Doppler Effekt

Viel in einem. Auslese Johannes Krisch. Ein Schauspielstar, der Naturfrisches für die Familie kocht. Ein Workaholic im Burgtheater undam Filmset. Ein Genießer, der bei Doppler I im Hansen und Doppler II im Vestibül gastiert. Ein Antialkoholiker, der eine um die andere raucht. Text von Ro Raftl · Fotos von Philipp Horak Sternenstaub? Würzige Gebirgsluft? Ist’s…

Viel in einem. Auslese Johannes Krisch. Ein Schauspielstar, der Naturfrisches für die Familie kocht. Ein Workaholic im Burgtheater undam Filmset. Ein Genießer, der bei Doppler I im Hansen und Doppler II im Vestibül gastiert. Ein Antialkoholiker, der eine um die andere raucht.

Text von Ro Raftl · Fotos von Philipp Horak

Sternenstaub? Würzige Gebirgsluft? Ist’s das, wovon sich Astragalus nährt? Reicht dem „Alpenkönig“ ein Schluck Quellwasser? Nascht er Tannenwipfel? Ferdinand Raimund erzählt uns nichts darüber, also darf man träumen, dass gemeißelt muskulöse Oberkörper bei einem Geisterwesen zur Natur gehören. Unheimlich lasziv, wie Johannes Krisch im Burgtheater sein alpines Reich durchtänzelt: halbnackt, bemalt wie indianische Krieger, die zerfurchten Züge zur Skulptur geschärft, wunderbar begabt, mit Dohlen- und Adlerstimme zu schreien. Ein Lehrstück über „Sentimentalität und Brutalität des Menschen“ schreibt Robert Musil über „Alpenkönig und Menschenfeind“, aber – oho – die Mädels wollen weniger Menschenkunde lernen als Krisch anschauen. Trauen ihm zu, dass er das Blut der Luchse und Hirsche trinkt, deren Felle und Geweihe auf der Bühne liegen. Schwärmen, dass dieser Typ nicht festzulegen ist – und was reizt mehr als ein Geheimnis?

Krisch gibt kalt warm, polarisiert in unterschiedlichsten Rollen, arbeitet immer am Rande der Schmerzgrenze, das Skalpell ganz nah am Zuschauergemüt. Sagte: „Wenn ich einen Abend spiele, wo alle sagen: Ach, wie schön!, dann landen wir bei RTL, und darauf habe ich keine Lust.“ Serviert schwere und (scheinbar) leichte Kost auf der Bühne und im Film. Als Bankräuber Alex mit vulkanischem Innenleben in Götz Spielmanns oscarnominiertem Kunstwerk „Revanche“. Als Kleinbauer in der Grauzone zwischen Antisemitismus und sprachlosem Kummer, weil sein einziger Sohn im Krieg gefallen ist, in Elisabeth Scharangs Kinodebüt „Wie in einem anderen Leben“. Als fetzig rockend und röhrende Wiedergeburt von Paul Schremser in „Kottan“ fürs Kino. Als schmieriger Wiener Zuhälter, der in seiner Modellagentur Mädchen an einsame Manager in ihren Hotelzimmern verschachert, in dem Hollywoodstreifen „360“ mit Rachel Weisz, Anthony Hopkins, Jude Law.

„Der Doppler-Effekt“, grinst Krisch hintergründig und zieht ihn konsequent bis in die Wirtshäuser durch. Grundbedingung: Rauchen erlaubt! Weshalb der 46-jährige Burgstar sein Stammcafé Eiles aufgeben musste, entsetzt, da es ansonsten noch kein so mainstreammäßig revitalisiertes Kaffeehaus ist. Weshalb die tiefe Liebe des Experten für ungebügelte Seelen dem Gasthaus Zu den 2 Lieserln in der Burggasse gehörte, mit einem „tadellosen Gulasch“ und jenem eigentümlichen Wirtshausmief von Jahrzehnten, in denen nicht ausgemalt wurde. Vorbei. Die Lieserln haben zugesperrt, vergangenes Jahr.

Gulasch aber zählt mittlerweile als Grenzfall zur „Sünde“ wie die „Eitrige“ am Würstlstand: „I bin so a Reformhausgänger“, klärt Krisch beiläufig auf. Doch da er Tag und Nacht arbeitet, zieht er auch die Kreise außerhäusiger Rekreation enger. Zu Veronika Doppler im Burgtheaterrestaurant Vestibül, das sich mit Marmor, Stuck und vergoldeten Säulen für Verhandlungen mit Regisseuren eignet. Besser als das Zweitwohnzimmer aller Burgarbeiter, die Kantine.

Und: Überraschung!, denn dort ist Tschicken verboten, zu Leo Doppler ins Hansen, im Souterrain der Alten Börse, wo man umrankt von Lederleitners Grünpflanzen speist. Nur sehr gelegentlich, gibt Krisch zu, aber der private Fightingclub vom „Professor“ liegt gleich ums Eck. Professor nennt er Ernst Dörr, der früher Weltmeistertrainer im Kickboxen war, und der ihn für die Hauptrolle in Franzobels Uraufführung „Der Boxer oder die zweite Luft des Hans Orsolics“ im Akademietheater trainiert hat: „Ein sehr schwerer Sport, wenn man als Erwachsener mit dem Boxen beginnt. Die Bewegungen schauen viel leichter aus. Aber jetzt will ich’s wissen. Das ist mir von dem Stück geblieben.“

Ja, er arbeitet immer so, mag den Aufwand, mit dem er eine Rolle einkreist: „So bekannt Orsolics in Österreich ist, muss ich die Figur doch aus mir selber nehmen.“ Na, die Muckis an den Oberarmen aber, die er im „Alpenkönig“ so aufregend spielen lässt, die kommen vom Krafttraining, von schweren Hanteln. Doch in Wirklichkeit komme alles von früher: Vom Hackeln im Sägewerk als Tischlergesell. „Knochenleim – warm, Fischleim – selten und kalt, Hasenhautleim – warm, zum Vergolden“, schnurrt er wie geölt. Im Sommer wird er bei den Salzburger Festspielen in Nestroys Zauberposse „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ den Tischlergesellen „Leim“ darstellen. Den einzig halbwegs Soliden im „Liederlichen Kleeblatt“, das – hochaktuell – der großen Verschwendungssucht erliegt. „Schöne Rolle“, sagt er nur, obwohl er sich blindwütig aufregen kann über das Gesellschaftsmodell, „das uns aufoktroyiert hat, wie wichtig Geld und Äußerlichkeiten sind. Reine Politik, um den Bürger ruhig zu stellen.“ Endlich zerbröselt’s. Doch die Gedanken, die Krisch mit sich herumträgt, wird er abends im Arbeitszimmer mit sich selbst besprechen. Es wär ihm ein Gräuel, sich bedeutungsvoll zu gebärden, abgesehen davon, dass es heut ja ums Essen geht.

Dopplers „Waller im Speckmantel“ schmeckt delikat, erntet Lob: „Ich hab’s gern, wenn die Grundstoffe ihre Natürlichkeit bewahren. Gutes Brot – ich liebe Roggenbrot – mit Butter. Sonst brauch ich nix.“

Natur im Topf, Natur bei seinem Lieblingssport Reiten, Natur in seinem neuesten Film „Finsterworld“, in dem er sich als Aussteiger in die Einöde zurückzieht, als Einsiedler mit einem Raben zusammenlebt. Das Frühlingserwachen an Lederleitners Schneeglöckerln, Tulpen und Narzissen treibt den Boxerlehrling allerdings zur trockenen Betrachtung: „Der körperliche Verfall schreitet rapide voran, je älter man wird. Desto mehr muss man trainieren. Dann kann man essen, was man will.“

Midlife-Trauer? Ist unangebracht bei dem Waschbrettbrauch, aber Krisch sehnt sich vermutlich nach einer Marlboro light. Diskutiert beim rauchfreien Doppler lebhaft die spezifischen Merkmale des Raucherkammerls am Flughafen Heathrow gegenüber den Raucherlounges in Frankfurt und Köln. In Heathrow war er oft, da er in England mit Natalie Press und Mathias Habich, „Where I belong“ – Wo ich hingehöre – gedreht hat, eine Emigrantengeschichte in der Nachkriegszeit über Wurzeln suchen und Liebe finden. Kommt erst ins Kino, wie jene Filme, die er in Deutschland gedreht hat. Dort war er noch öfter… „Ein Bier?“, unterbricht der Ober. „Apfelsaft naturtrüb“, bestellt Johannes Krisch indes zum zweiten Mal und begräbt damit die Hoffnung, den Doppler-Effekt aufs Alkoholische auszudehnen. „Seit drei Jahren nur noch Tee, Fruchtsäfte und Wiener Hochquellwasser. Keinen Alkohol mehr. Bier schon gar nicht, weil das unheimlich anschlägt.“ Alle Achtung, aber warum? „Ach was, ich hab genug getrunken, für sieben Leben. Wollte einfach klar im Kopf sein. Eine Entscheidung, in einer Minute gefasst und durchgezogen.“ Punkt.

Aus der Küche wehen süße Düfte. Wie in Barcelona auf einem Markt, erinnert er sich, als er – Flashback – plötzlich den Vanillepudding im Kindergarten zu riechen glaubt. Dessert? Danke, auch das nicht. Krisch erklärt: „Ich bin kein Süßer. Kein Schokoholic. Mit Meeresfrüchten und Mayonnaise eher zu locken, auch mit einer deftigen Käseplatte, aber Nachtisch brauch ich nicht.“ Lacht, entspannt sich: „Nur auf Schokotrüffel war ich wild. In alten Bonbongeschäften bekommt man sie noch, zum Beispiel in der Neubaugasse. Zehn Deka am Heimweg von der Schule, dann alle Trüffel schnell in der Tramway in den Mund gestopft, damit sie mein Bruder nicht stiehlt.“ Sein Bruder ist 17 Monate älter als er. Polizist geworden. Krisch denkt zurück, sieht sie als Buben in der Küche der Großmutter in Nussdorf wie die Haftelmacher aufpassen, während ihr herzbewegendes Kalbsbeuscherl entsteht. Oder das Kletzenbrot. Rituale. Vieles war klar, manches unklar. „Was tuast da rein?“, haben sie gefragt. „No ja, a Prise“, hat sie gesagt. Wie groß diese Prise war, konnte selbst bei ausdauerndem Zuschauen mehr gefühlt als gesichert werden. „Sie hat uns die Rezepte aufgeschrieben, aber ich glaub, sie hat uns nicht alles gesagt“, zweifelt Krisch an seiner Gnade als spätgeborener Beuschelkoch und Kletzenbrotbäcker.

Denn er kocht. Mit Leidenschaft. Drei, vier Mal die Woche für die ganze Familie, das heißt Frau und drei Söhne. Forelle etwa, ganz einfach, und im Nu fertig: „Salzen, pfeffern, Petersil und Knoblauch in den Bauch, in eine gebutterte Pfanne, Butterflocken oben drauf, bei 200 Grad ins Rohr, zack, Salzkartoffeln und Salat dazu.“ Gern auch Italienisches oder alte Rezepte aus der Kriegszeit: Brotsuppe, Pofesen und Löwenzahnsalat. Räumt er denn auf? Ein Pokerface räuspert sich: „Eine sehr intime Frage! Na ja, wenn alles klappt, dann schon. Doch wenn ich mir nicht richtig eingeteilt hab, dass alles zum richtigen Zeitpunkt fertig wird, wenn der Stress überhand nimmt, denk ich: Jetzt hab i so lang kocht, jetzt sollen die anderen wegräumen. Aber ich hab mich schon sehr verbessert mit der Ordnung.“ Zuhause hat natürlich seine Frau die Hosen an, „nach mehr als 25 Jahren muss es schon so sein“. Sein Stimmeinsatz kommt fast dramatisch: „I waß net, wie sie’s so lang aushält mit mir. Ich bin ja nie daham!“ Endet lyrisch: „Vielleicht ist es das Geheimnis von Dauer, dass man nicht weiß, warum, und es immer wieder neu ergründen will.“

Seine Gedanken über Liebe, Zusammenleben, Gesellschaft, Zustände, die einen zur Weißglut bringen, aber im Sand verlaufen, hat er mit Literat Peter Ahorner in Texte gegossen. Ende des Jahres sollen sie als CD erscheinen, seiner zweiten nach „Mirror“ 2002. Die Musik macht Andy Radovan, weil Krisch meint: „Die beiden können’s besser als ich.“ Doch er kennt sich aus: Hatte mit 15 die erste eigene Band, schreibt nächtens Songs am Computer.

Was ihn nicht am Kochen hindert. Wenn er in Wien ist, gerade keinen Film dreht, keine Endproben hat und keine Vorstellung. Heut hat er eine. Weshalb wir näher an die Burg rücken, zur Doppler-Schwester und ihrem Herzenschef Christian Domschitz, der Krisch in die Vestibül-Küche bittet, um ihm frischen Hummer zu reichen. Was den Schauspieler zu dem euphorischen Bekenntnis hinreißt, er fühle sich in solch „Alchimistenlabor wie in einem Tempel“, spüre „Demut wie ein kleiner Bub vor dem Weihnachtsbaum“. Die Weinempfehlungen schmettert er konsequent mit einem genuschelten „leider Vorstellung“ ab und hüllt sich – endlich! – in Tabakschwaden: „Ich könnte das Rauchen erfunden haben.“ Der Heiterkeit wiederbeschenkt, erzählt er, dass er seit Jamie Oliver gern Kochsendungen sehe und Kochbücher en masse besitze. Die von Ewald Plachutta besonders gern mag, weil abgesehen von Fisch aller Arten „Tafelspitz“ sein Leibgericht ist. Die Suppe mit dem Gemüse ist ihm wichtig, und Apfelkren, doch statt fetter Röstkartoffeln gibt er Petersil-Erdäpfel dazu, und statt Schnittlauchsauce Rahmfisolen oder Spinat. Die blanchierten Fisolen ganz klassisch mit Zwiebel, Einbrenn, Sauerrahm und Dill, doch „beim Ablöschen bin ich sparsam, denn zu sauer schmeckt mir nicht.“ Spinat, „eine Handvoll frisch vom Naschmarkt“, lässt er kurz dämpfen, um ihn dann im Wok mit angerösteten Zwiebeln und Knoblauch würzig zu vollenden.

Kurz entzückt er sich wie bei einer Reiseerinnerung: „Über den Naschmarkt zu schlendern, mitzunehmen, was einem besonders ins Auge sticht und drumherum ein Essen zu komponieren.“ Doch bevor sich das wieder mal ausgeht, hat er als rotschöpfiger und schwarzperückiger „Titus Feuerfuchs“ in Nestroys „Talismann“ Premiere im Akademietheater. Wo er den Zuschauern, darauf kann man wetten, die lächerliche Zufälligkeit von Glück und Unglück in dieser Welt schwerelos schillernd, bis zum Herzklopfen gründlich einprägen wird. Sein jüngster Sohn, der sechsjährige Lilian, wird daheim in die Bresche springen: Plant nicht nur, ein Kochbuch herauszugeben, brät auch Fleischlaberln mit Bravour und am Sonntag das Frühstücksomelett. Erdbeeren mit Minze zu garnieren hat er sich selber beigebracht.“ Urgroßmutters Erbe. Obwohl Krisch gar keine Bestärkung braucht in seinem Glauben: „Egal, ob wir als Regenwurm oder Salatblatt enden, es geht auf jeden Fall immer weiter.“