Das kleine große Küchenalphabet

Was war, was kommt. Ein A bis Z von Entwicklungen, Erfindungen und Zutaten der neugierigen neuen Küche.

Text von Alexander Rabl

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Ameise

Fleißig, wie sich die Tierchen hinaufgearbeitet haben. In unseren Breiten bewundert man Ameisen höchstens wegen ihrer intelligenten Staatenbildung ohne Budgetdefizite und Wahlschwindel. In anderen Ländern hingegen gelten sie schon lange als Delikatesse, denn in ihrem Körper sammeln sie vor allem Zucker, der schmeckt immer, besonders auch geröstet oder mit Schokolade. Der dänische Avantgardist René Redzepi gewann den Ameisen, wobei es sich um eine bestimmte Rasse handelt, beerenähnliche Töne ab und sorgte unter anderem mit seinem „Blueberry Sandwich“ für wohliges Schauern in der weitgereisten Ess-Gemeinde. Dass Ameisen am Teller sich solches Echos erfreuen durften, kann und darf auch als Hinweis auf eine baldige Hinwendung zu den Küchen Südamerikas gelten, wo man zum ­kulinarischen Genuss von Insekten ein ganz anderes Verhältnis hat als bei uns in Europa.

b
BBQ

Das Grillen wird langsam zum Mainstream in der Hochgastronomie, und so manche Firma hat dabei ziemlich viel Kohle gemacht. Auf dem Weg zurück zur Natur sind Köche und Gäste auf den Geschmack der Kohle und des Rauchs gekommen, und ob es jetzt das berühmte Green Egg ist oder der etwas geräumigere Jospergrill, es wird gegrillt und geräuchert, was Steaks, Hühner und Meerbarsch aushalten. Nur wer in seiner Jugend oft bei der Feuerwehr aushelfen musste, verliebt sich nicht aufs Neue ins Aroma, welches bis vor wenigen Jahren in der feineren Gastronomie vollkommen unbekannt war. Und von wem haben wir’s gelernt? Von den Amerikanern zum einen, sicher, aber auch von den Nordmenschen, die schon immer ein herzliches Verhältnis zu Holz hatten und dem, was passiert, wenn man es mit Feuer zusammenbringt. Die Cook it raw-Bewegung veranstaltete im vergangenen Oktober in Charleston ein einziges riesenhaftes BBQ mit an die vierzig Chefs aus den bekanntesten Avantgarde-Restaurants der Welt. Cook it raw, wo mit echtem Holz gearbeitet wird genauso wie mit echten „rohen“ Zutaten von faszinierenden Produzenten, gehört zu einer neuen Generation von Köchen, die nicht mehr gegeneinander arbeiten und ihre Rezepte hüten, sondern kooperieren, sich austauschen und vor allem eines wissen: Ohne Medien geht heute in der kulinarischen Welt gar nichts mehr.

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Caviar (Kaviar)

Nichts Neues auf den Speisekarten der Hochküche. Neu ist nur, dass es sich dabei immer mehr, um nicht zu sagen: fast ausschließlich um Kaviar aus der Zucht handelt. Weil dieser Kaviar oft zarter schmeckt als der gewohnte Kaviar von wilden Stören, nämlich etwas weniger salzig und milder, cremiger, bedeutet das für die Köche einen anderen Umgang mit den begehrten Körnern. Es geht jetzt weniger darum, Kaviar als Kontrapunkt einzusetzen, sondern eher darum, um das Produkt selbst einen Teller zu kreieren. Weniger schlechtes Gewissen ist beim Genuss von Kaviar von Züchtern wie dem Salzburger Walter Grüll jedenfalls durchwegs genusssteigernd involviert. Der neueste Schrei ist übrigens Biokaviar, der in Westkanada produziert wird, es aber noch nicht nach Österreich geschafft hat.

d
Dry Aged Beef

Was in Amerikas Steakhäusern schon lange angesagt ist, findet man dank der Bemühungen von Dry-Aging-Pionieren wie Manfred Höllerschmid, einigen klugen deutschen Versandhäusern wie Otto Gourmet oder etwa des britischen Kult-Butchers Jack O’Shea in allen Häusern, die etwas auf Fleischqualität achten. Dry Aged bedeutet nichts anderes als trocken am Knochen gereiftes Fleisch, eigentlich eine alte Methode der Fleischhauer, welche über die Jahrzehnte, in denen das Dogma „schnell und richtig“ herrschte, in Vergessenheit geriet. Das Fleisch der Rindviecher hängt einen Monat ab und reift am Knochen vor sich hin. Für ein gutes Ergebnis ist die Überwachung des Mikroklimas (Temperatur etwas über Null, Luftfeuchtigkeit um die 80 Prozent), in dem dies ­passiert, eine Voraussetzung. Vom New Yorker Steakhouse Peter Luger bis zum Landhaus Bacher in Mautern – ein ordentliches Steak scheint mittlerweile nur mehr vorstellbar, wenn die Ware das Dry-Aged-Siegel trägt. Viele Steak-Tiger geraten dann ins Schwärmen und bezahlen gerne einen saftigen Preis für das trocken abgehangene Fleisch. Sie sind aber auch immer öfter enttäuscht, wenn sie vor allem hierzulande erkennen müssen, dass Fleisch von mangelhaft geeigneten Rindern auch nach hundert Jahren Aging noch kein delikates Steak macht. Übrigens: Nicht nur Steaks, sondern auch Karotten können nach einer oft sogar mehrjährigen Zeit der Trocknung genossen werden – fragen Sie nach bei René Redzepi.

f
Fermentation

Es gurgelt im Glas, und manchmal macht es blubb. Bakterien an der Arbeit, auch sonntags. Bei einem Besuch im radikal naturnahen In De Wulf in Belgien oder beim berühmten Jonnie Boer im De Librije in Zwolle lernt den neugierigen Gast Gläser voller eingelegter Gemüse kennen. Nicht nur Gurken und Kraut werden unter Ausschluss von Luft vergoren, sondern auch Lauch, Pilze, Sellerie, Karotten, Milch ohnehin, einfach alles. Fermentation ist das neue Dämpfen. Sie gilt eigentlich der Haltbarmachung und ist seit kurzem vielen Küchenchefs, die im Zyklus der Natur mit der Natur arbeiten, ein altes und probates Mittel, um die Früchte des Sommers für den Winter haltbar zu machen. So entstehen wunderbare Teller, wie etwa die fermentierte und scharf gegrillte Frühlingszwiebel mit einer Sauce von derselben, in welcher ein Wachtelei schwimmt, wie man es im Degu-Menü beim jungen Chef Kobe Desramaults in den Feldern von Belgien löffelt und bestaunt. Sauer macht lustig. Der Sommelier hat’s dagegen nicht leicht.

g
Gillardeau

Die SUVs unter den Austern kommen von der Familie Gillardeau. Es sind die Mangalitza-Schweine unter den Schalentieren, richtig groß, wenn auch nicht so fett. Austern warm zu servieren ist nicht neu. Aber irgendwie doch: Irgendwann kam ein Küchenchef in einem Ort in Meeresnähe, vermutlich war es Jonnie Boer oder auch Sergio Herman oder vielleicht beide gemeinsam, auf die Idee, mit den Gillardeaus zu kochen. Seitdem hat sich der Züchter sicher schon einige Garagen voller SUVs verdient, seither kriegen sensible Feinschmecker ein Gurgeln in der Darmgegend, sobald sie der Geruch der ­gratinierten, gedämpften, gebackenen, gekochten oder sonstwie erwärmten Jurassic-Park-Austern erfasst. Ein bisserl heavy das Ganze. In Frankreich, der Heimat des Austernessens, erfreut man sich eher an den zarten und kleinen Austern, überlässt die dicken Dinger den Russen und anderen Touristen. Dass man aus Austern aber auch wirklich gutes Essen machen kann, bewiesen schon vor langer Zeit Papa und Sohn Pierre und Michel Lorraine im La Cote Saint-­Jacques im nördlichen Burgund. Ihr ­Signature Dish hieß Austern in Meerwassergelee. Von G. war damals noch nichts bekannt.

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HollÄndische Kresse

In Amsterdam arbeitet einer der größten Kresseproduzenten Europas, mit seinen Ständen auch auf den wichtigeren Gourmet-Messen des Kontinents, der Kölner Chef-Sache zum Beispiel, anzutreffen. Kresse ist eine der von den Topchefs zur Zeit besonders favorisierten Würzen, Zutaten und ja, man könnte das Kraut als Tellerschmuck der grünen Welle bezeichnen, ­welche gerade in den Restaurants grassiert. Ohne die Farbe Grün scheint kaum ein Teller auszukommen. Die Kresse hat den Vorteil ihrer vielfältigen Einsetzbarkeit. Sie macht sich gut mit Apfel und Lachs, mit Tafelspitzravioli (Copyright Dorfer) oder mit Ziegenkäse, Zitronencreme und Rindersehne (Copyright Konstantin Filippou). Brunnenkresse ist unter den Grünen die schönste, Bachkresse, wie sie Andreas Döllerer schon im frühen März in der Bluntau pflückt, ist die schärfste. Ein Nicht-Sternekoch hat vom Rummel um die Kresse ebenfalls etwas. Er bestreut damit zu Hause das Frühstücksbrot, nachdem er am Morgen erst einmal eine halbe Stunde zum Bäcker seiner Wahl für das Brot und dann eine weitere halbe Stunde zum Biobauern seiner Wahl für die Butter gefahren ist. Der ökologische Fußabdruck verhüllt sein Haupt.

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Iberico

Schwein muss man haben. Musste man haben. Das war das Credo der großen Küche quer durch den Kontinent, seit ein spanischer Chef (War es Joan Roca? War es Santi Santamaria?) den bei Niedertemperatur und/oder Vakuum gegarten Schweinebauch erfand. Doch der Bauch spannte irgendwann, und seitdem ist das Gericht Schnee von gestern. Doch das Schwein selbst ­feiert seit einiger Zeit ein Comeback. Jetzt auch in seiner Luxusausstattung, sozusagen als Louis Vuitton-Sau aus Südspanien. Die Spanier sind halt einfach Schweinemeister, von der Nase bis zum Fuß, vom Ferkel bis zum Jabugo. Die glücklichen Säue laufen vergnügt durch die Gegend, und anstelle von Turbomastfutter gibt es Eicheln. Der Schinken der glücklichen Schweindln ist ohnehin längst Kult, der Ferrari unter den Delikatessen auf den diversen kulinarischen Märkten der Stadt. Seit neuestem werden auch die Koteletts und die Rücken des Iberico-Schweins verkocht und verbraten. Zum Beispiel bei Konstantin Filippou, einem der Neuerer im kulinarischen Wien. Ihr Fleisch hat mehr und ein anderes Aroma, man merkt bei jedem Bissen, dass diese Viecher einer besonderen Gattung angehören.

k
Kalbsbries

In den Siebzigern wurde dem Kalbsbries kurz die Ehre zuteil, von einem der damals besten deutschen Küchenchefs zu einem Gericht namens Kalbsbries Rumohr geadelt zu werden. Wolfram Siebeck dokumentierte das. Später wurde es ums Bries etwas stiller. Während Bries bei den französischen Spitzenköchen selbstverständlich seinen fixen Platz auf der Karte und oft auch als Hauptgang im Menü hatte, servierten die Köche in Deutschland und Österreich lieber das hunderttausendste Lammfilet und ließen die Kalbsbriesfans weinend vor der Lokaltüre. In Frankreich nimmt man am liebsten „Pomme de ris de veau“, also das Mittelstück, mit dem sich eine ordentliche Mahlzeit machen lässt. Hierzulange gibt man sich mit kleineren Stücken zufrieden. Spätestens seit René Redzepi in seinen Menüs auch einmal Kalbsbries anstelle von Rentier oder Ente anbietet, darf man sagen, dass die Wachstumsdrüse des Kalbs auch international und nicht nur in Frankreich an dem Platz angekommen ist, der dieser Köstlichkeit gebührt. In Österreich zählen zu den Besten mit Bries ohne Zweifel Andreas Döllerer aus Golling und Thomas Dorfer aus Mautern. Der Rest lässt sich noch etwas Zeit.

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Lauch

Die Franzosen machten in ihren Bistros Lauch mit Vinaigrette, herrliche Suppen, manchmal auch mit schwarzer Trüffel, doch das hat hierzulande niemanden interessiert. Seit aber in der Nordic Cuisine Lauch fermentiert, gegrillt, eingeäschert oder sonstwie serviert wird, gieren der österreichische kulinarische Kritiker und sein Küchenchef nach den zwiebelähnlichen Stangen.

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Markstammkohl

Gemüse-Archäologe Heinz Reitbauer präsentierte unlängst beim ersten Kochcampus in Golling zwei Gerichte aus einem Gewächs mit dem Namen Marktstammkohl, das bislang nur als Tierfutter Verwendung fand. Gemeinsam mit der Steirereck-Crew hatte er Verfahren entwickelt, wie man aus bestimmten Teilen dieses etwa einen Meter gewachsenen Gemüses anmutige Speisen zubereiten konnte. Interessant ist diese Sorte vor allem, weil sie in Zeiten des Frühwinters, wo sonst nicht viel Grünes wächst, eine Alternative bietet und weil es seit einiger Zeit überhaupt zu den Eignungen einiger Spitzen am Herd gehört, trivialen, so genannten „shitty products“ (Zitat Redzepi) zu einem Auftritt auf feinem Porzellan zu verhelfen. Überlassen wir dem Mainstream Thaispargel und Haricot verts, die Avantgarde nährt sich von Viehfutter, zubereitet von den besten Köchen der Welt.

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Nougat

Ob Massenprodukt Nutella oder Nougat de Montélimar, eine handgemachte Köstlichkeit aus der Gegend um Marseille – unter den Schleckermäulern ist Nougat schon seit Ewigkeiten beliebtes Suchtmittel. Dass sich aber Haselnüsse, also die Grundzutat des Nougats, auch unter die an sich salzigen Gerichte der Hochküche mischen, ist relativ neu. Wildkarpfen mit Schwarzkohl, Molke und Haselnüssen gibt Alain Weissgerber im Taubenkobel. Wir vermuten wieder einmal die Nordländer als Täter, sind uns aber nicht sicher und beglückwünschen alle Restaurantgäste, die gerade nicht an einer Allergie leiden.

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Original

Wenn es in den Küchen der Welt eine Copyright-Regelung gäbe, wie zum Beispiel in der Musik, wären manche Köche Millionäre, andere arme Hunde. In Zeiten, wo für geistiges Eigentum im Netz aber ohnehin kaum mehr bezahlt wird, sind Ideen und Rezepte einfach dem kulinarischen Freibeutertum freigegeben. Einmal auf dem Teller bei Sergio Herman, demnächst auf allen Tellern aller Sternerestaurants der Welt. Eine allerdings rein akademische Diskussion, die den Otto Normalrestaurantbesucher ziemlich kalt lässt. Eine Quellenangabe bei kulinarischen Ideen würde allerdings beiden zu Ehren gereichen, dem Original wie auch der Kopie.

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Pferd

In Teilen Italiens eine Delikatesse, wird es das Fleisch von Fohlen oder Pferden wahrscheinlich nie zu großer Popularität in Österreich bringen. Man isst nicht, worauf man reitet und womit sich die touristische Identität ganzer Regionen begründen lässt (im Weißen Rössl am Wolfgangsee nämlich). Einzig Pferdeleberkäse hat in Wien seine unbeirrbare Fangemeinde, während nur kulinarische Grenzgänger wie ein Max Stiegl das Rössl auch hie und da in die Pfanne hauen. Das Fleisch vom Pferd schmeckt süßlich, erinnert dabei manchmal etwas an Wagyu¯, ist aber eher ein Schlankmacher, weil fast kein Fett drin ist.

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Quinoa

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon erklärte 2013 zum „Jahr der Quinoa“. Jetzt wird einiges klar. Das gehäufte Auftreten des Inkakorns vulgo Reismelde auf unseren Speisekarten ist also der UNO geschuldet. Wobei es durchaus Spaß macht, Quinoa zu essen, ihr nussiger Geschmack wie auch die angenehme Konsistenz der in Wasser oder Suppe gekochten Körner ­erinnern ein wenig an Reis oder Couscous. Quinoa ist aber in Wahrheit eher Gemüse als Getreide . Das Korn der Inkas fand vermutlich über die Vereinigten Staaten den Weg auf die Teller der Europäer. In den USA giert man nach den gesunden Körnern, voll mit Aminosäuren, aber arm an Gluten. Sie lassen sich gut mit Fleisch, Fisch und Gemüse kombinieren und machen daher besonders in den City-Restaurants der Amerikaner gute, weil schlanke Figur. In Europa tauchte die Quinoa erstmalig bei den Kreativköchen des Baskenlandes auf. Andoni Luis Aduriz machte in seinem Mugaritz die schwarze, besonders nährstoffreiche und etwas teure Quinoa populär, und wie das mit den großen Buben in Weiß so ist – plötzlich wollten sie alle haben. So oder so wurde aus einem bolivianischen Grundnahrungsmittel eine Zutat der Hochgastronomie. Vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass sich die kulinarische Welt demnächst vermehrt der Küche Südamerikas zuwenden wird. Der Papst, der aber nicht aus Bolivien, sondern aus Argentinien kommt, soll ja kulinarischen Genüssen ebenfalls höchst aufgeschlossen gegenüberstehen.

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Rindermark

Für Veganer, Vegetarier und andere kulinarische Vorwärtseinparker heißt es in Deckung gehen. Rindermark, vor 15 Jahren wegen der BSE-Panik verbannt, ist voll da. Es darf als Glücksdroge aller Carnivoren bezeichnet werden. Zuerst trat es nur scheibchenweise auf den Speisekarten der Luxusrestaurants auf, in Form von Markscheiben mit Kaviar (Copyright Reinhard Gerer), später dann in auf Hochglanz polierten Knochen, vielleicht auch gemeinsam mit Schnecken und Kräutern, wie es Alain Weissgerber im Taubenkobel macht. Fergus Henderson wurde im St. John berühmt mit seinem mittig der Länge nach geschnittenen Markknochen, gratiniert und mit einem Salat aus Petersilie. Das gibt es in Paris mittlerweile in jedem zweiten Bistro, und nicht nur in Paris. Thomas Dorfer serviert den Knochen zum Côte de bœuf, im Wiener Mochi kombiniert man das Mark mit Bonitoflocken – auch nicht schlecht.

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Sardine

Von den Meeren ist nicht mehr viel zu erwarten. Steinbutte und Seezungen dringen nur mehr spärlich in Europas Binnenländer vor, seit der industrielle Massenfischfang dem Mittelmeer und dem Atlantik langsam den Garaus macht. Wenn man nach den österreichischen Speisekarten geht, besteht die Welt der Fische nur noch aus Saiblingen. Saiblinge aus den Alpen, den Voralpen oder den Kärntner Seen. Wenden wir uns einem anderen Fisch zu. Als Arme-Leute-Fisch gilt die Sardine, weshalb sie auch nicht begehrt ist unter den Lieferanten der Hochgastronomie. Der Boom der Dosensardinen ist schon ein wenig in die Jahre gekommen. Aber frisch, gewissenhaft ausgenommen, gebraten, gratiniert oder gegrillt könnten sie eine spannende Bereicherung in einem auf wenige immer wiederkehrende Zutaten konzentrierten Angebot sein. Die Spitzenköche müssen sich nur trauen. Ihre Gäste allerdings auch.

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Tee

Nach einer üppigen Mahlzeit, die ja in den besten Häusern vorkommen soll, freut sich der Magen sehr über einen Tee der Sorte Verveine, köstlich zitronige Erfrischung, welche einen Rebirth des Verdauungstraktes herbeiführt. Doch darum geht es hier nicht. Tee taugt auch zum Arbeiten in der Küche, besonders grüner Tee ist nicht nur in der klassischen japanischen Dessertküche angesagt. Eisenkraut kommt zum Beispiel gut mit Flusskrebsen, schwarzer Tee wiederum passt aufgrund seiner Tannine hervorragend zu bestimmten Käsesorten, wie unlängst in einem großen Beitrag in der französischen Le Monde zu lesen stand.

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Unterholz

Moos und Baumrinde schmücken schon seit einiger Zeit die Teller der fortschrittlich rückwärts gewandten Küche. Gerade besonders gerne genommen werden glühende und rauchende Tannenzweige, die am Teller zu Fleisch oder anderem gereicht werden. Die Nase freut sich. Der Rauchmelder im Restaurant hat Zimmerstunde.

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Wagyu¯

Das mit Bier und Sake fast zu Tode liebgestreichelte Rindsvieh durfte ja nicht aus Japan exportiert werden. Kein Grund für vife Züchter in Australien und zuletzt auch in Austria, sich des verwöhnten Tieres nicht anzunehmen. Wagyu¯-Rinder liefern Fleisch wie aus dem Bilderbuch, erzielen Preise wie Damien Hirst und gelten als das Non-Plus-Ultra-Beef der Spitzenküche. Allerdings sollte man den vor Umami strotzenden Teilen mit Wissen und Respekt begegnen. Kleine Stücke, damit dem Esser nach dem Genuss nicht die Galle platzt, sind angeraten. Eine buttrige Sauce nach alter Schule empfiehlt sich eher weniger zum Wagyu¯ und auch kleine Kombi mit Gänseleber. Viel schöner macht sich eine klare Consommé mit Zitrus­aromen, die Gaumen und Leber des Genießers erfrischt und erfreut, so wie es der Küchenchef Stefano Baiocco in der berühmten Villa Feltrinelli am Gardasee anrichtet.

x
Xanthan

Das Zeug ist genau genommen schon ein wenig démodé, aber in manchen ländlichen Gasthäusern taucht es immer noch auf, weshalb wir ihm hier den Buchstaben X spendieren. Für alle, die die letzten Jahre am Würstelstand verbracht haben: Xanthan ist ein Produkt der chemischen Industrie. Es wird unter anderem für Gleitmittel benutzt. Bon appetit nebstbei. Die Molekularküche (dummer Name) unter Ferran Adrià (großer Name) entdeckte Xanthan als Schmiermittel zwischen großer Küche und großer Kunst. Manche Klassiker der Avantgarde entstanden so. Der Beipackzettel des Mittelchens wurde in Rosas vielleicht nicht immer so genau studiert, denn auf diesem finden sich möglicherweise Hinweise auf die Beeinflussung der Darmperistaltik ob zu üppigem Genusses. Die Geschichten von elBulli-Gästen, die nach einem 40-Gänger wie die Kühe auf der Weide auf die Toiletten galoppierten, wollen jedenfalls nicht abreißen. Aus den Nullerjahren hat die kulinarische Welt jedenfalls eines gelernt, nämlich, dass mit dem Chemiebaukasten nur spielen sollte, wer in der Schule auch wirklich aufgepasst hat. In diesen seltenen Fällen hat der Gast es mit Meisterstücken am Teller zu tun. Ferran Adrià hat die Phase der Molekularküche, während der er sogar zur Kunstmesse in Kassel eingeladen worden war, mit der Schließung seines elBulli längst hinter sich gelassen. Er arbeitet an neuen Projekten in der El-Bulli-Stiftung. Dass es für normale Esser in Rosas jemals noch einmal ein Menü aus Adriàs Händen geben wird, scheint zur Zeit allerdings eher ausgeschlossen.

y
Youtube

Zu Hause vorm Bildschirm sitzen und schauen, was die größen Köche so treiben, dabei auf den Pizzalieferservice warten. Nie gab es so viel Tamtam um die große Küche wie heute, gleichzeitig vergeht kaum ein Monat, in dem nicht ein kleiner (selten) oder ein großer (häufig) Skandal um die industrielle Erzeugung von Lebensmitteln auftaucht. Es ist wahr: Eine Elite stürzt sich von einem kulinarischen Abenteuer ins nächste, die Masse haut sich Junk rein. Gesellschaftliche Tendenz, der einige Köche wie Jamie Oliver schon lange zu Leibe rücken wollen. Auch die französische Bistronomie ist unter anderem der Tatsache zu verdanken, dass junge Topchefs nicht mehr bloß für Bankdirektoren und Industrieerben kochen wollten.

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Zitrus

Zum Beispiel Buddhas Hand. Es bringt nichts, sie zu drücken oder zu pressen. Ihre Frische und bittere Fruchtnote steckt in den Zesten und im Fleisch. Nicht nur Heinz Reitbauer hat eine große Schwäche für Zitrusfrüchte. Er bezieht sie aus der Orangerie Schönbrunn und serviert sie als erfrischende Süßigkeiten zum oder nach dem Dessert. Dort warten Dutzende dem durchschnittlichen Zitronenesser eher unbekannte Sorten, eine spannender als die andere, und das gilt schon alleine für den Anblick. Spannende Vielfalt, vielfache Einsetzbarkeit. Limetten sind gerade sehr angesagt, als Konfiture, zum Dessert oder zu südländisch oder eher noch asiatisch inspirierten Tellern. Kleine Nebenbemerkung: Die gerade wieder boomende Kultur der Cocktailbars wäre ohne die Erfindung des Limettensafts wahrscheinlich undenkbar. Ein James-Bond-Martini nach klassischer Londoner Schule wäre wiederum ohne Zitronenschale schwierig. Oder sagen wir einfach nur: Limoncello. Zwischen der Amalfitana und der italienischen Riviera werden den Zitronen, die dort fast so groß werden wie Melonen, große Festivitäten gewidmet. Die Leute tanzen, freuen sich des nahenden Frühlings und essen Zitronentartes. —