Der Pionier im Kornfeld

Das nördlichste Reisanbaugebiet der Welt liegt in Österreich. Im Seewinkel hat Erwin Unger heuer die erste große Ernte eingefahren: rote und schwarze Körner. „Man sucht eben im Leben.“

Text von Anna Burghardt · Fotos von Julia Stix

Reis aus dem burgenländischen Seewinkel – da ist man versucht, an unter Wasser stehende Felder am Ufer des Neusiedler Sees zu denken (und, je nach Gutdünken, an pittoreske Flachkegelhüte). Mitnichten: Der Reis von Erwin Unger wächst auf trockenem Ackerboden. Lange Reihen mit hohen, dichten, einzelnen Grasbüscheln mit Rispen, an denen schwarze und rote Körner reifen, deren Farbe freilich noch von Spelzen verborgen wird. Sortenreine Reihen, wohlgemerkt, wenn nicht ein paar Arbeiterinnen die Sache heuer versehentlich auch ein ­bisschen falschfarbig angelegt hätten. Damit später bei der Ernte keine unerwünschte rot-schwarze Reiskoalition daraus wird, mussten die paar falsch gesetzten Pflanzen aufgespürt und händisch entfernt werden.

Am Sammeln von neuen Erfahrungen wie dieser mangelt es Erwin Unger nicht, seit er vor vier Jahren beschlossen hat, es auf seinen Feldern mit Reisanbau zu versuchen. Und somit das nördlichste Reisanbaugebiet der Welt zu schaffen. „Wir sind genau 77,09 Kilometer nördlich vom Tessin“, sagt Unger sichtlich stolz. Und auch nicht ohne Stolz erzählt er, dass es schon einmal Reisanbau im Burgenland gab: „Das war 1864, da war der Neusiedler See ausgetrocknet.“ Woher er das so genau wisse? Diese Frage erscheint Erwin Unger einen kurzen Moment nicht ganz nachvollziehbar. „Das ist doch Geschichte. Das haben wir in der Schule gelernt, das bekommt man als Kind mit, das sind so ein paar Dinge, die hängen bleiben.“ In seinem Büro zwischen Folientunneln und Lagerhallen hat er zwei Schälchen rohen Reis stehen, sie stammen noch von den Versuchen im Vorjahr. Rote und schwarze Körner, samenechte Sorten. „Der Rote kommt ursprünglich aus Frankreich, der Schwarze aus Italien.“ Daneben liegt ein Häufchen mit Spelzen umhüllter Reis, eine Probeernte der Vorwoche, samt frisch eingetroffenen Laborbefunden dazu. Auch ein Probesäckchen gibt es schon. Der Reis aus dem Seewinkel wird von „Ja! Natürlich“ vertrieben, Unger wollte aber bei der Verpackung unbedingt ein Wort mitreden: Viertelkilosäcke, braunes Packpapier mit Folienguckloch. Und, was ihm wichtig ist: mit genauer Kochanleitung und dem
Verweis auf die Homepage für Rezepte. Der schwarze Reis, leicht nussig schmeckend, braucht eineinhalb Stunden im normalen Kochtopf, der rote ein bisschen weniger.

Erwin Unger, ein Mann mit charismatisch zerfurchtem Gesicht und zupackenden Händen, sieht sich mehr als Jungpflanzengärtner denn als Bauer. Der Reis soll in Zukunft auch in Form von Jungpflanzen verkauft werden. Unger steht, wenn man so will, mit seinen Glashäusern am Beginn der Kette, an deren Ende die Biobauern aus der Region die Ernte einfahren. Er verkauft aber auch Biokräuter und Balkonpflanzen, wie etwa kleine Paprikapflanzen, an Rewe. Neben dem Reis hat er mit Chia, Quinoa und Belugalinsen experimentiert, damit soll es nächstes Jahr losgehen. „Man muss einfach solche Nischenprodukte forcieren.“ Wie er denn nun zum Reis kam? „Man sucht im Leben. Ein Leben lang such’ ich. Nach Produkten, die bei uns hereinpassen würden.“ Und er fand nicht nur den Reis. Sein nächstes Ziel: die kleinste Hirse der Welt, die aufgrund belgischer Rechte nicht bei ihrem eigentlichen Namen Teff genannt werden darf. „Man kommt einfach so dazu. Wenn man das Ziel verfolgt, etwas Neues zu machen.“ Seine direkten Abnehmer, die benachbarten Biobauern, seien auch immer auf der Suche nach neuen Pflanzen, die sich „in die Regionalität hereinholen lassen“, sagt er, der Jungpflanzengärtner. Erwin Unger will aber sicher sein, dass die ambitionierten Pflanzziele auch in der Praxis funktionieren, dass die Sache mit dem Reis auch tatsächlich gedeiht. „Ich muss als Jungpflanzenbauer das Produkt auch fertig sehen. Ein Vorbild sein, damit die Bauern wissen: Das wird ja wirklich fertig!“ Und jetzt erst, im vierten Jahr seiner Reisexperimente, habe er jenen Erfolg auf den Feldern, der ihn im kommenden Jahr mit gutem Gewissen die Reisjungpflanzen an interessierte Biobauern verkaufen lässt.
Denn so einfach ist das alles nicht.

Wie ein Jahr für den Reis idealerweise aussieht, musste Unger zig Monate erproben, „man braucht schon viel Geduld. Das war nicht immer leicht.“ Wie der Reisanbau anderswo aussieht, hat er sich nämlich nicht in natura angesehen. „Ich bin in Wallern zuhause“, erklärt er, durchaus zufrieden. (Und manchmal in der Luft hoch über Wallern, mit seinem weißen Sportflugzeug namens „Unger Chili“). „Das pannonische Klima ist ja für sehr viel mehr Dinge geeignet, als man glauben würde. Wir haben Wärme, wir haben Wind, können Wasser geben. In einem nassen Jahr ist es sicher nicht so gut, heuer war es ideal. Ein extremer Sommer. Reis braucht 160 Wärmetage mit 18 Grad plus“, erzählt Erwin Unger. „Die Wärmesumme mussten wir errechnen. An sich ist es eine einfache Kopfrechnungsgeschichte, die sich gemeinsam mit der Natur aber erst in die Praxis umsetzen lassen muss.“ Das heißt so viel wie: Im ersten Jahr erntete er gar nichts, im zweiten Jahr wusste er, „aha, so schaut’s aus“, im dritten Jahr habe er gesehen, es geht nur mit dem Aussetzen von Jungpflanzen, also nicht mit dem direkten Setzen der Körner. „Jetzt erst, im vierten Jahr, ist es ein voller Erfolg.“ Dass ihn deswegen derzeit Vertreter von Zeitungen und Fernsehsendern aufsuchen, für deren Kameras er die Ernte auch schon eine Woche zu früh simulieren musste – „auf hundert Metern halt nur“ –, erzählt er mit jenem leisen, fast demütigen Stolz, der schon ein paar Mal sein Gesicht erhellt hat.

Auf den Reisfeldern, die nur ein paar hundert Meter von seinem Büro und der Lagerhalle entfernt gelegen sind, hinterlässt gerade eine Dreschmaschine ihre breite, stachelig rasierte Spur. Es ist ein guter Tag zum Ernten. Die Tage zuvor hat es viel geregnet, nun sind die Reispflanzen aber auch dank ausreichend starkem Wind trocken genug. „Ich habe ja Angst gehabt, dass es mit dem normalen Mähdrescher viel Bruch geben wird, weil der frische Reis noch eher weich ist, aber das ist zum Glück nicht der Fall.“ Nach dem Dreschen werden die Körner samt Spelzen in Hallen ausgelegt und unter Luftzufuhr getrocknet, „das dauert circa eine Woche“, danach wird die Feuchtigkeit im Labor getestet. Dann schält eine Maschine die Körner, mit Gummibrettern, die aneinanderreiben, schonend, mit wenig Druck. „Und die Spelzen werden eine Zutat für Bioerde.“

Erwin Unger hat auf seinen 2,3 Hektar – mit einem sehr breiten Grinser folgt der Nachsatz „Entwicklung steigend“ – roten und schwarzen Reis halbe-halbe angepflanzt. Er deutet auf eine kaum sichtbare Stufe im Feld. „Ab da, wo der schwarze Reis wächst, ist quasi eine Senke, die schwarzen Reispflanzen sind schmächtiger im Wuchs. Das war auch nicht vorhersehbar, das sind so die Erfahrungen, die man macht.“ Ein Hase rennt gehetzt durchs Feld, flüchtet über die Zufahrtsstraße. „Auf dem Biofeld siehst die noch“, kommentiert der Biobauer Erich Leyer, der aufs Feld mitgekommen ist, um sich das Ernten anzusehen. Leyer ist einer jener Biobauern, die hier ebenfalls mit dem Reisanbau beginnen wollen – mit Erwin Ungers Jungpflanzen. Die ersten Experimente gab es bei Leyer schon, allerdings noch nicht mit dem gewünschten Erfolg, er hatte heuer wohl zu früh ausgepflanzt.

380.000 Jungpflanzen waren es, die Ende Februar ihr Leben in Erwin Ungers Glashaus begonnen hatten und Ende April, Anfang Mai auf seinen eigenen Feldern ausgepflanzt wurden. Auf seinem Handy zeigt Unger ein Foto der kleinen Grasbüschel, die die Reispflanzen damals noch waren. „Jetzt ist er fast wie Schilf. Und schneidet auch so!“ Was man bei hohen Temperaturen, Stichwort Hosenlänge, bedenken müsse. „Ich hab’ verschiedene Auspflanztermine ausprobiert. Wenn man drei Wochen zu spät dran ist, ist am Ende nichts drauf, weil der Reis ein Selbstbefruchter und Windbefruchter ist. Wenn dann schon zu hohe Luftfeuchtigkeit herrscht, hat man keinen Pollenflug mehr und die Rispen sind zur Ernte leer.“
Erwin Unger setzt auf die trockene Reisanbaumethode. „Wir gießen nur. Die riesigen Reisfelder in Asien, die mit Wasser angestaut werden, scheiden ja irrsinnig viel Methangas aus, weil da Faulschlamm entsteht.“

Apropos faul: Wie sind die Erfahrungen mit Schädlingen? „Beim Reis haben wir keine Schädlinge festgestellt“, antwortet Erwin Unger mit einem Ausdruck des zufriedenen Erstaunens, er hatte es wohl anders erwartet. „Man darf nur in der Nacht bewässern. Dann schaltet man schon sehr viel aus. Und, trocken: „Die Schädlinge kennen den Reis einfach noch nicht.“

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