einen Geschmack ihrer Weine zu entwickeln, der all das wiedergibt. Weine, die das Wissen der Generationen in sich tragen. Veränderungen erfolgten bei ihr nicht mit der Brechstange, dafür ist ihr Respekt vor dem, was die Generationen vor ihr aufbauten, zu groß. Modische Eskapaden oder gar exzentrische Stilistik habe es bei LacknerTinnacher ohnehin nie gegeben und werde es auch in Zukunft nicht geben. „Meine Eltern waren keine vom Ego getriebenen Selbstdarsteller, die unbedingt an die Spitze wollten“, sagt sie, „eher ruhige, zurückhaltende Menschen, die sich dennoch nicht verbogen haben.“ Eigenschaften, die ihr merklich Bewunderung abringen.

Bei aller Übereinstimmung ist nicht zu übersehen, dass sich viel getan hat im Weingut, seit es die Tochter führt. Sie stellte auf biologische Bewirtschaftung um und verbannt unnötige Behübschungsmethoden aus ihrem Keller. Wohlüber­legte Schritte, die immer das Ziel verfolgen, das spezifische Wesen ihrer Weine herauszuschälen. „Ich will nicht in erster Linie grandiose Gewächse kreieren, sondern zeigen, was die DNA des Orts ausmacht“, meint sie, „die DNA von Gamlitz, den einzelnen Rieden, vom Weingut.“ Was daraus entstehen soll, ist wohl eine Art Zeitlosigkeit der Stilistik, Weine losgelöst von Moden. „Vielleicht ist aber auch das ein Trend“, räumt sie ein und lacht. Was die DNA des Orts ausmacht, zeigen ihre ­jeweiligen Sauvignon blancs eindrücklich. Eine Rebsorte, die mit den unterschiedlichen Böden der Region offensichtlich gut zurande kommt. Tinnachers Interpretation des Sauvignons ist ein harmonisches Zusammenspiel von Boden, Klima und Reben. Während der Sauvignon blanc der Gamlitzer Hauslage Steinbach von Konglomeratsböden aus Mergel, Schotter und Sand sowie einem markanten Tag-Nacht-Temperaturgefälle gezeichnet ist, das ihnen die aromatische, dunkle Frucht gibt, zeigt sich der Sausaler Sauvignon vom Flamberg hell, nervig, salzig, geprägt vom Korallenkalk. Zwei völlig unterschiedliche Charaktere, die nichts mehr von jener vordergründigen Note an sich haben, die man der Rebsorte gerne zuschreibt, aber auch keinen kargen Purismus vor sich hertragen. Vielmehr Charme ohne Aufdringlichkeit, eine Frucht, die nicht forciert wird, sondern natürlich entsteht, immer in Kombination mit Mineralität, Säure, Würzigkeit. „Eine künstliche Frucht wirkt aufgesetzt und schrill“, erklärt die Winzerin, „ist lediglich das Ergebnis von gekühlter Gärung mit Aroma-Reinzuchthefen.“

Ihr Sauvignon blanc von der Ried Welles hingegen spielt mit leisen Tönen. Eine Spitzenlage in Gamlitz, die der Urgroß­vater vor 85 Jahren erwarb: kühl, karg, steinig – der Mix, aus dem erstklassige Weine entstehen. Die alten Rebstöcke wurzeln tief, der Kilo-Output ist spärlich, das Ergebnis ein Hauch von kühlem, dunklem Cassis und jeder Menge Mineralität. Ein faszinierend zartes, kraftvolles Gebilde.

Weine, wie sie vielleicht früher einmal geschmeckt haben, in der Zeit vor den Errungenschaften moderner Kellertechnologie – jener Geschmack von einst, dem die Winzerin auf der Spur ist. Dafür hat sie auch wieder Weingärten mit der historischen Stockkultur bepflanzt, bei der die Reben nicht an Drahtrahmen angebunden werden, sondern frei stehen. Eine Erziehungsform, wie sie bis in die 1930er-Jahre in der Südsteiermark üblich gewesen sei. Ihr Vater habe noch gelernt, wie man Stockkultur schneidet, „das wissen nur mehr wenige Winzer“, sagt sie stolz. Der Vorteil: bessere Beschattung, ­physiologische Reife ohne überbordende Zuckergradation und somit weniger Alkohol bei vollem Aroma. Stockkultur bedeutet aber auch wesentlich mehr Arbeit: „Ein unleistbares Hobby“, sagt sie und lacht. Dennoch wird es eine kleine Menge davon geben – nach fünf Jahren Zeit im Keller.

Auch der Ausbau ihrer Weine erfolgt weitgehend wie früher. Im großen Holz werden sie spontan mit eigenen Hefen vergoren, so könnten sie atmen. Dort bleiben sie ein Jahr auf der Vollhefe, ein Jahr vor der Füllung kommen sie in den Tank, damit sich die Hefen absetzen und sich die Weine auf natürliche Weise klären, ­danach werden sie unfiltriert abgefüllt. So weit, so einfach. Durch die biologische Bewirtschaftung fänden die Reben wieder zu ihrem eigenen Rhythmus mit der Natur zurück. Die Traubenreife erfolge harmonischer, die Beeren blieben kleiner, der Geschmack konzentriert. Der Preis: noch mehr Aufwand, noch höheres Risiko. In der mit hohem Niederschlag gesegneten Südsteiermark wohl kein Kinderspiel, die Trauben gesund in den Herbst zu bringen, das sei Jahr für Jahr eine Herausforderung. „Eigentlich muss man ständig auf der Hut sein“, erklärt sie, „aber es lohnt sich!“ Als sie auf Bio umstellte, wollte sie nur den Qualitätslevel halten, erst mit der Zeit sei sie draufgekommen, was für ein Potenzial darin verborgen sei: „Es eröffnete uns völlige neue Qualitätsdimensionen.“ Dimensionen, die es auch Welschriesling oder Muskateller erlauben, in der ersten Liga zu spielen. Reb­sorten, die in der Region einst eine wesentliche Rolle spielten, dann aber in der Belanglosigkeit versanken.

Welschriesling habe im Wettkampf um höchstmögliche Opulenz einfach nicht mithalten können. Heute erlebt er eine Renaissance. Eine junge Generation steirischer Winzer holt die zutiefst steirische Sorte wieder auf die Bühne. Tinnachers Welschriesling „Franz Lackner“ ist ihrem Großvater gewidmet und kommt aus bester Lage. Er wird genauso umsorgt wie alle anderen Rebsorten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Prinz am Hof LacknerTinnacher ist jedoch der Muskateller. Der Ortswein legt die Latte schon hoch, der Muskateller von der Ried Gamlitz übertrifft ihn mühelos. Die fast 60 Jahre alten Rebstöcke liefern einen Wein, der an Zartheit und vielschichtigem Aromenspiel kaum zu übertreffen ist: präzise, straff, aber auch verspielt. Schnöde Parameter wie Sortentypizität kümmern ihn nicht, statt Rokoko-Fruchtsaft erhält man dafür Weine mit Klasse und Tiefgang. Weine, die auch ohne Aufputz glänzen. Zeitlose Weine. —

Adresse

Weingut LacknerTinnacher
Steinbach 12, 8462 Gamlitz
tinnacher.at

Die Landschaft rund um Gamlitz ist nicht nur pittoresk, steile Weinberge und ein launenhaftes Klima sind auch ­herausfordernd.
Katharina Tinnacher ist mit Weinbau unter den schwierigen ­Bedingungen in der Südsteiermark aufgewachsen. Sie will der DNA der Region auf die Spur kommen.
Der Ausbau der Weine erfolgt weitgehend wie damals beim Großvater, vergoren wird im ­großen Holz.