Der Sous-vide-Espresso
Alle Methoden der Kaffeezubereitung sind längst erfunden? Mitnichten. Zwei Brüder aus den USA starteten mit einem Plastikkanister und einer Vakuumpumpe und entdeckten dabei womöglich die Zukunft des Kaffees. Und des Tees auch noch gleich.
Text von Florian Holzer · Foto von Noah Fecks
Letztlich geht es immer darum, die Aromen der gerösteten Kaffeebohne ins Wasser zu bekommen. Man machte das durch Aufkochen der grob zerstoßenen Bohnen, durch langsames Übergießen feiner gemahlenen Guts mit heißem Wasser, durch lange Auslaugung in kaltem Wasser oder blitzartigen Kontakt fein gemahlenen, gepressten Kaffeepulvers mit heißem Wasser unter hohem Druck. Unterschiedliche Methoden, unterschiedlicher technischer Aufwand, unterschiedlicher Druck, unterschiedliche Temperatur, unterschiedliche Ergebnisse, aber immer mit dem Ziel, möglichst viel herauszuholen.
Mit modernen Espressomaschinen – vor allem bei solchen, die eine manuelle Steuerung der Vorquellphase ermöglichen – kommt man da schon sehr weit. Aber auch die technisch sehr viel schlichteren, manuell zu betätigen French- und Aero-Press-Systeme ermöglichen dank guter Kombination aus Auslaugung und Druck tolle Ergebnisse, Single-Origin-Kaffees mit sehr individuellen Geschmacksprofilen können mit diesen Geräten überaus Aroma-authentisch zubereitet werden. Und auch die Methode der Kaffeeherstellung mittels Unterdruck ist schon seit fast 200 Jahren bekannt, als Siphon-Methode feiert sie in den Weihestätten der 3rd-Wave-Kaffee-Bewegung gerade ihre Renaissance.
Das ist auch die Ecke, aus der Dean und Lou Vastardis kommen. 2007 ließ sich Dean Vastardis von der Sous-vide-Methode und von diversen Unterdrucktechniken, mit denen Küchenchefs das Marinieren von Fleisch und Fisch beschleunigen, inspirieren und bastelte sich aus einem Plastikkanister, einem Reifenventil und einer Vakuumpumpe ein Kaffeezubereitungsgerät, das sehr viele Elemente anderer Kaffeezubereitungen, aber auch Extraktionsmethoden der modernen Küchentechnik miteinander kombiniert. Was dabei rauskam, ergab zwar noch keinen besonders guten Kaffee, gaben die Brüder in diversen Interviews zu, aber er war jedenfalls irrsinnig konzentriert, was sie dazu veranlasste, weiter zu forschen.
2013 meldeten die Brüder das Patent für ihre „RAIN“-Methode (Reverse Atmosphere Infusion) an, gründeten ihr Unternehmen BKON und überzeugten einen der größten Kaffeemaschinenerzeuger der Welt, das Schweizer Unternehmen Franke, zur Partnerschaft. Der erste Erfolg für dieses Gerät, das ein bisschen wie ein kleiner DNA-Generator aus einem Science-Fiction-Film aussieht, war dann allerdings doch etwas überraschend: Der „BKON Craft Brewer“ gewann nämlich noch im gleichen Jahr den Titel „Best New Product“ auf der Wold Tea Expo. Ja genau, Tee.
Tatsächlich ist es dieser Vakuumpumpe nämlich relativ egal, woraus sie die Aromen in Wasser löst, ob aus Kräutern, Rinden, getrockneten Früchten, Wurzeln, fermentierten Blättern oder eben gerösteten und gemahlenen Bohnen. Denn der Craft Brewer funktioniert bei all diesen Basiszutaten gleich: In einem Glaszylinger befindet sich das zum Getränk werdende Trockenmaterial; ein Vakuum entzieht den Substanzen zuerst einmal Luft und alle anderen löslichen Gase, dann wird Wasser zugegeben und von der Zellstruktur entsprechend gierig aufgesaugt – und dringt somit weiter und schneller ins Innere des pflanzlichen Materials vor, als das nur durch Druck oder Temperatur sonst möglich wäre. Je nachdem, was man da in den Glaszylinder gefüllt hat und wie intensiv man es gerne hätte, wird der Prozess dann ein paar Mal wiederholt, die Teeblätter, gemahlenen Kaffeebohnen, Gewürze, Trockenfrüchte oder was auch immer werden innerhalb kürzester Zeit quasi völlig ausgeschwemmt und leergesaugt. Sanft ist das nicht, effektiv allerdings sehr wohl.
Bei Tee bringt das den Vorteil mit sich, dass die Extraktion mit einer Dauer von etwa einer Minute radikal beschleunigt wird und der Aromenverlust durch Oxidation oder Bedienungsfehler minimiert werden kann. Bei Kaffee ermöglicht dies eine bisher nicht gekannte, fast völlig unbeeinträchtigte Erschließung von Aromen, auch mit kaltem Wasser, auch das in kürzester Zeit. Ein Jahr nach dem Tee-Maschinen-Award bekam der BKON Craft Brewer jedenfalls auch den Titel „Coffee Machine of the Year 2014“ der SCAA (Speciality Coffee Association of America).
In Europa ist dieses sagenhafte Gerät, dessen Preis angeblich bei 14.000 US-Dollar liegt, jedenfalls noch ein schemenhaftes Gerücht, bei der Wiener Niederlassung von Franke wusste man nicht einmal von seiner Existenz. Auch Simon Huber, Co-Betreiber und Chef-Barista der kleinen 3rd-Wave-Kaffeebar Kaffemik in der Wiener Zollergasse, hatte den BKON Craft Brewer nur einmal bei einer Messe in Seattle vor Augen. Der damit extrahierte Kaffee sei schon sehr eindrucksvoll gewesen, meint er, eine so hohe Summe würde er allerdings trotzdem lieber in eine Espressomaschine investieren.
Dass es den Craft Brewer bald billiger geben wird, darüber sind sich die amerikanischen Kaffee-Blogger einig, und dass er dann nur in Kaffee- oder Teebars stehen wird, ist ziemlich unwahrscheinlich. Denn die Vakuumpumpe funktioniert schließlich nicht nur mit Wasser, sondern mit jeder Flüssigkeit, also auch Spirits, was die Möglichkeiten für Kreativität etwa im Cocktail-Business doch dramatisch erhöht. Und auch für die kreative Küche klingt ein Gerät, mit dem man Fonds und Bouillons aromatisieren oder Essenzen extrahieren kann, nicht ganz uninteressant …