Der Klang der Reben
Er sollte Winzer werden und wurde Dirigent – jetzt kehrt er zurück ins südsteirische Weingut. Erich Polz junior gibt seine vielversprechende Musikkarriere auf, übernimmt den ins Wanken geratenen Betrieb von Vater und Onkel, um ihn wieder auf Kurs zu bringen. Mit an Bord sein Bruder Christoph, der als Kellermeister schon seit einiger Zeit leise, aber beständig einen anderen Takt anschlägt.
Es genügt heute nicht mehr, guten Wein zu machen, um erfolgreich zu sein. Ein Betrieb braucht eine Marketing-Strategie, einen PR-Experten – eine Erzählung. Das Weingut Polz hat eine solche Erzählung – den Mythos von Phönix, der aus der Asche stieg. Mit der Übernahme von Erich Polz junior erfindet man das bekannte Weingut neu. Der einst ruhmreiche südsteirische Betrieb, der immer weiter wuchs, bis er in Schieflage geriet, der verkauft und kurz darauf von der Familie wieder zurückgekauft wurde und nun mit der neuen Generation sein ramponiertes Image wieder aufpoliert.
Erich Polz junior hat seine vielversprechende Karriere als Dirigent aufgegeben, um den Betrieb, der bis vor einem Jahr seinem Vater und seinem Onkel gehörte, wieder auf Vordermann zu bringen und ihm ein völlig neues Antlitz, eine neue Erzählung zu geben. Als Geschäftsführer leitet er den Betrieb. Kellermeister bleibt, wie in den letzten zehn Jahren, sein Bruder Christoph.
Die Geschichte des Weinguts ist wechselvoll, immer geprägt von den ehrgeizigen Vorhaben seiner Protagonisten. Walter und Erich Polz traten einst, in den späten 1980er-Jahren, an, um die südsteirischen Weine groß zu machen. In einer Zeit, als der heimische Weinskandal noch kaum verdaut war, als kein Mensch mehr restsüße Weine wollte, weil sie unter dem Verdacht des Panschens standen, bauten die Brüder ihre Weine trocken aus. Sie verabschiedeten sich von den regionalen und pflanzten internationale Rebsorten, die sie so vinifizierten, wie es die Großen der weiten Weinwelt damals auch taten. Gemeinsam mit ein paar anderen Weingütern wie Tement, Sattlerhof und Gross etablierten sie einen völlig neuen Weißweinstil aus Sauvignon blanc und Chardonnay. Mit ihren damals besten Gewächsen reüssierten sie auch auf internationalem Parkett. Nebenbei schuf man eine leichte, spritzige Abteilung, maßgeschneidert für die heimische Gastronomie, vor allem bediente man die bei Ausflüglern so beliebten südsteirischen Buschenschanken.
Eine Erfolgsgeschichte über gut zwei Jahrzehnte, die eines Tages kippte. Irgendwann hatte die Weinwelt offenbar genug von Gewächsen internationalen Zuschnitts, die zunehmend austauschbarer gerieten. Vielleicht hat man es auch übertrieben – zu viel Barrique, zu viel ausladende Frucht, zu viel Opulenz. Die Brüder Polz beherrschten diese Stilistik aus dem Effeff. Den Trend hin zu filigranen, herkunftsgeprägten Weinen, so schien es, hatten sie ein wenig verschlafen. Ein Eindruck, der nicht ganz richtig ist. Seit Christoph, der jüngere Sohn von Erich Polz senior, vor zehn Jahren die Führung im Keller übernahm, vollzog sich eine vorsichtige Kurskorrektur. Der talentierte Winzer bemühte sich um eine feinere, präzisere Stilistik. Das fiel freilich kaum jemandem auf – vielleicht, weil Christoph eine eher zurückhaltende Persönlichkeit besitzt, vielleicht aber auch, weil er noch nicht ganz so durfte, wie er wollte. Noch bestimmten Vater und Onkel das Erscheinungsbild nach außen.
Das kleine Imperium, das sich die Brüder aufbauten, erwies sich schließlich als nicht mehr steuerbar. Es geriet in wirtschaftliche Turbulenzen, und letztlich schwand auch der Zusammenhalt zwischen den beiden. Man verkaufte an einen Wiener Investor mit Rückkaufoption. Das von den Polz-Brüdern erworbene Weingut Tscheppe samt Hotel am Pössnitzberg und die Vinofaktur, eine überdimensionale Gebietsvinothek, blieben beim Investor. Das Stammweingut wurde von Erich Polz’ beiden Söhnen im letzten Jahr wieder zurückgekauft. Walter Polz verließ den Familienbetrieb und wurde vom Münchner Unternehmer Hans Kilger als Leiter seiner Domaines angeheuert.
Für Erich Polz junior sei die Rückkehr ins Weingut selbst überraschend gekommen, aber die Entscheidung sei ihm leicht gefallen.
„Die Alternative war für mich undenkbar“, sagt der Heimkehrer rückblickend, „meinem Bruder erschien die Aufgabe allein zu groß“ – man hätte das Weingut vermutlich verloren. Zuerst habe er seinen Bruder nur finanziell beraten, dann war er schon mittendrin und übernahm es gleich selbst. „Ich will Christoph den Rücken freihalten“, erklärt er, „er soll endlich die Weine so machen können, wie es ihm vorschwebt.“
Wie es ihnen wohl beiden vorschwebt. Die letzte Entscheidung liege freilich bei ihm als Betriebsleiter. Man stimme sich ab, vertraue einander, habe einen ähnlichen Zugang zum Weinmachen, einen ähnlichen Geschmack. „Wir sind sehr eng“, ergänzt Erich Polz. Sein Bruder Christoph sieht es ähnlich, er sei erleichtert, die Verantwortung nicht alleine schultern zu müssen, konzentriere sich lieber aufs Weinmachen. Unter seiner Regie sind die Weine schon jetzt ruhiger, unaufgeregter geworden. Weniger exotische Frucht, mehr feine Würze – vor allem bei den besten Rieden-Gewächsen. „Früher gab es halt das Dogma, dass die besten Lagen zuletzt gelesen werden“, erklärt er, „jetzt ernten wir früher, dann nämlich, wenn die Trauben gut schmecken.“
Das Barrique von einst sei dem großen Holzfass gewichen, vergoren werde spontan, und danach wolle er nicht mehr viel reinpfuschen. Der Sauvignon Hochgrassnitzberg 2019 ist das erste gemeinsame Ergebnis der Brüder. „Ein Wein, wie er uns beiden schmeckt – pointiert und lebendig!“
Ob sie keine Angst hätten, der Zwist der vorigen Generation würde auch sie einmal ereilen? Erich Polz junior schüttelt den Kopf: „Das passiert uns nicht, es gibt kein Konfliktpotenzial“, glaubt er, „ die Vereinbarungen sind klar ausgemacht.“
Er wirkt wie jemand, der das, was er will, durchzusetzen vermag. Jemand, der sich nicht gerne lange an der Oberfläche aufhält, der schnell zum Wesentlichen vordringt – scharfsinnig und beredt. Er analysiert Schöpfungsprozesse und sinniert über das perfekte Kunstwerk, spricht von der Vereinigung der Dualität des Apollinischen und Dionysischen bei Friedrich Nietzsche und zitiert aus Balladen von Theodor Fontane. Tiefsinnige Gedanken, die sich gut in die neue Erzählung einpassen.
Erich Polz verweist mit seinen 36 Jahren bereits auf eine bewegte Biografie. Seine berufliche Zukunft als Winzer schien besiegelt, aber die Musik kam immer wieder in die Quere. Nach der Matura am Grazer Gymnasium verspürte er erstmals den Wunsch, Dirigent zu werden – wäre da nicht das Weingut gewesen. Auf einer Bühne vor großem Publikum zu stehen, die Vorstellung habe ihn immer elektrisiert, erinnert er sich. Von nun an wurde er hin- und hergerissen zwischen Musik und Weinmachen.
Zunächst fügte er sich dem vorgegebenen Weg und studierte in Wien Weinbau an der Universität für Bodenkultur und Wirtschaft an der WU – die Musik lässt ihn aber nicht los, er singt im Chor des Musikvereins. Ein Oratorium von Mendelssohn Bartholdy, bei dem er mitwirkte, sei dann so ein Schlüsselmoment gewesen – gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern, dirigiert von Franz Welser-Möst: „Das hat mich angefixt.“ In Folge sang er immer mehr und studierte immer weniger.
Dennoch absolvierte er noch Weinpraktika bei zwei der ganz Großen des Burgunds: Comtes Lafon und Domaine Roumier. Deren Zugang zu Wein faszinierte ihn. „Da wurde stundenlang über die richtige Einstellung der Traubenpresse diskutiert, erinnert er sich.“
Ausgerechnet dort, im Tabernakel des Weinbaus, wie er die berühmte französische Weinregion bezeichnet, dort, wo er seinem Empfinden nach dem Wesen des Weins am nächsten war, fiel der Entschluss gegen den Weinbau und für die Musik: Er bereitete sich für Beethovens Missa solemnis vor, bei der er mitsingen sollte. „Ich saß in diesem burgundisch mondänen Wohnzimmer, das goldene Herbstlicht durchflutete den Raum, und ich lauschte diesen wunderbaren Klängen.“ In diesem Moment sei ihm klar geworden: Ohne Musik wird es nicht
gehen in meinem Leben.
Zurück in Wien, tritt er zur Aufnahmeprüfung für ein Dirigierstudium am Wiener Konservatorium an und wird prompt genommen. Dazwischen muss er am Weingut noch einmal für einige Monate einspringen. Aber die Musik holt ihn immer wieder zurück, sucht ihn heim wie eine wundersame Marien-Erscheinung. Nach der Lese, auf dem Weg zum Lagerhaus etwa, hört er im Autoradio eine Bach-Motette: „Ich hab das aufgesogen wie ein ausgetrockneter Schwamm.“ Danach habe er sich endgültig für die Musik entschieden – zumindest glaubte er das damals.
2013 schloss er das Dirigierstudium ab und agierte als freier Dirigent. Er erhielt Engagements bei der styriarte, wurde bei den Tiroler Festspielen in Erl als musikalischer Assistent und Chorleiter engagiert, dirigierte das Neujahrskonzert 2017 des Sinfonieorchesters St. Gallen und arbeitete mit einigen Größen der Klassikbranche. Es lief gut.
Zwischen den Buchungen mischte er sich im Weingut Thallern ein, das seine Familie in Pacht hatte, zuletzt als Geschäftsführer. Es habe ihm gutgetan, wieder verortet zu sein, mit „greifbar Materiellem“ umzugehen, diese „Wahrhaftigkeit zu spüren“, wie er es etwas pathetisch ausdrückt.
2020 schließlich, als die Pandemie die Kultur in die Pause schickte und das Weingut der Familie den Bach runterzugehen drohte, beschloss er heimzukehren, den Betrieb weiterzuführen, wieder Weinbauer zu werden. Dieses Mal sollte seine Entscheidung endgültig sein. „Es hat sich sehr schnell richtig angefühlt“, sagt er.
Geschrumpft auf 80 Hektar, will er mit seinem Bruder im Keller und seiner Mannschaft neue Maßstäbe setzen. Man sei in Umstellung auf organisch-biologische Bewirtschaftung.
Er spricht vom Wein wie von einer Symphonie, die er zur Aufführung bringt – durch deren Einzelteile er sich erst durchwühlen, sich in ihr versenken müsse, ehe er sie in ihrem Wesen erfassen könne.
Berührende Gewächse wolle man auf den Markt bringen, Gewächse, bei denen die Proportionen stimmen – vielschichtig und doch leichtfüßig, tragend und tänzelnd. Aus den vielen Gegebenheiten ein großes Ganzes entstehen lassen. Eine nahezu perfekte Komposition, die er dirigiert. Das ist seine Vision.
Die Analogie zwischen Musik und Wein drängt sich auf. Auch wenn er das, wie er beteuert, nicht überstrapazieren will. Aber es passt wunderbar in die Erzählung.