Bei Gagnaire

Der große weiße Wolf unter den Küchenkünstlern unserer Zeit ist auf der halben Welt präsent und in Paris, 6, Rue Balzac, der große Herd links hinten, persönlich anzutreffen.

Bei Gagnaire

Text von Werner Meisinger Fotos: Corbis
Drei Menschen ist es bisher gelungen, persönliche Leistungen in der Küche in weltweit wirkende Markenkraft zu überführen und ihre Namen auf drei Kontinenten institutionell zu verankern: Alain Ducasse, Joël Robuchon, Pierre Gagnaire. Ihre Biographien sind beeindruckend bis abenteuerlich, jedenfalls beachtenswert.

Pierre Gagnaire wurde 1950 geboren, trat 1976 im Restaurant seines Vaters in den Küchendienst, eröffnete 1981 in St. Etienne ein eigenes Restaurant, wurde 1993 mit drei Sternen von Michelin ausgezeichnet und ging 1996 bankrott.
Joël Robuchon wurde 1945 geboren, eröffnete 1981 in Paris ein kleines Restaurant, wurde 1984 mit drei Sternen ausgezeichnet, eröffnete 1994 ein größeres Restaurant, wurde mit drei Sternen ausgezeichnet und ging 1996 nicht bankrott. Er versperrte 1996 ein letztes Mal die Türen seines Restaurants und warf die Schlüssel in die Seine. Kein Zeichen von besonderem Enthusiasmus für den Zirkus namens Grand Cuisine.
Die Ähnlichkeiten in den Lebensläufen dieser beiden Großtiere der großen Küche sind damit nicht erschöpft. Es kommt noch ähnlicher.
Joël Robuchon und Pierre Gagnaire entdeckten erneut die Liebe zu den auf gehobenem Niveau hungernden und dürstenden Menschen und kehrten triumphal zurück. Robuchon eröffnete 2003 das "Atelier" im Pariser Stadtteil Saint-Germain-des-Prés und ging mit seiner Idee einer sogenannten einfachen, vorgefertigten Küche für hohe Ansprüche in Serie. Mittlerweile tragen 19 Outlets in zehn Städten auf drei Kontinenten den Namen Joël Robuchon, darunter auch Boutiquen und Tee-Salons.
Pierre Gagnaire eröffnete mit Hilfe Genusskultur-bewusster Freunde bald nach dem Totalverlust in St. Etienne ein Restaurant im Pariser Hotel Balzac, unweit von Etoile und der Champs-Élysées. Ohne große Anstandsverzögerung wurde er wieder mit drei Sternen dekoriert und kocht seither auf der für Cusiniers denkbar größten Bühne mit Bravour. Seinen Namen tragen inzwischen zwölf Restaurants auf drei Kontinenten.
Geradliniger verlief der Aufstieg von Alain Ducasse zum omnipräsenten Küchenstar. Ducasse wurde 1956 geboren, bekleidete seine erste Chefposition 1986 im Hotel de Paris in Monaco, eröffnete 1996 mit Le Parc in Paris sein erstes eigenes Restaurant, wurde schon acht Monate nach der Eröffnung mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet und steht mit seinem Namen mittlerweile für ca. 30, im weitesten Sinn "gastronomische" Betriebe – von Restaurants über Hotels bis zur Bäckerei.
Mit ihren Konvoluten an Restaurants sind Ducasse, Robuchon und Gagnaire die prominentesten und augenfälligsten Vertreter der Gruppe an multiaktiven Großköchen. Während Ducasse und Robuchon wie unfassbare Nebel durch die Szene wabern, ist Pierre Gagnaire durchaus greifbar. Man muss sich nur nach Paris in sein Restaurant in der Rue Balzac begeben und hat dort beste Chancen, den Mann am Herd zu finden. Im November dieses Jahres hatte ich die Gelegenheit zu einem angenehmen Gespräch mit Pierre Gagnaire im Beisein eines Hummers aus massivem Silber.
Pierre Gagnaires Restaurant im Erdgeschoß des luxuriösen und seeehr klassischen Hotels Balzac gibt sich im Außenauftritt maximal bescheiden. Auf einer Glastür steht der Name des Meisters so klein und zart, dass ihn nur solche bemerken werden, die danach suchen. Hinter der schmalen Pforte öffnet sich eine Schatulle aus edlem Holz und feiner Kunst mit Lichtinseln und dem Schattenwurf von Zweigen an den Wänden. Belebt wird dieses gediegen-geheimnisvolle Ambiente von einem Ensemble durchwegs sehr schöner Menschen in Schwarz. Unter diesen bewegt sich Pierre Gagnaire wie ein großer weißer Wolf. In einem halben Jahrhundert der Tätigkeit in seinem anregenden Beruf und in einem Vierteljahrhundert des Aufenthalts in extremer Höhenluft hat er sich ein ausdrucksstarkes Gesicht erworben. Durchaus geprägt von den Falten und Furchen, die bei Gewaltmärschen gegen den Wind entstehen, mit grundsätzlich freundlichem, aber stets scharf gestelltem Blick. Die hohe Taktung des dahinter liegenden Rechenzentrums ist unschwer zu erkennen, es steht auch zu vermuten, dass ein unzufriedener Blick aus diesen graublauen Augen Wasserstoff verflüssigen und unbotmäßiges Personal schockfrosten kann.
Wir plauderten in einem separierten Raum des Restaurants, das durch schmale Fenster Einblicke in die Küche gestattet. In dieser tupfte gerade ein Bediensteter mit einem weichen Lappen die letzten Tropfen Wasser vom spiegelblanken Boden, der sich in einem Himmel voll versilberter Kasserollen spiegelt. Wir begannen das Gespräch ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die Brigade in makellosem Weiß ins Feld trat. Bei Kämpfern der extremen Gewichtsklasse, wie eben Gagnaire, Putin oder Madonna, ist man gut beraten, nicht gleich mit beengenden Fragen die Duldsamkeit des Gegenübers auszuloten, weshalb ich das Gespräch mit mäßigem Investigationsdruck eröffnete:
Wie geht’s?
Danke, gut, bitte einen Moment Geduld.
Gagnaire telefoniert zehn Sekunden auf dem neuesten
i-phone, das in diesem Raum hinter meterdicken Mauern seltsamerweise Empfang hat.
Mein Sohn, Sie entschuldigen. Die Familie ist wichtig, man muss für die Familie da sein, das ist oft das Schwierigste.
Das neue Restaurant in St. Tropez macht sich?
Oh, ja, damit haben wir große Freude. Ein wunderbarer Platz, alles bestens.
Abgesehen von kommerziellen Aspekten: Warum haben Sie zu den vielen Restaurants noch ein weiteres hinzugenommen? Sie sind nicht mehr der Jüngste.
Ja, ja natürlich nicht mehr der Jüngste, es strengt auch an. Das Colette – ich weiß nicht, warum ich es genommen habe. Ich kenne den Besitzer des Hotel Sezz, in dem das Restaurant untergebracht ist. Wir arbeiten schon lange zusammen. Von dieser Seite alles bestens, ein wunderbarer Platz, also mache ich es. Warum nicht?
Im Colette wird ihre Spielart einer mediterranen Küche gegeben. Haben Sie für das Restaurant in St. Tropez ein einfaches Konzept entwickelt, das ohne Ihre Anwesenheit funktionieren kann?
Qualität ist nie einfach, ganz unabhängig davon, ob ich vor Ort bin oder anderswo. Qualität entsteht aus der Arbeit eines guten Teams. Das gilt in St. Tropez ebenso wie in Paris, in Moskau oder Las Vegas. Man muss nur wissen, wie weit man an welchem Ort gehen kann. Hier in meinem Restaurant – das Restaurant im Balzac ist mein Restaurant – können wir sehr tief in die Details gehen. Wir sind in Paris, wir haben hier eine spezielle Herausforderung, hier bin ich die meiste Zeit des Jahres selbst am Herd, hier besteht die größte Kontinuität, weil es dieses Restaurant ja weitaus am längsten gibt. An anderen Orten gelten andere Gesetze. Das Sketch in London war sehr schwierig zu Beginn. Ein sehr komplexes Restaurant (Anm.: vier Bereiche, vom Gourmet-Restaurant bis zur Konditorei). Die Kritik war nicht freundlich. Außerdem: Es ist UK, was soll ich mehr sagen. Aber das Sketch wurde bald anerkannt, wir sind seit Jahren voll gebucht (Anm.: Das Sketch rangiert unter den Top-Adressen Londons, die Kommentare darüber schwanken zwischen "nie mehr wieder" und bedingungsloser Euphorie). Oder Dubai, ganz schwierig. Wir eröffneten mitten in der Krise und hatten 3, 5, 7 Couverts am Abend. Jetzt sind wir ständig ausgebucht, haben 100 Couverts am Tag und man sagt, das Reflets sei das beste Restaurant im Emirat. Der Schlüssel zum Erfolg ist nicht das Konzept, sondern die Arbeit mit dem Team. Und die Leute bleiben bei mir, weil ich mit ihnen arbeite.
Wieviele Leute?
60 in Paris, 125 in London, 35 in Seoul, 35 in Hongkong, 30 in Tokio, 35 in Moskau, 30 in Dubai, 30 in St. Tropez, 40 in Las Vegas – habe ich was vergessen? Alle arbeiten nach meiner Mentalität und meiner Philosophie. Ich halte die Leute zusammen und ich halte den Enthusiasmus hoch. Sehen sie hier, dieses Restaurant: 18 Köche, das ist nicht viel, alles bezahlte Köche, gut bezahlte Köche, das hier ist keine Schule. Aber die Köche sind nicht nur hier, weil es ihr Job ist. Es herrscht Begeisterung, Enthusiasmus. Wenn ich sehe, dass jemand nur wegen des Geldes bei mir arbeitet, muss er sofort gehen.
Wie können Sie bei so vielen Standorten mit allen Köchen arbeiten. Sind Sie ständig auf Reisen?
Ich reise viel, aber nicht außerordentlich viel. Alle Köche werden hier in Paris ausgebildet, und ich besuche jedes Restaurant mindestens drei Mal pro Jahr. Wenn ich dort bin, dann bin ich mit meiner ganzen Kraft an diesem einen Ort. Vor allem: Ich bin in der Küche. Mittags und abends, seit 35 Jahren. Das ist harte Arbeit. Ich sage: Arbeit, nicht Worte machen oder Konferenzen halten. Die Arbeit mit mir ist eine Chance für die Köche. Sie lernen von mir, und ich lerne von den Köchen. Jeder Tag bringt eine neue Geschichte. Nur durch die Arbeit in der Küche erreichen wir diese Qualität.
Frankreich, Las Vegas, Dubai, Moskau, Hongkong, Seoul, Tokio – hat die Arbeit in so vielen unterschiedlichen Kulturkreisen Ihren Stil verändert. Sind damit etwa fernöstliche Akzente in ihre französische Küche eingeflossen?
Nein, ganz entschieden nein. Jedenfalls nicht, was ich nachvollziehen könnte. Ich beziehe auch keine Inspiration durch die Kunst. Ich liebe sie, aber mit meiner Küche hat das nichts zu tun. Ich habe meinen Stil nicht gewählt, er ist mein Leben, er spiegelt wider, wie ich das Leben sehe. (Betrachtet ein paar Sekunden den aus Silber gefertigten Hummer im Zentrum des Tisches.) Einflüsse gibt es natürlich, denn man geht herum und sieht und empfindet. Aber ich füge das, was ich sehe, nicht zu einem Konzept zusammen. Ich besuche auch keine anderen Restaurants, um etwas zu erfahren. Bitte das richtig zu verstehen: Ich bin nicht präpotent und schätze keinesfalls gering, was andere Chefs hervorbringen. Ich habe einfach zu wenig Zeit, um andere Restaurants zu besuchen. Dabei esse ich gerne. Heute. Im Gegensatz zu früher. Da war ich viel zu unruhig, um zu essen.
Ganz konzeptlos erscheint Ihre Küche nicht. Ihren Stil präsentieren Sie unter anderem in einem Buch mit dem Namen "Die Französische Küche neu erfinden" (Anm.: auch in englischer Sprache erhältlich: Pierre Gagnaire, Reinventing French Cuisine, 2007 bei Stewart, Tabori and Chang).
Den Titel hat der Verlag gemacht, der ist nicht von mir. Es ging mir darum, deutlich zu machen, dass Essen nicht einfach nur Essen ist, dass Gerichte nicht nur Gerichte sind. Mir ist vor 35 Jahren klar geworden, dass wir eine Speisenfolge wie ein Konzert betrachten müssen. Wir kochen alle mit den gleichen Zutaten. Diese sind aber für mich nicht Bausteine für Gerichte, sondern das Material, um Geschichten zu erzählen. Die Aufgabe besteht darin, mit den Mitteln der Küche Atmosphäre zu erzeugen, Gefühle zu vermitteln – Liebe, Emotion, Zärtlichkeit … Wenn man so will, ist das das Neue in meiner französischen Küche.
Welche Gerichte erzählen ihre Geschichte am besten? Welche sind die Signature-Dishes von Pierre Gagnaire? Es gibt keine Signature-Dishes. Ich hoffe, dass jedes Gericht meine Geschichte erzählt. Sie entschuldigen mich – ich muss nun in die Küche.
Die bewegte GEschichte des Pierre Gagnaire und seine konzertante Art zu kochen äußern sich vor allem in kontrastreichen Kombinationen, in packenden Geschmacksentfaltungen, in fordernden, fallweise auch verstörenden Aromaverbindungen. Das Internet ist voll von Kommentaren, in denen der Irrwitz von manchen Kreationen Gagnaires wortreich beschrieben und beklagt wird. Für die Erzählung seiner Geschichten bringt Pierre Gargnaire auch zahlreiche Darsteller auf die Bühne, sodass fallweise ein halbes Dutzend Tellerchen und Schüsselchen vor den Gast gestellt wird. Berüchtigt ist beispielsweise Gagnaires großes Dessert, das in mindestens acht Einzelteilen avanciert.
Gagnaires Geschichten werden auch in Prosa dargeboten. Ein Auszug aus dem Herbstmenü 2 vom 31. Oktober 2010: Etuvée d’huitres Gillardeau au gingembre frais, pamplemousse rosé et navet red meat loguement mitonnés au porto blanc; feuille de culattello, Sorbet concombre au wasabi, marinière de coteaux aux algues. Ein Vorspeischen.
Saint-Pierre-Saint-Jaques: Fine tranche de Saint-Pierre au poivre noir de Malabar, celéri doré et raviole d’agria à l’aubergine; soupe onctueuse poireau/grenaille au laurier. Noix de Saint-Jaques voilée de seiche, piquillos grillés. Rosace crue: thâo d’avocat, râpée de châtaigne et sel fin au thé Matcha. Ein Apetizer aus dem Meer.
Auch wenn man sprachlich mit den "thâos" und "nuoc-mâms" und "raviole d’agria" ein bisserl Mühe hat und einem nicht auf Anhieb einfällt, was dieser/diese/dieses culatello sein soll und ob "Lorbeerkörnchen" richtig sein kann und was doch gleich etwas "onctueuses" sein könnte (die wichtigen Vokabel lernt man bekanntlich in der Schule nicht) – auf den Tellern findet man sich tadellos zurecht.
Bei unserem Zweier-Menü jedenfalls erhob kein einziges der berüchtigten Kombinationsmonster aus dem Gagnaire’schen Kreationslabor sein verwirrendes Haupt. Die Schlüssigkeit der Kombinationen war ganz im Gegenteil stupend. Freilich darf man bei Gagnaire nicht zickig am Gaumen sein und muss gefasst sein auf heftige Aromaschwinger.
Schon die zum Entrée gereichte Rochenflügelminiatur mit Gänseleber und Liebstöckel-Gelee wäre in der Musikliteratur mit dem f für forte ausgezeichnet worden. Die durchaus gewagte, aber in der Gegensätzlichkeit der Aromen herzfrische (und leicht gekühlte) Interpretation von Surf&Turf ruhte und war umgeben von einer animierenden Frucht- und Gemüsemischung, in der sich Schnitze von der roten Zwiebel mit gelber Mango, grünem Apfel und knackigen Radieschen zusammenfand. Befeuchtet und gewürzt war der Salat mit einem Champagnerdressing, Melasse und einem gewissen nuoc-mâm, über dessen Identität mich die klugen Leserinnen und belesenen Leser dieses Blattes gewiss noch unterrichten werden.
Es folgte das erste Austerngericht in meiner bescheidenen Existenz als Wanderer hinter den Carpaccio-Horizonten, in dem die Austern nicht die geschmacksprägende Rolle bekleideten. Gedämpfte Gillardeau-Austern in frischem Ingwer mit rosa Grapefruit und roten Rübchen, diese laut Programmheft lang, lang in weißem Port geschmort.
Und ich kann durchaus nachvollziehen, dass so manchem, der von einem solchen Flash an fruchtigen und salzigen, bitteren und jodigen Aromen getroffen wird – noch dazu früh am Abend! – die Contenance abhanden kommt und dass er sich danach in seiner Verschmortheit dem Internet anvertrauen muss. Ich aber halte das aus und gehe völlig konform mit dem Titel des wunderbaren Bestsellers von Stefano Benni, der da lautet: Es gibt keine schlechten Menschen, sagte der Bär, wenn sie gut zubereitet sind. Es gibt keine falschen Aromakombinationen, wenn was gut ist (es gibt auch keine falschen guten Weine). Es war an den Grapefruit-Austern noch ein kleines Gurkensorbet mit Wasabi mit Messerscheide­muschel und Algen dabei, damit die aromatische Ermunterung auch anhält. Es wär‘ nicht nötig gewesen. Das Brausende und Tönende blieb im weiteren Verlauf des kulinarischen Konzerts erhalten. Es folgte das oben in Originalbeschreibung zitierte Duett von Jakobsmuscheln und Petersfisch. Eingebettet waren Fisch und Muschelnüsschen in ein Potpourri an kunsthandwerklichen Küchen­erzeugnissen. Hier ein halber Löffel von der endgültigen Lauchsuppe, dort der Raviolo mit membranenzarter Hülle, ein Stück gegrillter, betörend süßer, mild-rauchiger Paprika, der Tintenfisch unter einer strahlend weißen, weichen Matte ohne besonderen Geschmack.
Dazwischen kamen Blätter verschiedenfarbiger Gelees und danach kamen schon die Seeigel-Eierschwammerln. Wenn Seeigel-Eierschwammerln gut zubereitet sind – die Schwammerln matschig geschmort und das Seeigel-Corail zu einem sämigen Ragout verarbeitet –, dann sind sie eine ernste Konkurrenz zu allen anderen Eierschwammerl-Gerichten dieses Planeten, vor allem, wenn man die Wucht der Seeigel-Entfaltung gut ertragen kann.
Nun – es gab auch ruhiger strömende Sätze in dieser Symphonie. Einen in Mandeln gerösteten Carabiniero mit Kohl, Gewürzbrot und Chilibutter. Die Butter mild und fruchtig, der Carabiniero groß und knackig, die ergänzende Gabe an grauen Minigarnelen süß und flaumig-weich.
Das Tempo und die Eindringlichkeit der Darbietung blieben auch in den nächsten Gängen ungeschmälert. Rindsfiletblättchen (erstaunlich das Filet, denn einem derart gewöhnlichen Stück wird von den Großkünstlern selten Aufmerksamkeit zuteil), in Ochsenschwanzsauce "au tamarin" (definitiv nicht vom Affen), Butternusskürbis und Mark. Der beste Kürbisrisotto zumindest der Saison kam auch noch auf den Tisch. Käse alles andere als vom Brett, nämlich hübsche Gebilde von Mimolette, Camembert und Bleu mit geeistem Topinamburtee und Zitronenteig mit Kapern aus Nizza. Und dann noch die Flotte der Desserts, die tatsächlich auf vielen kleinen Booten an unserem Tisch vor Anker ging. Ein
Kanu voll Petits fours stach noch zwischen die Gläser mit Champagner, den wir zum guten Schluss gern als Erfrischung nehmen.
Was nach diesem Menü zur Geschichte des Pierre Gagnaire gesagt werden kann? Der Mann steuert durch keine friedlichen Gewässer und konfrontiert uns drastisch mit der Wahrheit, dass man sehr vieles auf dieser Welt nicht erklären, nicht begreifen, ja nicht einmal verstehen kann.