Auf der Suche nach dem verlorenen Geschmack

Mitten im burgenländischen Blaufränkischland, der Hochburg kräftiger Rotweine, macht Stefan Wellanschitz zarte Weißweine, die unter die Haut gehen. Mit der Marke Kolfok lässt er die verlorene Weißweintradition Neckenmarkts wieder aufleben.

Text von Christina Fieber/Fotos von Regina Hügli

Es ist eine verspielte Landschaft rund um Neckenmarkt. Hügel, mit Weingärten bepflanzt, Wiesen und Wälder, dazwischen ein paar Dörfer. Das Ödenburger Gebirge an der österreichisch-ungarischen Grenze bringt es immerhin auf 606 Meter Höhe – im Burgenland geradezu alpine Verhältnisse. Ganz anders als das gängige Bild vom Mittelburgenland und ganz anders auch, als sich die Region selbst verkauft: mit schnurgeraden Reihen von Weinbergen in schier endlosen Ebenen, wie am Reißbrett entworfen.

Doch nicht nur die Landschaft ist anders als erwartet, auch die Geologie hier überrascht: Stefan Wellanschitz nennt es einen „Boden-Jackpot“. Ein Potpourri von Gneis, Glimmerschiefer, Quarz und Muschelkalk. Diese nahezu paradiesische Auswahl an verschiedenen Bodentypen ist sein Kapital.

Mitten im „Blaufränkischland“, dem Schlaraffenland für samtig weiche Rotweine, macht er unter dem Label Kolfok vorwiegend Weißweine. Weder samtig noch weich. Vielmehr pur, präzise, kantig. Wer die vorherrschende Stilistik des Mittelburgenlands schätzt, mag die Gewächse des jungen Winzers als Herausforderung empfinden – vielleicht sogar als Zumutung. Wer hingegen markanten Geschmack jenseits der Charmegrenze sucht, wird sich bei seinen Weinen heimisch fühlen.

Stefan Wellanschitz erweckt nicht den Anschein eines Aufwieglers, der lautstark seinen Protest der Welt kundtut. Der junge Winzer mit den freundlichen, weichen Gesichtszügen wirkt ruhig und besonnen. Er besitzt eine unaufgeregte Entschlossenheit, die vielleicht noch wirkungsvoller ist. Er macht, was er für richtig hält. Diskutiert nicht, sondern stellt vor vollendete Tatsachen. Wie damals, am Beginn seines Projekts, als er von den noch übrigen gemischten Weingärten der Familie die weißen Trauben herausschnitt – in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Im hintersten Winkel des Weinkellers baute er seine ersten paar Fässer Weißwein aus. Der Vater, der irgendwann seinen Alleingang entdeckte, verstand die Welt nicht mehr. So wie viele in Neckenmarkt die Welt von Stefan Wellanschitz bis heute nicht verstehen. Weißweine zu machen, wo man hier doch mit den Roten eine sichere Bank besitzt.

Doch der Winzer hat ein höheres Ansinnen. Er ist auf der Suche nach einem anderen, einem verlorenen Geschmack; einem Geschmack, an den sich hier scheinbar niemand erinnern will: „Ich möchte meine Wurzeln als Weinmacher wiederfinden“, erklärt er. Bis in die frühen 1990er-Jahre habe Neckenmarkt eine lebendige Weißweinkultur gehabt. Die Hälfte der Anbaufläche war mit weißen Sorten bestückt. Das sei verloren gegangen. Und damit auch die Identität der Winzer hier. Den Weinskandal als Morgendämmerung der heimischen Qualitätsweinkultur zu verklären, hält er für einen Irrtum: „Er hat den burgenländischen Winzern auch ein Stück ihres Selbstwerts genommen“, glaubt er.

Burgenländische Weißweine standen nach 1986 im Generalverdacht, ­gepanscht zu sein, und so riss man fast alle alten Welschriesling-, Grüner-­Veltliner- und Furmint-Rebstöcke aus. ­Gepflanzt wurden fortan internationale Sorten wie Cabernet Sauvignon oder Merlot, die auch international Erfolg bescheren sollten. Im Ausland interessierte man sich freilich wenig für Rotweine, die es überall sonst auf der Welt auch gab. Und selbst in Österreich schien man sich nach anfänglicher Euphorie daran satt getrunken zu haben. Also pflanzte man vermehrt Blaufränkisch – die bewährte Stilistik behielt man freilich bei. Eine Stilistik, die Stefan Wellanschitz schon in jungen Jahren irritierte.

Noch auf der Weinbauschule habe er davon geträumt, wie Blaufränkisch wohl schmecken könnte, würde man ihn wie früher ausbauen – raus aus den übertoasteten, neuen Barrique- wieder in größere Holzfässer. Es sei ihm klar geworden, dass er als Winzer ausbrechen muss aus der Enge gängiger Vorstellungen und der Vorhersehbarkeit des Geschmacks. „Ich tanze gerne aus der Reihe“, sagt er ohne Argwohn.

Auf der Suche nach neuen Horizonten stieß er, noch blutjung, auf einen Blaufränkisch des damals neu gegründeten Weinguts Moric: „Ich habe ihn in Wien um vierzig Euro erstanden, für mich damals unvorstellbar teuer für einen reinsortigen Blaufränkisch aus unserer Region“, erinnert er sich. „Da stand am Etikett einfach nur Neckenmarkt drauf“, das habe ihn nachhaltig beeindruckt.

Und es sei dann auch Neckenmarkt drin gewesen, wie sich beim Verkosten herausstellte – so, wie er sich immer einen Blaufränkisch aus seiner Heimat vorgestellt hatte. Ohne Wucht, ohne Pomp, ohne Drechselei. „Das war ein Augenöffner für mich“, glaubt er.

Langsam tastete er sich an die Stilistik heran, die ihm vorschwebte, betrat völliges Neuland, ließ mehr und mehr weg. Das bedeutete schließlich auch, aus den Verankerungen des familieneigenen Weinguts auszuscheren, das seinem Vater und seinem Onkel gehört. 2015 gründete er seine eigene Marke, Kolfok. So nennt man in der Region einen eigenwilligen Menschen, der sich nicht gerne an die Konventionen hält. Sein streng katholischer Großvater habe ihn einst so geschimpft, weil er als Bub den sonntäglichen ­Besuch in der Messe verweigerte.

In Neckenmarkt wird er wohl immer noch als ein Kolfok wahrgenommen. Hinter vorgehaltener Hand werde da und dort gemutmaßt, dass er das Familienweingut mit seinen „seltsamen Weißweinen“ noch in den Ruin treiben werde.

Danach sieht es jedoch nicht aus. Ganz im Gegenteil: Stefan Wellanschitz wird in der Weinwelt wahrgenommen, von denen, die nach aussagekräftigem Stoff suchen. Inzwischen registriert man auch in Neckenmarkt das rege Interesse an den Weißweinen von Kolfok, es spricht sich herum, wenn Fremde von weither beim Dorfwirt übernachten.

Schon der Welschriesling Nolens Volens zeigt, wo es langgeht. Nicht an der Oberfläche, sondern in die Tiefe. Die Rebsorte, die man gern zu unauffälligem Dasein verdammt, zeigt bei Wellanschitz Kontur. Die Trauben kommen von einem desolaten Weingarten aus den 1980er-Jahren, den er aufpäppelte. Der Winzer ist überzeugt, dass der Sorte meist Unrecht geschehe: viel zu früh gelesen, unreif, ohne Ausdruck. Nolens Volens hingegen ist geprägt vom Glimmerschiefer einer Lage auf 400 Meter.

Einige solche Schätze hat er ausgegraben und ­reaktiviert. Weingärten mit feinster Bodenbeschaffenheit, möglichst hoch gelegen. Dort, wo man seit jeher Wein auspflanzte. Schroffe Lagen, die außer ihm niemand mehr will. Die fruchtbaren Böden der Ebene, wo heute die meisten Blaufränkisch-Anlagen stehen, behielt man früher dem Anbau von Getreide oder Mais vor. Damals, als die meisten Bauern noch eine gemischte Landwirtschaft betrieben.

Einige seiner Weinberge liegen ganz oben am Waldrand, an der Grenze zu Ungarn. Mitunter wachsen die Reben inmitten von Schotterfeldern, große Steinbrocken ragen aus dem Boden. Ein Bild von Kargheit, das so rein gar nichts mit den schweren, fruchtbaren Lehmböden zu tun hat, für die das Mittelburgenland bekannt ist.

„Das brauchen die Reben“, sagt Stefan Wellanschitz, „nur wenn sie gefordert werden, liefern sie auch erstklassiges Material.“

Dieses erstklassige Material will er dann auch unverstellt lassen und nicht unnötig dreinpfuschen – zeigen, dass Wein mit einfachen Mitteln gemacht werden kann. Als Fundamentalist sieht er sich nicht. „Ich bin weder ein Technik-Fetischist noch ein völliger Asket“, sagt er.

Dem Gerede von „kompromisslosem Qualitätssinn“ kann er nichts ­abgewinnen. „Natürlich mache ich Kompromisse!“, wenn etwa ein Wein im Fass zu oxidativ gerate, werde er halt mit einer Minimenge geschwefelt.

Auch von Maischegärung nimmt er Abstand. Lieber arbeitet er mit sogenannter Ganztraubenpressung, einer schonenden Art des Pressens, bei der auf das Entrappen der Beeren verzichtet wird. Das erhält die Säure undnverleiht den Weinen Frische. Auch der Grüne Veltliner Vulkan ist so gemacht. Er kommt von seinem ältesten Weingarten, siebzig Jahre haben die Rebstöcke am Buckel. Es ist ein besonderer Wein, straff und klar konturiert. Nicht aus der Frucht-Abteilung, sondern kühler Weihrauch. Ein sa­kraler Wein.

Weißweine mit markantem Profil, wie sie derzeit auch im Ausland gefragt sind. Dort spricht man inzwischen vom Grünen Veltliner „Burgenland Style“, der international zusehends Aufsehen erregt. „Weißwein schmeckt bei uns eben anders, der heimische Grüner-Veltliner-Trinker tut sich da oft schwer“, glaubt er. Das seien halt alteingetrichterte Geschmacksvorstellungen.

Sieben Weingärten gehören inzwischen zu Kolfolk, an verschiedenen Standorten mit den unterschiedlichsten Bodentypen und Klimaverhältnissen. Er stellt sie gerade auf biologische Bewirtschaftung um. Neben Weißburgunder, der vermutlich zum Besten hierzulande zählt, hat er in den letzten Jahren auch Furmint ausgepflanzt. Um die jungen Rebstöcke überhaupt setzten zu können, musste man mit dem Pressluftbohrer das Gestein im Weingarten sprengen. Die Reben mögen das karge Ambiente. Um sie auf Trab zu halten, setzte er gleich zwei Stöcke an einer Stelle. In gegensei­tiger Konkurrenz um Wasser und Nährstoffe stacheln sie sich gegenseitig zu Höchstleistungen an. Die Wurzeln dringen tief, die Trauben fallen besonders aromatisch aus. Der erste Furmint Remember ist am Markt, in bescheidener Menge, einige hundert Flaschen bloß. Es sind feingliedrige Gewächse mit aufgeweckter Säure, feiner Wür­zigkeit und einem Hauch Frucht – zurückhaltend ­eindrucksvoll.

Alle Weine werden spontan vergoren und in Holzfässern verschiedener Größen ausgebaut – immer mit Bedacht eingesetzt. Das Holz gibt ihnen Lebendigkeit, ohne als Stilmittel störend aufzufallen.

Keiner seiner Weine erfährt eine Filtration, und trotzdem sind sie glasklar. Das betont er immer wieder, es scheint ihm wichtig zu sein. Vielleicht, weil ihm immer wieder Gerede zu Ohren komme, dass das ja gar nicht möglich sei. „Ist es aber“, bemerkt er ernst. Statt der Filtration zieht er den Wein ab und wartet dann, bis sich der Rest des Hefetrubs im Fass absetzt.

Stefan Wellanschitz als detailverliebt zu bezeichnen, ist eine grobe Untertreibung, es ist vielmehr eine Detailversessenheit, die ihn ausmacht. Seine Weine sind eine Art Präzisionshandwerk, und doch wirken sie nie gemacht und besitzen immer eine selbstverständliche Leichtigkeit. Das Kunststück, komplexe Überlegungen einfach erscheinen zu lassen. Unprätentiös. Mehr und mehr weglassen, ohne an Präzision einzubüßen. Immer auf der Suche nach so etwas wie Wahrhaftigkeit, nach einem verloren geglaubten Geschmack, der allmählich wieder auftaucht.