Die Stierkämpferin

Dass sie so ein Genussmensch sei, dafür könne sie nichts, das liege an ihrem Sternzeichen, dem Stier, betont die Kabarettistin und Schauspielerin Andrea Händler. Dass sie sich ihrer Leidenschaft aber nicht nur ergibt, sondern diese auch zähmt und perfektioniert, ist wiederum Ergebnis eines eisernen kulinarischen Willens.

Die Stierkämpferin

Text von Michaela Ernst Fotos: Helene Waldner
Sie sollte eine zehnköpfige Familie, eine Kochsendung oder ein Lokal bekommen. Aber stattdessen hat man ihr einen Esstisch in die Wohnung gestellt. Mit dem hat alles begonnen, stellt Andrea Händler, die Kabarettistin, die Schauspielerin, die Wuchtelschieberin, fest – in dem für sie typisch lakonischen Ton, der Zuhörer zum Lachen bringt.
Ein Tisch, per se, ist nicht lustig. Trotzdem muss man zumindest schmunzeln, wenn die Händler sich und ihr neu geschaffenes bürgerliches Idyll aufs Korn nimmt: "Da hat man auf einmal eine große Wohnung mit einem Kredit und den großen Esstisch, den man schon immer haben wollte – dann bleibt man eben daheim." Dass dies nicht das Schlechteste sein muss, finden mittlerweile auch ihre Freunde. Ihre gemeinsamen Paprikahuhn-Sessions mit Sigrid Hausner sollen Kultcharakter haben. Auch sonst "bleiben alle gern bei mir hocken, wenn ich auftische. Da geht keiner vor zwei Uhr nach Hause".
Die Essen mit den Freunden scheinen nach strengem Muster ritualisiert, obwohl das natürlich keiner so direkt ausspricht: "Also die Gäste kommen um 19.00 Uhr, da gibt es einen Cocktail oder ein Bier. Dann verschwinde ich in die Küche". Auf dem Programm stehen stets drei bis vier Gänge – zum Abschluss gibt es meist Käse, "weil ich keine Süße bin, dafür umso mehr Geld bei meinem Lieblingskäsestand auf dem Naschmarkt lasse". Auch hier bestimme ein fixes Zeremoniell den Ablauf: Mit dem Wunsch nach fünf bis sechs Gustostückeln betritt sie jedes Mal den Laden, mit einem eineinhalb Kilo schweren Käsesack verlässt sie ihn wieder – "Mengen, die ohnedies keiner verdrücken kann. Aber wenn man ein bissl etwas da und ein bissl etwas dort kostet …" An dieser Stelle entfährt ihr ein Seufzen.
Man hat es nicht leicht als Genussmensch. "Ich bin ein Stier", sagt sie fast hilflos. Die Aussage erinnert an ihren Kollegen Andreas Vitásek, der in einem Gespräch mit "A la Carte" ebenso wehrlos von sich gab: "Ich bin halt Stier im Sternzeichen. Und der ist bekannt für seine Genussfreude." "Ja", grinst sie, "der Andi und ich, wir sind ähnlich gepolt.
In drei Wochen gehen wir gemeinsam essen."
Der Stier hat viel zu kämpfen mit seinem Los als perfektionistischer Hedonist, und die Waage bleibt ein ewiger Feind in seinem Leben. Wenn die Kabarettistin ansetzt, übers Essen zu reden, dann hört sie – erstens – überhaupt nicht mehr auf ("Sie stellen mir ja gar keine Fragen!"), zweitens entpuppt sie sich als penibel genau und drittens will sie nicht übers Abnehmen reden ("Normalerweise fahre ich jedes Jahr fasten, aber heuer hab‘ ich das nicht gepackt").
Übers Essen reden, also. Ein gutes Steak bleibt dann nicht einfach nur ein gelungenes Steak, sondern es wird analysiert wie ein Ildefonso. "Außen soll es schön angebräunt sein und an manchen Stellen fast knusprig. Die Schicht darunter gehört halb durch und in der Mitte müssen circa ein bis eineinhalb Millimeter, keinesfalls mehr, so richtig roh bleiben."
Auch die Rindsuppen-Zubereitung à la Händler klingt nicht nach gemütlichem Vor-sich-hin-Köcheln, sondern nach strenger Kontrolle und absoluter Konzentration. "Am Vortag des Servierens bereite ich sie bereits zu, damit sich über Nacht eine schöne Fettschicht bildet, die ich am nächsten Morgen abschöpfe. Dann erhitze ich die Brühe ein weiteres Mal und lasse sie durch ein weißes Leinentuch laufen. So wird sie wirklich schön klar." Dass die Künstlerin es beim Suppenkochen auf die maximale Reduktion anlegt, versteht sich bei dem Prozedere von selbst.
All diese Fertigkeiten hat Andrea Händler von ihrer Mutter gelernt. "Sie hat mir beigebracht, wie man gefillte Fisch macht, die besten Dillfisolen oder einen Borschtsch zubereitet." Verraten hat Mutter Händler ihre deftigen kleinen Geheimnisse allerdings erst als Andrea von daheim ausgezogen war. "Solange wir noch alle unter einem Dach wohnten, hat sie mich gern aus der Küche rausgeworfen", erzählt die Schauspielerin.
Diese Haltung dürfte etwas auf sich haben. Denn auch Händler hasst es, wenn sie während des Kochens unterhalten soll und Fremde die Küche (in der Küche mutieren selbst Freunde zu Fremden) bevölkern. "Ich kann mich nicht auf die Zutaten konzentrieren und gleichzeitig über etwas anderes reden. Ich bediene gern, also dürfen sich meine Gäste ruhig in einem anderen Zimmer unterhalten."
Dass die kulinarische Ernsthaftigkeit bei der Komödiantin nicht Schimäre ist, bewies sie erst kürzlich an einem Abend im Wiener Innenstadt-Restaurant "Neu Wien", wo sie für 40 Leute kochte: Rote Rübensuppe mit Krennockerl, (die erwähnte) Rindsuppe mit Kräuterfrittaten, Zucchini-Kräuterrisotto, Seeteufel mit getrockneten Tomaten im Prosciuttomantel, Tafelspitz und ein Parfait von Zimt, Kokos und Schokolade. Wie es dazu gekommen war?
Die Besitzerin des Lokals, Manuela Reicher, zählt zu Händlers engstem Kreis. Über so versuchte die ambitionierte Genießerin an das Rezept der stets gelisteten Roten Rübensuppe zu kommen. "Neu Wien"-Küchenchef Martin Stanek sah dem Getuschel der zwei Freundinnen gar nicht gerne zu und ging gleich in die Offensive: "Wenn ich mit dem Rezept herausrücke, wie schaut dann die Gegenleistung aus", fragte der Koch, der für seine stille Bescheidenheit bekannt ist, erstaunlich forsch. "Ich helfe Dir dafür einen Abend in der Küche aus", offerierte Händler. Und das Angebot galt.
Weil der Abend für alle Beteiligten ein wirklicher Renner wurde, erhob Reicher die ursprünglich als Einakter geplante Idee zum regelmäßigen Programm: Im Mai kocht Star-Kolumnistin Angelika Hager alias Polly Adler auf, mit der Händler übrigens schon an ihrem nächsten Kabarett-Programm tüftelt. (Der Text zum Publikumsrenner "Einsendeschluss" stammte ebenfalls von Hager). Weitere beherzte Dilettanten, die sich in nächster Zeit in Staneks Küche angemeldet haben: Dodo Roscic und Renate Holm.
"Ich habe wahnsinnig viel an dem Abend gelernt", schwelgt die durch ihren "Neu Wien"-Auftritt geadelte Hobbyköchin in Begeisterung. Zum Beispiel, wie man in nur zehn Minuten ein Risotto in aller Vollendung zaubert. Wie das geht, verrät sie nicht – "schließlich habe ich mir dieses Wissen hart erarbeitet!". Stanek führte ihr auch richtiges Zwiebelschneiden vor – "und wie die Frau G’scheit, das zu Hause ausprobierte, hat‘ s keine Nägel mehr g‘ habt", lüftet Händler erstaunlich Schwäche. Der Hauptzweck des Abend wurde jedenfalls erfüllt: Sie weiß nun, woraus sich die beste Rote Rübensuppe der Stadt zusammensetzt. Zum Drüberstreuen gab es mächtig Applaus von den Gästen. "Ich brauche das. Habe ich gut gekocht", spricht das Bühnentier in ihr, "muss am Ende geklatscht werden".
Es gibt nur wenige Stellen, bei denen die Esserin mit dem feinen Gaumengespür ihr Herz niemals öffnen wird: Die von Lebensgefährten Franz zubereiteten Eiernockerln etwa – "Es ist das Einzige, was er kochen und das Einzige, was ich überhaupt nicht leiden kann. Aber alle unsere Freunde meinen, der Franz macht die besten Eiernockerln der Welt!".
Noch schlechter als "der Schlatz auf diesen Nockerln" kommt für sie Nahrungsaufnahme im Dunkeln weg. "Ich war mit meiner Mutter auf Urlaub in Kenia. Alles wunderbar, total romantisch, wirklich schön." Zur Krönung der Woche gab es ein Busch-Dinner mit Kerzenlicht. "Na wirklich ned. Ich hab gedacht, ich werd‘ narrisch, wie ich da am Strand, im Finsteren essen sollte. Ich will sehen, was ich auf dem Teller hab‘!" Händlers Sinn für Realismus setzt auch dem anderen großen Stimungsschmeichler schwer zu – der Musik. "Wenn schon Hintergrundmalerei, dann sehr gedämpft, sonst werd‘ ich grantig".
Immerhin – so klar konturiert strahlt Zufriedenheit
selten. Das Essen auf dem Teller muss stilvoll inszeniert, das Stück deutlich erkennbar sein. Das ist Musik genug.