Burgbauch, hocherotisch

Er wär' gern schlank. Bauchlos, ohne zu sporteln. Seine Passion für lustvolles Kochen und Essen macht das schwer. Die Entscheidung fällt Nicholas Ofczarek trotzdem leicht: Ein genussloses Leben kommt nicht in Frage! Schon gar nicht in Reichenau.

Burgbauch, hocherotisch

Text von Ro Raftl Fotos: Helene Waldner
In den Tagen rund um’s Mittagessen mit Nicholas Ofczarek, dem gefeierten Wendelin in Nestroys Posse Höllenangst, genießt man den astreinen Neid aller theatergebildeten Freundinnen.
"Sooo süß! Wie er seine Lippen immer nach außen stülpt", jauchzt die Schwärmerin. "Ein wirklich guter Typ. Schade, dass der eine Frau hat!", trauert die Flirt-Gepolte. "Wenn er in Shakespeares Maß für Maß mit lüsterner Begehrlichkeit gegen die kalte Keuschheit der Beatrice antritt, flirrt Sinnlichkeit über die Bühne", urteilt die Kritische verzückt.
Wobei man wieder sieht, dass Männer, vor allem wenn sie grandiose Schauspieler sind, auch mit Bauch als hocherotisch wahrgenommen werden. Der Burg-Star, Kainz-Medaillen- und zweifache Nestroy-Preisträger hört das nicht ungern. Er revanchiert sich mit der Darstellung eines Minidramas. Mimt Schauder über sich selbst: "Mein bleicher Wanst auf der Bühne! Ich erschrecke immer." Skizziert seine diätische Disziplin: "Ich beginne täglich innerlich eine Abmagerungskur, breche sie nach zehn Minuten ab und verschiebe sie auf den nächsten Tag." Bringt die Taktik seiner Ehefrau, Josefstadtkollegin Tamara Metelka, ins Spiel: "Sie lügt und sagt ,Du bist eh schlank‘." Bekennt geknickt: "Mir is mei Bauch leider net wurscht – unter uns." Hält jedoch abschließend dagegen: "Soll ich mir den allgemeinen Wahnsinn geben? Ein genussloses Leben? Kommt nicht in Frage." Zusatz: "Und den ganzen Tag Sport betreiben, das geht auch nicht." In diesem Augenblick halten wir nach einer Rehpastete und einer Liebstöckelsuppe bei den gebratenen Schnitten vom Rehschlögel mit Hagebuttensauce. Unter "Mhm-Guuut"-Geseufze werden Kostgabeln hin- und hergeschoben. Das 35-jährige Mannsbild räsoniert, dass ihm Menschen suspekt sind, die nicht erlauben, von ihrem Teller zu kosten: "A eigener Menschenschlag! Was ist das? Futterneid? In Österreich kann ma do net verhungern." Was zur Folge hat, dass ihm seine halbe Mohnpalatschinke mit Sauerrahm und Zwetschkenröster weggekostet wird – aus purer Gefallsucht, sowohl dem Mann als auch der Mohnpalatschinke gegenüber.
Ofczarek ist gut aufgelegt: Wir befinden uns im Looshaus am Kreuzberg, hoch über Payerbach-Reichenau. Die Luft ist frisch und klar, der Blick ins frühsommergrüne Tal und auf die fernere Rax erheitert das Gemüt. Wie das leichthändig zubereitete Essen von Wirtin Hanna Steiner, die ohne hysterische Haubenambitionen fröhlich vor sich hin kocht. Wie das Wohlgefühl in dem Landhaus (genau: dem Holzblockhaus über einem Bruchsteinsockel), das Adolf Loos in den Jahren 1928/29 für den Industriellen Adolf Khuner nach dem Rezept errichtet hat: "Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne." 12 Zimmer werden vermietet. Nummer 10 besitzt noch ein Original-Bad von Loos, aber Nummer 11, der Eckraum mit dem türkisfarbigen Rahmen um das Nischenbett, erscheint als lauschigster Platz für schwache Stunden.
Nicholas Ofczarek sagt, er habe schon in jedem Zimmer geschlafen, denn das Looshaus ist seine Stammschlaf-, Ess- und Trinkstätte, wenn er in Reichenau Theater spielt. Diesen Sommer agiert er mit Regina Fritsch und Michael Dangl in Arthur Schnitzlers Komödie der Worte, drei (diesfalls zusammengefassten) Einaktern, von denen "Große Szene" gegen "Literatur" ausgetauscht wurde: "Nicht unbedingt drei Komödien", meint der Schauspieler: "Es geht primär darum, was man mit Worten, mit der Macht der Sprache anrichten kann." Der Versuch, ihn mit der erotischen Gefährlichkeit des Reichenauer Sommerflairs zu pflanzen, das etliche Schauspieler-Ehen, -Liebschaften und -Kinder zufolge hatte, misslingt: "Meine Ehe auch!", sagt er süffisant.
Vor elf Jahren spielte Ofczarek in dem Schnitzlerstück Der einsame Weg", Tamara Metelka parallel dazu in Bahrs Komödie "Das Konzert". Was sich da anbahnte, wurde bei zwei weiteren Wiener Theaterproduktionen perfektioniert: "Wir haben uns vollkommen ineinander verliebt."
Das Looshaus ist also ein romantischer Ort für immerdar: Die Seniorchefin war die erste, der das nicht nur vom Genuss einer Knoblauchrahmsuppe im Brotlaib erhitzte Liebespaar anvertraute, dass es sich verloben wolle. Den Entschluss hätten sie kurz darauf in Irland hinter der Säule eines Schuhgeschäfts mit Plastikringen in die Tat umgesetzt, erzählt Ofczarek. Das kulinarische Erlebnis des irischen Verlobungsurlaubs 1996 seien Austern gewesen, frisch aus dem Meer geholt, mit Weißbrot, gesalzener Butter und beseelt von einem leichten, moussierenden Weißwein. In einem fabelhaften Hotel mit unglaublich gutem Essen, dem Rock Glen Country House in Galway an der Westküste: "Es hat auch einen Preis gewonnen, worauf das Essen im nächsten Jahr nicht mehr so gut war." Er folgert nicht unlogisch: "Wahrscheinlich wegen des Preisgewinns."
Sein Interesse am Kulinarisch-Gastronomischen wurde schon in der Schule geweckt. In einer ländlichen Schweizer Mittelschule, die der Sohn eines Sängerpaars aufgrund einer elterlichen Karrierestation besuchte: "Einmal in der Woche wurde in einer Großküche im Keller sechs Stunden Kochen gelehrt. Im Fach Milchkunde war ich ziemlich gut. Der Anschauungsunterricht im Teilbereich Käsekunde führte uns in diverse Käsereien des Kantons Appenzell. Obwohl ich Appenzeller und vor allem Gruyère – später mein Lieblingskäse – damals verabscheut habe. Meine große Gruyèrephase kam erst gegen 20, vertiefte sich ab meinem dreißigsten Jahr durch die Rotweinphase, die in furiosen Käse-Rotwein-Orgien ausartete. Sie wurde erst Mitte 30 durch die Weinbrand-Whisky-Phase abgelöst. Mal
sehen, was jetzt kommt."
Nein, dem Alkoholismus sei er nicht zugeneigt. Schauspielerkollege und Rotweinspezialist Sascha Oskar Weis (Babytalk) habe ihn nur ein wenig in die Rotwein- und Weinbrandkunde eingeführt. Auch mit diesem Essener Weinhändler bekannt gemacht, der den Weltmeisterbirnenbrand verkauft und ihm unfassbare Kosterlebnisse bescherte: "Du glaubst, du beißt in fruchtige Birnen hinein." Seine Kochkenntnisse wiederum konnte Ofczarek bei seiner aus Kanada stammenden Mutter vertiefen. Sie hatte auch in Frankreich und der französischen Schweiz gelebt und mit diesen Inspirationen viele Gerichte selbst kreiert. Ach, diese Süßspeisen aus dem anglo-amerikanischen Raum! "Klingt seltsam, dort sind sie ja nicht wirklich berühmt für gutes Essen, aber das Lemon-Soufflé im Wasserbad ist einfach ein Traum."
Dem Vater blieb es überlassen, das Sonntagshendl in die Röhre zu schieben: "Meine Mutter hat nie richtig österreichisch gekocht." Weshalb sich der Sohn von einer italienisch-spanischen Periode zu einer thailändisch-asiatischen vorgearbeitet hat, momentan mit bunten Stilkombinationen experimentiert, aber auch den guten alten Sonntagsbraten nicht verachtet. Den wird er demnächst im Waldviertel zubereiten. In der Nähe von Litschau – wo’s übrigens im Gasthof "Zur Post" am Stadtplatz die besten Waldviertler Knödel gibt, die ihm je untergekommen sind – baut Ofczarek eine ehemalige Bierbrauerei zu einer "Sommer-Altersresidenz" um. "Wir sind kurz vor der Fertigstellung. Die Fliesen werden gerade verlegt." Den erträumten Monsterherd von einem Meter Breite hat er sich aber letztlich abgeschminkt: "Welches Viech ist schon so groß? So viele Leut‘
kann ich gar nicht einladen!" Der Zwilling mit Geburtstag am 30. Mai hat sich bezüglich des Platzverbrauchs und der Kosten des Herdes in die Waage gebracht: "Man muss auch Abstriche machen." Momentan tüftelt er noch wissenschaftlich an der Gesamt-Kücheneinrichtung: "Ich will’s ja schlicht. Nur drei Elemente, einen Hochschrank, eine Kücheninsel und einen Platz am Fenster, um abzuwaschen. Ein Landhaus darf nicht zu stylish, sondern soll einfach und klar sein."
Niki O. hat Glück. "Meine Frau isst genauso gern wie ich. Nur kann sie sich’s leisten, da sie außerdem wie narrisch Sport betreibt." Ihm wär’s aber auch wurscht, wenn sie nicht dünn wäre. Sagt er. Wetten, Tamara wird ihn noch zum Sporteln bringen? Das Rauchen hat er vergangenen Februar schon aufgegeben, weil die eineinhalb Jahre zuvor Entwöhnte, auch in Hinblick auf das Lungenwohl von Tochter Maeve, "täglich, unaufhörlich auf mich eingewirkt hat". Wobei der endgültige Entschluss aus philosophischen Gründen erfolgt sei: "Ich stand am Küchenfenster, mit schwerem Raucherhusten die Morgenzigarette vor dem Frühstück inhalierend, und dachte darüber nach, dass ich gern unabhängig von allem wäre." Er nahm einen tiefen Zug, als es ihn durchzuckte: "Am stärksten bin ich davon abhängig. Aus. Schluss." Die Entzugserscheinungen seien nicht so arg gewesen, sagt er. Seine Frau fand: "Du bist furchtbar drauf." Fand er nicht. Auch nicht, dass er die Speisen besser schmecke: "Ich hab‘ immer gut geschmeckt."