Die Winzerbrenner

Was treibt erfolgreiche Winzer dazu, sich hinter den Brennkessel zu setzen und den eigenen Schnaps zu destillieren (oder destillieren zu lassen)? Wir haben den Beweggründen einer jungen hochgeistigen Entwicklung nachgespürt.

Die Winzerbrenner

Text von Michael Prónay Fotos: Nikolaus Similache
Grosso modo lassen sich zwei Arten der Annäherung finden: zum einen das schiere Interesse, aus einem ohnehin vorhandenen Rohstoff, nämlich den Trebern (auch Trester genannt), einen ordentlichen Schnaps zu machen. Dass der große Erfolg der Grappa da mitschwingt, ist natürlich verständlich. Zum anderen sind’s oft auch Obstbäume, seien es eigene Kulturen – Georg Winkler-Hermaden hat mit 350 Quittenbäumen eine der größten Anlagen der Region –, seien es nur vereinzelte Bäume.
Bei Rudolf Mariel in Großhöflein – der Betrieb nennt sich "Wein und Schnaps Mariell", das verdoppelte L stammt von einer früheren Schreibung des Familiennamens – waren es die Kirschbäume in den Weingärten, die seine Phantasie anregten. Parallel dazu wusste er, dass in Vorzeiten Schnaps gebrannt wurde: "Irgendwo stand der Brennkessel vom Großvater meiner Frau." Gesagt, getan, das alte Gerät wurde reaktiviert, und 1990 wurde der erste Schnaps gebrannt. Allerdings mit einer völlig anderen Sichtweise der Dinge als die Generation davor: "Meine Schwiegereltern haben gelacht, wie sie gesehen haben, wie ich von den Marillen die fauligen Stellen rausgeschnitten hab. Dabei ist’s ja so einfach: Was man vorn (in den Kessel) hineintut, kommt hinten (als Schnaps) wieder heraus. Und Fäulnis kann ich da nicht gebrauchen." Das Schnapsbrennen, ursprünglich ein Hobby, wurde ihm zur Passion. Dreimal war er Sortensieger bei der Destillata, und die Nachfrage nach den Marillen-, Kirsch-, Wein- und Tresterbränden stieg stetig. "Wir haben immer zu wenig Schnaps gehabt." Die zweihundert, dreihundert Liter pro Jahr waren sofort ausverkauft, und irgendwann stand der Winzerbrenner vor der Entscheidung, eine größere Anlage zu erwerben und vom Abfindungsbrenner zum gewerblichen Verschlussbrenner zu werden. "Aber da hab ich mir dann gesagt: Eigentlich bist du Winzer, und das soll auch so bleiben." So also zieht er sich nach der Lese und der ersten Gärung der Weine hinter den Kessel zurück: "Der Wein macht in der Zeit den biologischen Säureabbau, da braucht er mich nicht. Die zwei, drei Wochen, die ich dann brenne, sind eine richtige Entspannung, eigentlich fast die ruhigste Zeit des Jahres für mich." Bei Richard Mariel gibt es auch eichenfassgelagerten Weinbrand: "So nach 10 bis 12 Jahren ist er optimal – für mich gibt’s nichts Besseres zur entspannenden Zigarre als so ein Destillat."
Einen durchaus entspannten Zugang hat auch der Langenloiser Winzer Willi Bründlmayer, der seit etwa 20 Jahren Trebern- und Weinbrand destilliert. Die Grundidee war, sämtliche Rohstoffe vom Auspflanzen des Weingartens bis zum Verkauf der Flasche selber zu kontrollieren. Andere mögen Spezialisten sein, Bründlmayer entschied sich für den universellen Zugang. "Man darf nicht vergessen, dass herumkugelnde oder herumgekarrte Trebern extrem schimmel- und oxidationsanfällig sind. Da haben wir einen gewaltigen Vorteil, dass wir quasi im selben Raum destillieren, in dem die Trebern anfallen." Bei Bründlmayer gibt’s nur zwei Brände, den fassgereiften Trebern und den ebenso fassgereiften Weinbrand. "Wir haben keine verschieden alten. Die Brände bleiben so lange im Fass, bis wir finden, dass sie reif für die Füllung sind, und fertig." Der Weinbrand ist 20-jährig, womit er vermutlich das älteste Weindestillat des Landes anbieten kann. Das wiederum entlockt ihm ein zartes Stirnrunzeln: "Wir haben aber nicht den Ehrgeiz, zu den Spitzenbrennern des Landes zu gehören. Wir arbeiten beim Destillieren auf der sicheren Seite, da gibt’s Leute, die wesentlich mehr Risken eingehen, um die letzten Aromafinessen herauszuholen. Aber ich will keinen Schnaps, vor dem man bei jedem Schluck geistig auf die Knie fällt und der meine totale Aufmerksamkeit fordert. Ich will einfach einen Brand, der gut schmeckt."
Markus Wieser fällt ein wenig aus dem Rahmen, denn obschon familiär mit dem Weingut Jamek in Joching eng verbunden – er ist der Sohn von Josef Jameks ältester Tochter Susanne –, ist er der einzige "Profi" unter den hier vorgestellten Brennern. Er erinnert an die Zeit: "Ich war gute 10 Jahre im Geschäft und hab praktisch alles gemacht: mittags und abends Schankbursch, Kellner, Sommelier, vormittags und nachmittags Kellergehilfe, Etikettierer, Chauffeur, Traubenübernehmer. Nur gekocht hab ich nie." Der Schnaps hat im Hause Jamek eine etwas längere Tradition. In den 1970ern hatte Josef Jamek ein so genanntes mariatheresianisches Brennrecht erworben, das die Destillation von 300 Liter reinem Alkohol pro Jahr erlaubt. Gebrannt wurden – nicht untypisch für die Wachau – Marillen und Trebern. Mitte der 1980er Jahre wuchs der damalige Student Markus Wieser an den Wochenenden und in den Ferien fast unmerklich in die Rolle des Brenners: "Ich hab 1986 unter der Anleitung eines lokalen Brenners – der übrigens seinen Produkten ganz und gar zugetan war – meine ersten Brennversuche getan." Es wurde immer intensiver, und gegen Ende der 1980er Jahre reifte der Plan, eine eigene Brennerei zu bauen. Im Winter 1990/91 ist es soweit, er und Karl Holzapfel bestellen die gleiche Brennerei: "Ich hab sie am Faschingdienstag 1991 angeworfen, der Karl erst im Sommer." Noch 1990 hatte er mit dem alten Brennkessel 20.000 kg Trebern gebrannt: "Das waren drei Monate, eine ziemliche sportliche Herausforderung." Die nunmehr produzierten Mengen an Schnaps ließen sich allerdings doch nicht ganz so leicht verkaufen wie erwartet. "Die Vorstellung vom Großvater, dass jeder, der einen Karton Wein kauft, auch eine Flasche Schnaps nimmt, die hat sich nicht bewahrheitet. In Wahrheit ist das Schnapsgeschäft – und die Schnapskundschaft – völlig anders geartet. Eine Flasche Schnaps hält in der Regel ja auch länger als ein Karton Wein." Das war der Zeitpunkt, als Markus Wieser begann, seine eigenen Pläne zu entwickeln. "Mex Orange" hieß das Produkt, und die Ähnlichkeit zu "Cox Orange", einer Apfelsorte, ist tatsächlich zufällig und war nicht beabsichtigt, denn "Mex" ist Markus Wieser, und es war tatsächlich ein Orangendestillat. 1996 folgte dann auch die formelle Übertragung der Brennerei an Markus Wieser. Obwohl die Marille die Hauptsorte geblieben ist, umfasst das Sortiment heute 50 bis 60 Produkte, in drei Schienen: "Classic", "Selection" und "Privatreserve", daneben liefert Markus auch gehobene Eigenmarken für Meinl am Graben, Wein & Co sowie für die Billa-Flagship-Märkte. Hat er eine Lieblingssorte? "Freilich: Trester. Da kann ich in unserer Region absolut aus dem Vollen schöpfen, wir haben derzeit 26 verschiedene Brände, großteils sorten-, winzer- und lagenrein."
Neben Markus Wieser ist der wahrscheinlich bekannteste Winzerbrenner in der Wachau Karl Holzapfel vom Prandtauerhof in Joching. Obwohl im Hause früher immer schon destilliert wurde, war die Bekanntschaft mit Karl Hubert Gasser, dem Vorarlberger Destillateurdoyen, prägend: "Natürlich hatte ich Schnaps gekannt, aber welche Frucht- und Aromanuancen der herausgeholt hat, das war für mich einfach unglaublich. Es war die Zeit, da im Gefolge der Herren Zieser, Wetter, Retter oder Latschen jeder begonnen hat, Top-Rohmaterial zu verwenden und die Schnäpse einfach wesentlich besser wurden." Sechs Sorten umfasst das Angebot: Marille, Williamsbirne, Weichsel, Quitte, Schwarze Ribisel und Apfel; alles wird im Ballon klar ausgebaut. Intereressanterweise gibt’s keinen Tresterbrand: "Ursprünglich hatten wir den auch, aber die Nachfrage war zu gering, und außerdem war der Tresteranfall sowieso zum Zeitpunkt der jährlichen Arbeitsspitze im Keller."
Josef Schmidt aus Wien-Stammersdorf ist ein in jeder Hinsicht bemerkenswerter Mann, der seinen Weg zum Schnaps als Esser gefunden hat: "Ich gehe seit vielen Jahren gern gut essen, das macht mir einfach sehr viel Spaß. Und ein stimmiges Essen ist aus vielen Bausteinen zusammengesetzt, die mich alle interessieren, vom Aperitif bis zum Digestif nach dem Kaffee." Einerseits das Essen selbst, "das setze ich als Koch und Wirt beim Heurigen von Donnerstag bis Sonntag um", andererseits der Wein, "von Montag bis Mittwoch bin ich Winzer". Und eben seit 12 Jahren auch der Schnaps. Josef Schmidt ist in allen drei Berufen Autodidakt, inzwischen ist übrigens auch die Sektherstellung dazugekommen. "Brennen ist nicht einfach. Gut, das Basiswissen ist schnell erlernt, aber die Feinheiten, da muss man über die Planken schauen und mit Profis Kontakt suchen. Das tu ich auch, und von Capovilla im Friaul bis Holzapfel und Hochmair hab ich lauter gute Bekannte, und da plaudert man dann eben aus der Schule." Josef Schmidt destilliert sortenreine klare Tresterbrände, wobei der Muskateller am schnellsten ausverkauft ist, dazu kommen Traminer, Grüner Veltliner, Sauvignon und Cabernet Sauvignon (manchmal reinsortig, manchmal mit Merlot). Weinhefe und gelegentlich ein Rotweintrester kommen auch ins Fass, wobei der Brenner mit verschiedenen Hölzern (Kirsche, Zwetschke, Birne) experimentiert: "Das sind Hölzer mit eigener Süße und eigener Frucht." Ab heuer kommen sieben Gelbe-Mirabellen-Bäume (Kriecherl) in vollen Ertrag.
Wiederum anders ist der Zugang von Georg Winkler-Hermaden vom gleichnamigen Schlossweingut in Kapfenstein in der Steiermark. Schnaps gibt’s hier seit etwa 1990, allerdings wurde nie selber gebrannt, Georg ließ von Anfang lohnbrennen. "Die Entscheidung war irgendwie klar: Mich selber einen Monat an den Kessel zu setzen und zu brennen, das geht nicht, dazu hab ich nicht die Zeit. Und eine Anlage zu kaufen und jemanden zu bezahlen, der dann brennt – da kann ich den Rohstoff gleich dem Alois Gölles geben." Zu Beginn war’s Trester, dann kam Obst dazu: "Wir haben Birnen, Äpfel, Quitten und Holunder." Die Quittenanlage war übrigens seinerzeit auf Anregung des Brenners Valentin Latschen ("Pfau") ausgesetzt worden. Das erfolgreichste Produkt des Hauses ist der Rotweintresterbrand vom Olivin: "Während die meisten Steirer eher auf die aromatischen Weißweinsorten setzen, hab ich gemerkt, dass die roten Trebern mehr hergeben, sie bringen mehr Körper." Ausgebaut wird generell im Glasballon, nur der Weinhefebrand und der "Alte Apfel" kommen ins Eichenfass.
Hier ist der Punkt, da man einen der Doyens der heimischen Brennerzunft vor den Vorhang bitten sollte: Alois Gölles aus Riegersburg. Der keltert bekanntlich nicht nur hervorragende Obstbrände, sondern auch Trebern: "Da spielt natürlich die Freundschaft mit Winzern mit. Und so kam’s zur Kooperation mit F. X. Pichler, Manfred Tement, Alois Kracher und dem Arachon-Team." Das deckt so ziemlich das komplette Spektrum ab: Vom zarten Riesling (FX) über den blumigen Muskateller (Tement) bis zum fülligen Rotweintrester (Arachon), wobei der Kracher’sche Trockenbeerentrester schon ein ziemliches Extrem ist: "Der ist schon fast morbid, aber dafür grandios in Körper und Fülle." Neben diesen Produkten, die Alois Gölles vertreibt, destilliert er auch im Lohnverfahren für manch andere, etwa Paul Achs oder Willi Sattler: "Ob der Winzer dann nur seinen Namen aufs Etikett schreibt oder meinen auch, das überlasse ich ihm."
Beim eigentlichen Brennen und der späteren Einstellung auf die Trinkstärke führen bekanntlich viele Wege nach Rom. Einig sind sich alle nur bei der Auswahl des Brennverfahrens: Nur das zweistufige (Rau- und Feinbrand) kommt in Frage, mit der Destillierkolonne will keiner etwas zu tun haben. Richard Mariel und Karl Holzapfel meinen unisono: "Die Kolonne wäre schneller, aber nicht so fein wie das zweistufige Verfahren." Bei der Trinkstärke differieren die Meinungen schon deutlicher, wobei allerdings der Trend von den bei Industriespirituosen üblichen 37 bis 40 Prozent hin zu Höherem deutlich spürbar ist. Willi Bründlmayer stellt auf 42 Volumsprozent Alkohol ein, Richard Mariel auf 42 bis 43% (manche ältere auch höher), Karl Holzapfel einheitlich auf 45%. Bei Georg Winkler-Hermaden gibt’s einen leichtergewichtigen Weinhefebrand mit 38%, das übrige Angebot erstreckt sich von 42% (Alter Apfel) bis 48% (Olivin-Trester). Die alkoholkräftigsten Schnäpse gibt’s bei Josef Schmidt von 45 bis 55% mit einem Schwerpunkt bei 47, 48%, sieht man vom Wieser’schen 55%igen Trockenbeerentrebern einmal ab. Ansonsten laufen die Wieser’schen Schnäpse von 36 bis 48%: "Die leichteren entsprechen der Basislinie, was ja auch mit der Kalkulation zusammenhängt."
Als feine Abrundung nach dem Essen, zu oder nach dem Espresso, haben Edelbrände ihren fixen Platz, ebenso zu feinen Rauchwaren. Zwei weitere Tipps wollen wir Ihnen allerdings nicht vorenthalten: Josef Schmidt empfiehlt seine Destillate zur Weihnachtsgans: "Das sollte man unbedingt ausprobieren, das passt nämlich überraschend gut." Und Karl Holzapfel wiederum empfiehlt seine Obstbrände zu Mehlspeisen: "Das klingt zwar komisch, aber damit haben wir die besten Erfahrungen gemacht, die Leute sind ganz verblüfft, wie gut das zusammenpasst."