Das Mädchen mit dem Appetit

Die Kulisse ist Südfrankreich, die Requisite das "Colombe d'Or", das Stück A Picasso. In den kommenden Wochen wird Nicole Beutler Genuss und Arbeit nur schwer voneinander trennen können. Wie öfter in ihrem Leben.

Das Mädchen mit dem Appetit

Text von Michaela Ernst Fotos: Helene Waldner
Unter den Moderedakteuren des Landes gilt sie als heißer Tipp. Wenn du jemand Prominenten für eine Modegeschichte brauchst, dann versuche es bei Nicole Beutler, heißt es oft in diesen Kreisen. Sie ist die einzige, die eine Figur wie ein Model hat. Nur hat sie nicht dessen Sorgen. Oder scheint sie nicht zu haben. Zumindest ein Anorexia-geplagtes Frauenschicksal dürfte ihr erspart bleiben. Einen Fragebogen des Frauenmagazins Woman etwa füllte sie so oft mit kulinarischen Antworten aus, dass sie nur froh sein kann, nicht von einer Moderedakteurin interviewt worden zu sein. Die wäre vor Neid zerplatzt. "Wenn Sie eine Speise wären, welche wäre es?" – "Ich wäre ein Menü! Mit überraschenden Zwischengängen." Auch das noch. Menü und überraschende Zwischengänge. "Wofür würden Sie auf keinen Fall Geld ausgeben?" – "Für Froschschenkel oder ähnliche Perversitäten." "Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank?" – "Champagner."
Champagner bestellt sie auch beim A la Carte-Termin, denn: "Es ist das einzige alkoholische Getränke, das man auch zu Mittag konsumieren kann, ohne den Rest des Tages erledigt zu sein." Champagner zu einer Burrata auf Gemüse, auch die hinterlässt keine Spuren der Erschwernis, wenn man noch einen halben Arbeitstag vor sich hat. Dafür wird abends ordentlich gegessen, drei Gänge, wenn sie selbst kocht, was keine Seltenheit ist, nicht viel weniger, wenn sie essen geht, vorzugsweise zum "besten Franzosen der Stadt", ins "Le Salzgries". Fleisch wird dabei ausgespart: "Das vertrage ich abends nicht. Es hat zu viel Eiweiß; da schaue ich am nächsten Tag müde und verquollen aus." In der Brasserie von Denis König stellt sich das Problem ohnedies nicht. Seine Karte ist bekannt für die unterschiedlichen Austern (bis handtellergroß!) und die für Österreich ungewohnte Vielfalt an frischen Krustentieren. Die "Reduktion auf das Direkteste" ist es, was ihr an Königs Küche so gut gefällt. (Aber die Burrata, die sie gerade verspeist, nimmt sie bei "fabios" ein.) Keine verspielten Kreationen und auf Teller projizierte Essensmalereien, sondern perfekt verwertete, appetitlich angerichtete Speisen, deren Stärke im Grundprodukt liegt. Diese Haltung zieht sich bei ihr durch alle Lebensbereiche: "Mir ist Ingrid Bergman tausendmal lieber als irgendeine extrovertierte Diva. Die Bergman musste kaum etwas machen in ihren Filmen, sie war einfach da." Spricht sie von Malerei, fällt ihr Picasso ein: "Zu seinem Frühwerk soll er angeblich gemeint haben: So habe ich als kleines Kind gemalt, da hat es ausgesehen wie von Rubens. Und es hat Jahre gedauert, bis ich so gemalt habe wie Picasso."
Dass Nicole Beutler ausgerechnet der Name des Genies so schnell von den Lippen kommt, ist kein Zufall. Schließlich beschäftigt sie sich seit einiger Zeit intensiv mit dessen Leben. Ab 31. Jänner steht sie, gemeinsam mit dem britischen Schauspieler Tim Hardy, in dem 2-Personen-Stück A Picasso auf der Bühne des Vienna English Theatre. "Ich spiele eine Gestapo-Beamtin, die Picasso verhört, damit er drei angeblich von ihm gemalte Bilder verifiziert. Anfänglich entspannt sich ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden, bis er mitbekommt, dass seine Bilder verbrannt werden sollen." Eine große schauspielerische Herausforderung für die Darstellerin, die in Österreich mit Schlosshotel Orth berühmt wurde und zuletzt im Kinofilm Klimt zu sehen war. "Es ist das erste Mal, dass ich in einem zweistündigen Stück durchgehend Englisch spreche. Der Regisseur wollte unbedingt jemanden mit deutschem Akzent – obwohl man mir oft nachsagt, ich hätte einen leicht skandinavischen."
Es verbindet sie noch mehr mit Picasso als die Liebe zur Reduktion. Zum Beispiel dasselbe Lieblingslokal, das "Colombe d’Or" in Saint Paul en Vence an der Côte d’Azur. Schade, dass er nicht mehr lebt, sonst hätte sie ihn dort treffen können, schön wie sie ist, frankophil, Künstlerin, Genießerin. Er würde nicht mehr in Bildern bezahlen, wie er es noch in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts tat, tun musste, sie nicht in Chansons. Aber sie hätte ihn fragen können, wie das damals war und ob er wirklich von der Gestapo verhört worden war. Sie hätte zugehört und sich nochmals überlegt, wie sie dieses Stück, ihren Part anlegen würde. Und dann hätten sie zum Schluss noch an diesem "einzigartigen Pool, der mit einem Mosaik von Braque ausgelegt ist" einen Drink genommen. Wahrscheinlich Champagner.
Seit kurzem hat Nicole Beutler noch ein zweites Lieblingslokal, ebenfalls in Frankreich, das "Château les Crayères" in Reims. "Ich habe erstmals eine Reise durch die Champagne unternommen und in diesem kleinen Schlösschen, in dem die Kochkunst aufs Höchste zelebriert wird, haltgemacht", schmunzelt sie
verschwörerisch. Abgesehen von den alten Gemäuern, die sie grundsätzlich liebt, und dem damit verbundenen Ambiente, war es "eine Zelebration von Gang zu Gang mit kleinen Zwischengerichten und drei opulenten Käsewägen, die je nach Tier – Kuh, Ziege, Schaf – bestückt waren. Dann die Desserts … Kunst-
werke!" Und natürlich Champagner – was denn sonst in dieser Gegend – nicht bis zum Abwinken, aber immerhin bis zu einem Beinahe-Expertentum: "Es gibt ja so viele Abstufungen von diesem köstlichen Getränk, man glaubt es kaum, solange man nicht diese Gegend besucht hat: ganz leichten oder ungezuckerten oder Jahrgangschampagner …"
Bei aller Liebe zu Frankreich und dessen brillantester Seite hat die Schauspielerin ihre Affinität fürs bodenständige Österreichische nicht begraben: "Zu meinem Geburtstag gibt’s bei meinen Eltern Kümmelbraten mit einer feinen Grammelkruste und Sauerkraut oder Erdäpfelgulasch – in einer Qualität, wie man sie in Wirtshäusern kaum findet." Essen und Reden, Reden und Essen, das sei ihr in die Wiege gelegt worden: "Meine Mutter hat meinen beiden Geschwistern und mir immer vorgelesen, wenn wir bei Tisch saßen und unsere Teller schon leer waren, Götter- und Heldensagen, historische Romane. Heute kommen wir berufsbedingt leider nicht mehr so oft zusammen."
Essen und Reden, Reden und Essen ist ihr allerdings ein Greuel, wenn sie auf der Bühne steht. Denn das Risiko, dass man etwas zu kauen bekommt, das einem nachher im Hals und damit an den Stimmbändern kratzt, ist einfach groß. Beim Theatersommer Stadt Haag, wo sie in Amadeus die Konstanze spielte, wurden ihr etwa original "Venusbrüstchen" vorgesetzt. Damit war sie vor die Wahl gestellt, entweder das Publikum oder die Requisite zu brüskieren, die sich bemüht hatte den Schoko-Rosinen-Kuchen mit rosa Zuckerguss nach Originalrezeptur zu backen. Natürlich entschied sie sich für das Wohl des Publikums und ließ sich fortan zergatschte Banane unterm Zuckerguss servieren.
Eine andere Anekdote, allerdings aus sehr früher Bühnenzeit: "Bei einer Schulaufführung von Dürrenmatts Die Physiker spielte ich den Newton und eine Freundin von mir den Einstein. Die Arme musste mit ihrem aufgeklebten Bart einen Schluck Whisky trinken und weil sie darin wenig Übung hatte, tauchte sie ihr halbes Gesicht ins Glas. Sobald sie wieder aufschaute, tropfte es ihr links und rechts vom Bart herunter und wir mussten so lachen, dass wir nicht mehr weiterspielen konnten." So etwas prägt halt.
Und noch etwas gibt es, was Nicole Beutler überhaupt nicht leiden kann: Mohnnudeln und (Einbrenn-)Dillkartoffel. – "Das sind meine Phobien." Aber daran trägt das Theater nun wirklich keine Schuld.