Ein Hauch von Wahnsinn
Christian Tschida ist anders, seine gnadenlosen Ansprüche und der untrügliche Instinkt für Geschmack haben ihn ganz nach oben gebracht – dorthin, wo es alles andere als gemütlich zugeht. Daher will der Meister des Laisser-faire auch nichts dem Zufall überlassen.
Illmitz ist einer dieser typischen burgenländischen Orte, die immer ein wenig wie ausgestorben wirken. Würden nicht zumindest in der warmen Saison von Zeit zu Zeit schwitzende Radtouristen durch die leeren Straßen strampeln, könnte man glauben, die Gemeinde am Neusiedler See sei von jeder Menschenseele verlassen. Mit ihren grell-bunten Sportdressen wirken sie wie wunderliche exotische Vögel neben den abweisenden Fassaden der Einfamilienhäuser.
Nur ein strahlend weiß getünchter alter Hof sticht aus der Reihe. Neben den uniformen Wohnhäusern mit akkurat getrimmten Vorgärten wirkt er wie ein Relikt aus einem anderen Jahrhundert.
Neben dem Eingangstor steht in schlichten silbernen Lettern: CT – die Initialen von Christian Tschida.
Immer schon war Tschida ein bisschen anders als die anderen, immer schon hat er sich von seiner Umgebung abgehoben. Und nicht immer hat er sich damit Freunde gemacht. Manche halten ihn für arrogant, unnahbar. Tatsächlich sind dem Winzer Ignoranz und Mittelmaß zuwider. Und das tut er auch kund, wenn es sein muss. Seine rigorosen Maßstäbe setzt er auch bei sich an. Seine Weine sollen nicht gut, sondern brillant sein, nicht gefallen, sondern faszinieren. Ansprüche, die ihn vielleicht nachts manchmal quälen, die ihn aber auch ganz nach oben gebracht haben.
Hierzulande gilt er als herausragender Weinmacher, international wird er als Popstar gefeiert. Vor allem die Skandinavier haben einen Narren an ihm gefressen. Im Kopenhagener Kultrestaurant Noma gibt es kaum ein Menü ohne Tschidas Weine. Head Sommelier Mads Kleppe, Antreiber und Guru der Naturweinszene, pilgert mehrmals jährlich ins burgenländische Illmitz, um neuen Stoff für die exzentrischen Gerichte im Noma auszuwählen. Braucht Kleppe einen Wein zum rohen Rentier, findet er ihn nicht selten in einem blutigen Blaufränkisch von Tschida.
In Japan wird „Tschida San“, wie sie ihn respektvoll nennen, gar wie ein Held verehrt. Seit seine Weine als einzige im Keller eines Sammlers ein Erdbeben unversehrt überlebten, gilt auch der Winzer als unverwundbar.
Was klingt wie ein Selbstläufer, ist in Wahrheit das Ergebnis jahrelanger beinharter Arbeit, etlicher Experimente und waghalsiger Investments. Tschida ist ein Hasardeur. No risk – no quality.
„Die Weine fliegen ja nicht einfach vom Rebstock ins Glas“, sagt er, „eigentlich mache ich nichts anderes, als permanent an allen möglichen Schrauben zu drehen.“ Tschida galt als einer der Pioniere des Laisser-faire, als Rebell gegen die harte Zucht im Weinkeller. Die Vorstellung, für ausgezeichnete Weine brauche man nur den Trauben gut zureden und im Keller nett sein, hält er jedoch für ein Missverständnis. Die Bio- und Natural-Wine-Bewegungen laufen Gefahr, sich zu sehr über die Ideologie zu definieren.
„Es reicht nicht aus, im Weingarten Mantren zu singen“, befindet er.
Dennoch sieht er biologische Bewirtschaftung als wesentliche Voraussetzung, als Grundstein für Qualität. Eine frühe Prägung, sein Vater hegte schon vor dreißig Jahren eine Abneigung gegen chemische Waffen im Weingarten.
Zertifikate will er keine, ein Blick in seine Weingärten erübrigt die Frage danach. Eine dicke Schicht Kompost, durchmischt mit Stroh, liegt zwischen den Rebzeilen. Man geht wie über einen Samtteppich. Alles dreht sich um die Fruchtbarkeit des Bodens und der wird entsprechend verhätschelt. Eine Unzahl an Kräutern, Gräsern, Futter- und Heilpflanzen wuchert darauf. Für die Nachbarn ein wilder Dschungel, für Tschida und seine Reben ein Paradies.
Neben den Weingärten in Illmitz besitzt er seit einiger Zeit auch Prachtexemplare in Purbach, auf der anderen Seite des Neusiedler Sees. Stolz führt er hinauf über die Weinberge, die sich an die Hänge des Leithabergs schmiegen.
„Ein Traum“, sagt er und meint nicht nur den Ausblick. Oben, auf immerhin 240 Metern, grenzen die Weinberge an den Wald. Es ist deutlich kühler als im Illmitzer Seewinkel und es weht immer eine leichte Brise. Ein Traum auch der Boden: Kalk oder Schiefer mit Quarz. Auch hier betreibt er maximalen Aufwand. Feinste Dauerbegrünung, Kompost ohne Ende. Die Rebstöcke sanft geschnitten, die Laubwand luftig gestutzt. Dafür verlangt er seinen Reben auch einiges ab: eng gepflanzt, zuweilen sogar im Doppelstocksystem, also zwei Reben ohne Abstand nebeneinander, im ständigen Wettstreit um Wasser und Nährstoffe. So zwingt er sie in die Tiefe. Ein kostspieliges Unterfangen mit niedrigsten Erträgen, was rauskommt ist jedoch eine Klasse für sich. Ein Hauch von Wahnsinn.
Daneben eine Anlage mit Stockkultur, die Reben sind nicht an einen Drahtrahmen gefesselt, sondern genießen weitgehend Freiheit. Heuer werden die Trauben von dort das erste Mal geerntet.
14 Hektar erstklassige Weinberge besitzt Tschida, vorwiegend große Flächen am Stück, damit sich der Aufwand lohnt oder, wie Tschida sagt: „damit man eine Aussage treffen kann“.
Auch in heißen Jahren feiern die Weine aus Purbach keine Barockorgien, sie legen bloß an aromatischer Konzentration zu. Eine „Geschmacksexplosion“, wenn es gelingt, sie zum idealen Zeitpunkt zu ernten – reif, aber nicht überreif; viel Säure, wenig Alkohol. Die Kunst, dem zunehmend trockenen Klima Pannoniens nicht nur Geschmack, sondern auch Frische abzutrotzen, beherrscht er inzwischen perfekt. Sie ist sein Markenzeichen geworden.
Aus Purbach kommen auch seine Pinot noirs, vom Edelgraben etwa, wo der Kalk regiert. Unter den Rebstöcken dringen große Kalksteinbrocken bis an die Oberfläche. „Nichts als ein Steinhaufen“, sagen die Leute.„Eine Weltlage“, meint Tschida.
Rau, rasant, rasierklingenscharf trinkt er sich, viel nacktes Fleisch, wenig Tabu. Vom Thenau zeigt sich der Pinot heiter bis melancholisch.
Der schieferhaltige Eisner gibt dem Burgunder hingegen Feuer und Blut. Beängstigend schön und schmerzhaft, er zieht in die tiefsten Tiefen hinab, dort, wo die Dämonen wohnen. Kein Wein für schreckhafte Gemüter. Blue Velvet. Mehr Traum als Wirklichkeit.
Letztlich verschwinden alle drei Lagen in einer Cuvée, um sensorisch in unterschiedlichsten Sequenzen wieder zu erscheinen – Widersprüche in perfekter Balance.
Tschida frönt keinem Einzellagen-Fetischismus, der doch nur wieder die Sensorik-Kleingeister anlockt. Er will nichts weniger als ein großes, vielschichtiges Ganzes schaffen. Abgesehen davon, dass er sich nicht Jahr für Jahr an Verkostungskommissionen abarbeiten möchte, die über Prüfnummer oder nicht Prüfnummer entscheiden. Ohne deren offiziellen Sanctus darf der Name der Lage nicht angegeben werden. Die muss man dann listig verklausulieren, will man mitteilen, woher der Wein kommt. Aber auf Kreuzworträtsel am Etikett hat der Winzer keine Lust. Und so tragen seine Weine prägnante Namen wie Felsen, Kapitel oder Non Tradition und kultige Künstleretiketten; wie etwa der Himmel auf Erden eine Radierung von Alfred Hrdlicka, auf der sich der junge Schubert mit freizügigen Damen vergnügen darf.
Oder seine neueste Errungenschaft Birdscape: ein düsteres Szenario wie aus einem Albtraum von Goya, in dem der Schlaf der Vernunft Monster gebiert, die einen aus unzähligen Vogelaugen anstarren.
Birdscape Hell Rot ist anfänglich ein vergnügter Wein, ein mazerierter Rosé auf dem Weg zum Rotwein. Der Winzer nennt es „pink maceration“. Doch kein Vergnügen ohne Ernsthaftigkeit, kein Prickeln ohne Schaudern. Das ergibt eine Widersprüchlichkeit, die sich durch Tschidas Schaffen zieht, eine Ambivalenz, die es wie im Leben auszuhalten gilt.
Woher kommt dieses Selbstverständnis, zu den Besten zu gehören, der Wille zur Einzigartigkeit, der Drang zur Antithese?
„Das ist Charaktersache“, glaubt er, „mehr noch, eine positive Naivität, dass sich das Gute in der Welt durchsetzt.“
Ein Charakter, der durchaus auch Brüche aufweist, an dem immer wieder auch Zweifel nagen und der Druck, den eigenen Ansprüchen zu genügen – wohl auch den Erwartungen von außen: Freaks wie der Starsommelier Mads Kleppe schauen hinter den Vorhang, verkosten jedes Fass, inspizieren jeden Stein im Weingarten, um ausschließlich astreinen Stoff daheim in Kopenhagen abzuliefern.
Nichts bleibt im Verborgenen. „Da bin ich naked“, konstatiert der Winzer.
Nackt sind letztlich auch die Weine, nichts darf ihr Wesen verdecken.
„Mein Keller ist keine Aromatisierungsanstalt“, sagt er. Wenn man so ein Theater im Weingarten aufführe wie er, brauche es keine Korrektur. Eine Kontrolldiät, die er sich da verordnet. Immer mehr weglassen. Diät heißt aber nicht völliger Verzicht. Man hat gelernt: Der Wein fliegt nicht einfach vom Rebstock ins Glas. Ständig an allen Schrauben drehen bedeutet: unzählige Überlegungen, Experimente, Entscheidungen. Auch die Entscheidung, etwas sein zu lassen.
„Man entwickelt mit der Zeit ein Gefühl dafür, wann man eingreifen muss und wann loslassen kann“, glaubt er.
Eine wesentliche Schraube ist wohl auch seine Traubenpresse, der „Rolls-Royce unter den Pressen“. Ein Luxus, für den er Jahre sparen musste.
Zuschuss bekam er keinen, es handle sich dabei, so die Behörde, um keine „qualitätsfördernde Maßnahme“.
Das Gerät aus Frankreich spielt alle Stücke, sanfter können Trauben wohl nicht gepresst werden. Kein minderwertiger Presssaft, sondern nur, was frei abläuft, wird zu Wein. Der ist dann auch glasklar und ohne Bitterstoffe – purer Juice in einer homöopathischen Menge. Ein kostspieliges Unterfangen in jedem Fall. Danach wieder loslassen, Laisser-faire: Vergärung, Reifung ohne Eingriffe, ohne Zutaten. In großen Holzfässern. Nicht maskiert im Barrique und nicht eingesperrt im Stahltank.
Die Weine können atmen. Sie hinterlassen Eindruck, den Eindruck der Weinberge. Der Blick hinab zum See, das Zirpen der Grillen, die Sommersonne, die sanfte Brise. Und dann tritt man wieder hinaus auf die Straßen von Illmitz, vorbei an den gepflegten Vorgärten und den abweisenden Fassaden, hinter denen sich vielleicht Abgründe verbergen, vielleicht aber auch gar nichts Besonderes.
Christian Tschida
Apetlonerstraße 23, 7142 Illmitz
Tel.: 02175/241 58
www.tschidaillmitz.at