Einfach und Klar

Das „AU Café“. Die Essenz der Konzepte einer selbstsicheren Frau, die entspannt Essen, Trinken, Kunst und Entertainment mischt. Francesca Habsburg, Kunstnomadin mit Wiener Homebase. Kein Geschmack dieser Welt ist ihr fremd. Dennoch lernt sie in Demut von ihrer Köchin.

Fotos von Philipp Horak

Die Bar ist sonnengelb, geradlinig, eine simple Holzkonstruktion in einem hellen, klaren und ­luftigen Raum. Die Lampen der türkischen Künstlerin Nevin Aladag hängen wie bunte Blütenblätter schwer von drahtigen Stängeln, als einzig verspielter Kontrapunkt. Der Park drängt grün durch die gläsernen Fronten. Drinnen zieht Francesca Habsburg, rothaarig, rauchstimmig, in Schwarz und Königsblau stylish am Beststand, alle Register euphorischer Vorfreude auf einen heißen Kunstsommer unter schönen alten Bäumen: „Friede, Ruhe, Poesie, Kunst und Essen an einem wundersamen, bukolischen Fluchtort mitten in der Großstadt.“ Wir sind im Augarten, Eingang Scherzergasse 1A, 1020 Wien, seit vergangenem Jahr die brillant oszillierende Auslage ihrer Stiftung TBA21, ausgeschrieben Thyssen-Bornemisza Art Contemporary. Die Stifterin tändelt fürs Foto mit frischen Kirschen, isst sie aber nicht: „Kein Snacking zwischendurch. Süßes und Chips schon gar nicht. Drei Mahlzeiten und sehr viel Wasser.“ Badoit, das aus Frankreich, sei ihr am liebsten, sagt sie auf Anfrage. Ein Geheimtipp? Glaubt sie nicht. Aber sie ist schlank.

„There are stars exploding around you and there is nothing, nothing you can do …“, singt der isländische Performer Ragnar Kjartansson drüben in der Ausstellungshalle gefühlvoll in einer Jahrhundertwendebadewanne: Im März bei der Eröffnung seiner Videoinstallation „The Visitors“ hatten die Wiener Sängerknaben den Song des liebenswürdig kräftigen Mannsbilds zu einem hellstimmigen Choral transponiert, und Francesca hatte geschnurrt: „Ich liebe es, wenn zeitgenössische Kunst das Traditionellste der Wiener Kultur annehmen kann.“

Ihre Ankündigung der literarisch inspirierten Installation des walisischen Neonlichtschriftstellers und Feuerwerkers Cerith Wyn Evans (vorkosten: www.youtube.com/watch?v=RJi_Skb7o-8in) ­gemeinsam mit dem Deutschen Florian Hecker macht neugierig auf die Schau ab 5. Juli. „Ich hasse es, zugänglich zu sein“, erklärt Evans. Francesca sammelt seine Werke seit zehn Jahren.
Jetzt bändigt sie mit ermunterndem Lob einen Stab heimischer Künstler, Designer, Fotografen, Mitarbeiter, wobei „great, wonderful, precious, fabulous, amazing“ auf Englisch angemessen und gar nicht bombastisch klingt. „Sei einfach und klar“, lehrt der Dalai Lama. Die Mäzenin übersetzt seinen Spirit als erlerntes, wenn man will erleuchtetes Selbstverständnis. Francesca Habsburg lebt Buddhismus für Menschen, die zu durchdacht sind, um es sich einfach zu machen. Er hat ihr geholfen, ihr sprunghaftes Zwillingsnaturell zu festigen, ihr leidenschaftliches Temperament zu zügeln, ihre Identität als kraftvollen Mix aus allen Bruchstücken ihres Lebens neu zu definieren. Sie sagt oft „simple and clear“. Und dann lächelt sie meist. Wie jetzt.

Die neue raumgreifende Bar – „Gelb ist ein Statement“ – ist ein Entwurf des bildenden Kärntner Künstlers Hans Schabus, der 2005 auf der Biennale von Venedig mit seinem Transformationsobjekt „Das letzte Land“, einer temporären Bergfestung aus Holz und Teerpappe, im österreichischen Pavillon Aufsehen erregte. Denn: Francesca hat im Dorotheum eine Bar, die Schabus in den Neunzigern für eine Galerie gebaut hatte, entdeckt und „gerettet“, um sie im AU ­Café aufzustellen: „I love bars, ihr Konzept. Da trink ich auch ein Glas Champagner, Ruinart, oder in Jamaica Mojito mit tropischer Minze. Ich steh gerne davor und dahinter, serviere an Bars, sammle sie, hab zumindest zwanzig kleine Bars zu Haus.“ Okay, sie hat mehrere Häuser. Da und dort verstreut zwischen den Kontinenten. Homebase ist seit zehn Jahren Wien.

Aufgewachsen ist Francesca Anne Dolores Thyssen-Bornemisza de Kászon et Impérfalva in einer ­Villa aus dem 17. Jahrhundert am Luganersee mit einer Sammlung alter und moderner Meister. Kunst war selbstverständlich wie Atemluft, gemütlich klingen die Geschmäcker ihrer Kindheit trotzdem nicht. Zu Tisch mit den Eltern hatte sie zu schweigen. Das Internatsfutter im renommierten Schweizer Institut Le Rosay hat sie inbrünstig gehasst: „Alles überkocht. Spaghetti, Fleisch, Gemüse. Alle Vitamine weg.“ Beklagt, dass sich bis heute nichts geändert habe. Ihre zwei jüngeren Kinder wohnen bei ihr, und: „Was wir Eltern in der Danube International School um frisches Essen kämpfen! Ist doch grad bei Heranwachsenden so wichtig für die Energie, fürs Hirn, für den Körper. Doch es wird nicht erlaubt, ihnen einen gesunden Lunch zu bringen.“ Wie die Kids reagieren? „Sie verweigern das Schulessen einfach.“

Die Mutter-Stimme swingt vom kunststressbedingten Beat in eine weiche, liebevoll-heitere Melodie: „Eleonore, die älteste, studiert Wirtschaft in London am Regent’s College, beginnt zu kochen, so wie ich als Studentin am St. Martin’s zu kochen begann. Das ist die Zeit der Competitions unter Freundinnen, wer die beste Pastasoße macht. Du realisierst zum ersten Mal, was Knoblauch kann. Ich ­liebe Knoblauch! Ferdinand weniger. Er ist 16, will Rennfahrer werden. Konzentriert sich auf eine strikte Powerbuilding-Diät, viel Protein, viel Fleisch, verabscheut Gemüse. Gloria, dreizehneinhalb, ist mir vielleicht am ähnlichsten. Neugierig, entdeckungslustig, probierfreudig. Sie hat als ganz kleines Kind schon Sushi geliebt. Ist nie zurückgeschreckt vor fremdartigen Speisen.“ Na ja, bei einer Mom, die auch Streetfood mag: „Riecht einfach so gut, all over the world. Mein Magen scheint gegen Keime immun zu sein“, gesteht Francesca Habsburg verschwörerisch, als fürchte sie Schelte wegen Verstößen gegen die Bio-Korrektheit. Doch: „Wenn ich mich krank fühle, entlaste ich den Körper mit ganz leichtem Essen. Fisch, wenig Gewürze, kaum Fett, kein Zucker. Das verschafft dem Magen Ferien. Das System bekommt wieder Energie.“ Darüber wacht auch Köchin Melanie.

Vom Büro der Stiftung in dem weiß geputzten Otto-Wagner-Haus mit Kolo Mosers goldenen Ornamenten, das wie ein Schiffsbug die Ecke Linke Wienzeile und Köstlergasse rundet, verwirklicht sich die Sammlerin von bisher gut 3.000 Werken zeitgenössischer Kunst als „Peggy Guggenheim des 21. Jahrhunderts“ – ein persönliches Adelsprädikat, das ihr Medienkünstler Peter Weibel verpasste. Seit vergangenem Jahr auch im Augarten, da ihr Belvedere-Chefin Agnes Husslein die einstigen Ateliers des Bildhauers Gustinus Ambrosi aus den 1950ern vermietet hat. Francesca kooperiert und feiert mit der Welt. Als mitreißender Motor, wenn’s darum geht, neue Projekte durchzuziehen – von der Rettung der kriegszerstörten Altstadt Dubrovniks über die Würdigung Christoph Schlingensiefs bis zum opulenten Klangpavillion "Morning Line" als Brückenschlag zwischen Wien und Istanbul. Überschreitet die Schwelle zu neuen Kunsträumen, indem sie auf Performance und Multimedia setzt. Dass TBA21 auch den aktuellen Biennale­künstler Mathias Poledna im österreichischen Pavillon in Venedig unterstützt und koproduziert, erwähnt sie gar nicht. Ist Ehrensache.

Jetzt spielt es Voreröffnung des AU Café im schlichten Design von Katharina Mischer und Thomas Traxler. Gab ja nur ein kleines Budget, aber Francesca ist „sehr glücklich mit dieser einfachen, ­bequemen, klaren, jungen, funktionellen, modernen Lösung in diesem wunderschönen barocken Park, der lange etwas abseits existierte. Obwohl er nur 15 Gehminuten vom Stephansplatz entfernt ist. Der sich aber in den letzten Jahren kontinuierlich zu einem social hotspot entwickelt, in einem der innovativsten und kreativsten Bezirke Wiens.“ Im AU Café greife TBA21 diesen neuen „spirit“ auf: „Natürlich kann ein Restaurant auch hunderttausend Euro kosten, ich halte nur die meisten Lokale für überdekoriert und über­designt“. Gesetzte Essen machen sie sowieso nervös, Kellner, die alle fünf Minuten nachschenken, Teller und Besteck wechseln, Speisen auf- und abtragen. Sie mag’s, wenn Essen, Trinken, Kunst und Unterhaltung entspannt und ungestört ineinanderfließen. Hebt zu einer Hymne auf österreichische Produkte an, natürliche vom Land, Schinken, Käse, Brot und Früchte, hat das gastronomische Konzept des Cafés im Augarten fix im Kopf, auch als Take-away für Picknicks. Lacht: „Die einzige britische Idee fürs AU Café.“ Skizziert die Idee eines „Contemporary Heurigen“ ohne standarisiertes Buffet: „Bodenständige Küche, zeitgemäß interpretiert, mit sogenannten ,signature drinks and food‘, die eine unverkennbare Handschrift tragen. Weint ein wenig dem Wiener Salon in der Schwedenstraße nach, der zugesperrt hat, weils dort Hausgemachtes gab, zum Beispiel Marmeladen und Kompotte. Das bewährte Alt-Wiener Konzept des Lobau-Ausflugs mit Kartoffelsalat im Gurkenglas und Wienerschnitzel im Pergamentpapier hat sie noch nicht erforscht. Okay, verziehen. Die Tochter des Industriellen und Kunstsammlers Baron Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza kam ja erst Anfang der Neunzigerjahre nach Österreich, und dann als Ehefrau von Kaiserenkel Karl Habsburg-Lothringen.

Ein Puzzle, groß wie die Welt, versucht man Francesca Habsburg zu fassen. So viele Teilchen zusammenzusetzen, so vielen Inhalten nachzuspüren: einer kleinen Gewürzkunde, einem Wegweiser durch die zeitgenössischen Kunstdisziplinen Bau, Bild, Video, Ton und Wort. Einem Reiseführer. Einem Kochbuch für Leichtes, Gesundes, festlich Opulentes, Diätisches. Einem Ratgeber für Lebensart, der von Mut, Provokation, Einsatzbereitschaft, Großzügigkeit, aber auch von Disziplin und Sparsamkeit erzählt. Von der Möglichkeit, sich treu zu bleiben und sich doch zu verändern. Braucht Kraft, Feuer, Hingabe – und Organisationstalent. Zur Begabung, scheinbar unvereinbare Gruppierungen zu verbinden, die Fähigkeit, zu delegieren. „Teile und herrsche“, formulierte Machiavelli. Offensichtlich eine leichte Übung für die alerte Francesca, im Business und im Privatleben. In ihrer Stiftung stützt sie sich auf Kuratoren. Dem Belvedere überließ sie kürzlich unschätzbare Dauerleihgaben aus der Sammlung ihres Vaters. Die Herrschaft über ihren Herd hat sie an Melanie Branschädel aus Heilbronn abgetreten.

Francesca hat dezidierte Vorstellungen vom Essen. Fehlt nur die Geduld und Liebe, wie ihr guter Freund, Filmregisseur Robert Dornhelm, über Märkte zu streifen, zu überlegen und zu gustieren, was man abends für die Freunde kocht. Selbst wenn ihr auf den Kunstreisen mit ihrem kritischen Vater nach Japan, Süd- und Nordamerika, in die Sowjetunion zu Hoch-Zeiten des Kalten Krieges „durch die Gegensätze dieser Welten“ nicht bloß die Augen geöffnet wurden, „wie wichtig Kunst für die Zivilgesellschaft ist“, sondern auch die Sinne geschärft für Geschmäcker, Gerüche, Gewürze. Für ihre geliebten Barbecues „die sie am besten in ­Argentinien und Brasilien machen, Platten mit unterschiedlichsten Fleischstücken in grillgerechten Scheiben zu den Tischen bringen, unmöglich hier, wär viel zu teuer.“ Für indische, vietnamesische und marokkanische Küche, Lamm und natürlich Fisch. Beides brät sie manchmal für Freunde, „obwohl ich nicht wirklich kochen kann“.

Melanie, in der hohen Kunst bei Käfer in München und Joachim Gradwohl bei Meinl am Graben geschult, kennt und teilt die Passionen ihrer Chefin. Für guten Pfeffer, frischen Chili, indische Currys und Mittelmeersalze samt dem „nicht so salzigen“ Favoriten, dem rosa australischen Murray River Salt, das dort gewonnen wird, wo der Fluss ins Meer mündet. Für Olivenöl, das sie garantiert naturrein aus der Toscana bekommen. Für Honig, den Francescas Mutter liefert. Für frische Produkte, möglichst von lokalen Lieferanten.

Dieses Bekenntnis zu „organic food“, zu regionaler und saisonaler Küche wird sich im AU Café manifestieren. In enger Zusammenarbeit mit Bauern aus der Umgebung anstelle von Belieferung durch Großkonzerne. Das Essen soll die Inneneinrichtung spiegeln, ebenso klar, einfach und elegant am Puls der Zeit vibrieren, sich am Konzept der „Pop Up Cuisine“ im Wechselspiel verschiedener Köche orientieren: Jeder interpretiert die Grundidee des regional-biologischen „Contemporary Heurigen“ neu, neugierig machend, aufregend. Für schicke Singles, für Vater Mutter Kind und Großmama, für Liebhaber kulinarischer und kultureller Leckerbissen. TBA21 definiert das AU Café als „Ort des Rückzugs, der Unterhaltung, des Genusses in einem der spannendsten und prosperierendsten Bezirke Wiens“. Zum Durchatmen und Seelenlüften im Sommergrün.

Dort, auf einer trapezfömig gebauten Holzleistenbühne des Londoner Architekten David Adjaye hat Francesca Habsburg am 15. Juni die zweite Auflage der Perfomances „ephemeropteræ“ eröffnet. Eine nuancierte Kombination aus Poesie, Literatur, Video und Musik mit international renommierten Künstlern, von Daniela Zyman und Boris Ondreicka für TBA21 kuratiert. Sie geht zwölf Mal, immer freitags, in Serie. Die Picknickkörbe stehen bereit. „ephemeropteræ“ sind Insekten, die nur einen Tag leben. Doch täglich werden neue geboren. So flüchtig in ihrer Erscheinungsform wie frisches Essen.