Das Leben ist ein langer, großer Tisch

Vom Schönsein allein wird man nicht satt. Deshalb kommt es für die deutsche Schauspielerin Iris Berben bei den Menschen wie bei den Lokalen nicht nur auf ein ansprechendes Äußeres an, sondern vor allem auf Steherqualitäten.

Das Leben ist ein langer, großer Tisch

Text von Michaela Ernst Fotos: Manfred Klimek
Stilisierung ist ihr verdächtig. Die der Menschen genauso wie die der Lokale. Iris Berben braucht nur an die inszenierte Schweigsamkeit der Werbefilmer zu denken, mit denen sie die vergangene Nacht durcharbeitete, schon wird ihr ganz anders zumute. "Autisten!", hätte sie am liebsten an Stelle des zu sprechenden Textes in die Kamera gebrüllt. Ein paar Stunden später und immer noch sehr aufgebracht, erzählt sie: "So etwas ist mir noch nie passiert. Wir haben die ganze Nacht gedreht und keiner hat mit mir gesprochen."
Das ist, in der Tat, völlig unvorstellbar. Einem Menschen, der so wenig von Berührungsängsten geplagt ist wie die Berben, mit Stille entgegen zu treten, hat schon fast etwas Abartiges an sich. Kein Wunder, dass sie solch ein Verhalten als Affront begreift, wo sie selbst doch gern mit anderen teilt. "Ich glaube, dass sich die Menschen in Gastgeber und Gäste einordnen lassen. Ich gehöre zu den Gastgebern", sagt sie später an anderer Stelle.
Also erzählt sie. Von ihrem Vater, einem Koch, der aus der Familie schied, als sie erst drei Jahre alt war – "von ihm habe ich wahrscheinlich meine Leidenschaft fürs Kochen und diese schöne Sentimentalität, die mich erfasst, wenn ich irgendwo eine weiße, leicht dreckige Schürze sehe, unter der eine blau-weiß karierte Hose hervorlugt". Von der Mutter, "die mir am meisten vertraute Person". Die Deutschland verließ, als die Tochter zwölf Jahre alt war und seither auf einem 40.000 Quadratmeter großen Anwesen ein paradiesisch unkompliziertes Dasein in Portugal genießt. Von Israel, der schwierigen, schönen zweiten Heimat, in der sie unter anderem auf ein Geheimrezept gegen schlechte Laune stieß: "Jewish Penicillin", eine ewig lang gekochte Brühe aus Fleisch und Gemüse.
Wenn die Berben spricht, verwendet sie nicht nur ihre Stimme, sondern funkelt mit den Augen, zeichnet mit den Händen Leben in die Luft. Ihr Engagement für Israel, für das sie bereits in die Rollen der Spendentrommlerin, der Rezitatorin und der Reporterin schlüpfte – das ZDF strahlt am 9. und 13. April Berbens zweiteilige Dokumentation "Und jetzt, Israel?" aus –, hat genauso etwas Anrührendes wie ihre Erzählungen von Großmutters herzerwärmenden Steckrüben- und Wirsinggerichten. Wie das? Weil sie in einem Höchstmaß persönlich wirkt und sich bemüht, Banalitäten zu umgehen. Und weil sie natürlich weiß, was man von ihr erwartet. Natürlich kommt sie um die Schauspielerei manchmal schwer herum, aber ja.
Iris Berben redet sich in ihr gewohntes Leben zurück. Der Schweige-Job, bei dem es um eine nicht näher erläuterte "gute Sache" ging, ist wenigstens vorüber, die Übelkeit (noch) nicht. Sie habe "Husten, eine richtig schwere Bronchitis, Fieber, Kopfweh", entschuldigt sie sich. Nur sie spürt etwas davon. Langsam nimmt Iris Berben die andere, die neue Stimmung auf, die vom Fotografen mit Windmaschinen-Kraft in den Raum geblasen wird. "Achtung, Paulchen", warnt sie ihren Hund, "das hier sind Österreicher!" Es wird wild und laut, denn dieser Kamera-mann denkt nicht daran, still zu sein, während er abdrückt. "Komm Baby", ruft er ihr ironisierend zu, "gib’s mir, zeig’s mir. Ich mach aus dir ’nen Star!" Da muss sie lachen. Sie hat mit Regisseur Peter Patzak gearbeitet – "vor allem früher sehr oft!" Gern gearbeitet. Sie schmunzelt: "Ich kenne die Österreicher."
Auch Orte sollten wie Menschen sein, möglichst frei von falscher Attitüde. Ein Lokal, das bei der Berben punkten will, muss daher in erster Linie Wohnzimmerqualität haben. In Berlin gibt es nicht wenige, die diesen Anspruch erfüllen. Das "Borchardt" am Gendarmenmarkt zum Beispiel, das gleich ums Eck ihrer Wohnung liegt, rangiert ganz oben auf der Liste ihrer persönlichen Favoriten. Hier schneit sie auch manchmal einfach nur herein, um, wie jetzt, einen Kaffee und die obligatorische(n) Flasche(n) Evian zu trinken: "Ja es stimmt, was alle schreiben: Ich nehme drei Liter Wasser am Tag zu mir. Aber wenn ich an die wohltuende Wirkung denke, die man Wasser nachsagt und mit meinen 53 Jahren in den Spiegel schaue, weiß ich, dass es sich für die Haut auf jeden Fall auszahlt."
In so einem Wohnzimmer schaut keiner komisch, keiner bohrt nach, das Zusammensein funktioniert auf Basis unausgesprochenen Übereinkommens. Noch bevor Iris Berben ihre Bestellung abgibt, bringt der Kellner schon den Espresso und das Wasser. "Ich würde Sie gern in nächster Zeit heiraten", informiert sie ihn beiläufig. Dieser grinst wissend und bleibt gelassen: "Das lässt sich gut einrichten: Morgen ist mein freier Tag." Man versteht einander. Aber das hier ist schließlich auch Berlin.
Berbens jahrelanges Hauptdomizil München präsentierte sich nicht immer so entgegenkommend. Vor allem nach langen Drehnächten, nach denen der Morgen logischerweise zum Abend und der Nachmittag zur Früh mutierte. "In den 80er-Jahren war die Situation extrem steif: Man konnte nirgendwo hingehen mit so einem verschobenen Arbeitsrhythmus. Damals sehnte ich mich nach einem Lokal, in dem man mich nicht mit einem verständnislosen Lächeln ansieht, wenn ich um drei Uhr nachmittags ein Frühstück bestelle. Und in das ich als Frau alleine reingehen kann, ohne dass ich mich ausgesetzt fühle." In Ermangelung der Möglichkeiten eröffnete sie schließlich ihr eigenes "Bar-Café-Restaurant". Mit einer Frühstückskarte, die bis in die späten Nachmittagsstunden gereicht wurde, und speziellen Personal-Schulungen, "so dass sich das 18-jährige Mädel genauso respektiert fühlt wie die 80-jährige Dame". Das Konzept wurde "sehr schnell, sehr stark und sehr gut" angenommen. Mittlerweile besitzt Berben sechs weitere Lokale, darunter den legendären Künstlertreff "Roma" in Münchens Flaniermeile Maximilianstraße, den sie als Perle herauspickt: "Hier haben wir, ohne das Fundament zu zerstören, aus einer leicht verstaubten Institution ein tolles heutiges Lokal gemacht. Der Lichtkünstler Ingo Maurer gestaltete die Beleuchtung. Das ,Roma‘ ist so wunderschön geworden, dass es in allen wichtigen Einrichtungs-Magazinen abgelichtet war."
Die Schauspielerin selbst ist in den von ihr geschaffenen Oasen bewusst selten anzutreffen. "Ich will vermeiden, dass die Lokale zu stark mit meiner Person in Verbindung gebracht werden. Sonst könnten die leicht zu Trend-Läden werden, und man weiß, wie das mit Trends so läuft: Irgendwann zieht die Karawane weiter." Ihr Mann, der Münchner Unternehmer Gabriel Lewy, kümmert sich also um all die geschäftlichen Belange, die sie auch aus Zeitgründen nicht erledigen könnte: "Wir haben mittlerweile über 500 Angestellte, da kann man unmöglich elf Monate im Jahr für Dreharbeiten unterwegs sein. Das ist bei mir jedoch der Fall."
Was sich leichter bewältigen lässt, sind Essen für Freunde. Kleine Runden von acht bis zehn Leuten, die Iris Berben bei sich daheim in München, in Berlin oder in Tel Aviv "mit Leidenschaft" bekocht. Je öffentlicher sie als Person wurde, desto mehr gewannen diese Refugien an Wert. "Ich stelle mir mein Leben gern in Bildern vor und eines meiner Lieblingsbilder ist ein großer, langer Tisch, um den meine Familie und meine Freunde herumsitzen." Ihre Stimme wird sanft, in dieser Vorstellung fühlt sie sich eindeutig wohl. "Da darf auch laut diskutiert und gestritten werden. Das ist mein Geschenk. Denn je älter ich werde, desto stärker empfinde ich diese private Intensität als Luxus."
An solchen Tagen, die auf jeden Fall einmal im Monat stattfinden, lässt sich die Schauspielerin, vom deutschen "Schlemmer Atlas" kürzlich zur "Genießerin des Jahres 2004" gekürt, nicht das sinnliche Vergnügen rauben, den gesamten Ablauf selbst in die Hände zu nehmen. Sie schlendert über den Markt und stellt erst angesichts des tagesfrischen Angebots ihre vier- bis fünfgängigen Menüs zusammen. Sie schnipselt, sie putzt, sie schält. Für die Zubereitung greift sie allerdings bereitwillig auf Unterstützung zurück – aus ihrem Bücherregal. "Ich bin eine leidenschaftliche Sammlerin von Kochbüchern und rupfe, zum Leidwesen meiner Friseure und Kosmetiker, sehr gern die Rezeptseiten aus den Magazinen heraus", grinst die Berben satt und zufrieden wie eine stolze Eroberin. "Aber ich bin keine, die eins zu eins nachkocht, sondern eher eine Verfeinerin."
Was nicht heißt, dass es bei ihr nicht auch einfach nur eine Pasta-Schüssel oder Raclette geben kann. "Es muss nicht alles Haute Cuisine sein. Ich stelle mich auch an eine Currywurstbude – allerdings unterscheide ich zu welcher."
Am Ende läuft bei Iris Berben das Meiste auf eines hinaus: auf den lässigen Umgang. Sie verwendet mehrmals das Wort "Authentizität" und zeichnet gerne Szenen, die sich mit dem Begriff gut verstehen. "Wenn man jemanden etwas besser kennt, kann man schon beurteilen, ob Genuss Teil des Lebens oder bloß Teil einer Inszenierung ist."
Schließlich kann Authentizität auch zu Haltung verhelfen, wenn man Halt sucht. Zum Beispiel musste Iris Berben von den zehn Wochen, die sie einst für "Rennschwein Rudi Rüssel" vor der Kamera stand, sechs Wochen lang mit Leberwurst-Waden herumlaufen. Was sein muss, musste eben sein: Damit die Sau nicht von ihrer Seite wich, ließ sie sich die Beine richtig fest einbalsamieren. Noch heute verzieht sie bei der Erinnerung daran das Gesicht: "Danach konnte ich zwei Monate keine Leberwurst mehr essen. Und ich liebe eigentlich Leberwurst!" Aber auch diese Not hat sie bewältigt. "Ja", betont sie mit gespielt fester Stimme, "es gibt wieder Leberwurst in meinem Kühlschrank!"