Es brennt
Bei Hans Reisetbauer schmeckt das Destillat besser als das rohe Obst. Jetzt kommen seine Edelbrände aus einer neuen ultramodernen Brennerei.
Die Ansammlung aus kupfernen Brennblasen und mächtigen Edelstahlbehältern wirkt wie ein surrealistisches Kraftwerk. Pink Floyd hätten stimmungsmäßig den richtigen Soundtrack dazu: Shine on You Crazy Diamond. Edelsteine kommen am Ende zwar nicht raus, aber dafür brillant destillierte Kleinode. Wir stehen am ersten Betriebstag in der neuen Brennerei von Hans Reisetbauer. Der Hausherr hat das Lächeln eines kleinen Buben zu Weihnachten.
Brennen ist für Außenstehende mäßig emotional. Brennen ist technisch. Es kommt auf jedes Detail an: Temperatur, Zuckergrad, Alkohol. Kein Fehler bleibt unbemerkt, hat stets Konsequenzen. Brennen ist für Involvierte hochgradig spannend. Brennen erfüllt jeden Technikfreak. Wenn die Maschinen hundertprozentig funktionieren, alle Erwartungen und Hoffnungen erfüllen, ist die Perfektion vulgo das Paradies in Griffweite. Hans Reisetbauer hat ein eher abgeklärtes Gemüt, macht gerne auf cooler wilder Hund. Dass sein Herz nicht im Eiskübel einer Bar deponiert ist, wird deutlich, wenn man ihn beim Feinjustieren der neuen Brennanlage beobachtet.
Die Begeisterung startet bei den neuen Gärtanks. Die riesigen Edelstahlbehälter fassen in der Maximalversion 11.000 Liter, einige sind halb so groß. Hier vergären in der Sommersaison verschiedenste Früchte ein bis zwei Wochen bei Idealtemperatur, ehe sie dann per Direktleitung in die Brennkessel transferiert werden.
Die verwendeten und geleerten Gärtanks zu säubern, war früher eine gefürchtete Arbeit. Besonders an den Kanten und bei den Öffnungen waren die Ablagerungen nur schwer wegzuschrubben. Ein echtes Strafkommando für den ausführenden Putztrupp. Die neue Anlage spült sich perfekt vollautomatisch von selbst sauber. Ein Quantensprung im Arbeitsalltag.
Optische Prunkstücke sind die aus Kupfer gearbeiteten Brennblasen, wo die Fruchtbrände entstehen. Aus den herkömmlichen Größen kommen präzise Destillate mit 84 bis 86 Prozent Alkohol, frei von jedem Nachlauf. Besonders eindrucksvoll sind die beiden zwölf Meter hohen Brenntürme, die mit ihrer Brennkolonnentechnik vorrangig für Gin und Wodka gedacht sind. Hier werden beim Brennen über mehrere gelochte Kupferböden Alkoholwerte von 96,5 Prozent erreicht. Für die trinkbare Version mit 43 Vol.-% sorgt dann die Beimengung des superweichen Irxenmayr-Urgesteinswassers mit einer Wasserhärte von 1,1 Grad.
Die Brenntechnik kommt aus Deutschland. „Carl“ wurde 1869 gegründet, baut seither Anlagen, die als der Rolls-Royce der Branche gelten, gleichwohl der Firmensitz nahe der Headquarters von Daimler-Benz und Porsche liegt. 3,3 Millionen Euro waren der beabsichtigte Kostenrahmen für den Neubau der Brennerei, der eineinhalb Jahre Planung und ein Jahr Bauzeit in Anspruch nahm und durchaus als eine Art Lebenswerk anzusehen ist. Rund vier Millionen Euro sind es letztlich geworden. Dafür passt aber auch jedes Detail. Jede Stellschraube zählt und wird auch benutzt.
Der aufwendigen Hardware steht eine ausgeklügelte Software zur Verfügung. Womit jetzt nicht Hans Reisetbauers 28-jährige Erfahrung als Brenner gemeint ist, sondern tatsächlich ein Computerprogramm, das sowohl die Gärführung als auch den Brennvorgang selbst auf ein Zehntel Grad genau steuert. Manuell ist so etwas unmöglich über eine längere Zeitspanne zu bewerkstelligen.
In der Software ist das komplette Know-how des in allen Disziplinen x-fach ausgezeichneten Brenners untergebracht. Da ist jede Fruchtart mit all ihren Varianten verzeichnet, wie die jeweilige Gärtemperatur zu verlaufen hat, wie viele Tage das in Anspruch nimmt und auch wie hoch die unterschiedlichen Brenntemperaturen für jede Frucht bei Rohbrand und Feinbrand sind. „Wenn du eine Himbeere zu hoher Temperatur aussetzt, ist das Aroma unwiederbringlich verloren.“ Und das kostet auch richtig Geld. Ein voller 11.000-Liter-Gärbehälter enthält Himbeeren im Wert von 55.000 Euro. Am Ende steht eine Ausbeute von 300 bis 400 Litern Edelbrand. Jede Frucht erfordert eine andere Behandlung. Himbeeren vergären in fünf Tagen, Williamsbirnen brauchen einen Tag länger, Vogelbeeren und Quitten gar zwei Wochen. Auch die Vorbereitung der Früchte ist entsprechend arbeitsintensiv. Erdbeeren lässt Reisetbauer in der Zentrifuge von den kleinen Kernen befreien. „Die ruinieren sonst das Aroma.“ Manches Obst kommt auch tiefgefroren, dafür vollreif. „Marillen werden wegen ihrer Empfindlichkeit häufig unreif geerntet. Die besten Marillen bekomme ich von Bernhard Ott. Daneben lasse ich in Ungarn optimal gereifte Früchte entkernen und schockfrosten. Besser kann man Marillen in dieser Menge nicht bekommen.“ Auch Himbeeren kommen gerne tiefgefroren ins Mühlviertel. Biologische Bewirtschaftung bei den Lieferanten und am eigenen Gut ist eine Selbstverständlichkeit. Geerntet wird tunlichst reif, aber nicht unbedingt vollreif. Wobei Qualität für den Brenner mitunter eine andere Definition hat: „Zucker in der Frucht ist nicht so unser Ding, das ergibt ja nur Alkohol. Mir geht es vor allem um die gelungene Säure, die bringt Frische und Eleganz.“
Williams ist die Superdiva in der Herstellung. Sowohl bei der Gärung als auch bei der Brennaromatik. Die gelungene Balance zwischen Frucht und Tannin macht den Unterschied zur Konkurrenz. „Der Fruchtbrand ist unsere Seele hier. Ein Unikat, das du nicht verschneiden kannst wie etwa Cognac.“ Kompromisslosigkeit à la Reisetbauer. Beim Rohbrand wie auch beim Feinbrand werden Vor- und Nachlauf ausgeschieden, nur der perfekte Mittelteil interessiert.
Wodka und Gin sind vergleichsweise einfach zu handhaben, umso größer ist dabei der Anspruch von absoluter Klarheit. Doch selbst beim Weizen gibt es Unterschiede hinsichtlich Korngröße, Fruchtsüße und eventuell vorhandener Rückstände, resultierend aus Anbau, Transport und Lagerung.
Jede Fruchternte ist anders, jedes Jahr gibt es neue Eintragungen in der Software, die niemals eine Vollautomatik darstellt, aber eben vieles ungemein erleichtert. „Wenn wir wollen, können wir uns jederzeit auch via Mobiltelefon einloggen und Korrekturen vornehmen.“ „Wir“ sind Hans Reisetbauer und sein Sohn Hansi. Er hat in den letzten Jahren das Business von Grund auf gelernt. Eine harte Schule beim Vater, der ein detailversessener und auch impulsiver Lehrmeister gewesen und jetzt ungemein stolz auf seinen Junior ist, ihm in allen Belangen vertraut.
Hansi kümmert sich neben der Brennerei auch um die ausgedehnten Anbauflächen. Rund um die Brennerei befinden sich Ackerflächen für Weizen, Gerste und Sojabohnen. 110 Bienenstöcke und zur Unterstützung auch noch jede Menge Hummeln tummeln sich inmitten von 30.000 Obstbäumen, die pro Jahr etwa 600 Tonnen Obst ergeben. Praktisch alles wird im eigenen Betrieb verarbeitet.
Auf Nachhaltigkeit wird sowohl am Feld als auch in der Verarbeitung viel Wert gelegt. Beim Wasserkreislauf zwischen dem gesetzlich vorgeschriebenen Löschsee und den Kühl- und Hitzeelementen in der Brennerei etwa, Wärmerückgewinnung inklusive; oder durch die Photovoltaik am Dach, die in der Endausbaustufe drei Megawatt bringt. Da ist dann auch die Heizung für den fugenlosen, aus geschliffenem Schotter gelegten Fußboden kein Luxus mehr. Selten wo in einer Produktionshalle findet man eine derartig angenehme Raumtemperatur (um die 20 °C), Tageslichtstimmung und auch relative Geruchsneutralität.
Hans Reisetbauer vergleicht den peniblen Herstellungsprozess seiner Brände stets mit den Produktionsabläufen hochwertiger Lebensmittel. Apropos. Gemeinsam mit Roland Trettl produziert Reisetbauer aus Sojabohnen, Weizen- und Roggenmalz aus eigenem Anbau sowie Bad Ischler Meistersole eine Biosojasauce, die den kompletten Herstellungsprozess durchaus prestigereich lagert. Dafür dienen 9.500-Liter-Fässer, die einst bei Château Pichon-Longueville-Baron standen. Das Ergebnis ist eine mildwürzige Sojasauce, die nach einmaligem Probieren niemand in der Küche missen mag.
Hans Reisetbauer ist so lange im Edelspirituosengeschäft, dass er mittlerweile schon die dritte Kundengeneration von seinen Produkten zu überzeugen hat. „Man muss das jedes Mal aufs Neue erklären.“ Während am Anfang vor allem die Spitzengastronomie die Botschafterrolle für die Edelbrände übernommen hat, werden Vater und Sohn Reisetbauer nun zunehmend auch in anderen Nischen aktiv. Etwa im mittlerweile völlig veränderten Segment der Bars und überall, wo es sonst noch Drinks und Cocktails gibt. Da tut sich nicht nur in Deutschland sehr viel, da sind vor allem auch die USA ein vielversprechender Markt. „Unsere Version eines Martini mit zwei Teilen Williams und einem Teil Wodka ist dort ein echter Renner.“
Der Vertrieb des Produkts ist für Hans Reisetbauer eine genauso wichtige Leistung wie die Herstellung. Seine Bestzeiten auf den nächtlichen Autobahnen zwischen Axberg und den relevanten deutschen Genussadressen sind Legende und dienten neben so mancher Gaudi vor allem dem Kundenkontakt. „Das Publikum sucht Qualität und Kontinuität. Vielleicht stand auch darum der Preis niemals im Mittelpunkt einer Diskussion.“
Auch die über die Jahre entstandene Diversifizierung der Produktpalette war rückblickend sehr wichtig. Längst geht es bei Reisetbauer nicht mehr ausschließlich um Obstbrände. Derzeit lagern auch 220.000 Liter Whisky und Rum in Holzfässern. Ein harter, dornenvoller Weg. „Als wir 2002 den ersten Whisky vorgestellt haben, waren wir die Superexoten, wurden nicht ganz ernst genommen.“ Als dann vor einigen Jahren der 4X50-Superior Rum auf den Markt kam, war das Echo von Beginn an viel freundlicher.
Im Mittelpunkt bleiben aber auch in Zukunft die klaren Edelbrände mit den Klassikern Williams, Marille und Zwetschke. „Bei den Flaggschiffen darf dir bei aller Innovationsfreude nie was passieren.“ Mit der neuen Brennanlage scheinen Fehler ziemlich ausgeschlossen zu sein. Das ermöglicht mehr Hinwendung auf die Rohprodukte und die klimatischen Umstände. „In unseren Obstplantagen haben wir derzeit ziemlich perfekte Bedingungen. Wo es früher vielleicht noch eine Spur zu kühl war, sind wir jetzt schon bei einem Klima wie in der Steiermark vor 20 Jahren. Das geht jetzt vielleicht noch zehn Jahre so, dann müssen wir uns neue Anbaulagen suchen.“ —