Diplomatie mit feinen Tellern

Es gibt sie tatsächlich, die Politik, die durch den Magen geht. Für das gute Essen in der österreichischen Botschaft in Berlin stehen Diplomaten gerne auf der Warteliste. Und auch in der schwedischen Botschaft in Wien lockt man die politischen Gäste mit gelungener Kulinarik.

Foto von Manuel Zauner
Text von Eva Biringer

Es gibt eine Form kulinarischer Exklusivität, die selbst das Seating-System des Noma & Co in den Schatten stellt. Eine, die weder Tagesreisen auf Polarkreisinseln voraussetzt noch Ticketpreise im Wert einer Wagyuherde, die ohne Onlinespeisekarte auskommt und ohne digitales Buchungssystem. Selbst der Name des Kochs bleibt in vielen Fällen ein Staatsgeheimnis. Die allermeisten Versuche, an einem gedeckten Botschaftstisch zu sitzen, sind zum Scheitern verdammt. Falls Sie nicht Diplomatenkind sind oder jemanden kennen, der jemanden kennt, der die zukünftige Botschafterin vor fünfzehn Jahren mal bei Interrail kennengelernt hat – Pech gehabt. Obwohl nichts davon auf uns zutrifft, haben wir uns mit unermüdlichem Ehrgeiz dieser Herausforderung gestellt. Dutzende E-Mails, Anrufe und Instagram-Nachrichten – oftmals die niedrigschwelligste Form der Kontaktaufnahme – waren nötig, bis schließlich zwei ultraexklusive Einladungen ins digitale Postfach flatterten. Der ursprüngliche Plan, die österreichische Botschaft in Berlin mit der deutschen in Wien zu vergleichen, misslang aufgrund der Tatsache, dass Letztere keinen eigenen Koch beschäftigt – stellvertretend für ihre Landsleute senkt die Autorin beschämt ihr Haupt. Am Ende einer neuerlichen Suche stand die Erkenntnis, dass für deren kulinarisches Botschaftskonzept dasselbe gilt wie für Billy-Regale: Auf die Schweden ist Verlass. Aber von vorn.

Der Platzteller: Wiener Werkstätte. Der Suppenteller: Ikea. „Was soll man machen“, seufzt der österreichische Botschafter, „der Luci besteht halt drauf.“ Worauf er noch besteht, ist Grenzenlosigkeit. Statt Schnitzel gibt es Tacos, Thai-Curry und Tonkatsu, aber auch mal Erdäpfel-Blunzen-Tarte. Seit sieben Jahren steht Lucas Huemer am Pass der österreichischen Botschaft in Berlin. Ein Job mit Dienstwohnung, für gastronomische Verhältnisse traumhaften Arbeitszeiten und abwechslungsreichen Gästen. Wenigstens zwei sitzen immer mit am Tisch, Michael Linhart, im Jahr 2021 auch kurzfristig Außenminister, heute Botschafter, und seine aus dem Burgenland stammende Frau Silvia. An diesem sonnigen Frühsommertag sind wir deren Gäste.

Staatstragend geht es einige Stunden zuvor nicht zu in der überdimensionierten Botschaftsküche, sondern sehr relaxt. Am Kühlschrank klebt ein Zettel mit der Aufschrift „Dog Food“, neben dem Gasherd steht eine austriarote Kitchen Aid. Lieber als technische wäre dem allein arbeitenden Koch bisweilen menschliche Hilfe, andererseits hat er so freie Hand, auch in Sachen Musikauswahl, die von West-Coast-Hip-Hop bis osmanische Folklore reicht. Huemers Füße stecken in orangen Socken und schwarzen Clogs, die kurzärmlige Kochjacke schert sich nicht um Flecken. Mit seinen vielen Tattoos – seine aus Kanada stammende Partnerin ist Tätowiererin – und dem mit einer Bürste in Form gebrachten Walrossbart ist der 38-Jährige der fleischgewordene Instagram-Koch. Von wegen Linzer Schnitte: So schnell wie er mit dem japanischen Messer Karotten hackt, ballert der Oberösterreicher seine Geschichten raus. Als Sohn einer Bäckersfamilie zog es ihn früh in die Küche, erst Hotelfachschule und Bundesheer, dann Stanglwirt. Mit dem Helikopter angelieferte Burrata gab es da und das wahrscheinlich üppigste Heringsschmausbudget Österreichs, der volle Kitzbühel-Wahnsinn. Nach einem Aufenthalt bei Roland Huber im Kloster Und in Krems landete er kurzzeitig in einem Grillrestaurant in San Francisco und dann, seinem „geilen Netzwerk“ sei Dank, im Wiener Mochi.

Berlin calling: Fünf Jahre später zog er von dort in die deutsche Hauptstadt, mit dem Plan, dem anderen wilden Lukas mit Nachnamen Mraz in der Cordobar unter die tätowierten Arme zu greifen. Dann wollte ihn plötzlich die Botschaft haben. Warum nicht, dachte der Linzer, und staunte nicht schlecht, als sein Vorgänger ihn in Lederhosen vom Flughafen abholte.

Lederhosen, sprich Schmankerlküche, das machte er von vornherein klar, gebe es bei ihm nicht, auch wenn vor allem die deutschen Botschaftsgäste routiniert nach Schnitzel und Kasnocken gieren. Innereien wie saure Nierndl schon eher, die schmecken auch dem Herrn Linhart. Heute hat Huemer Bock auf eine Caesar-Salad-Fingerfood-Variante, ein Mini-Kopfsalatherz mit Bärlauch und Röstzwiebelbröseln, außerdem Kohlrabiröllchen, die er jetzt mit Wolfsbarsch-Tatar und Nordseekrabben füllt. Dann geht es ans Filetieren der Dorade, drei Tage abgehangen, dry aged, wie das auf Instagrammisch heißt.

Obwohl er beim Einkauf freie Hand hat, investiert er kaum in Luxusprodukte, „damit kann doch jeder Idiot kochen.“ Anders als seine Zutaten kann er sich seine Gäste leider nicht aussuchen. Für die Strache-Delegation wollte er nicht kochen, musste aber. Es gab dann ein türkisches Buffet, „fanden die total geil.“ In einer anderen Erinnerung kommen große Mengen Topinamburen vor, Details unterliegen der Verschwiegenheitsvereinbarung. Gäste der angenehmen Art waren Heinz Fischer, Josef Hader, Bang Ki Moon und der noch heute von Huemers Lammsauce schwärmende deutsche Bischof. Schade bloß, dass alle immer so leicht zufriedenzustellen sind. Der Wermutstropfen seines sonst recht komfortablen Jobs: Es fehle halt die Kritik von Kollegen. Kurz vor zwölf rauscht die Botschaftsgattin im Tennisdress herein, mit einem Apfel-Quitten-Saft im Gepäck und Sauerteigbrot der wunderbaren Berliner Bäckerei Albatross. Während sie sich umziehen geht, rührt Huemer eine Muschel-Nage zusammen, deren Geschmacks-tiefe einen aus den Sandalen haut.

Bevor es zu Tisch geht, bietet der aus Vorarlberg stammende Botschafter eine kurze Gebäudeführung an. Dass bei dem 2001 gegenüber dem Tiergarten erbauten Gebäude der große Hans Hollein am Werk war, verraten die verwegenen Geometrien und roten Autolackdetails, eine rummelartig blinkende Deckenlampe und jener signalfarbene Bösendorfer-Flügel, auf dem der Botschafter in unbeobachteten Momenten spielt. Im Foyer steht ein Tischkicker unweit einer Karajan-Büste, die Kokoschka-Tapisserie ist dem Vorhang im Salzburger Festspielhaus nachempfunden. Vergleichsweise gediegen wirkt dagegen das im Obergeschoß gelegene Speisezimmer mit türkischer Kinderwiege und Bildern des Vorarlberger Malers Franz Gassner. Als Tischdeko dienen Biedermeier-Augarten-Porzellan-Figürchen, deren Vervollständigung die Botschaftsgattin seit einiger Zeit auf Trab hält, Hinweise sind sehr willkommen.

Mit halbstündiger Verspätung, was hier niemanden aus der Ruhe bringt, geht es los. Die zum Brot leger auf den Teller geschmierte Sonnenblumenbutter findet Huemer zu salzig, wir finden sie perfekt. Es folgen bunte Rüben mit Senfkaviar und Kracher-Reduktion („vorhin im Kühlschrank gefunden, musste weg“) und der Kopfsalatsnack. Spätestens bei dessen Abzuckeln ist jede Förmlichkeit verschwunden, was sich später daran zeigen wird, dass Reste des Hauptgangs zur freien Entnahme in die Tischmitte gestellt werden. Die als Zwischengang servierten kalten Kohlrabiröllchen baden in einem grasgrünen Apfel-Staudensellerie-Sud, an dem einzig dessen Schöpfer etwas zu motzen hat („eigentlich sollte das Öl verschiedene Grüntöne haben“). Mit der knusprig gebratenen Dorade gehen Karottenwürfel und Muscheln eine beglückende Koalition ein.

Glückliche Botschaftsgäste, die wir in den Genuss eines Menüs kommen, das gleichzeitig präzise gekocht, irre kreativ und, um einen bundesdeutschen Begriff zu gebrauchen, ausgesprochen lecker ist. Die österreichische Botschaft in Berlin ist eine Enklave des guten Geschmacks, in einem Land, dem nicht nur Huemer „zero Essenskultur“ unterstellt. Am folgenden Burnt Basque Cheesecake, einem seiner sicher „150 Mal gebackenen“ Signature Desserts, gefallen vor allem die leichte Salznote und die perfekt fließende Konsistenz, dazu gibt es Pavlova mit Pistazienmousse und kunstvoll geschnitzte Erdbeeren. Ach so, die deutsche Gästin mag Kaiserschmarren? Dann gerne beim nächsten Besuch. Den Magen schließen Marc-de-Champagne-Trüffel vom letzten Frankreichurlaub der Gastgeber, stilecht platziert auf Wiener-Werkstätten-Geschirr. Seufzender Botschafter: Das gute Augarten-Porzellan, auf das wir bei unserer Gebäudetour einen kurzen Blick werfen durften, musste auch heute wieder im Schrank bleiben. Lucas hat halt ein Faible für schwedische Massenware.

Quinoabällchen und Graved Lachs
für die schwedisch-österreichischen Beziehungen

In der Außenstelle des Ikea-Landes hingegen ist der Tisch mit feinstem Rörstrand-Porzellan eingedeckt. Gustav III. ließ es im 18. Jahrhundert für Schloss Gripsholm anfertigen. Benutzt wird es ausschließlich in schwedischen Botschaften, wie in jenem imposanten Gebäude vis-à-vis dem Wiener Liechtensteinpark, das Schauplatz unseres zweiten Exklusivlunchs ist. Erbaut in den 1870ern von Ludwig Tischler als Wohnpalais, residiert hier seit 1928 die schwedische Botschaft. Knarzendes Parkett, meter­-hohe Decken und halbierte Spiegel, die auf jene Zeit verweisen, als auf diese ab einer gewissen Größe eine Steuer entfiel: Alter Schwede! Der lichtdurchflutete Speisesaal böte dem halben Parlament Platz. Rosa Tulpen blühen, schwedisch-österreichische Fähnchen wehen.

Hier leistet man sich nicht nur einen, sondern gleich zwei Köche. Anders Wigh stammt aus Oslo, ein schlanker, schelmischer Endfünfziger, auf dessen mandeltortenweiße Kochjacke sein Name gestickt ist. Unterstützt wird er von der Philippinerin Marissa Uchi-Svoboda, ehemalige Privatköchin André Hellers. „Unsere Aufgaben hier sind sehr vielfältig“, erklärt Wigh auf Englisch, „im Prinzip müssen wir jeden Tag das Rad neu erfinden.“ Viele Gäste kämen regelmäßig. „Ein Dauerbrenner sind unsere Quinoabällchen, auch unseren Graved Lachs lieben die Leute, den gibt es aber nur in der Adventszeit.“ Alles wird hausgemacht, vom Brot bis zu den Desserts. Das seit fünf Jahren eingespielte Team kommt mit Journalistendelegationen ebenso klar wie mit den 900 Gästen des Luziafests, und das in einer Küche, die fünf Mal kleiner ist als jene von Lucas Huemer. An diesem Tag ist der Aufwand glücklicherweise überschaubar, schließlich sitzen außer uns nur noch der Fotograf, eine Pressedame und die Botschafterin mit am Tisch, eine elegante Frau mit knielangem Rock und halblangen Haaren. Begeistert weist sie darauf hin, dass der Wein in ihrem Glas ganz ähnlich heißt wie sie. Gestatten: Annika Markovic. „Ich wünschte, es wäre mein Weingut!“

Sich mit ihr über das berühmte Eishotel, eine aufwendig versetzte Minenstadt oder die kulinarischen Bräuche ihrer Heimat auszutauschen, ist eine Freude. In Schweden, lernen wir, hat Brot durch Beigabe von Malz oder Honig immer eine leicht süßliche Note. Gilt auch fürs Knäckebrot, das bäckt die Botschafterin an freien Tagen gerne selbst. Als dessen Opposition gefällt eine perfekt salzige, von der schwedischen Kirche importierte Butter. Es folgt eine sattgrüne Bärlauchsuppe, deren Blätter das Küchenteam am selben Morgen eigenhändig im Botschaftsgarten gesammelt hat. Ein recht ­frühlingshafter Teller ist das anschließende, hübsch angerichtete Risotto mit mariniertem Spargel, Löwenzahnblattpesto, Knoblauchsrauke und Kürbiskernen. Schon bemerkt? Das Menü ist komplett vegetarisch, nicht nur, weil sich die Gastgeberin selbst tierfrei ernährt, sondern auch, weil sie ein Zeichen setzen will. „Viele Klassiker meines Heimatlandes lassen sich problemlos vegetarisieren, mit Pilzen statt Fleisch gefüllte Knödel beispielsweise“, so Markovic. Kann man ruhig machen, schließlich gibt es selbst bei Ikea inzwischen vegane Köttbullar. In Wiener Gasthäusern sieht sie dagegen erheblichen Nachholbedarf. Auch sonst hat sie eine fundierte Meinung zum gastronomischen Angebot ihrer Wahlheimat: Brot am besten von Öfferl oder das Lavendel-Roggen-Brot im Steirereck. Ein Besuch im kürzlich eröffneten Restaurant Hemma steht noch aus.

Schwedenbombe? Nein, zum Veilchensorbet, für das es rund 6.000 händisch gesammelte Blüten braucht, gibt es einen Schoko-Lakritz-Kuchen mit Schokocrumble und Blüten. Dass sie essbar sind, passt zur hier herrschenden No-Food-Waste-Philosophie. Welker Salat, so berichtet Anders Wigh stolz, wird zu Suppe, statt Dill dient Fenchelgrün als Frischetopping, und das Knäckebrot wird, echt wahr, mit Kaffeesatz versetzt. Etwaige Risottoreste werden zu Arancini geknetet. Heute bleibt allerdings nichts auf dem königlichen Porzellan zurück.

Viele beneiden uns Gastrojournalisten um unseren Job. Nach Abschluss unserer politischen Mission kann man sagen: Botschaftersein hat auch seine Vorteile, schließlich gehört das Bewirten und Empfangen von Gästen zu den Kernaufgaben. Mit leerem Magen regiert es sich nun mal schlecht, und dass die Sprache des Essens eine universelle ist, dürfte ebenso klar sein. Es lebe die Diktatur des guten Geschmacks! So bleibt nach der schwedisch-österreichischen Doppelspitze lediglich ein leises Bedauern darüber, dass diese Termine nicht wiederholbar sind. Wobei: Es steht ja noch ein Kaiserschmarren aus. —

Auch die schwedische Botschaft in Wien legt Wert auf Kulinarik. Gleich zwei Köche – Anders Wigh und Marissa Uchi-Svoboda – umsorgen die Botschafterin Annika Markovic (li.).
Rörstrand-Porzellan gibt es nur in den schwedischen Botschaften
Koch Anders Wigh

„Alles wird hausgemacht, vom Brot bis zu den Desserts.“

Schoko-Lakritz-Kuchen mit Crumble und Blüten
Blick in den Botschaftsgarten