Der Seltenste seiner Art

Heutzutage kommt Lachs in der Regel aus Zuchtbetrieben in Nordeuropa. Doch in einem Winkel Südfrankreichs werden nach wie vor vier verschiedene Arten Wildlachs geräuchert. Darunter auch ein dort heimischer, der ähnlich selten wie Blaue-Mauritius-Briefmarken zu sein scheint.

Text von Georges Desrues/Fotos Georges Desrues
Beschriftung Lorem Ipsum

Hervé Leglise lässt sich die gute Laune nicht verleiden, als er an einem sonnigen Tag im Mai mit seinem Hund und Plastikeimern voller Netze auf sein kleines Boot steigt und es startklar macht. „Mir reicht es schon, hier draußen am Wasser und an der frischen Luft zu sein“, spricht sich der Fischer selbst Mut zu und wirft den Motor an. Deswegen störe es ihn auch nicht weiter, dass er in dieser Saison gerade einmal einen einzigen Lachs gefangen habe. In manchen Jahren sei das eben so, da könne man nichts machen. Und vielleicht gehe ihm ja heute was ins Netz.

Die Landschaft ist in der Tat lieblich – auf der sanften Strömung geht es durch üppig grüne Natur den Adour flussabwärts, vorbei an alten Bauernhäusern und kleinen Schlössern. Trauerweiden streicheln das Wasser, auf einem Baumstamm treibt ein Fischreiher, dahinter tauchen Blässhühner. Rein gar nichts deutet darauf hin, dass es hier Lachse gibt. Ganz im Gegenteil. Zumindest als Laie stellt man sich Lachsgewässer nämlich völlig anders vor. Eher wie wilde, dicht bewaldete Flüsse in den schottischen Highlands oder wie reißende Bäche zwischen den schroffen Klippen Norwegens.

Und dennoch werden auch hier, im westlichen Süden Frankreichs, in einem Département namens Landes, seit Menschengedenken und ohne Unterbrechung Lachse ­gefischt. Genau wie in den klassischen Fanggebieten in Nordeuropa kommen die Fische ein Mal im Jahr und nach einer Tausende Kilometer langen Reise zurück in den Fluss, in dem sie geboren wurden, um hier zu laichen.

„Noch im Vorjahr hab ich selbst 15 Stück gefangen, der kleinste darunter wog sieben Kilogramm“, erzählt Leglise und wirft in Ufernähe sein Netz aus. Den Motor würgt er in der Flussmitte ab. „Über die ganze Breite darf man die Netze nicht spannen, das ist per Gesetz verboten“, sagt er. So soll den Lachsen und anderen Fischen die Chance bleiben, einfach vorbeizuschwimmen.
Überhaupt sei die professionelle Lachsfischerei hier sehr stark reguliert, erklärt der Fischer, während er dasitzt, wartet und den Hund streichelt. Gerade einmal zwei Dutzend weitere Fanglizenzen würden vergeben. Zwecks Kontrolle und Nachverfolgung erhält jeder gefangene Lachs ein Schild mit einer Nummer und dem Namen des Fischers darauf. Gefischt werden darf nur von April bis Juli und an bestimmten Tagen in der Woche. Im Schnitt sind es lediglich ein paar hundert Exemplare, die den Fischern pro Jahr in die Netze gehen. Dementsprechend hoch sind die Preise. Circa 50 Euro erzielt ein Kilo Adour-Lachs bei der Versteigerung in der Stadt Bayonne, wo der Fluss in den Atlantik mündet.

In früheren Zeiten wurde freilich noch viel mehr gefangen. Einst wimmelte es hier, wie in vielen Flüssen des Kontinents, nur so von Wanderfischen wie Lachs, Stör, Seeforelle und Maifisch. Hier, am Fuße der Pyrenäen, war die Flussfischerei ein weitverbreiteter Berufszweig, der etlichen Menschen Nahrung und Einkommen verschaffte. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg machten immer mehr Staudämme und eine drastische Überfischung den Beständen zu schaffen. In den 1980er-Jahren wäre der Lachs aus dem Adour fast verschwunden, so wie er das in anderen Flüssen des Kontinents längst war. Doch dank der strengeren Fanggesetze konnte sich die Population langsam erholen, und so darf er heute wieder befangen werden. Zumindest sieht das der französische Gesetzgeber so.

Leglise richtet sich auf. Im Netz scheint sich was zu tun. Lachs könne es allerdings keiner sein, dafür sei der Zug an den Tauen zu gering. „Vermutlich eine Alose“, sagt er und holt das Netz ein. Darin hat sich tatsächlich eine Alose verfangen, eine Art, die auch Maifisch genannt wird und die, während sie anderswo und genau wie der Lachs geschützt ist, im Adour nach wie vor befangen wird. Der Fisch wiegt circa zwei Kilo, hat eine prachtvolle, in der Sonne bunt schimmernde Haut und zählt zur Familie der Heringe. An diesem Nachmittag wird der Fischer noch zwei weitere Alosen fangen, die er aber am Ende des Tages lebend zurück in den Fluss wirft. „Wegen drei Fischen nach ­Bayonne zur Versteigerung zu fahren, zahlt sich für mich nicht aus“, erklärt er und behält den dritten, um ihn selbst zu essen.

In seinem Wagen, am Weg zum Haus seiner Eltern, erzählt Leglise, dass er zum Glück nur nebenberuflich fische, sich hauptberuflich dem Kiwi-Anbau widme, der in dieser Gegend erstaunlich stark verbreitet ist. Prompt geht die Fahrt über einen Kreisverkehr, in dessen Mitte das übergroße Beton-Denkmal einer Kiwi prangt. „Als Hauptberuf kann man das Fischen heute nicht mehr ausüben“, fährt der Obstbauer fort, „rentabel sind in Wahrheit nur der Lachs und die kleinen Glasaale, die man an einigen wenigen Tagen im Winter fischen darf.“ Zu Hause hat sein Vater eine Alose zubereitet, die der Sohn ihm am Vortag gebracht hatte. Nach einem traditionellen Rezept hat er sie mit Dörrzwetschken in Rotwein gekocht; über Stunden und auf sehr kleiner Flamme, damit einerseits die zahlreichen dünnen Gräten schmelzen und andererseits der Fisch nicht zerfällt und sich auflöst.

Das Gericht ist von sämiger Konsistenz, das Fleisch der Alose schmeckt vorzüglich, die Sauce freilich noch besser. Dazu trinkt man dunkelroten Tannat und hintennach noch ein Gläschen Armagnac. Gesprochen wird recht erwartungsgemäß darüber, wie früher alles besser war, wie der Staat der Fischerei heute viel zu viel dreinredet und was für Heuchler die Sportfischer seien, die der Berufsfischerei am Fluss ein Ende setzen und den Lachs für sich allein haben wollen.

Tags darauf geht es wieder hinaus auf den Adour, das Wetter ist nach wie vor prächtig, die Strömung sanft. Nach circa zwei Stunden und zwei weiteren Alosen ist es endlich so weit. Das Netz bebt, Leglise springt auf, strahlt übers ganze Gesicht und zieht einen kolossalen Fisch an Bord.

Da wäre er also, der mythische Adour-Lachs. Der Fischer versieht ihn mit seiner Marke, murmelt etwas von „mindestens sieben Kilo“, wirft den Motor an und steuert flussaufwärts in Richtung der Ortschaft Peyrehorade. Per Mobiltelefon verständigt er die Firma Barthouil, an die er seinen Fang üblicherweise verkauft.

„Schon mein Großvater kaufte Lachs von Hervés Großvater“, erzählt Guillemette Barthouil, während sie den Fisch entgegennimmt. Monsieur Barthouil war es auch, der Ende der 1920er-Jahre als Erster in der Gegend Lachs räucherte. „Bis dahin hatte das Räuchern bei uns hier im Süden überhaupt keine Tradition“, erzählt die Enkelin. „Unsere Region ist ja eher bekannt für ihre Schmalzkonserven, die wir ebenfalls erzeugen. Darum reiste mein Großvater auch nach Dänemark, um sich das mit der Räucherei ganz genau anzuschauen.“

Seitdem werde bei den Barthouils auf ein und dieselbe handwerkliche Art geräuchert, erzählt die Chefin, während sie durch den Betrieb führt. Die Fische werden per Hand geschuppt, ausgenommen und mit Skalpellen eingeritzt, damit das Meersalz, das händisch aufgetragen wird, leichter eindringen kann. „Dadurch treten überschüssiges Wasser und Fett aus“, erklärt die Unternehmerin, „das Fleisch wird dichter in der Konsistenz, sein Geschmack intensiver.“ Danach reifen die Lachsseiten je nach Gewicht bis zu 48 Stunden, bevor sie gewaschen und zum Trockenen aufgehängt werden. Schließlich kommen sie in die metallenen Öfen, wo sie langsam geräuchert werden; und zwar ausschließlich über Holz von Erlen, die an den Ufern des Adour wachsen. Und das so lange, wie die den Prozess überwachende Person es für richtig hält.

„Mit allen unseren Lachsen verfahren wir auf ein und dieselbe Art“, betont Barthouil und führt in einen Verkostungsraum. Dort hat sie bereits einige der Sorten Räucherlachs vorbereitet, die sie anbietet. Das sind erstaunlich viele, nämlich allein schon vier Sorten europäischer Wildlachs – aus dem Baltikum, aus Schottland, Norwegen und eben aus dem Adour.

Dass sich die vier Lachse, obgleich sie alle der Art Atlantischer Lachs (Salmosalar) angehören, im Geschmack und teilweise auch in der Farbe unterscheiden, liegt an den unterschied­lichen Wanderungen, die sie zurücklegen. „Wenn sie in die Flüsse und also in Süßwasser zurückkehren, hören sie auf zu fressen. Darum legen sie zuvor Reserven im Meer an, und da entscheidet die jeweilige Nahrung über Farbe, Geschmack und Konsistenz“, erklärt Barthouil. So gebe es etwa in der Ostsee keine Krustentiere, weswegen der Baltische Lachs sich hauptsächlich von Hering und Sprotten ernähre. Dadurch sei sein Fleisch weniger rosa, etwas bräunlicher. Der norwegische wiederum wandere zwischen Skandinavien und Grönland, während der schottische und der französische aus der Labradorsee in Kanada zurückkehrten.

Bevor er also den Adour hinaufschwimmt, frisst sich der Lachs im Golf von Biskaya noch mit Krusten- und Weichtieren voll. Mit handelsüblichem geräuchertem Zuchtlachs haben alle vier Sorten kaum was am Hut. Dieüblichen weißen Fettstreifen fehlen fast gänzlich, anstatt leicht tranig schmecken sie allesamt delikat. Und anstatt von schmieriger sind sie von bissfester Konsistenz. Aber tatsächlich ist das Fleisch des Adour-Lachses noch eine Spur kompakter und fettärmer, sein Geschmack noch etwas subtiler und delikater als das der anderen Exemplare. Kurz gefasst ist er also nicht nur der Seltenste und Teuerste, sondern auch der Beste.

Hervé Leglise ist sichtlich zufrieden – und obendrein motiviert. Folglich verabschiedet er sich, will noch einmal raus auf den Fluss. Vielleicht ist ja heute auch sein Glückstag und er kann noch einen zweiten fangen. Das wäre dann der dritte in dieser Saison. Falls nicht, ist’s auch egal. Am Nachmittag verwandelt sich der Lachsfischer sowieso wieder in einen südfranzösischen Landwirt. Dann muss er sich um seine Kiwis kümmern.

In Frankreichs Spitzen­gastronomie ist der Adour-Lachs naturgemäß sehr begehrt, weswegen er anderswo auch nur selten, wenn überhaupt, erhältlich ist. Erhältlich sind alle vier Wildlachssorten im Onlineshop der Firma Barthouil. www.barthouil.fr
Oder aber, auf Bestellung, bei Feinkost König in der Wiener Servitengasse. ­www.koenigswelt.at

Im Familienbetrieb der ­Barthouils werden viererlei Sorten Wildlachs über ­Erlenholz geräuchert. Drei davon sind hier zu sehen, v. oben nach unten.: Ostsee, Adour, Nor­wegen.