Das Paradeiser-Paradies

Erich Stekovics betreibt auf seinem Seewinkler Hof aktiven Artenschutz für mehr als dreitausend Paradeisersorten. Gleichzeitig ist diese "Arche Noah" zum Kultlieferanten für gemüsige Spitzenprodukte avanciert.

Das Paradeiser-Paradies

Text von Peter Hämmerle Fotos: Peter Hämmerle
Vor dem Haus von Erich Stekovics steht ein altes ungarisches Marterl. Darauf ließ er "geschmack erzählt in schönster weise vom himmel" meißeln.
Wiederum auf Erden, in Frauenkirchen im Seewinkel, erzählt ein riesiges Feld mit dreitausend Paradeisersorten in schönster Weise von Erich Stekovics‘ Empathie für eine alte Kulturpflanze. Diese Sammlung ist weltweit einzigartig und ihr enormer Umfang legt den Gedanken nahe, es handle sich hier um einen besessenen Sammler. Was um alles in der Welt, fragt man sich, sollte diesen Aufwand auch nur einigermaßen ökonomisch vertretbar machen? Eine Frage, die Erich Stekovics kennt, er antwortet gelassen und kommt erst am Ende auf den wirtschaftlichen Nutzen zu sprechen. Der aber, so meint er, sei eminent, denn "bei der fortlaufenden Verarmung der Tomatenkulturen bildet dieses Reservoir ein ungeahntes Kapital", auch im monetären Sinn.
Vier Fünftel der vormals existierenden Tomatensorten sind laut Erich Stekovics in den vergangenen 100 Jahren verloren gegangen. Geblieben seien Früchte, die er als "knallhart" bezeichnet, solche, die sich in erster Linie durch optimale Transport- und Lagerfähigkeit auszeichnen. Für den Geschmack bleibt da bekanntlich wenig übrig.
Eine Frau mit einem Glas und einem Kostlöffel in der Hand betritt den Raum und bittet Erich Stekovics um Rat. Sie ist Köchin und kommt aus der Schweiz. Die Ideen des Erich Stekovics haben ihr so gut gefallen, dass sie für einige Wochen im Jahr ins Burgenland kommt und Marmeladen und Chutneys kocht, zwei ihrer Freundinnen sind auch gerade da und machen wohl so etwas wie "Urlaub am Bauernhof", indem sie mithelfen. Man stelle sich aber nicht vor, dass hier drei Frauen mit karierten Schürzen um einen alten Herd stünden. Denn obschon der Betrieb von Erich Stekovics recht klein ist, hygienisch und arbeitstechnisch ist man auf dem neuesten Stand. Auf laute mechanische Gerätschaften verzichtet er allerdings gerne. "Es ist mir lieber, es geht etwas langsamer und dafür leise." Es ist nur das wiederholte Geklingel des Mobiltelefons, das "stört", aber daran hat sich der moderne Mensch ja auch schon weitgehend gewöhnt.
Die Köchin aus der Schweiz also will wissen, ob das Chutney gut abgeschmeckt ist, und zählt auf, welche Gewürze sie hineingegeben hat. Erich Stekovics kostet und sagt nichts, lässt die Schweizerin weiter aufzählen. Dann sagt er: "Sternanis?" Ach ja, so die Schweizerin, das sei auch noch dabei. "Aber eine Spur zu viel, nimm einen statt drei auf zwei Liter, wir wollen keinen zu weihnachtlichen Touch", meint er schließlich bestimmt, womit die Sache in aller Kürze geklärt scheint. Auf diese Weise verkostet nur ein geschulter Gaumen, einer, der das Kochen und Abschmecken gewohnt ist, der es aus Leidenschaft tut.
Erich Stekovics versinkt wieder in Gedanken und in unserem Gespräch. "Unser Problem beim Abschmecken ist, dass wir erst in einem halben Jahr wissen, wie das Produkt schmeckt." Vom Verarbeitungsraum herüber weht ein feiner Duft nach eingekochten und karamellisierten Paradeisern. Es ist wirklich auffallend leise. Vor uns auf dem Tisch steht eine Schachtel mit bunt bedruckten Briefchen, wie man sie aus Samenhandlungen kennt, beschriftet allerdings auf seltsam unleserliche Weise – es ist kyrillisch. Diese russische Sammlung besteht aus über 450 Sorten und ist damit die größte, die ihm in den vergangenen Jahren übergeben wurde. Nur die Samenbank der Arche Noah mit insgesamt 600 Stück hat einen noch größeren Anteil. Dieser Verein mit Sitz in Schiltern im Kamptal begleitet das Paradeiserprojekt von Erich Stekovics. Beide Partner sind unerlässlich für einander.
Auch Privatpersonen steuern Wichtiges bei. Wöchentlich langen in Frauenkirchen derzeit Samen von bis zu 40 neuen Sorten ein, von Leuten, die von der Geschichte aus dem Seewinkel erfahren haben und von sich aus etwas beitragen wollen. "Wir haben da etwas geweckt, das unglaublich viel Resonanz erzeugt."
Im vorigen Jahr waren es noch 600 Sorten weniger, die kultiviert wurden, und sicher wird "die eine oder andere Sorte in Zukunft nicht mehr jedes Jahr angepflanzt, denn natürlich bewähren sich nicht alle." Jede einzelne aber bedeutet laut Erich Stekovics genetisches Potenzial, und das sieht er als große Kapital. "Die Industrie wird dieses Archiv einmal brauchen und dann teuer dafür bezahlen, die arbeiten ja nur noch mit fünf Hybridsorten, und wenn sie Rispentomaten ziehen, dann riechen nur die Rispen, nicht aber die Frucht."
Hier riecht jeder Paradeiser anders, vom Geschmack ganz zu schweigen. Logischerweise wird bei dieser Vielfalt nur wenig sortenrein eingelegt, eingekocht oder püriert. Aus vielen unterschiedlichen Sorten "cuvetiert" Erich Stekovics aber immer wieder Interessantes. Eingelegt wird übrigens in spezielle Essige, solche, die Alois Gölles aus Paradeisern vergoren hat, oder andere, die einen "regionstypischen Charakter" beisteuern sollen – hergestellt aus St. Laurent vom Weingut Umathum, Süßwein von Josef Lentsch oder Muskat Ottonel vom Weingut Velich. Die Unterscheidbarkeit der Jahrgänge soll durch die unterschiedlichen Essige unterstrichen werden.
Für seinen Partner Arche Noah hat Erich Stekovics eigene Versuchsfelder angelegt. Das dort gezogene Saatgut gibt er zum Teil an den Verein zurück, der einen Teil der Samen an seine etwa 6.000 Mitglieder oder andere Interessierte verkauft. Die Vermehrung von Saatgut ist allerdings aufwändig. Solche Anlagen müssen so ausgelegt sein, dass es nicht zu Kreuzungen kommt, außerdem sollte Zeit für die Selektionierung der besten Stöcke und Früchte nach Geschmack, Erntezeit oder Schädlingsresistenz bleiben. Für solche Projekte ist genaue Dokumentation unerlässlich. Eine Fotografin ist drei Monate im Jahr damit beschäftigt, ganze und aufgeschnittene Früchte abzulichten. Auch von der Uni für Bodenkultur kommen dankenswerterweise immer wieder Diplomanden, die für wissenschaftliche Begleitung sorgen.
Wir gehen gemeinsam über dieses sagenhafte Feld, das von der Weite nicht anders aussieht als ein Kartoffelacker. Man sieht niedrig wachsende Pflanzen mit grünen Blättern. Beim Durchschreiten der Reihen allerdings bleibt einem der Mund offen stehen. Alle fünf Meter beginnt sowohl linker wie rechter Hand eine neue Sorte. Nicht immer erkennt man das mit freiem Auge. Kleine Fähnchen mit Aufschriften wie "024 Gezahnte", "133 Sibirskije Pa’tschiki" oder "459 Black Ethiopian" dokumentieren den Bestand. Es herrscht andächtige Stille hier, über die pannonische Weite streicht sanft der Wind. Hin und wieder trägt er ein nur leise hörbares Geschnatter aufgeregter Gänse an unsere Ohren. Sie zeugen von der anderen Leidenschaft des Erich Stekovics, dem Gänsezüchten – zu verkosten ausschließlich zur Martinizeit in den Gasthäusern "Zur Dankbarkeit" und "Zur blauen Gans" (selbstredend).
Für andere Gasthäuser, sie heißen unter anderen "Tantris" und "Steirereck", erzeugt Erich Stekovics spezielle Produkte auf Wunsch. Und da wir gerade vom Münchner "Tantris" sprechen: Absatzsorgen kennt Erich Stekovics keine, denn die Presseberichte über ihn führten zu beträchtlicher Bekanntheit, in Deutschland mehr noch als in Österreich. Dabei kam das erste Glas mit seinem Namen erst im Jahr 2000 auf den Markt. Zuvor lieferte er 14 Jahre lang Spiralpaprika und Chili für Staud. Ein Jahr nach der Einführung zählte man bei Erich Stekovics bereits 70 verschiedene Produkte. Damit bewährt sich hier ein Konzept, das üblicherweise ein Horror für Händler wie Erzeuger ist. Sein ehrgeiziges, beinahe unüberschaubares Paradeiserprojekt machte Erich Stekovics nicht nur viel Kopfzerbrechen, sondern auch berühmt und sicherte auf diesem Umweg den Absatz seiner Produkte. Diese Samenbank ist etwas Unverkennbares, Mutiges, etwas, das ihn auszeichnet, wie er selbst sagt.
Wir schreiten das Spalier der Paradeiser ab. "Beim Wein bestreitet ja auch niemand, dass es Unterschiede zwischen den Sorten gibt. Warum also sollten unterschiedliche Paradeisersorten nicht genau so verschieden schmecken? Die Differenzen sind doch gewaltig, nicht nur in Form und Farbe, auch in der Konsistenz gleicht fast keine der anderen. Manche schmecken nach Melone, andere nach Haselnuss – jede hat ihren ganz besonderen Charakter, und keine ist langweilig!"
Da liegen sie nun am Boden, zwischen den Blättern. Fette, üppige und bunte ebenso wie zarte, bläulich violette, die kaum größer sind als Kirschen. Es herrscht Stille, entfernt schnattern ahnungslose Gänse und delektieren sich am Maulbeerhain, den Erich Stekovics für sie angelegt hat. Er spricht bedächtig und wird an einem Punkt bestimmt im Ton: "Dieses Feld ist eine Ansage an die Industrie und ihre popigen Erzeugnisse."
Erich Stekovics,
Schäferhof 13, 7132 Frauenkirchen,
Telefon: 0699/12 18 47 77.
Ab-Hof-Verkauf: Samstag von 9.00 bis 18.00 Uhr. www.stekovics.at