Die Zunge schmeckt dem Herzen nach
Zugvögel kosten sich im Flug durch viele Küchen. ORF-Montagskulturfrau Nadja Bernhard entdeckte ihr wahres Herz für Kulinarisches in Rom. Schmeckt Geborgenheit in bodenständig frischer süditalienischer Hausmannskost.
Text von Ro Raftl · Fotos von Philipp Horak
Nadja Bernhard hat sich durchgekostet. Absichtslos anfangs, als Nachwuchs von zwei Zugvögeln, einer steirischen Marketing-Lady und eines steirischen Ingenieurs bei Chrysler, die sich in Kanada niedergelassen hatten. Absichtsvoll erst, als sie in Rom zur Auslands-Journalistin reifte. Von Neugier und Lust auf Geschichten motiviert neun Jahre dort Politik, Geschichte, Kunst und Gesellschaft in ihren Berichten verknüpfte, Cappuccino trank, sich auch verliebte. Ja, die weizenblond weibliche Moderatorenhälfte des ORF-Kulturmontags und der Kultur-Matinée am Sonntag, kommt weiter von außen als von der Außenpolitik. Auch kulinarisch gesehen. Verbrachte ihre ersten acht Jahre zwischen Barbecue und Jellos in der kanadischen Weite, die nächsten zehn im südsteirischen Kernölland, neun Jahre im Pasta-Paradies Italien, zwei Jahre bei Coke & Chicken Nuggets in Washington, bis sie wieder zum panierten Schnitzel in ihre Studentenstadt Wien zurückging. Um ihren Eltern näher zu sein, nicht der Gemütlichkeit wegen: Der „unruhige Geist“ berichtete über das Erdbeben in Haiti, von den Krisenschauplätzen Libyen und Ägypten und recherchierte bei französischen Intellektuellen vor dem Präsidentenwahlkampf: „Thematisch ideal, um Politik und Kultur zu vernetzen.“
Nadja Bernhard hat sich durchgekostet. Absichtslos anfangs, als Nachwuchs von zwei Zugvögeln, einer steirischen Marketing-Lady und eines steirischen Ingenieurs bei Chrysler, die sich in Kanada niedergelassen hatten. Absichtsvoll erst, als sie in Rom zur Auslands-Journalistin reifte. Von Neugier und Lust auf Geschichten motiviert neun Jahre dort Politik, Geschichte, Kunst und Gesellschaft in ihren Berichten verknüpfte, Cappuccino trank, sich auch verliebte. Ja, die weizenblond weibliche Moderatorenhälfte des ORF-Kulturmontags und der Kultur-Matinée am Sonntag, kommt weiter von außen als von der Außenpolitik. Auch kulinarisch gesehen. Verbrachte ihre ersten acht Jahre zwischen Barbecue und Jellos in der kanadischen Weite, die nächsten zehn im südsteirischen Kernölland, neun Jahre im Pasta-Paradies Italien, zwei Jahre bei Coke & Chicken Nuggets in Washington, bis sie wieder zum panierten Schnitzel in ihre Studentenstadt Wien zurückging. Um ihren Eltern näher zu sein, nicht der Gemütlichkeit wegen: Der „unruhige Geist“ berichtete über das Erdbeben in Haiti, von den Krisenschauplätzen Libyen und Ägypten und recherchierte bei französischen Intellektuellen vor dem Präsidentenwahlkampf: „Thematisch ideal, um Politik und Kultur zu vernetzen.“
Nein, und jetzt keine Debatten, ob es Zugvogel-Gene bei Menschen gibt, oder ob die Wanderlust der Eltern die temperamentvolle Tochter geprägt hat. Im Schwarzen Kameel trinkt sie Gelben Muskateller, tippt blitzschnell eine Botschaft ins iPhone, domptiert Simi, den Catahoula Leopard Dog, aus einer Tötungsfabrik in South Carolina gerettet, einen von vielen über die Jahre geretteten Hunden, und bleibt dennoch gesprächspräsent: „Meine Mutter ist als ganz junges Mädchen in die USA ausgewandert und hat den Vater „drüben“ in Kanada kennengelernt. Die Eltern haben sich total identifiziert mit der Kultur“, schildert sie den stolzen Ehrgeiz der Familie Bernhard, richtig kanadisch zu leben. In Windsor, „einem kleinen Kaff bei Detroit, aber mit 30 Fernsehkanälen, und das in den Siebzigerjahren!“ Was das nationaladäquat genossene Wochenendprogramm gut erklärt: Eishockey oder Baseball schauen, mit Chips und Coke gerüstet – dem heiligsten Identitätsnachweis. Wenn’s besonders spannend wurde, gab’s Vanilleeis ins Cola. Ansonsten jedes Fertigfutter, das viele so fett macht. „Ich war nie dick“, schiebt die Schöne fröhlich nach. Ja, 36, und perfekt gebaute Proportionen. Trotz aller Cheerios, dieser Körnerringerln, die wie Snacks für Haustiere aussehen, und mit reichlich Ahorn-Sirup übergossen werden. Trotz der zahllosen Jell-O Instant-Pudding-Variationen, entweder zu himbeerrot-grellgrün-schokodunklen Wackelmonstern aufgeblasen oder in putzige Förmchen gepresst.
Am Weekend gab Daddy gern auch den Barbecue-Meister, verfeinerte seine Würzkunst an Prime Ribs und Chicken Legs Roasts, ebenso die Kunst am Hamburger-Bau. Traditionell mit Faschiertem vom Angus-Beef, Cheddar-Cheese, Bacon, Zwiebeln, Eisbergsalat, Paradeisern, Ketchup, Senf, Mayonnaise, Salz, schwarzem Pfeffer. Gegessen wurde mit den Fingern. Klar. Kein Kanadier käme jemals auf die Idee, zu Hamburgern, Kentucky Fried Chicken, Maiskolben oder Hot-Dogs Messer und Gabel aufzulegen.
Heut noch liebt und bedient der Vater das Grillgerät aus glücklicher Zeit, bevor die Ehe über seinen technischen Expertisen in der großen weiten Welt zu Bruche ging. Die Mutter zog mit der Tochter nach Leibnitz zurück, und erst zwanzig Jahre später kam es noch einmal zum Happy End. Die große Liebe halt. Das Paar ließ sich ein zweites Mal trauen, hegt nun sein spätes Glück in Seggauberg an der Weinstraße. Das Kind, das nach der Matura Leibnitz verließ, was die Mama immer unterstützt und nie bejammert hat, besucht die Eltern jetzt natürlich oft und oft. Sucht die Weine vom Tement, vom Sabathi, vom Gross oder vom Polz längst auf den Wiener Weinkarten, und überall, wo sie ein Achtel trinkt. Schwärmt von „diesem Steirischen Tuna“ (Anm. geräuchert/gebeiztes Schweinefilet), neulich in der Buschenschank vom Maitz in Ratsch: „Ich hab geglaubt, ich beiß in Sashimi.“ Durch die entschlackte Hausmannskost der neuen südsteirischen Küche völlig versöhnt mit den eingebrannten Fisolen, dem eingebrannten Spinat, der Kürbissuppe mit Schlagobers, dem fetten Speck, womit die Oma dem Mädel heimisches Essen schmackhaft machen wollte. Mittlerweile lässt die Enkelin Gerechtigkeit walten: „Als Teenager war mir Essen vollkommen unwichtig. Sofort nach Schulschluss saß ich im Flieger nach Kanada.“ Alle Ferien. Ab zur besten Freundin Sydney, fast eine Schwester für das Einzelkind. Und: Die Tante, die in Toronto im TV-Business tätig war, habe Nadjas Wunsch beflügelt, Fernsehreporterin zu werden. Der Schlüssel zur Selbstfindung lag in Italien. Journalistisch und kulinarisch.
Das Herz auf der Zunge tragen, sagt man. Fein gemischt, püriert, verköchelt mit den Wohlgefühlen zu dieser und jener Essenszeit. Die Zunge schmeckt dem Herzen nach, den süßen prickelnden würzigen Erinnerungen an Lebensreisen. Manche reisen von St. Pölten bis Wien Mitte, schmecken Heimat in Backhendl und Grüve. Für Zugvögel ist „daheim“ nur ein Wort. Sie naschen im Flug an vielen Küchen. Picken vielleicht irgendwo ihr Goldkorn auf. Finden die Region, den Platz und die Speisen für ihren größten persönlichen Genuss.
Nadja Bernhard strahlt Römisches aus, zeitlos erotisch wie auf Frauenbildern der Renaissance. Sehr groß, sehr lebendig, sehr modisch, doch so lässig selbstverständlich, als wär ihr Styling ein Zufallsprodukt. Wie die Gerüche römischer Märkte, die sie sinnlich aufkratzen, wie die einfachen frisch gekochten Gerichte, die sie allezeit wohlig befriedet haben. Den Genuss von Geborgenheit an dampfenden Tellern will sie teilen, ihr Lieblingsrezept aus ihrem Wiener Lieblingsristorante Federico II an der Ecke Krieglergasse-Untere Weißgerberlände schräg vis-à-vis vom Hundertwasser-Kunsthaus weitergeben. Also:
„Cavatelli con ceci e funghi porcini“ – das heißt „Kleine dicke handgemachte Nudeln mit Kichererbsen und Steinpilzen“, und für zwei Personen empfiehlt der Chef:
25 Deka Cavatelli
10 Deka Kichererbsen, vorgekocht
10 Deka Steinpilze, in Scheiben geschnitten
3 Esslöffel Olivenöl extra vergine
1 Prise Salz
1 Prise Pfeffer
1 Knoblauchzehe
10 Deka Kichererbsen, vorgekocht
10 Deka Steinpilze, in Scheiben geschnitten
3 Esslöffel Olivenöl extra vergine
1 Prise Salz
1 Prise Pfeffer
1 Knoblauchzehe
Signorita Bernhard hat recht: Köstlich, tröstlich, wie Kinderessen. Wer Kichererbsen weniger mag, obwohl sie wirklich sämig kommen, kann sich an den Cavatelli Barese mit Miesmuscheln und Bohnen versuchen. Chef Anacleto Esposto, der sich mit seiner Frau Carmela und dem gemeinsamen Sohn aus Apulien aufgemacht hat, um „la vera“ – die echte – italienische Küche nach Wien zu bringen, hat einen Fernsehapparat zum Fußballschauen in den Schankraum gehängt, betätigt sich zumeist mit blütenweißer Kochmütze am Pizzaofen, zaubert aber für Stammgäste gleich Schlaraffenland aufs rotkarierte Tischtuch: Duftende Obstpyramiden, knackigfrischen Tintenfischsalat, Scampi, Mies- und Venusmuscheln, mit Zitrone und bestem Olivenöl gewürzt, heiß-dünn-knusprige Focaccia mit leicht frittiertem Rosmarin, Rohschinken aus Faeto, Salsicce aus Apulien, Pizza mit Büffelmozarella, Rucola, Tomatensauce …
Basta! Soviel können Frauen unmöglich essen. Si, Espresso, und vielleicht geht sich doch eine kleine Nachspeise aus: Schokoauflauf? Zu viel. Profiteroles? Zu viel. Aber wenn wir schon Geborgenheit suchen: Panna Cotta! Schlagoberspudding mit Erdbeersauce, wie alles andere von Signora Carmela hausgemacht. Bernhards Italienisch prasselt rhythmisch, fließt musikalisch.
Im Rauchsalon köchelt sie weiter an ihrer römischen Herzensangelegenheit. Erklärt vorab: „Karriere stand nie auf meinem Plan.“ Dass sie sich oftmals hinterfrage, an sich selber zweifle, ihr Ehrgeiz hauptsächlich daraus bestehe, alles perfektionistisch zu betreiben. Klar, Selbstzweifel als Teil der Intelligenz. Immerhin hat sie mal Publizistik- und Kunstgeschichte studiert. Zweifellos lud sie ein Erasmus-Stipendium nach Rom zum Aufbruch ein. Zweifellos begegnete sie dort ihrer „Lichtgestalt“ Andreas Pfeifer, damals Leiter des römischen ORF-Korrespondentenbüros. Sie werkelte als Übersetzerin und freie Producerin bei verschiedenen Sendern, er ließ sich ein paar Beiträge liefern, sie leckte Blut, ihr Mentor Pfeifer setzte sie stärker ein. Bernhard bekam einen Korrespondenten-Vertrag: „Italien hat doppelt gezählt, mit Berlusconi und dem Vatikan“, sagt sie smart. Als Zeugin des italienischen Desasters, als Zeugin von Berlusconis Tanz auf dem Vulkan bis zum Aschenregen.
Die Amerikanerin Simi kuschelt sich an ihr Knie, das Glas ist mit Pinot Grigio gefüllt und Bella Nadja träumt Italien mit allen seinen Diskrepanzen nach, Mamma Roma und Marco, dem Kameramann. „Marco konnte kochen, seine Mutter war zwar berufstätig, doch er hat’s von der Oma gelernt. Hedonistisch genug, nur die besten Produkte zu verwenden. Er hat den Eiskasten aufgemacht, und egal, was drin war, kam was Köstliches raus. Er hat mir beigebracht, dass ein Cappuccino nach dem Mahl gar nicht geht. Nur der Espresso, kurz, bitter und süß.“ Marco lehrte sie auch, naturbelassene Weine zu lieben. Das Kulinarische wurde ihr wichtig: die einfache geradlinige Küche der Süditaliener. Ihr unaufgeregter Zugang zum Essen: „Keine Bio-bio-Zwänglerei. Aber: Obst, Gemüse, Fisch immer frisch, die Pasta handgemacht und al dente gekocht, und der Parmesan bei Tisch gerieben.“
Marco brachte sie nach Nettuno, ein Seebad in der Nähe von Rom, zu Silvana, die in einer „Kaschemme“ regierte. Packpapier anstatt Stoff auf verwittertem Holz, der Wein aus Plastikbechern, okay, Stammgäste bekamen Gläser. Eine Weinbauernfamilie, und wer will, kann ihr Gehöft als „pittoresk“ beschreiben. Im Hof hingen Tomaten und Paprika zum Trocknen, eine Weinlaube wie aus Fünfzigerjahrefilmen gehörte zum A und O. Silvana kochte nur für Weinkäufer, und nur ein einziges Gericht. Aus den Lebensmitteln, die sie vormittags am Markt gefunden hatte, Fisch, Zucchini, Pilze, Huhn. Pasta gab’s oft. Dazu die Poesie, mit der Silvana Wachsen, Ernten, Essen, Kochen beschrieb. Den besten Boden für Wein und Tomaten, wie lange Kichererbsen im Wasser liegen müssen, bevor man sie kocht, welcher Zeitpunkt, welches Wetter über die Olivenernte entscheidet. Und der Himmel über dem Weinlaub so blau.