Die fetten Jahre sind vorbei

Eine neue, alte Rinderrasse beginnt sich am österreichischen Markt zu etablieren: Das Fassona oder auch Piemonteser Rind ist eine jahrtausendealte Kreuzung zwischen Zebu und Auerochse, sieht aus wie Arnold Schwarzenegger in Bestform und stellt das Dogma des intramuskulären Fetts in Frage.

Text von Florian Holzer/Fotos von Regina Hügli

Zeus scheint vor Kraft zu explodieren, die Muskeln quellen aus seinen Schultern, aus seinen Hüften, aus seiner Brust, aus seinem Rücken, aus seinem Nacken. Dort, wo bei anderen Tieren vielleicht Haare sprießen oder einfach Haut ist, sind bei Zeus überall Muskeln, es sieht so aus, als könnte Zeus vor Kraft nicht gehen. Kann er aber natürlich. Zeus ist nämlich ein wunderschöner Stier der Rinderrasse Fassona alias Piemonteser, stammt aus den Cottischen Alpen und wurde am Fuße des Dreitausenders Monte Viso im Quellgebiet des Po geboren. Muss Zeus viel trainieren und täglich ein straffes Programm außerordentlichen Rinder-Sports absolvieren, um zu dieser eindrucksvollen Muskulatur zu gelangen? Nein, Zeus muss nur die Graurind-Mutterkühe von Julia und Vinzenz Harbich „bespringen“ und sonst den ganzen Tag Bio-Heu essen, Zeus ist natur-muskulös. Glücklicher Zeus.

Das Piemonteser Rind ist eine sehr, sehr besondere Kuh. Erstens, weil die Rasse ururalt ist, wovon ein genetischer Fingerabdruck sowohl des ­indischen Zebu-Rinds als auch des europäischen Urrinds Auerochse zeugt. Was nahelegt, dass das Piemonteser Rind zumindest ein paar Tausend Jahre alt ist, und mit so ­einem Stammbaum kann unter Europas Urrindern sonst keines aufwarten. Die isolierte Lage der alpinen Regionen des Piemont und die Abgrenzung durch schneebedeckte Berggipfel nach Westen und Norden haben wohl dazu geführt, dass diese Rinderrasse hier unverändert überleben konnte, schätzt man.

Und damit nicht genug, trat bei den Piemonteser Rindern Ende des 19. Jahrhunderts auch noch eine genetische Mutation auf, ein Defekt eines Proteins namens Myostatin, dessen Aufgabe es normalerweise ist, das Muskelwachstum in natürliche Bahnen zu lenken. Wie auch beim Weißblauen Belgier führte dieser Gendefekt bei betroffenen Rindern also zu besonders ausgeprägter Muskulatur, „Doppellender“ genannt, die anfängliche Ablehnung bei den Piemonteser Züchtern wich jedenfalls rasch einem gewissen Faible für die Bodybuilderstatur, die Muskelbären mit dem ­Mystatin-Defekt wurden nicht mehr weggesperrt, sondern durften sich fortpflanzen.

Aber damit ist es mit den Besonderheiten des Fassone noch nicht zu Ende: Das Rind ist außerdem ex­trem mager. Das bisschen Fett, das sein Metabolismus ausbildet, wird außenrum angelegt, intramuskuläres Fett – längst ein Fetisch in der Steak-Community, das die Leute dazu bringt, Rindfleisch zu verehren, das genauso viel Weißes wie Rotes aufweist – findet beim Fassone schlichtweg nicht statt. Das Piemonteser Rind besteht nur aus puren roten Muskeln. Es ist damit quasi ist die Antithese zum ­Wagyu-Rind.

Vinzenz Harbich hat sich immer schon für spezielle, alte, außergewöhnliche Rinderrassen interessiert. Seine Eltern begannen in den 1990er-Jahren damit, eine Herde mit Tiroler Grauvieh aufzubauen, auch eine wunderschöne uralte Spezies, ­robust, gutmütig und charakterstark. In Aderklaa im Marchfeld, unweit der Wiener Stadtgrenze, ist das definitiv ungewöhnlich, wie die Rinderzucht überhaupt hier im Land des Spargels, der Zwiebeln und Tiefkühlerbsen, und dann auch noch biologisch. Kopfschütteln herrschte rundum. 2003 übernahmen dann Julia und Vinzenz den Hof, stellten die Herde von Milchkühen auf Fleisch­rinder mit Mutterkuhhaltung um und bauten einen ersten Laufstall – den man im Falle eines Falles, wenn das alles nicht funktioniert hätte, auch schnell wieder zum Geräteschuppen umbauen hätte können.

Es funktionierte aber. Die Harbichs boten ab 2005 Direktverkauf ab Hof an, und nachdem es da gerade schwer war, an junge Grauvieh-Stiere zu kommen, begann sich Vinzenz Harbich zu über­legen, welche Rasse der Herde denn sonst noch gut zupasskämen. Seine Wahl fiel auf Blonde d’Aquitaine, da war der Stier allerdings gerade nicht erhältlich, „Piemonteser gab es aber“, erinnert sich Vinzenz Harbich.

Und der bewährt sich mittlerweile ganz hervorragend. Denn die Vorteile des muskulösen Italieners verbinden sich ganz wunderbar mit den Vorteilen des Tiroler Grauviehs: Im schlachtreifen Alter von etwa 24 Monaten haben die Fassona-Grauvieh-Kreuzungen immerhin fünfzig Kilo mehr Fleisch auf den Knochen, als das ohne Zutun des Piemontesers der Fall wäre. Andererseits kalben die Grauvieh-Mutterkühe völlig problemlos, was bei reinrassigen Piemontesern kaum funktioniert, da müssen die Kälber nicht selten per Kaiserschnitt auf die Welt gebracht werden. Was Vinzenz ­Harbich, dessen Herde über 200 Tiere umfasst (dazu noch Schwäbisch-Hällische Schweine und Burenziegen) und dessen 200 Hektar Weideflächen bis an die tschechische Grenze reichen, nicht gerade gut in den Tagesablauf passen würde.

Am Biohof Harbich sind auch noch andere Stiere höchst interessanter Fleischrassen zugange. Aubracs zum Beispiel, eine alte Rinderrasse aus dem französischen Zentralmassiv, deren sehr fette Milch als Basis für den (raren) Laguiole-Käse dient und deren dunkles, zartes Fleisch aufgrund seines kräftigen, fast ein bisschen eigenwilligen Wild-Aromas zunehmend Beachtung findet. Vinzenz Harbich verfolgt bei der Befruchtung seiner Mutterkühe zwar die Philosophie der Natürlichkeit, das heißt, die Rinder haben noch echten Sex miteinander, deshalb darf aber noch lange nicht jede mit jedem. Harbich sorgt dafür, dass die Grauvieh-Aubrac-Kreuzungen im Winter zur Welt kommen, danach sind reinrassige Aubracs dran, dann die Grauvieh-Piemonteser. Ob er Piemonteser und Aubracs auch schon einmal gekreuzt habe, „ja, aber das hat keinen Sinn, die sind dann fast schon übertrieben mager“.

Harbich ist mit seiner Wahl jedenfalls sehr zufrieden, denn Piemonteser Rinder haben nicht nur mehr und magereres Fleisch („auch wenn es uns gut schmeckt, will das Auge bei einem Stück Fleisch eigentlich kein Fett sehen, das ist ein bisschen ein Paradoxon“), sie haben auch dünnere und feinere Knochen, „es bleibt dir vom Schlachtkörper also einfach mehr übrig“. Und das freut den Direktvermarkter.

Im Piemont schätzt man das Fleisch der mageren Rinder als Basis für Carne cruda und Carpaccio, hier kommt sein extrem feines, fast blumiges Aroma besonders gut zur Geltung. Vinzenz Harbich habe aber die Erfahrung gemacht, dass es auch gebraten und geschmort extrem zart sei, obwohl da kein Fett die Sache schmiere. Er lasse es drei bis vier Wochen lang reifen, das erweise sich auch beim mageren Fleisch als sehr förderlich, allerdings seien die Unterschiede zwischen den einzelnen Partien nicht so gravierend wie bei anderen Rindern. Mit dem Effekt, dass ihm nicht – wie sonst oft der Fall – die Edelteile aus dem „Englischen“ aus der Hand gerissen werden und er auf den übrigen Stücken sitzen bleibt, im Gegenteil. Schwarzes Scherzel, Mageres Meisel, Hüferschwanzel und Co erfreuen sich bei den Ab-Hof-Kunden großer Beliebtheit, „natürlich auch, weil die Stücke aus dem Englischen doch etwas teurer sind“.

An die 80 Mal pro Jahr schlachten Vinzenz Harbich und sein angestellter Fleischhauer im 2012 errichteten Schlachtraum selbst, stressfrei und ohne jeden Transport, und 80 Mal pro Jahr bedeutet, dass es nicht einem Lottogewinn gleichkommt, ein Stück von der Piemonteser Kreuzung zu ergattern, man kann sogar ziemlich ­sicher damit rechnen.

Auch ziemlich sicher rechnen kann Marco Ramasotto mit dem Fleisch. Der junge Mann aus Turin stammt aus einer Fassona-Züchterfamilie und eröffnete Anfang des Jahres mit seinem Kollegen Enrico Sestin ein kleines Pastalokal namens SoFàre in der Wiener Hollandstraße. Ihm ging das Herz auf, als er entdeckte, dass unweit seiner Küche ein ­Piemonteser Stier sein Werk verrichtet. „Er kannte sogar den Züchter, bei dem wir Zeus gekauft haben“, lacht Vinzenz Harbich. Und für das spezielle Ragù des SoFàre faschiert er das Fleisch nach Anweisung des Turiners ein wenig grober, sagt er.