Die Küchen-Dragonerin

Die Küchen-Dragonerin

Die Österreicherin Sarah Wiener ist Deutschlands erfolgreichste Köchin. Wie die Tochter des Wiener Sprachkünstlers Oswald Wiener mit einer Hand voll Wiener Schmäh, ein paar Kochrezepten aus dem Familienfundus und viel Lebenserfahrung im Gepäck in Berlin zur erfolgreichen Gastro-Unternehmerin mutierte.
Text von Michaela Ernst Fotos: Manfred Klimek
Weiß Gott, wie oft sie diesen kleinen, aber wirkungsvollen Part einstudiert hat, bis er so sympathisch-unschuldig klang wie das Frühstücksgeklimper an jenem freundlichen Berliner Vormittag. Auf die Frage, wie es vom einen zum anderen kam, antwortete sie: "Ich habe mir gedacht: Von allen Sachen, die ich nicht kann, kann ich noch am besten kochen."
Das hört sich keineswegs so resignativ an, wie es sich lesen könnte, und war selbstverständlich auch keine Spur so gemeint. Denn wenn Sarah Wiener, derzeit Deutschlands berühmteste Köchin, von ihrem Werdegang spricht, schupft sie lässig die Worte wie kleine Teigbällchen aufs Blech, formt daraus flink und ohne Aufsehen Vanillekipferl und nimmt dann mit einem inneren Lachen zur Kenntnis, wenn andere "Ahh!" und "Ohh!" schwärmen.
Es ist nicht zu messen, wie schwer der Ehrgeiz der Gastro-Unternehmerin wiegt, die sich in nur wenigen Jahren beachtliche fünf Standbeine in Berlin-Mitte schuf – die Restaurants "Hamburger Bahnhof", das "Speisezimmer", das kürzlich eröffnete Brötchenbüffet "Sarah Wiener in der Akademie der Künste" am Pariser Platz, ein Partyservice und das Filmcatering, mit dem alles begann. Richtig bekannt, auch außerhalb der deutschen Hauptstadt, wurde sie aber erst im vergangenen Jahr durch ihre Rolle als Mamsell in der ARD-History-Dokusoap "Abenteuer 1900" und durch ihre Auftritte in der ZDF-Show "Kochen bei Kerner". Trotz dieses Karriere-Feuerwerks wirkt Wiener wirklich nicht so, als ob sie irgendjemandem kampf- oder krampfhaft etwas beweisen wollte. "Ich habe nie nach etwas suchen müssen, es ist mir immer alles angeboten worden", stellt sie erleichtert fest, wobei sich dieser Komfort natürlich erst dann manifestierte, nachdem sie sich bereits als Filmcrew-Verköstigerin einen Namen gemacht hatte.
Was sich hingegen rasch bemerkbar macht und daher auch ohne psychologisches Einfühlungsvermögen behaupten lässt: Diese Frau hat einen Turbo eingebaut. Sie rezipiert, denkt, entscheidet und agiert nicht nur schnell, sondern schneller als die meisten anderen. Das ist vermutlich der Grund, weshalb ihr Namensschild heute an den besten Adressen Berlins prangt und nicht mehr an der mobilen Panzerküche der ehemaligen DDR Volksarmee, mit der sie einst, kurz nach dem Mauerfall, ihre ersten Erfolge einfuhr. Ihr Motto lautet: "Neues ausprobieren!" – und zwar nicht im gemeinhin üblichen 7- bis 10-Jahres-Rhythmus, sondern "alle drei bis vier Monate, weil ich mich dann frage, wo ich stehe und wo ich hin will". Drei Monate nach ihrem 30. Geburtstag, der schon eine Weile zurückliegt, hat sie sich übrigens eine weiße Moto Guzzi, Baujahr 1971 – "ein heißer Ofen!" – geschenkt. Soweit zum Tempo.
Dabei war der Boden unter ihren Füßen alles andere als stabil, als die heute 42-Jährige vor rund 15 Jahren den ersten Baustein zu ihrer kulinarischen Ideenwerkstatt legte. Welche Werkzeuge trug sie damals im Gepäck? Eine unkonventionelle und herzhaft-dynamische Jugend in einem Künstlerhaushalt – ihre Mutter ist die bildende Künstlerin Lore Heuermann, ihr Vater der Sprachkünstler und Mitbegründer der Wiener Gruppe, Oswald Wiener. Ausbüchsen mit 16 nach Berlin, zehn Jahre Kontakt-Abbruch zu den Wiener Wurzeln. Kellnern und kosten von Verbotenem. Kämpfen ums wirtschaftliche Überleben und kochen lernen in den "zwei Beisln meines Vaters", dem legendären Berliner "Exil", in dem Oswald Wiener, gemeinsam mit dem Künstler Günther Brus, die "österreichische Exilregierung" ausrief und dem "Axbax". Irgendwie musste schließlich die Miete bezahlt werden.
Ihre persönliche Wende erlebte die Alleinerzieherin des mittlerweile erwachsenen Sohnes Artur, als sie sich, nach der Kartoffelschäl- und Spargelputz-Kur in Papas Polit-Küche, "in Highheels, schwarzem Mini-Unterrock und lila Kunstpelz-Stola" bei einer Werbeagentur bewarb, die per Inserat eine Köchin gesucht hatte. Ihr Auftritt – "ich hatte damals so meine Aufbrezelphase" – blieb zwar nicht unkommentiert ("Wir wollten eine Köchin und kein Model!"), doch die Wiener bekam ihre Chance. "Ein Glück, dass man mir diesen Fauxpas nicht übel genommen hatte. Denen war das Wichtigste, dass das Essen pünktlich um 13 Uhr aufgetischt war, alles andere wurde mir überlassen."
Dann kam der Mauerfall und damit der Zugang zu dem wundersamen militärischen Kochfahrzeug. "Ich kaufte gleich ein altes Hutschenreuther Porzellan dazu und verköstigte vorerst nur Freunde. Aber ich erzählte bereits überall herum, dass ich ein florierendes Filmcatering betreibe", erzählt sie lachend. Ihre Kühnheit machte sich jedenfalls bezahlt, denn in einer der von ihr bewirteten Runden saß zufälligerweise die Freundin einer US-Regisseurin, die in Ost-Berlin einen Film drehen wollte – "so kam ich zu meinem ersten Auftrag". Noch bevor der Film abgedreht war, meldete sich neue Kundschaft.
Das Hutschenreuther ist längst durch weißes Porzellan ersetzt, mit Suppenmädel-Logo und eigenem Schriftzug. Die Prinzipalin thront hinter einem erhöhten Tisch in ihrem Restaurant am Hamburger Bahnhof, vor sich eine Schüssel frischen Obstsalat sowie den stets aufgeklappten Laptop. "Ursprünglich ist dieser erhöhte Platz aus architektonischen Überlegungen entstanden", erklärt sie, "weil es einfach nicht angenehm ist, neben einer hohen Tür, wie der hier vorhandenen, niedrig zu sitzen. Dass ich da oben mittlerweile so aussehe wie ein Löwe in der Savanne, der seinen Rudel im Griff hat, finde ich schön!"
Von ihrem Podest aus zelebriert sie das tägliche Brieföffnen ("Mal schauen, was ich heute wieder für Geschenke bekommen habe", zwinkert sie) sowie ihre Buchungen und Korrespondenzen.
Während sie bei den Filmcaterings nach wie vor fast jeden Auftrag persönlich erledigt, begibt sich Wiener in ihren Lokalen nur mehr nach Lust und Laune hinter den Herd. "Meine Köche arbeiten schon so lange bei mir und jeder hat seine eigene Handschrift. Weshalb sollte ich da also dazwischenpfuschen …"
Der Küche, die sie nach oben brachte, blieb die Unternehmerin, zumindest in der Grundausrichtung, bis heute treu. Frittaten-Suppe, Kalbsleber mit Apfelspalten, gekochtes Rindfleisch und Topfenknödel stehen auf der Karte. Dazu werden Weine von Umathum, Ott, Heinrich oder Krutzler ausgeschenkt.
Konsequenterweise kommt ihr, nachdem die Berliner aufgrund des leicht schlammigen Tons im Trinkwasser gern zu quellengespeisten Bouteillen greifen, keine andere Marke als "Römerquelle" auf den Tisch. Wiener wienert definitiv. In ihrer Genussdefinition, ihrem Humor, ihrer Ausdrucksweise. Selbst wenn sie auf ihre alte Heimat nur mehr einen milden touristischen Blick wirft und sie bis auf Familie und eine Hand voll Uralt-Freunde nicht mehr viel mit Wien verbindet.
Neben den "austrian classics" findet man allerdings auch "In braunem Zucker und grünem Tee gebeizten Lachs" oder "Sautierte Pfifferlinge mit Schnittlauch-Rahmsauce, Brennnesselgnocchi, Paradeisern und frischem Parmesan". Was ihren Stil auszeichne, sei "das Einfache, Klare, Authentische und keine geistigen Schwerstanforderungen. Ich hasse es, wenn es zur intellektuellen Arbeit wird, sich ein Gericht einzuverleiben." Dass sie nebenher auch gern mit den Moden geht, versucht sie erst gar nicht zu leugnen: "Es gibt eine neue europäische Hausmannskost, in der sich kulturelle wie historische Einflüsse spiegeln und miteinander vermengen. Eine mediterrane oder asiatische Note bedeutet heute nichts Besonderes mehr, sondern gehört zum allgemeinen Repertoire."
Erstaunlicherweise wirft sich die Hausherrin küchenmäßig gern dort ins Zeug, wo es um niedrige Hilfsdienste geht: "Mir macht es Spaß, 50 Kilo Kartoffeln zu schälen oder eine Kiste Spargel oder Karotten, weil sie dann noch oranger sind als vorher. Bei meinen Kartoffeln wird man auch nie eine braune Stelle finden. Das ist mein Ehrgeiz!" Sie habe es nun einmal mit den Grundzutaten und dem Handwerklichen. "Ganz primitiv gesagt: Ich arbeite gern mit den Händen."
Es ist also nicht gelogen, wenn der Kellner einem unangekündigten Besucher, der nach der Chefin fragt, erklärt: "Frau Wiener kann jetzt leider nicht, sie ist gerade mächtig am Fischzerteilen."
Ein paar Minuten später eilt die zupackende Wirtin dann doch aus der Küche, in weißer Schürze, das Haar gebändigt. Doch nicht Fisch, sondern Federvieh hatte sie in den Bann gezogen. In charmantester Wiener Mädel-Manier lächelt sie ihr Gegenüber an: "Es tut mir leid, ich war gerade am Hühnerzerlegen. Hin und wieder muss man das tun, sonst kommt man aus der Übung."