Daheim zwischen den Welten

Johannes Zillinger ist viel unterwegs. In Destinationen mit Affinität zu Naturweinen wie Skandinavien, Japan, Korea, Nordamerika und Südostasien ist der Winzer mit 85 Prozent Exportanteil eine große Nummer.

Foto von Nadine Poncioni
Text von Christina Fieber

Lässt man die staubige Hitze der Hauptstadt in Richtung Nordosten hinter sich, empfängt einen unmittelbar diese Weinviertler Sommeridylle: Sattgelbe Sonnenblumen-Teppiche reihen sich an überreife Getreidefelder. Alles blüht, wächst und leuchtet in diesen Julitagen, unablässig begleitet vom rhythmischen Zirpen der Zikaden. Auch in den Weingärten von Johannes Zillinger gewinnen die noch erbsengrünen Trauben allmählich an Gestalt.

Schon von Weitem vernimmt man ein genüssliches Schmatzen und Grunzen, eine ungewöhnliche Geräuschkulisse für ein Weingut. Es ist die neueste Errungenschaft im Hause Zillinger: Kunekune, neuseeländische Weideschweine. Eine kleine, robuste Rasse mit kurzem Rüssel und einem dunkelbraun bis schwarz fleckigen Borstenfell. Sie wühlen im Boden, machen ihn aber nicht zu einem Schlachtfeld. Johannes Zillinger hat einige der Tiere sogar aus Nordfriesland geholt. Er will sie hier im Weinviertel züchten, zum Schlachten sind sie zu teuer. Sie sollen die Mannschaft der Wein­gartenarbeiter verstärken. Neben den Bretonischen Zwergschafen, die schon seit zwei Jahren für das Beweidungs- und Düngemanagement zuständig sind, und den Hühnern, die praktischerweise auch gleich die Mäuse im Weingarten verzehren, sollen auch die Kunekune-Schweine den Bewuchs zwischen den Rebzeilen im Zaum halten. Das Projekt ist wohl durchdacht, der Vater von Johannes kennt sich mit Schweinen aus. Er wuchs noch in ­einer gemischten Landwirtschaft auf. Die meisten Weinbauern hatten damals neben Getreide, Gemüse und Obst noch Schweine und Hühner, einige sogar Rinder. Erst mit der Industrialisierung der Landwirtschaft gaben die Weinbauern nach und nach die Viehhaltung auf und konzentrierten sich ganz auf die Reben. Sein Sohn Johannes kehrt nun wieder zu der ursprünglichen Form zurück. Freilich in extensiver Form, die Tiere leben im Freien und sorgen selbst für ihre Kost. Für eine Intensivhaltung fehlt die Zeit. Die Weine spielen immer noch die Hauptrolle – als Teil eines ganzheitlichen Systems.

Der Vater brauche in der Pension ohnehin ein Hobby, scherzt Johannes, und für die Schafe und Hühner sorgt seine zehnjährige Tochter Miriam, die schon jetzt ein gutes Händchen für Tiere besitzt. Sie führt schon mal mit dem Leithammel voran die ganze Herde zum nächsten Weinberg, wenn der vorige abgearbeitet ist.

Der Winzer ist viel unterwegs, meist irgendwo zwischen den Welten von Stockholm, Bangkok und New York, dort, wo fast alle seine Weine landen, dort, wo sie immer ungeduldig erwartet werden. 85 Prozent beträgt der Exportanteil. Für den heimischen Markt bleibt da wenig. Das war nicht immer so. Als er 2012 den Betrieb vom Vater übernahm, habe er, wie er sagt, gleich alles umgedreht. Auch wenn die Weingärten keine Wünsche übrig ließen: Johann Zillinger senior war einer der ersten heimischen Bio-Weinbauern. Vor knapp vierzig Jahren stellte er um. Niemand verstand damals, was das für einen Sinn haben sollte. Bio, das war zu jener Zeit nur was für ein paar verlorene Althippies und hoffnungs­lose Öko-Fritzen. Heute hat sich das Blatt gewendet und das Weingut ­besitzt einen Schatz: quicklebendige Böden und robuste Rebstöcke.

Johannes wollte dennoch neue Wege gehen, wollte eine andere Art von Weinen machen, Weine, die genauso lebendig sind wie die Böden – aufregende Weine. „Klassischer Weinbau wäre mir einfach zu langweilig gewesen“, erinnert er sich. Da habe es einfach keine substanzielle Entwicklung gegeben. „Man konnte nur ins Lagerhaus fahren und fragen, welche Aroma-Hefe oder Enzyme sie denn grad neu auf Lager haben“, sagt er trocken. Um ein Haar wäre er daher auch nicht Winzer, sondern Tauchlehrer geworden. Bei einer seiner vielen Thailand-Reisen begann er die Ausbildung zum Dive Instructor. Kurz vor der letzten Prüfung habe dann ein Tauchunfall seine Pläne durchkreuzt. Jetzt ist er Winzer und glücklich damit. Weil er Weine macht, wie er sie sich vorstellt.

Gleich nach seiner Übernahme erweiterte er auf biodynamische Bewirtschaftung, die Bio-Zerti­fizierung allein war ihm zu wenig. „Ich wollte es strenger“, sagt er, „zwei Schritte zurück, um möglicherweise in puncto Qualität vier Schritte voranzukommen.“

Auch im Keller vollzog er eine Kehrtwendung. keine Eingriffe, keine unnötigen Zugaben, mehr Freiraum. Die Weine wurden purer, feingliedriger, vielschichtiger. Eine Abzweigung, bei der ihm gleich einmal die Hälfte der Stammkunden abhanden kam. Da habe es dann schon Diskus­sionen mit dem Vater gegeben. In Österreich blieb die Nachfrage vorerst verhalten, die meisten Händler trauten sich einfach nicht drüber – zu anders, zu eigen schmeckten seine Weine. Mit Grauen erinnert er sich an Verkostungen am Arlberg, wo er sich die Füße in den Bauch stand, „für nichts!“.

„Nie wieder fahre ich auf diesen Berg“, versichert er. Muss er auch nicht. 2014 reiste er erstmals mit seinen Weinen nach Schweden und Nordamerika. Was sich in Österreich nur schleppend verkaufte, riss man ihm dort aus den Händen. Auch seine Kontakte in Thailand halfen. Beim umjubelten Gaggan Anand in Bangkok, vier Mal Nummer eins in der Asia’s 50 Best Restaurants-Liste, gehört er so gut wie zur Familie. Während des Lockdowns arbeitet der Head Sommelier Vladimir Kojic einige Monate am Weingut im Weinviertel. In Ländern mit Affinität zu Naturweinen ist Johannes Zillinger eine großen Nummer. Skandinavien, Japan, Korea, Nordamerika und eben Südostasien. Man schätzt seine ganz eigene Stilistik, die sich bei all seinen Weinen durchzieht – eine markante Handschrift. Es ist jener unaufgeregte Ton, der so einfach, fast mühelos erscheint und sich doch als komplex erweist, je länger man den Wein im Glas hat. Keine schrillen Aromen, vielmehr ­feine Nuancen, ein Geschmack, der sich aus der Tiefe entwickelt. Bei aller Lebendigkeit spürt man immer auch die Ruhe darin.

Zillinger gilt als einer der großen Meister des Sauvignon blancs. Ausgerechnet im Weinviertel, dem selbsternannten Schlaraffenland für Grünen Veltliner, macht er Sauvignons, die der Sorte eine neue Identität geben. Wie auch eine Handvoll steirischer Betriebe wollte auch Zillinger die Rebsorte von ihrer üblicherweise lauten, überbordenden Aromatik befreien. Schon Parcellaire blanc & Sauvignon, eine Cuvée aus Pinot und Sauvignon blanc, zeigt ein schönes Spiel zwischen jugendlicher Frucht und kühler, burgundischer Struktur, zwischen unbeschwert und ernsthaft. Die Parcellaire-Serie ist die Idee der Weiterentwicklung der Einzellagenweine. Sie kommt aus den jeweils kühlsten Parzellen von reinen Kalksandsteinböden. Eine ungewöhnliche Entscheidung in einer Weinwelt, die Einzellagen abgöttisch beschwört.

Eine Entscheidung, die sich wohl auch aus den hiesigen Praktiken der Prüfnummern-Kommission ergab, die Weine abseits des Mainstreams nach wie vor beharrlich ablehnt. Eine Entscheidung, die aber keine Resignation bedeutet, sondern das Gegenteil: Es wurde damit an einer weiteren Qualitätsschraube gedreht. So richtig zur Sache geht es dann beim Sauvignon blanc aus der Numen-Serie, den er lieber Fumé Blanc nennt, um erst gar keine falschen Erwartungen zu wecken: „Mit dem gängigen Geschmacksbild der Rebsorte hat mein Fumé Blanc wenig gemein“, ist er überzeugt. „Er wächst ja auf der ganzen Welt und schmeckt fast überall gleich.“ Bei ihm schmeckt er leise, dunkel und tief; berührend.

Er hat alles, was ein großer Wein braucht, ohne damit zu protzen. Für den be­sonderen, ganz eigenen Ausdruck der Weine scheut er keinen Aufwand. Das beginnt mit dem Schneiden der Triebe statt der Trauben. Ein Risiko: Kommt nach dem Triebschnitt noch Spätfrost, ist der Ertrag des Rebstocks womöglich verloren. „In neun von zehn Jahren geht das aber gut“, beschwichtigt er. Trauben im Sommer wegzuschneiden, wenn schon die ganze Energie der Pflanze drinnensteckt, erscheint ihm widersinnig. Der Triebschnitt ist ein Werkzeug, um eine möglichst frühe physiologische Reife zu erreichen, ein weiteres die biodynamische Bewirtschaftung. Es mache keinen Sinn, die Trauben bis weit in den Herbst hängen zu lassen, wie man es früher propagierte: „Wir haben heute im September fast immer noch einige Tropennächte, da gehen nur Frische und Finesse verloren.“

Andere Projekte laufen schon seit vielen Jahren. Ein Hektar seiner Weingärten hat noch der Vater mit Kräutern bepflanzt. Unter den Rebstöcken wachsen Thymian, Rosmarin, Minze, Lavendel oder Pfefferkraut. Was hübsch anzusehen ist, tut auch den Trauben gut. Die ätherischen Öle der Kräuter werden als Extrakte gespritzt und kommen durch die Verdunstung bei Sonneneinstrahlung auch dorthin, wo es staut und gerne schimmelt. So kann er den Einsatz von Kupfer und Schwefel reduzieren. Eine aufwendige Angelegenheit, denn die Kräuter wollen gepflegt und verarbeitet werden, eine Arbeit, die seine Schwester Andrea erledigt. Die Kräuter aromatisieren aber auch die Trauben, weil sich die flüchtigen Öle in die Wachsschicht einarbeiten. Alles dreht sich um die Frage, ob ein Weinberg nur ein Weinberg ist oder auch für die Umgebung von Nutzen sein kann. Ein Paradigmenwechsel: Von Monokultur zu Biodiversität.

Eigentlich wolle er ja seine Flächen reduzieren, kann sich jedoch von keinem seiner Weinberg trennen, ­jeder habe seine Geschichte, seine ­Eigenheit, seine Qualität. Selbst für die warmen Lagen will er Lösungen finden. Einst waren sie begehrt, heute sind sie klimabedingt eine Heraus­forderung. Damit auch von dort noch Weine kommen, die seinen Anforderungen genügen, bekommen sie jetzt eine Art natürliche Aircondition. In einem Teil des südlich ausgerichteten Weingartens werden keine neuen Rebstöcke mehr gepflanzt, sondern vier bis fünf Meter hohe Bäume. Damit erreicht er morgens eine wesentlich längere Beschattung, der Morgentau verdunstet später, die Umgebung wird so quasi runtergekühlt. Vermutlich die Zukunft im Weinbau, will man nicht unzählige Rebflächen roden, weil es dort inzwischen zu heiß und zu trocken ist. Für Johannes ­Zillinger ist das bereits die Gegenwart.

Auch im Keller geht es darum, die Frische der Weine auf natürliche Weise zu erhalten. Säure zuzusetzen, kommt für ihn nicht infrage. „Ich habe die Säure ja im Weingarten hängen, ich brauche sie nicht zu kaufen“, sagt er. Er spielt mit verschiedenen Ausbauvarianten, von Ganztraubenpressung über Maischekontakt oder moderate Maischegärung bis hin zu interzellulärer Gärung; von großem Holz bis zu Amphoren. Dogmen gibt es keine. Nur Reinzuchthefen kommen ihm keine in den Keller; Schwefel nur in Minidosen; filtriert wird nicht mehr. Johannes Zillinger hat ein schier untrügliches Gefühl dafür, welcher Wein welche Behandlung braucht, vor allem aber dafür, wie viel Entwicklung er dem Wein selbst überlassen kann.

Die Revolution-Serie ist seine Spielwiese: Weine, die sich austoben dürfen. Pink Solera etwa, eine Cuvée aus Syrah, Sankt Laurent und Roesler: ­verschiedene Jahrgänge im Solera-System, wie man es von Sherry kennt; irgendwo auf einem absolut ­seriösen Weg zwischen Weiß und Rot; federleicht mit Substanz; frisch, saftig und strukturiert. Berührende Wesen, Hybride zwischen den Welten. Zwischen den Welten, dort, wo sich auch Johannes Zillinger am wohlsten fühlt. —

Johannes Zillinger
Landstraße 70
2245 Velm-Götzendorf
velue.at

In einem Teil der Weingärten werden schon seit Jahren Kräuter unter den Rebstöcken gepflanzt.
Dogmen gibt es keine bei Johannes Zillinger. Er spielt mit verschiedenen Ausbauvarianten, von Maischegärung bis zu Ganztraubenpressung.
Ob Bretonische Zwergschafe, Weideschweine oder Hühner – die Tiere sind Teil einer Kreislauf-Landwirtschaft.
Johannes Zillingers Tochter Miriam ­beweist Geschick für die Tiere.