Die Zähmung des Shiitake

In Asien wird der Shiitake-Pilz seit gut 1.000 Jahren nach allen Regeln der Kunst gehegt und gepflegt. Man schreibt ihm gar wundersame Kräfte zu. Seit einigen Jahren gedeiht er dank der unbeirrbaren Konsequenz eines Unermüdlichen in ganz vorzüglicher Qualität auch in Dirnegg in der Steiermark.

Die Zähmung des Shiitake

Text von Elisabeth Ruckser Fotos: Manfred Klimek

Wenn man Thomas Pfister auf seinem kleinen Bauernhof im östlichsten Zipfel der Steiermark besucht, dann braucht man schon mal einen Ziegelstein unter dem Autoreifen, damit sich das geparkte Gefährt auf der steilen Zufahrt nicht eventuell selbstständig macht. Rundherum jede Menge Wiesen und Wald, Apfelbäume, Kinderschaukel, Entengeschnatter, Schafsgeblöke und Familienidyll. Selbst die Bundesstraße ein Stück weiter unten im Tal, die bei der Einführung der Lkw-Autobahnmaut plötzlich zur tonnenschweren Ausweichroute der A2 wurde, hat sich mit der Zeit wieder beruhigt und liegt friedlich in der Sonne. "Wahrscheinlich haben’s bemerkt, dass es das nicht bringt, weil’s den Berg hinauf und wieder runter einfach zu viel Treibstoff braucht", sagt Thomas Pfister grinsend.
Seit vier Jahren ist er hauptberuflich unter die Pilzzüchter gegangen und produziert hier auf dem ehemals großelterlichen Betrieb nahe Pingau Shiitake-Pilze, Kräuterseitlinge, Austernpilze, Braunkappen & Co. vom Feinsten. Er beliefert Topgastronomen wie Christian Petz vom "Palais Coburg" oder den Bio-Großhändler AL-Naturkost. Letzteren vor allem auch aus praktischen Gründen, weil es eine Anliefermöglichkeit im nahen Hartberg gibt. "Wie’s angefangen hat? Mit einem Fertigprodukt aus der Gärtnerei", erinnert er sich an Zeiten, die gut 20 Jahre zurückliegen. Doch damals hatte den studierten Betriebswirten das Thema gepackt und ließ ihn auch nicht mehr los. "Außerdem hab ich beim Schwammerlsuchen im Wald nie was gefunden, ich bin mit drei Pilz heimgekommen und mein Bruder hat im selben Waldstück eine Stunde später sechs Kilo gefunden. Das war mir einfach zu blöd."
Als er nach der Studienzeit in Wien zurück in die Steiermark kehrte, war die Entscheidung dann auch bald getroffen, die Pilzzucht zuerst zwar nur nebenbei, aber doch professionell und nicht bloß als Hobby anzugehen. "Die ersten Versuche hab ich ihm Druckkochtopf gemacht." Es war eine Nische, die einfach gut zu passen schien für einen Betrieb, der mit wenig Grund und Finanzkraft startete. "Erfahrung ist alles bei der Pilzzucht", sagt Thomas Pfister auch heute noch und betrachtet potenzielle Konkurrenz daher ziemlich gelassen. "Ich hab schon viele anfangen und wieder aufhören gesehen." Nachsatz: "Und viel Geld verlieren." Rückschläge seien bei der Pilzzucht unausweichlich und nur etwa mit gekauftem Know-how allein lasse sich das seltsame Wesen Schwammerl einfach nicht zähmen oder begreifen.
Biologisch betrachtet ist der Pilz eine eigene Art – nicht Tier und nicht Pflanze. Pfister: "Er enthält kein Chlorophyll und produziert keinen Sauerstoff, sondern Kohlendioxid wie wir Menschen." Er atmet also, könnte man sagen, und er ist ein komplizierter Bursche. Nicht zu warm soll’s ihm sein, nicht zu kühl, der eine braucht viele Kohlenhydrate in der Nahrung, der andere will mehr Eiweiß, und, und, und. Aber welche Art wie zu behandeln ist, gehört zu jenen Erfahrungswerten, die sich Thomas Pfister erst im Laufe der Jahre mühevoll angeeignet hat. "Bei den Kräuterseitlingen allein hab ich gute sieben Jahre experimentiert, bis es gepasst hat."
Dabei klingt Zucht der behüteten Gewächse in der Theorie gar nicht so schwierig. Man nehme die so genannte Pilzbrut (die’s in unterschiedlichen Qualitäten fertig zu kaufen gibt, nur ganz wild Entschlossene wie Thomas Pfister stellen sie aus Reinkulturen und entsprechenden Nährstoffen selber her) und mische sie mit entsprechendem Substrat, das dem Pilz als Nahrung dient. Dann warte man, bis der Pilz das Substrat besiedelt und die so genannte Fruchtkörperbildung – das, was dann als Schwammerl gepflückt wird – einsetzt. So weit, so einfach. Das Geheimnis von Qualität und Geschmack liegt dabei vor allem beim Substrat. "Das ist auch der Unterschied zum Wildpilz, der ja auf dem Waldboden wächst", erläutert dazu auch Ernährungswissenschaftlerin Rosemarie Zehetgruber von gutessen-Consulting. "Einerseits heißt das zwar, dass ein gezüchteter Pilz dadurch keiner Belastung etwa durch Schwermetalle oder Strahlung ausgesetzt ist. Aber andererseits liegt darin vor allem in der konventionellen Produktion auch die Gefahr. Denn da sind in manchen Ländern ziemlich schräge Sachen erlaubt, und dann ernährt sich der Pilz etwa von Stroh, das mit chemischen Halmverkürzern behandelt wurde oder mit Pestiziden."
Auch bei Thomas Pfister – sein Betrieb arbeitet übrigens seit 2007 nach kontrolliert biologischen Richtlinien – ist das Substrat so etwas wie sein Geheimrezept, dessen Mischung er im Detail auch nicht preisgibt. So viel verrät er dennoch: Biogetreide wird mit Sägespänen – selbstverständlich aus unbehandeltem Holz – etwa im Verhältnis 20 zu 80 vermengt. Kein Nadelholz darf es jedenfalls sein, denn Harz wirkt wie ein natürliches Fungizid. Anschließend wird das Gemisch mit Wasser versetzt, ganz nach Gefühl, wie bei einem guten Koch. "Da greif ich rein und weiß, ob’s feucht genug ist oder nicht." Shiitake-Pilze etwa brauchen einen besonders hohen Anteil an Sägespänen und die am besten von hochwertigem Hartholz von Laubbäumen wie Eiche oder Buche.
Anschließend muss das Substrat steril gemacht werden, um die Bildung von unerwünschtem Schimmelpilz zu verhindern. "Wir machen das ausschließlich mit Dampf und selbstverständlich nicht mit Chemie." Danach wird das Substrat unter dem sterilen Luftstrom einer Reinraumwerkbank mit der Pilzbrut vermischt. Alles zusammen wird in spezielle Kunststoffbeutel eingeschweißt, die allerdings mit einem Filter versehen sein müssen, damit der Pilz zwar in Ruhe reifen, aber dabei auch "atmen" kann. Während der nächsten 15 Wochen hat das Pilz-Myzel nun Zeit, zu wachsen und sich von aufgespaltenen Holz- und Getreide-Zellulosen zu ernähren. Danach kommt der fertig durchwachsene Pilz-Block in den Ernteraum, wo er bei 16 bis 20 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 95 bis 100 Prozent beginnt, die Fruchtkörper zu bilden, die je nach Sorte innerhalb der nächsten sieben bis zehn Tage geerntet werden können. "Natürlich gibt es auch Methoden, die schneller funktionieren, aber das ist eben die Entscheidung: Will ich einen billigen Pilz oder will ich gute Qualität?"
Dem Shiitake-Pilz werden übrigens auch zahlreiche gesundheitlich positive Auswirkungen auf unseren Organismus zugeschrieben. Ernährungsexpertin Zehetgruber dazu: "Er enthält sehr viele der so genannten bioaktiven Substanzen, die ebenso immunstärkend wirken wie entzündungshemmend, cholesterinsenkend, ja sogar krebsvorbeugend."
In der chinesischen Ernährungslehre spielt er seit jeher eine ganz bedeutende Rolle, wie auch Topköchin Martina Willmann weiß. "Ich habe mich damit beschäftigt und setze Shiitake heute viel mehr ein als früher – weil’s gesund ist, aber natürlich einfach auch, weil er sehr gut und würzig schmeckt." Auch sie greift dabei lieber zu österreichischen Produkten als zu Import- ware, da habe sich zum Glück auch das Bewusstsein und der Anspruch der Konsumenten sehr gewandelt.
"Man muss ja bloß überlegen, wie lange diese Pilze etwa aus Asien brauchen, bis wir sie zur Verfügung haben", ist auch Christian Petz vom "Palais Coburg" überzeugt. Gerade Shiitake halte sich zwar vergleichsweise lange, werden aber schlussendlich doch auch zäh und unbrauchbar. Pilze aus dem Ernteraum von Thomas Pfister hingegen werden geerntet, gekühlt und superfrisch bis zum Ziel transportiert.
Die Bekanntschaft von Pilz-Produzent Pfister mit Christian Petz stammt übrigens bereits aus dessen Zeit beim "Meinl am Graben". Damals züchtete Pfister nämlich auch noch Hühner. "Sulmtaler und ’s Dirnegger Wiesenhendl, wie wir’s wir g’nennt haben." Acht bis neun Monate seien die Tiere bei ihm auf der Wiese langsam gewachsen, und das Echo der Gastronomie war mehr als positiv gewesen. Dann kam allerdings die Vogelgrippe und um entsprechende Ställe für die Tiere zu bauen, sei der Betrieb einfach nicht groß genug gewesen. "Das hätt ich nicht geschafft, aber heute bin ich ganz froh drüber", meint Thomas Pfister rückblickend, "denn mittlerweile sind viele Übergangsbestimmungen, die es damals für Kleinbetriebe wie unseren gegeben hat, gefallen – allein die baulichen Vorschriften, die man heute erfüllen muss, machen das absolut unrentabel." Ganz ohne Getier geht es heute bei den Pfisters aber auch nicht: Da wären einmal die Laufenten, die sich um die Schnecken kümmern sollen, und die so genannten Kamerun-Schafe, ziegengroßen Haarschafe, die quasi als Rasenmäher auf den Streuobstwiesen stehen.
Die Pilzzucht selbst beginnt nun langsam, aber stetig Früchte zu tragen. Der Betrieb wird sukzessive ausgebaut, die Nachfrage ist groß. Erst kürzlich hat Thomas Pfister etwa eine neue Dampfkammer gebaut, um in größeren Mengen sterilisieren zu können. Pilzsubstrat zum Selbstzüchten verschickt er ebenso wie fertige Schwammerln praktisch quer durch ganz Österreich, das funktioniere sehr gut auf dem Postweg. Denn selbst wenn die Österreicher eher zu den "wilden" Steinpilzen, Eierschwammerln oder Zucht-Champignons tendieren: "Wenn einer bei mir einmal Pilze gekauft hat, dann kauft er keine mehr im Supermarkt."