Bistro Rachlin

Spielerisch ernst. Hätschelt der Streicher mit dem süßen Wiener Klang seine kleinen Obsessionen. Nasenreiben als Zeichen guter Gefühle unter Freunden. Den sinnlichsten Aromen nachzuspüren, den feinsten Produkten, um den Magen zu beglücken. Zwiebel virtuos zu schneiden, an Milchschaum nächtelang zu tüfteln, um ein Meister zu sein. Draußen und drinnen. Als Geiger, Gastgeber und Koch.

Text von Ro Raftl · Fotos von Regina Hügli

Türkisgrüne Neonstreifen sieht man von der Straße blinken. Pinkfarbene bilden den Sockel einer Glaswand, die das Vorzimmer von der Küche trennt. Dort leuchtet golden eine Onyx-Bar. Bistro Rachlin. Für private Gäste. Der Geigenkünstler, der längst als Weltstar der klassischen Musik gefeiert wird, ist fitschlank gereift. Und er trägt Straßenkleidung. Klassisches Hemd mit Manschettenknöpfen, helle Hose. Keine Schürze. Obwohl er doch zur Kochsession gebeten hat. Julian Rachlin beherrscht die Handgriffe rund um den Herd wie die Noten von Brahms Violinkonzert in D-Dur. So tief drin verankert, dass er gleichzeitig Fragen beantworten kann, locker erzählen, in die Kamera der Fotografin schauen, Wein entkorken, seine Freundin Sarah küssen. Multitasking – vergnüglich, sinnlich, konzentriert. Da wird kein Oliven­öltröpferl den Hemdsärmel tränken, kein Mayonnaiseflankerl an der Fliese picken, kein Milchschäumchen am Chrom der Düse grinden. Spielerischer Ernst gebietet: üben, üben, üben – bis zur traumwandlerischen Sicherheit. Dann. Wird nicht mehr gesudelt, gekleckert, gespritzt, gepatzt, gekratzt.

Julian war 14.
Als er seine „Wunderkind“-Gage mit seinem engsten Freund Aleksej Igudesman mit Entenbrust & Trüffeln verschlemmte. Im „Korso“, dem Restaurant im Wiener Hotel „Bristol“, das Reinhard Gerer zu Weltgeltung unter Gourmets gebracht hatte. Gerer erzählt, wenn man nachbohrt: „ ‚Chef‘, hat der Oberkellner g’sagt, ‚draußen sitzen wieder die zwei Fratzen. Wollen’S net rauskommen und ihnen ein Menü zusammenstellen?‘ Naja, die beiden jungen Herren haben ordentlich bestellt. Vom Feinsten. Eine Freundschaft hat sich entwickelt. Später. Im ‚Magdalenenhof‘ bei mir zu Gast hat Julian erklärt: ‚Ich möchte das lernen!‘ ‚Kein Problem. Komm vorbei.‘ “

Heute hat Sarah ausgesucht, was JR kochen wird.

Sarah McElravy, die bezaubernd natürliche, lang­haarig-großäugig-vollmundig polyglotte kanadische Kollegin an der Violine und der Viola, mit einem Grüberl im Kinn und der Figur eines It-Girls aus der Vogue, die er im März vor (also fast) zwei Jahren in Mexico City als Gründerin  &    Leiterin der städtischen Kammermusik­gesellschaft kennengelernt hat. „Toll“, begeistert sich Rachlin, „wenn man auf demselben Niveau spielt.“ Fügt eine Spur andächtig hinzu: „Sie war Primgeigerin des Linden Quartet!“. Wer das ­Musikgeschehen verfolgt, weiß, dass Lindens mehrere schöne Preise bekommen haben. Wow! Ener­getisch, die junge Beauty. Das Rezept für unser Essen, sagt sie, habe sie von David Chang bekommen, der es in seinen New Yorker Momofuku-Restaurants serviert: weich gekochtes Ei mit Zwiebel Soubise und Kaviar. Julian lacht: „Ich hab es um einen Klacks Mayonnaise und Schnittlauch ergänzt. Österreichischen Schnickschnack.“ Und. „Wenn man flippen will, isst man diese Speise mit schwarzem Kaviar. Hm. Als meine Eltern geheiratet haben, war ­Kaviar überhaupt kein Luxus. Den konnte sich jeder leisten, wie derzeit Räucherlachs.“

Weltsprache Musik.
Wärmend liebende Eltern. Ja. Michael und Sophie Rachlin, der Vater Cellist, die Mutter Pianistin und Dirigierpädagogin, aus Vilnius, Litauen. Vor 42 Jahren am 8.  Dezember wurde Julian dort geboren. 1978 sind sie zu dritt nach Wien emigriert, dorthin, wo das Zentrum aller Musik war, wo die Weltsprache Musik gesprochen wurde, egal wie gut sie sich lokal verständigen konnten: „Mein Vater gar nicht, sprach nur Russisch, meine Mutter ein bissl. Ihre Mutter hat Deutsch gesprochen, sie hat sich leichter getan“, sagt ihr „Solnyschko“: „Sonnenschein“ hat sie ihn als Kind gerufen.

Julian kam mit drei Jahren und neun Monaten nach Wien. Jaja, Wunderkind. Neun war er bei seinem ersten öffentlichen Konzert, dreizehn, als er 1988 den Klassik-Eurovisionswettbewerb für Österreich gewann. Wobei. Er das oberflächlich summarische „Oh & Jöh“ des Worts erst aushält, seit er rausgewachsen ist. Wunder angesichts Mozarts? Blasphemisch! Kind sei okay. Das will er bleiben, so lang es sich innerlich ausgeht. Nasenreiben. Diese närrische kleine Obsession, sein „Zeichen, dass man miteinander im Einklang ist“, seit er als Vierjähriger in der Musikschule seine Nase an Aleksej Igudesmans Nase gerieben hat. Weich sollten sie sein! „Noseland hat Aleksej, heute ein ­begnadeter Geiger und Koch, seine Filmdoku über ­unser Festival Julian Rachlin & Friends in Dubrovnik genannt. Die Leute lachen, wenn es alle machen, und es entstehen gute Gefühle“, sagt JR, während er ohne zu weinen rasend schnell die Zwiebeln in so wunderschön gleichmäßige winzige Quadrateln schneidet, dass es nackter Neid wäre, diese Kunst mit seinem glänzend geschärften Werkzeug erklären zu wollen.

Meister am Messer.
So um 2010 pilgerte er tatsächlich in Reinhard Gerers „Magdalenenhof“-Küche: „Täglich. Pünktlich. Präzise wie ein Uhrwerk. Jeden Handgriff hat er aufgeschrieben und wenn ich mich kurz weg­gedreht hab, sofort gefragt: ‚Was hast jetzt g’macht?‘ Dann hat er alles fotografiert. Im größten Stress. Und abends zu Haus alles nachgekocht.

Das Material vom ‚Meinl am Graben‘ kommen lassen.“ Gerer lacht: „Ein Produktfuzzi. Absolut. Fanatisch. Doch. Was mir am meisten imponiert: Julian ist nicht nur ein Meister an der Violine, auch am Messer. Wie er es handhabt. Er hat die Grundbegriffe kapiert. Darum geht es. Nicht viel reden. Machen! Ihn könnt ich mir als Partner vorstellen, als Souschef. Weil eins ins andere geht, in vollem Einverständnis, wie mit einer zweiten rechten Hand.“

Lernen beim Tun.
Darf drin sein. Sarah checkt an der Onyx-Bar ihre Mails; Julian untermalt mit Las Cuatro Estaciones Porteñas, Astor Piazzollas Vier Jahreszeiten, seiner neuesten, noch unveröffentlichten Aufnahme mit Roger Moore, der zwischen Frühling-, Sommer-, Herbst- und Winter­geige Gedichte liest. Er gießt nonchalant Chablis Premier Cru von Daniel-Etienne Defaix in schlichte, dünnwandige Gläser und betont: „Bei schlichten Gerichten wird bei den Zutaten überhaupt nicht gespart“, während er die Zwiebel in Butter und Salz goldgelb rührt. Sein Best-of des Abends hier: Fleur de Sel de Guérande, Olio Manca del Bosco aus der kalabresischen Azienda Agricola Bova, Toni’s große, grünliche Bio-Eier aus der Linie Babette, Moutarde en Grains de Eduard Fallot. Warm preist er seinen Lieblingsgreißler an, das Beaulieu im Palais Ferstel.

Die Bio-Eier hat JR – mit Salz, damit sie nicht platzen – in 5 Minuten und 10 Sekunden punktgenau kernweich gekocht, wickelt sie zum Wärmen in ein Geschirrtuch, beginnt die Mayonnaise mit dem Mixstab zu rühren: natürlich mit geschmacksneutralem Öl. Und natürlich immer selbst gemacht! Flutsch, wischt er das Gschirrhangerl mit den Eiern zu Boden. Flucht nicht, setzt neue auf und spielt Trick sieben: Sie in Eiswasser abzuschrecken, damit sie leicht und makellos zu schälen sind. Brummt sich selber zu: „Jetzt hab ich’s gelernt. Die Eier müssen das Letzte im Ablauf sein.“

Das Anrichten geht nun blitzschnell: Die geschmorten Zwiebeln, ­Roter Kaviar, das kernweiche Ei, der Klacks Mayonnaise, bissl Schnittlauch, geviertelte Honigtomaten, ein paar Spritzer Himbeeressig von Umathum, Oliven­öl, grober Pfeffer. Mmmm! Umami. Vollmundig. Julian schaut sonnig: „Das Gericht deckt alle Geschmackszonen ab.“

Kurzes Schwelgen im Spaß.
Mit Sarah Geheimtipps zu entdecken, diese Restaurants, die nur einen Stern oder gar keinen haben, doch ein Essen, von dem man nur träumen kann: „Eigentlich. Sollte ich einen Blog dazu schreiben. Klar, sind diese 37-Gang-Menüs in den Spitzenlokalen ein Erlebnis, mit Blumen & Gewächsen & Erdbeeren, die du in den Mund steckst und glaubst, du schmeckst ein Steak. Aber … Im Grunde essen wir am liebsten japanisch. Die spannendste Küche, die vielfältigste! Musiker wissen das, schließlich ist Japan die wichtigste Destination für klassische Musik.“ Deshalb. Ist er selbstverständlich Stammgast im Shiki seines Streicher- und Dirigentenfreundes Joji Hattori in der Krugerstraße. „Zu Fuß drei Minuten von Zuhaus’, feinstens ausgestattet, das zweite Jahr offen, das Team hat sich eingespielt, letztes Jahr zu Weihnachten haben wir musiziert. Denn. Wo steht sonst ein Bösendorfer im Speisesaal? Hihi. Weil Joji so bescheiden ist, hörst du seine CDs nur auf den WCs. Aber er ist überzeugt, dass das Shiki ein großer Erfolg wird.“ Julian und seine Freunde. Ja. Lange geglückte Bindungen. Nicht nur an Igudesman.

Seine Mutter Sophie hat es hingekriegt, dass er als Achtjähriger Unterricht bei dem Violinvirtuosen Boris Kuschnir bekam, „einer lebenden Legende“, als sein erster Schüler, „als Versuchskaninchen“. Julian, früh auch von Lorin Maazel gefördert, zieht den Hut: ­„Boris Kuschnir hat mich geprägt.“ Dessen Sohn Dmitri ist sein „persönlicher Assistent“.

Mit Udo Jürgens hat er gewohnt.
„Sechs Jahre lang, in einem kleinen Appartement am Wiener Parkring. Zwei Junggesellen, die sich perfekt verstanden haben.“ Doch nein. Er hat keinen Abschiedshauch bei Udos letztem Konzert in der Stadthalle gespürt. Zwei Tage, bevor er gestorben ist, mit ihm telefoniert: „Er war ein bisserl müde. Hat immer wieder gesagt: Du hast erst die Hälfte absolviert! Das Alter und das Altern haben ihn wahnsinnig beschäftigt: die letzte große Tournee! Warum sagst du das? Es geht nicht mehr. Kann nicht ewig so rumhupfen. Er war ein Perfektionist. Und war ja perfekt. Trotzdem. Es ging ihm um den letzten Ton. Jeder möchte ja auf der Höhe abtreten. Das ist er. Und wie.

Hier. Hab ich für ihn gekocht. Aber. Kochen und privat essen war nicht in seinem Sinne. Das Salz in seiner Küche am Parkring war aus dem Jahr 1960. Die Küche hat er nie betreten: Wohin gehen wir heute schnabulieren? In welches Lokal wir essen gehen, hat er ausführlich besprochen. Abgewogen. Draußen sein, unter Leuten, das war ihm gemäß. So hat er sich wohlgefühlt.“

Julian & Friends.
Was 2001 als Marke für Dubrovnik galt – Topsolisten in einem Festival zu vereinen, die auch passionierte Kammermusiker sind  –, erlebt kommenden Sommer von 5. bis 16. August eine Neuauflage in Mallorca, im Schloss Bellver als Teil des Festival de Pollença. John Malkovich kommt auch wieder. Aber ja, Julian ist nicht nur mit Sean Connery, Roger Moore und Gérard Depardieu befreundet, der ihn unbedingt als „Teufelsgeiger“ Paganini in dem TV-Vierteiler Napoléon haben wollte. Damals am Set in Versailles hat er Malkovich bewundern gelernt und gleich für Dubrovnik begeistert. Doch in Mallorca passiert noch mehr: Als UNICEF-Botschafter möchte Rachlin auch ein Benefiz-Tennisspiel in Schwung bringen: Sein Freund Thomas Muster ist mit Rafael Nadal befreundet und wird sie vernetzen. Und. Es gibt keine Zufälle: Nadals Großvater war Musiker und Dirigent.

Kurze Unruhe: Third Wave Coffee.
Was harmlos mit der Frage „Kaffee?“ beginnt, entpuppt sich als Julian & Sarahs heftigste Obsession. Die Zubereitung eines Cappuccino auf einem Wundergerät von Rocket Milano als Wissenschaft: „Der Dritte Weg geht wie bei Slow Food“, doziert JR, „du kennst den Ursprung der Bohnen, wann und wie sie geerntet, wo und wie sie geröstet wurden. Bei weniger guter Qualität wird stärker geröstet, ist sie vom Feinsten, röstet man weniger stark. So tritt die Essenz des Geschmacks deutlicher hervor.“ Nicht genug. Die Wasserhärte und Temperatur, die Mahlstärke, die Kaffeepulvermenge spielen tragende Rollen. Unterschiedliche natürlich bei Filtergeräten, Mokkamaschinen am Herd, Aeropress-Kannen und Espressomaschinen. Uff! Und erst die Schäumung der – ganz wichtig: frischen! – Heublumenmilch. „Statt Geige zu üben, üben wir bis vier Uhr früh die Harmonien von Kaffee & Milchschaum. Die Bohnen schmecken am besten in der zweiten bis fünften Woche nach der Röstung“, erklärt Julian, nicht unaufgeregt, ob der Schaum richtig funktioniert, schüttet den ersten Schluck weg, weil der „zu schaumig ist“, verziert die zartbraun fluffige Oberfläche mit einem milchig weißen Blütenblatt. Schafft das wiederholt in gleichbleibender Schönheit. „Der schnelle Kaffee dauert!“, lächelt er lakonisch, nur um ausführlich von „seinem, unserem Barista Georg Branny“ im Caffè Couture auf der Freyung zu schwärmen.

Klar geht er, geht Sarah weltweit auf Tourneen, um Konzerte zu spielen: „Damit der ­Kaviar nicht nur rot bleibt, sondern ab und zu auch schwarz wird.“ Doch innerlich fühlt sich Julian Rachlin sehr wienerisch, was man nicht nur am berühmten (und sich leider langsam verlierenden) ­süßen Wiener Klang seiner Instrumente hört. „Als wir aus Litauen ankamen, hat die Mama sofort begonnen, Ostereier zu bemalen, österreichisch zu kochen, den Weihnachtsbaum zu schmücken – obwohl der Weihnachtsmann in Litauen am 31.  Dezember kommt.“ Klar, dass der große Bub liebend gern auch im Konzertsaal mit ihr auftritt. Zuletzt harmonisch zu dritt – Mama Sophie, Julian, Sarah im Musikverein beim „O Sole“-Benefizkonzert von Wirt & Freund Aki Nuredini mit den „romantisch wunderhübschen kleinen 5 Stücken für 2 Violinen & Klavier von Schostakowitsch“. Klar, dass er das ­litauische Erbe auch in der Küche mag und ehrt. Also.

Litauischer Salat.
„Salzgurken und ihren Saft, Kartoffeln, Karotten, feine junge Erbsen, hart gekochte geschnittene Eier, Salz, Pfeffer, Mayonnaise zartfühlend mischen. Besser ein bisschen oder über Nacht im Kühlschrank stehen zu lassen. Dazu Matjeshering mit Zwiebelringen, Olivenöl drauf. Am Rand geschmückt mit Cherrytomaten und Gurkenscheiben,
Ich trink Wodka dazu. Diamond, allerdings aus Polen.“