Chili von Poesia

"Misstrauen Sie dem Stoff eines Romanautors, der nicht kochen kann", postuliert Denker, Essayist und Schriftsteller Robert Menasse.

Chili von Poesia

Nachzuprüfen ist diese Maxime in seinem Roman "Don Juan de la Mancha". Wie sein spezielles Verhältnis zum Chili. Setzt er das Salz mit Erziehung gleich, den Pfeffer mit Erregung und den Paprika mit Scham, so ist der Chili für Menasse die Gier und das Fiebern – "im Grunde der Dauerzustand des Dichters."
Text von Ro Raftl Fotos: Peter M. Mayr
Das Café Sperl ist eine Lebensmittelhaltestelle. Die klassisch-historische für den Intellektuellen, Denker und Essayisten Robert Menasse. Zum Zeitunglesen, Kleine-Schwarze-ohne-Zucker-Schlürfen, Hofhalten. Nach vorangegangenem Mailverkehr lud er kürzlich eine wissbegierige Schweizer Schulklasse auf Wien-Woche zu Kuchen und Gespräch ins Sperl ein. Der Cafetier hat Autor Menasses Bücher griffbereit für Autogrammjäger liegen.
Um die Mittagszeit jedoch ist Bewegung angesagt. Zur zweiten Lebensmittelstation, dem Naschmarkt. Dort dichtet Menasse hinter Glas. Anschaubar wie ein Fisch im Aquarium. Beim
Wickerl, schräg vis-à-vis vom Café Drechsler. Wickerls Küche und der Gastraum liegen in zwei verschiedenen Zeilen, das Essen wird über die Gasse getragen. Menasse findet das gut, weil seine Kleider auch nach stundenlangem Sitzen und Schreiben nicht stinken. Exkurs: "Das Verhältnis Küchengröße und Tischanzahl muss stimmen. Leider ist das bei vielen Naschmarktlokalen nicht der Fall", moniert der (kulinarisch versierte) Autor, der auch als Juror im "Deutschen Institut für Koch-und Lebenskunst" agiert. Wenn er nicht selbst am Herd steht, in kreativer Beschaulichkeit: "Ich produzier ein Werk für andere Menschen, denn man isst ja nicht allein." Kochen und schreiben, schreiben und kochen: "Ich möcht in keinem anderen Zustand leben." Erstaunlich, dass er dabei nicht verfettet. Der fast zwei Meter große Mann trägt keinen Bauch. Vermutlich zehrt sich der durch die Adrenalinstöße beim Schreiben wieder auf. Im neuen Stück, das Menasse begonnen hat, in Faust Dry, ist Faust nicht der gierige, manisch Erlösungsgeheimnisse suchende Unternehmer des zweiten Teils. Er steht am Pult des Gelehrten. Und in der Küche. Kocht ein gigantisches Mahl für alle Figuren, die in den früheren Stücken bestimmend waren.
Menasse ist aber auch mobil. Er könnte als Restaurant-Tester herhalten: Auf seinen Lesereisen ist er oft monatelang unterwegs, hat blaue Wunder hoch und tief erlebt. Chilischoten-Affären finden zwischendurch statt, erfahren wir aus seinem letzten, zum Bestseller hochgeschnellten Roman "Don Juan de la" Mancha. Diese Christa, die da Chilischoten zwischen ihren Händen zerreibt, um damit das Gemächt des (verheirateten) Romanhelden Nathan zu feurigem Analverkehr in Stellung zu bringen, ist (ebenfalls verheiratet und) Dozentin für alte Sprachen. Zum Beziehungsfinale kommt sie Nathan noch einmal griechisch, inszeniert den Geschlechtertausch mit Kosmetik, Kostümen und Gemüse in Form einer festen Meerrettichwurzel.
Ob es der Erfinder dieser würzigen Lustvarianten auch so treibt, traut man sich aus dreierlei Gründen nicht zu fragen: Erstens erklärt Autor Robert Menasse, dass er sein Leben mit Ehefrau Elisabeth, Direktorin des Zoom-Kindermuseums, beschließen wolle. Zweitens, dass Liebe für ihn "wirklich etwas Intimes" ist und er in diesem Punkt "extrem konservativ" sei. Drittens, dass er sich über die häufige Frage, ob der Roman autobiografische Züge habe, unglaublich ärgere: "Beim Schreiben verarbeitet man Erfahrungen und Beobachtungen. Verwandelt sie in eine andere Substanz. Wie beim Kochen. Man sucht sorgfältig die Ingredienzen aus, wiegt, putzt, schält, schneidet und setzt sie ins richtige Verhältnis zueinander. Die Komposition will bedacht sein. Jeder Gang ist ein Kapitel. Jede Mahlzeit ein Werk. Ich bin ein schlechter Dichter, wenn ich meine Erfahrungen ein zu eins niederschreibe."
Metaphern hat er hingegen griffbereit. "Das Salz ist zum Beispiel die Erziehung. Der Pfeffer die Erregung. Der Paprika ist die Scham. Ganz wichtig ist mir der Chili. Der Chili ist die Gier! Der Chili ist das Fiebern. Das ist eigentlich der Dauerzustand des Dichters!", sagte er in der Ö1-Radiosendung "Leporello".
In der Laudatio auf das Kochbuch des französischen Romanciers Alexandre Dumas – "wahnsinnig stolz darauf, dass ich durchgesetzt habe, dass es das ,Kochbuch des Jahres 2006‘ in Deutschland wurde" – erklärte Menasse wiederum: "Ein großer Romancier ist in der Regel ein leidenschaftlicher Koch. Das Kochen ist die einzige Tätigkeit, die einen Erzähler, wenn das Schreiben stockt, ablenkt und ihn zugleich auf das Weiterschreiben vorbereitet. ,Meine Bibliothek ist die Küche, mein Schreibtisch die Toilette: Ich fresse Informationen und scheiße ein Buch‘, hat Zola gesagt – so oder so geht es also um Stoffwechsel. Misstrauen Sie daher dem Stoff eines Romanautors, der nicht kochen kann und keine Ahnung von Stoffwechsel hat."
In seinem Büro bewahrt der Autor, dessen Vorname Robert im Laufe der Jahre von Robbi zu Ro mutierte, den Holzkochlöffel seiner Großmutter auf. Als anregendes Signal, beim Schreiben ordentlich umzurühren. Nein, Kochen hat sie ihm nicht beigebracht, eher aufgepasst, dass er nix zerstört. Aber die Sinnlichkeit, mit der sie ans Werk ging, habe er für immer gespeichert. Als Student – Politikwissenschaften, Literatur, Philosophie – fing er an, sich selbsttätig zu ernähren. Doch erst in den 1970er Jahren, als er in Sizilien studierte, kochte er, so er nicht Uni-Streiks ausrief, in einer kommunistischen Wohngemeinschaft. Lernte, wie man eine wirkliche Pasta zubereitet. Nur einmal erzeugte er Pasta, wie er es aus Wien kannte: Nudeln, bissel Fertig-Sugo, bissel Petersilie, klein geschnittene: "Die haben sich dort totgelacht. Denn natürlich gehört ein ganzer Bund Petersilie hinein – man kann sie ja nachher am Schwanz hinausziehen!" Auch das Weintrinken hat er in Italien gelernt, mitsamt der festen Meinungsbildung: "Man kann Wein entweder trinken oder schwenken. Wenn i an Weinschwenker seh, weiß i schon, das is ka Trinker. Das Schwenken erinnert mich an eine therapeutische Ersatzhandlung: Entweder hab ich Sex oder ich suche meine Mitte und atme tief! Wein schmeckt mir. Ich benütze Wein als Anfeuerung zur Kommunikation, aber nie als Kommunikationsthema."
Ach, dieser Gegensatz zwischen dem großzügig Italienischen und dem österreichisch-zwänglerisch Kleinkarierten! Exkurs: Menasse hat was gegen das "Verzwickte". Weswegen er auch nie Lust verspürte, asiatisch zu kochen, obwohl er es gerne isst, nicht nur Sushi. Das einzige Rezept, das er aus Asien mitbrachte, war ein indisches Chicken Curry. Aber zurück zu Italien. Wie ihn ein Genosse beschämte, als Ro auf die Frage, ob er Bel Paese kenne, nur den Käse kannte: "Nein, es ist auch ein Dorf und da komm ich her!", sagte der, und schon waren sie im 2 CV dorthin unterwegs. Und da sah er ihn, "den alten Mann, ungefähr 50" (so alt wie Menasse heute), "der im Ruderleiberl an einer langen Tafel im Freien saß, und das ganze Dorf war zu Gast." Klar, dass er Kochen und Essen seither "klassisch" mag, "im Ruderleiberl, als Balkon-Macho". Selbst, wenn er’s damals trübsinnig für einen angehenden Dichter fand, sämtliche Klischeebilder real existierend vorzufinden: "Fett triefende Schnitzel, das schrille Auflachen der Frauen, die Kniffe der Männer in Kellnerinnen-Popos, herumkrabbelnde Kinder zwischen Elternbeinen, immer beachtet, mit den gleichen Menschenrechten wie die Eltern." Er seufzt sentimental: "Ich mochte keine Sardinen. Dort haben sie mir so gut geschmeckt, dass ich dachte, ich könnte mein ganzes Leben nur Sardinen essen."
1981, in Sao Paulo/Brasilien, entdeckte der Gastdozent für Literaturästhetik nicht nur, wie ein österreichischer Generalkonsul bei der Präfektur um die Erlaubnis ansuchte, ein Denkmal von Engelbert Dollfuß zu errichten, ohne dass ihm ein Außenminister in den Arm fiel (der Konsul starb allerdings, bevor die Bewilligung einlangte). Menasse entdeckte auch den Fisch als Genussmittel: "Bisher war mir Fisch nur als Weihnachtskarpfen aus dem Waldviertel bekannt." Er schwärmt poetisch wie ein Tourismusmanager: "Ein wirklich gutes Essen ist eine Erfahrung von der Welt. Multikulturalität, die am Esstisch möglich wird – außer vielleicht in freiheitlichen Lokalen. Ich hab da einen Tick: Wenn ich ein Land bereise und es mir gefällt, nehme ich auch Rezepte mit, den Geschmack des Landes." Und Kochutensilien.
Die Tontöpfe aus Bulgarien. Für das Djuvec, diesen geschmorten Lammeintopf. "Das hab ich für den bulgarischen Kollegen Dimitri Dinev (,Engelszungen‘) gekocht, vorher eine Schopska, diesen Salat aus Paradeisern, Salatgurken, Pfeffer- und Chilischoten, Petersilie und hartem Feta. Dinev brachte den Rakia mit.
Die Cataplana aus Portugal. Cataplana heißt das Gericht, ein Fischeintopf, aber auch das Kochgerät – die mittelalterliche, bis heute funktionierende Version eines Drucktopfs, bloß dass er nicht so fest verschlossen ist und immer ein wenig Luft entweichen kann. Eiförmig, damit nichts anbrennt. Wenn die Cataplana heiß wird, fängt sie zu tanzen an und rührt sich quasi selbst um. "Ich liebe es, den Geschmack einer Zeit zu reproduzieren", sagt der kochende Romancier, "und ich habe ein glückliche Zeit in Portugal verbracht: mit meiner Frau, kurz bevor wir geheiratet haben, die erste gemeinsame Reise, bis ins Alentejo, ganz hinunter. Die Romantik der Liebe hat sich mit dem Geruch, dem Geschmack der Cataplana verknüpft, einem Gericht, das wir nicht kannten. Ich hab ein halbes Jahr in Lissabon gelebt, um für den Roman "Die Vertreibung aus der Hölle" zu recherchieren, und hab gemerkt, ich bin ein ewiger Student. Recherchieren, exzerpieren, in Mappen ordnen und essen gehen."
Das war vor 17 Jahren, so lang ist Menasse jetzt verheiratet, die Tochter Sophie ist auch 17 und war in Portugal eigentlich schon dabei. Sophie hat ihm das größte Kompliment als Koch gemacht, als sie einmal als Kind in der Früh beiläufig fragte: "Was is’n heute Abend? Macht die Mami das Essen oder wird der Papi kochen?"