Der Pionier

Heinz Reitbauer hätte allen Grund zum Feiern. Er baute das vermutlich wichtigste Restaurant des Landes auf, schuf ein kleines Imperium und eröffnete vor genau zwanzig Jahren sein Wirtshaus am Pogusch. Aber er arbeitet lieber als zu feiern oder viel über sich zu reden. Daher begleiteten wir ihn dorthin, wo er am liebsten ist: in den Stall.

Text von Petra Schenk · Fotos Wolfgang Hummer

Heinz Reitbauer ist sehr konzentriert. Er nimmt einen Flaschensauger aus einer neuen Packung, prüft mit den Fingerspitzen die Größe der Öffnung, nickt und macht sich auf den Weg in den Stall. Er muss ein paar neugeborene Lämmer füttern. Es ist Samstagmittag, und das Wirtshaus Steirer­eck am Pogusch wird von Ausflüglern, Landhungrigen und Geburtstagsrunden gestürmt. Gut gelaunte Gäste, darunter viele in Tracht, suchen die Aufmerksamkeit des Patrons. Doch jetzt widmet er ausnahmsweise ­einmal anderen seine Zeit, den Tieren. Reitbauer fährt mit dem VW-Bus nur wenige Meter hangabwärts zum großen Stall, seine Ausrüstung hat er dabei. Und er redet über seine Landwirtschaft und seine Mission.

Zum Beispiel, warum er 2008 diesen Stall baute. „Im Jänner stürzte uns das Sturmtief Paula sehr, sehr viele Bäume um“, erklärt Heinz Reitbauer. „Mit dem Holz mussten wir etwas ­machen, und so entstand der neue Stall.“ Dort wird er mit lautem Gemecker der Schafe und Grunzen der benachbarten Schweine empfangen. Er richtet ein paar freundliche Worte an die Tiere und erklärt ihnen, warum er jetzt da ist. Eine kleine Stallpredigt? Die Tiere brauchen viel Aufmerksamkeit, meint er. „Wenn eine Schafmutter zwei Junge zur Welt bringt, wird das Erstgeborene verstoßen. Es würde verhungern. Zurzeit haben wir drei solche ­Lämmer. Die werden von uns alle vier Stunden mit der Michflasche gefüttert“, erzählt Reitbauer, bevor er zum Kleinsten geht, das zittrig im Stall neben seiner Mutter und dem fast doppelt so großen Geschwisterchen steht. Heinz Reitbauer zeigt, wie man es halten soll, ganz wie ein Baby. Dann wird dem hungrigen Jungtier das Fläschchen gegeben. „Wenn ich dann wieder ins Wirtshaus gehe, muss ich mich manchmal umziehen, weil ich so nach Stall rieche“, sagt Reitbauer fröhlich. Er mag das ja.

Reitbauer wollte schon immer selbst züchten und eigenes Fleisch verarbeiten. „Ein Fleisch, von dem man weiß, wie gesund die Tiere aufgewachsen sind“, sagt Reitbauer, der sich Anfang der Neunzigerjahre auf die Suche nach einem passenden Grundstück in der Steiermark für die Umsetzung seines großen Traumes machte. 1992 fand er die Hügel rund um das heutige Wirtshaus Steirereck, mit einem alten Steinhaus aus 1616, in dem eine Jausenstation untergebracht war. Die wurde anfänglich weiterverpachtet. „Wir hatten nicht vor, noch ein Wirtshaus zu eröffnen, wir wollten nur die Wiesen für eigenes Vieh haben.“ Während der landwirtschaftlichen Planungszeit wurde der Platz vor dem Haus zum Umschlagplatz für Holzknechte, Jäger und Bauern, die Kaninchen, Wild, Kälber und Rinder brachten. Alles für das Steirereck in Wien, das sich schon längst als Luxusrestaurant etabliert hatte. 1993 löste man sich dann doch von der Pächterin und nahm die Renovierung des Baujuwels in Angriff. Gerade einmal 25 Gäste hatten im Steinhaus Platz, entschieden zu wenig, befand Heinz Reitbauer, sonst rentiert sich der Umbau nie. Es war an einem jener Kartenspiel-Stammtisch-Abende, die Heinz Reitbauer auch nach seiner einstigen Übersiedlung nach Wien weiter pflegte, als er die Wirtin fragte, ob er ihr die alte Decke eines leerstehenden Holzhauses abkaufen könne. Die Wirtin antwortete, er könne gleich das ganze Haus haben. „Wir sind uns noch am selben Abend über den Preis einig geworden“, erzählt Reitbauer. „Das alte Holzhaus wurde dann Stück für Stück in Turnau abgebaut und am Pogusch oben wieder aufgebaut.“ Da standen sie dann: Das alte Steinhaus und das alte neu aufgebaute Holzhaus. „Beide 1616 gebaut, was für ein Riesenzufall, oder?“, wundert sich Heinz Reitbauer nach wie vor. Nun fehlte noch die Landwirtschaft, aber unter einer Investition von 1 Million Schilling (etwa 68.000 Euro) für Traktoren und andere landwirtschaftliche Geräten war die nicht drinnen. Wie auch immer die Reitbauers es drehten und wendeten, die Rechnung ging sich nie aus. Bis eines Abends bei einem Familienessen der Stiefvater Heinz Reitbauer wortlos einen Scheck über den Tisch schob. „Da hatten wir dann keine Ausrede mehr“, sagt Heinz Reitbauer lachend, „und wir haben investiert.“ 1996 wurde das Wirtshaus Steirereck am Pogusch aus der Taufe gehoben. Irgendwo auf einem Alpenpass in der Obersteiermark, den vorher außerhalb der Region niemand kannte. Aber Heinz Reitbauer ist ein Freund von abgelegenen, ja benachteiligten Standorten. „Das Steirereck in Wien im dritten Bezirk war vor 46 Jahren ja auch kein wirklich gut frequentierter Platz“, sagt er und grinst. Auch der Pogusch wurde in den letzten zwanzig Jahren vom unbekannten Hügel zum Fixpunkt auf jeder Landkarte und wird mittlerweile von jedem Navi gefunden. Deshalb Heinz Reitbauers Rat an junge Gastronomen: „Vergiss den teuren Frequenz-Standort, such dir ein günstiges No-name-Platzerl und koch gut! Die Leute werden darüber reden und kommen. Gäste verfahren sich auch sieben Mal, weil sie gehört oder gelesen haben, dass es da eine gute Küche gibt.“

Hier in der Obersteiermark hat Heinz Reitbauer, geboren 1941, seine Wurzeln. Und genau hierher ist er nach mehreren Jahrzehnten in der Wiener Rasumofskygasse auch wieder zurückgekehrt. Aber eigentlich war er nie richtig weg. Seit der Eröffnung des Steirerecks im Jahr 1970 in Wien holt Heinz Reitbauer das Fleisch aus seiner Heimatregion von den Bauern und Jagden rund um Turnau. „Ein Rehrücken hat damals in Wien so viel gekostet wie hier ein ganzes Reh. Ich habe das in drei Minuten ausgezogen und dann viele gute Teile gehabt“, erinnert sich der gelernte Fleischhauer heute noch gerne. Ob Heinz Reitbauer eine Fleischhauerlehre machen soll, stand für ihn als Jugendlicher nicht einmal zur Diskussion – das bestimmte die Großmutter, bei der er aufgewachsen ist. „Meine Großmutter hatte in Turnau eine Landwirtschaft, eine Fleischerei und ein Gasthaus. Man wurde da nicht gefragt, was man machen will.“ Von Kindesbeinen an ist Heinz Reitbauer somit überall dabei – von der Wirtsstube über den Stall bis hin zum Schlachten. Ein waschechtes Wirtshaus-Fleischhauer-Landwirtschafts-Kind also. Der heute zum Trend avancierte Begriff „nose to tail“ war ganz selbstverständlich. „Natürlich haben wir vom Tier alles verwendet, und nichts kam weg. Blutwurst, Leberwurst, Klachl und Fleck. Die Nicht-Edelteile sind ja die eigentlichen Edelteile. Das ist ganz stark im Kommen. Oder eigentlich schon da“, so Heinz Reitbauer, der Fleischhauer, zu der alten neuen Entwicklung.

Die Sehnsucht nach dem besten Fleisch brachte Heinz Reitbauer jedenfalls schnell zum Schaf. Für Rinder war die steile Hanglage nicht geeignet, sie sind zu schwer. Größe und Gewicht der Schafe sind perfekt. „Das Lamm hat einen sogenannten goldenen Tritt“, erklärt Heinz Reitbauer. „Es ist so leicht, dass es die Samen der Pflanzen nur ein bisschen festtritt, was das Wachstum der Pflanzen fördert. Das Credo von Heinz Reitbauer, dem Bauern, ist: züchten, schlachten, veredeln. Mit der Betonung auf veredeln, weil das für alle Bereiche gilt. „Wir können doch nicht unsere wertvollen Baumstämme billig nach Italien verkaufen, damit die dann Tische daraus machen und sie teuer weiterverkaufen. Genauso ist das bei Lebensmitteln. Wir müssen veredeln.“ Große Vorbilder sind für ihn die Vorarlberger, die ihre Milch zu besten Käsen verarbeiten. Er selbst veredelt Fleisch zu Leberwurst, Blutwurst, Salami, um nur ein paar Produkte zu nennen. Auch für die Wolle seiner Schafe läuft seit kurzem ein Veredelungs-Projekt. In Mürzhofen hat er eine engagierte Frau gefunden, die die Wolle nach der Schur sorgsam wäscht und weiterverarbeiten will. „Vielleicht gibt’s dann bald Pullover!“

Und sofort ist er wieder der Bauer: „Die Ziegen müssen auf die Wiese!“ Der Weg führt über den Parkplatz – bis dorthin werden noch ein paar Hände geschüttelt, Zeit für ein Gespräch gibt es dann später. Heinz Reitbauer ruft die Tiere, öffnet die Stalltür und lotst sie zwischen Porsche und Familienvans mit sicheren Handbewegungen bis zur grünen Wiese. Die Tiere kennen den Weg, aber eines bleibt zurück und wird von Gästen unter seiner Anleitung geholt.

Wenn Heinz Reitbauer über seine Tiere spricht, strahlen seine beiden unterschiedlich färbigen – Braun und Blau – Augen. Man könnte meinen, er habe sein ganzes Leben nichts anderes getan, was ja auch zumindest für seine Jugendjahre stimmt. Zur Zeit hat Heinz Reitbauer dreihundert Lämmer, vierzig Schweine, vierzig Ziegen und zwei Hühner. „Hühner sind ein schwieriges Thema“, sagt er und seufzt. „Wir hatten schon mal zwanzig. Doch der Fuchs hat in einer Nacht fast alle geholt.“ Die beiden verbliebenen Hühner schlafen derzeit bei den Ziegen – da sind sie vor dem Fuchs in Sicherheit. „Wir müssen uns aber irgendetwas einfallen lassen, wenn es wieder mehr werden sollen“, konstatiert er besorgt.

Um beide Restaurant-Betriebe der Familie Reitbauer mit bestem Fleisch zu versorgen, wird einmal in der Woche geschlachtet. „Sechs Lämmer, ein bis zwei Schweine, zwei bis vier Kälber und ein Rind“, zählt Reitbauer auf. Die Kälber und das Rind werden von Bauern aus der Umgebung zugekauft. Zwei angestellte Landwirte unterstützen Heinz Reitbauer mittlerweile im Betrieb, beim Schlachten ist er aber immer dabei. „Die T-Bone-Steaks, Schnitzel und Kalbsnieren nehme ich selbst heraus. Das Fine-tuning eben“, sagt der gelernte Fleischhauer mit einem scherzenden Unterton. Ist das Tier ausgenommen, beginnt die Reifezeit in den Reifekammern neben dem Stall. Rindfleisch reift hier 32 Tage. „Ich habe auch schon länger ausprobiert, aber ich finde, so schmeckt es am besten.“ Derzeit versucht der ewige Tüftler und Entwickler diese Reifezeit auch mit Schweinefleisch. „Da gibt es ja noch nicht so viele Erfahrungen, aber 32 Tage dürften auch hier dem Fleisch gut tun. Dry-aged Schweinefleisch“, meint Reitbauer und erklärt im gleichen Atemzug, warum sein Schweinsschnitzerl um einen Euro teurer ist. „Unsere schwäbisch-hällischen Schweine wachsen im Wald ohne Antibiotika auf und bewegen sich sehr viel. Dadurch zerteilt sich das Fett, und das Fleisch ist fein marmoriert. Sie werden erst geschlachtet, wenn sie ein Jahr alt sind und 140 bis 160 Kilogramm wiegen. Herkömmliche Schweine sind ja oft nur vier Monate alt“, ärgert sich Heinz Reitbauer, der Qualitäts-Botschafter. Unermüdlich überlegt er, wie man Qualitätsbewusstsein unter die Leute bringen kann und denkt auch weiter. „Nur der Konsument kann den Bauern retten. Keine EU oder sonst wer.“ Beim Einkauf im Supermarkt möge man doch auf Qualität statt auf den niedrigen Preis schauen. „Drei Koteletts um 3 Euro 90. Das kann es gar nicht geben. Auf Etiketten steht dann Tiroler Speck, dabei hat der in Tirol erst die Verpackung gesehen“, sagt Heinz Reitbauer, und dass die Konsumenten viel besser informiert werden müssten. „Kalbfleisch muss ganz hellrosa sein – alles, was dunkel ist, stammt von älteren Tieren. Vier Wochen und nicht schwerer als 100 Kilogramm – das sieht und schmeckt man unserem Fleisch auch an.“ Und so manchem Bauern würde er raten, die Milch nicht um ein paar Cent zu verkaufen, sondern sie lieber an Milchkälber zu verfüttern und dann ein wesentlich wertvolleres Fleisch zu bekommen.

Apropos füttern. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass vier Stunden um sind. Die jüngsten Lämmer brauchen etwas zu trinken. Unbeirrbar schleust sich Heinz Reitbauer seinen Weg durch die Gäste in die Küche, um Milch zu wärmen. Dann geht es wieder in den Stall, und unter Grunzen und Meckern beginnt die Fütterung von Neuem. Und in vier Stunden wieder. Dazwischen empfiehlt er einen Burgunder. Da leuchten die Augen wie im Stall.