Earl Grey meat-balls of fire
Zwei Stunden vor dem Auftritt bleibt die Diva nüchtern. "Singen ist Hochleistungssport", sagt Diana Damrau, eine der besten Koloratursopranistinnen der Welt. Doch die Deutsche mit Wiener Wohnsitz ist ein Leckermaul mit Weinverstand. Ihr Kindheitsessen "Kässpatzen" kocht sie "mit links".
Earl Grey meat-balls of fire
Welches Essen passt zur Wahnsinnsarie der Lucia? Die Lady hat den Ehemann, den ihr der Bruder aufzwang, im Brautbett erstochen, halluziniert nun, blutüberströmt und mit dem (Küchen-?)Messer in der Hand, von einer Trauung mit dem Geliebten Edgardo. Im wirklichen Leben würde sie in einer Sonderanstalt für geistig abnorme Straftäter landen. Vielleicht mager- oder drogensüchtig. Doch wir befinden uns im Reich der Oper: Lucia di Lammermoor singt in dramatischen Koloraturen Il dolce suono, um hernach bühnenwirksam zusammenzubrechen und zu sterben. Ein Hochseilakt für jede Sängerin mit schauspielerischen Ambitionen.
Diana Damrau, die am 3. Oktober anstelle von Anna Netrebko an der Metropolitan Opera New York als Lucia debütiert, wird sich folglich mit all den leichten Goodies aufpäppeln, die Energie geben – ohne den Körper zu belasten. Mit Sushi – ihrer New Yorker Leibspeise –, mit Gemüse, Pasta, Reis mit Bologneser Sauce, viel Chinesischem und Tee in allen Variationen. Natürlich gibt’s keinen Alkohol, wenn gesungen wird, aber das ist so klar wie das lauwarme Wasser ohne Gas. Zwei Stunden vor dem Auftritt bleibt die Diva nüchtern. "Jeder macht’s anders, so wie er es für sich als optimal herausgefunden hat. Aber eigentlich vertrag ich alles außer Walnüsse – auf die bin ich allergisch", entkräftet Diana den Verdacht auf sinnenleidige Kasteiung.
Sie mag’s gerne würzig, currypikant und pfefferscharf. In Madrid kann sie sich in Gazpachos ertränken, in Gambas mit Knoblauch und Olivenöl vergraben und in die Tortilla de patatas sowieso. Zu München gehören mit Butter bestrichene Brezen. In New York geht sie gern französisch essen, und wo immer sie ein kubanisches Restaurant findet, ordert sie Ropa Vieja, Platanos und Yuca Frita. Sie ist ein Leckermaul mit Weinverstand, nur eben ein diszipliniertes. Trainiert in körperlicher und mentaler Feinabstimmung für den Hochleistungssport Gesang.
Ihre trillernden Kaskaden als schillernde Königin der Nacht, ihre brillanten Saltos in höchste Höhen als märchenhafte Mozart-Zauberin haben sie weltberühmt gemacht. Wenngleich die 37-jährige Deutsche aus Günzburg an der Donau nach 15 verschiedenen Zauberflöte-Produktionen Schluss gemacht hat mit Der Hölle Rache, um in neuen herausfordernden Rollen zu debütieren. Der Oktober sollte ein guter Monat für die Zwilling-Schütze-Dame sein. Da erscheint auch ihre zweite Solo-CD, die sie den Mozart-Frauen von der jungen lockeren Blonde bis zur intriganten Vitellia gewidmet hat. Weil ihr Mozart über alles geht: "Er hat nicht nur den Menschen mit der Lupe in das Herz geschaut und das weibliche Geschlecht besonders gut verstanden – seine Musik ist auch ein Indikator für die Stimme. Sie fordert absolute Disziplin bei größtmöglicher Freiheit, Sinnlichkeit eingeschlossen."
Damraus Sinn für kulinarische Genüsse kann man testen, ohne einer jener Günzburger Hardcore-Fans zu sein, die ihrem Star auf alle möglichen Stagiones dieser Welt nachreisen. Am Naschmarkt, bei den bunt gewürzten Humusmischungen (ihr Favorit ist der mildpikante Curry-Humus) des winzigen Orientlokals "Dr. Falafel" – als sie die Zauberflöten-Unschuld Pamina am Theater an der Wien sang. Bei den Dim Sums im kleinen unprätentiösen Chinarestaurant "Ostmeer" in der Wiener Argentinierstraße – immer dann, wenn sie ihr Heim im Vierten frequentiert. Sie nennt es das "Depot", weil sie "wegen der vielen Reiserei" bestenfalls drei Monate im Jahr dort wohnt. Die Liebe zu einem südamerikanischen Sänger zog die schlanke Honigblonde vor sechs Jahren nach Österreich – und nein, den Mann gibt es nicht mehr, was mit dem weltweiten Unterwegssein zu tun hat, und ja, wenn sie mal zuhause war, hat sie auch gekocht: Pasta-Variationen von Spaghetti Aglio Olio bis Farfalle con Pesto Peperoncino. Mit den Kollegen von der Staatsoper, als sie als Kleine Frau in der Cerha-Uraufführung "Der Riese vom Steinfeld" debütierte. Was sie zur Titelrolle in Salieris L’Europa riconosciuta zur Wiedereröffnung der Mailänder Scala brachte, weil Dirigent Riccardo Muti im Wiener Publikum saß. In Folge aber auch zu ihrem ersten Soloalbum Arie de Bravura, auf der die Sopranistin mit den silbrigen Koloraturen Salieri und Mozart einander gegenüberstellt.
Klarerweise ging’s auch mit Gourmet Ofczarek nicht ohne Kochlöffelschwingen ab, als sich Diana Damrau als Konstanze in Mozarts Entführung aus dem Serail am Burgtheater "mit Nicholas als Selim Bassa fetzte und verschlang". ==== Sie hat’s geliebt. So sehr, dass sie in das Schatzkästchen mit Rezepten ihrer Mutter griff, um mit "Allgäuer Kässpatzen" aufzutrumpfen. ==== Im Besitz eines "Spatzenhobels" ist das keine aufwendige, wenn auch eine gefühlvolle Angelegenheit: Aus 40 Deka Mehl, 4 Eiern, 1 Teelöffel Salz und circa 3 Esslöffeln Wasser einen relativ flüssigen, aber zähen Teig rühren. Danach in einem großen Topf gut gesalzenes Wasser zum Kochen bringen. Währenddessen 20 Deka Emmentaler Käse fein reiben sowie 4 Zwiebeln längs halbiert quer in dünne Streifen schneiden und in 10 Deka Butter goldgelb rösten, salzen, pfeffern, warm halten. Nun die erste Portion des Teigs in den Spatzenhobel füllen und den Schieber – gleichmäßig! – hin- und herbewegen, damit die Spatzen in das siedende Salzwasser fallen. Sie sind in zwei bis drei Minuten fertig, es folgt die nächste Portion … ==== Die gekochten Spatzen in eine vorgewärmte Schüssel füllen, Schnittlauchringe (1 bis 2 Bund), danach den Käse druntermischen, mit Salz und Pfeffer abschmecken und die Zwiebel darüber verteilen. Wenn die Spatzen beim Herausheben Fäden ziehen, sind sie richtig!
Kindheitsgeschmack, ach, mit allen Erinnerungen an Günzburg, einen Ort mit 20.000 Einwohnern, einem eigenen bayerisch-schwäbischen Dialekt und sieben Bierbrauereien. Weshalb der lebhaften Internationalen ein ehrliches Bier immer lieber ist als jeder noch so elegante Sprudel, "obwohl ein alter Rotwein auch seine Reize hat!"
Sie hat schöne Erinnerungen: an den opernbegeisterten Opa, der Diana und ihren Bruder mit Carmens (textlich ein wenig verändertem) Toreromarsch schlafen legte: "Ins Bett mit den Kindern!" An Edvard Griegs Peer-Gynt-Suite, ihre erste Schallplatte, von einem Onkel, der Solotänzer an der Bayerischen Staatsoper war. An den Kirchenchor. Und an Zefirellis Traviata-Film, den sie so unfassbar herrlich fand, dass sie um Gesangstalent zu beten begann. Als sie 15 war, geschah’s: Der Musiklehrer schickte das Mädchen mit der verheißungsvollen Stimme zum Unterricht zu seiner Frau, einer rumänischen Operndiva. So fing alles an.
Im Gedächtnis aromatisiert mit Diva Damraus Sehnsuchtsspeisen – den Krautkrapfen, für die Zwiebel, Speck, Schinken, Weißwein, Apfelsaft und Gewürze in Nudelteigtaschen und Sauerkrautfond im Rohr geschmort werden. Den "Bauzen", Schupfnudeln, wiederum mit Kraut. Den knusprigen, in gezuckerter und mit Butterschmalz aufgefetteter Milch geschmurgelten Dampfnudeln mit Vanillesauce. Und den frittierten Holunderblütendolden, von Diana "Holderkiachle" genannt, was nichts mit Holler zu tun hat, sondern mit der Bäuerin Holder, auf deren Hof die Familie ihre Sommer verbrachte.
An der Liebe zur Natur verwischte auch die Hochkarriere der Sopranistin nichts. Jetzt zeltet sie in raren Ferientagen halt in Andalusien, reitet durch die Wüsten von Marokko und Tunesien und geht über walisische Felder und Waldraine spazieren, wenn sie dort ein Open Air mit Bryn Terfel singt. Bloß am Attersee hatte sie Wetterpech. Viel zu regnerisch und kalt, um ins Wasser zu springen, will man beim Attergauer Kultursommer Stimme bewahren und in der Kirche von St. Georgen Lieder zu Xavier de Maistres magischem Harfenspiel tirilieren. Doch der Star hat sich beim "Häupl" an Eierschwammerln mit Semmelknödeln gestärkt, über den an jedem Tisch abgespulten Stehsatz des Kellners "Das Salz ist aus dem Loire-Delta, die einzige Fleur de Sel der Welt mit dem Bio-Siegel" geschmunzelt – und mehr noch darüber, als der gut Geschulte präzisierte, "dass man sich weder mit Autos und Fahrrädern noch mit Hunden den Salzfeldern nähen darf …"
In der Kirche ist es auch kalt, aber Rückert hat "Du bist die Ruh" gedichtet, de Maistre lässt die Harfe wippen wie eine vergoldete Geliebte, Damrau trinkt schlückchenweise laues Wasser aus einer großen Flasche, summt und keckt wie ein junger Rabe, bis der Frühling sein blaues Band so flattern lässt, dass sie zufrieden ist mit ihrer Stimme: "Oh Gott, ich dachte, es geht überhaupt nicht. Und jetzt geht’s doch." Die Freude an der Musik, die Freude am Beruf, das beglückt jubelnde Publikum überstrahlt alle Unbill des zehrenden Lebens aus den Koffern. Und man sei ja auch gesegnet, London, New York, Paris, Madrid wirklich zu erleben, zwei, drei Monate lang, nicht nur touristisch. Die Sprachen gut zu erlernen und zwischen ihnen zu switchen, Salsa wie Flamenco mit eingeborenen Experten zu tanzen. Bloß vom Kochen auf Gastspielen hat sie abgeschworen, seit sie auf einem fremden Dresdner Herd Fleischlaberln im Rohr braten wollte: Sie schaltete irrtümlich die Grillschleife ein, das sorgsam belegte Backpapier entzündete sich und schoss als Stichflamme aus dem Rohr. Sie löschte mit dem Tee, der vom Frühstück übrig war: "Earl Grey meat-balls of fire! Seither geh ich mit Gästen essen." Ihre Stimme wurde aber auch befeuert: Abends in der Oper bekam Damrau als Gilda in Verdis Rigoletto als einzelne Sängerin Standing Ovations.