Geschmack der Geborgenheit

Sidesteps zu Sushi, asiatische Phasen. Alles drin bei einem, der ununterbrochen isst. Die persische Küche seiner Kindheit schmeckt Österreichs beliebtestem Kabarettisten Michael Niavarani aber immer noch am besten. Die Oma in Boston hat sie ihm nahegebracht. Er kocht jetzt persisch für Tochter Hannah.

Geschmack der Geborgenheit

Text von Ro Raftl Fotos: Peter M. Mayr

Haben Sie je versucht, einen Fisch mit bloßen Händen zu fangen? Nein? Dann gehen Sie mit Michael Niavarani aus. Österreichs beliebtester Kabarettist ist zwar Stier, Aszendent Stier, doch beim Versuch, ihn auf ein Thema festzunageln, flutscht er in Gedankenbächen davon. Wir sitzen im "Pars", diesem hervorragenden persischen Restaurant in der oberen Lerchenfelderstraße, Niavaranis Lieblingslokal, weil dort gekocht wird wie zu Haus. Der Tisch biegt sich vor orientalischen Vorspeisen, Spinatstrudeln, Joghurtsauen, warmem Fladenbrot, Kräutertellern mit Petersilie, Minze, Estragon. "Nia", wie ihn Freunde nennen, blickt seelenvoll aus dunkel leuchtenden Bernsteinaugen: "So schmeckt der Iran!", konstatiert er erfreut. Cut.
Denn Fotograf Peter Mayr benützt eine Hasselblad und Nia ist Fotograf aus Leidenschaft. Also: Er hat eine digitale Spiegelreflexkamera, aber er überlegt, wieder echte Filme zu verwenden. Da evaluiert man genauer, glaubt er, kommt nicht mit 4.000 Urlaubsfotos heim. Zwei Tage ist er durch New York gelaufen, um zu fotografieren: "Auf der Suche nach der Wirklichkeit. Schlafende Menschen im Central Park, Häuser, eine Wasserlache, in der sich ein Taxi spiegelt." =
Der Fernsehserien-Held tunkt Fladenbrot in Melanzanigatsch – auf persisch Kashk-e Bademdjan. Sein absoluter Favorit, bestreut mit knusprig gerösteten Knoblauchstückeln: "Sehr aufwendig herzustellen, wie die meisten persischen Gerichte. Melanzani (in der Haut) müssen im heißen Ofen weich werden, dann zerstampft, während man das Kashk, ein dickes Joghurt mit wenig Wasser verdünnt, ein bissel aufkocht. Beides vermischen, mit Knoblauch, Kurkuma, Salz, Pfeffer würzen. Dann gehackten Knoblauch mit getrockneter Minze rösten. Vorsicht! Die Minze verbrennt sehr leicht, erst zum Schluss dazutun. Und bitte nie Olivenöl! Nur geschmacksneutrale Öle. "Kashk", erklärt der Freizeitkoch, "ist ein Schafjoghurt und wird an zwei Standeln am Naschmarkt verkauft, auch am Sachsenplatz im 20. Bezirk." Für ein Kashk fährt der halbe Perser (vom Vater her), der seit dem fünften Lebensjahr nie mehr im Iran war, kilometerweit. Auch das "Pars" liegt ja nicht wirklich nebenan. Niavarani wohnt im Dritten.
Gerade bahnt sich jedoch eine Revolution seiner Geschmacksnerven an: Mit Nina Hartmann, der 27-jährigen Tiroler Schauspielerin, hat der asiatische Lebensabschnitt begonnen. "Nina ist eine Expertin der thailändischen Küche. Faszinierend. Eine völlig andere Philosophie, ganz andere Gewürze!" Wir steigen in die Gewürzdebatte ein, wie früher am familiären Mittagstisch der Niavaranis: Ob die Petersilie der Speise vorher oder nachher beizugeben sei, wobei bestimmt eine Cousine besserwisserisch erklärt hat: Ganz falsch, überhaupt mit Petersilie zu würzen. Stopp.
Details über das leicht säuerliche Essigbaumgewürz Sumak werden verschluckt, weil der Fotograf in Stellung geht. Nia muss die Problematik weit offener Blenden mit ihm besprechen. Er spiele sich damit, sagt er, "bei Porträts die Augen scharf zu machen, sodass es schon ab den Ohren wieder unscharf wird. Wie bei Porträts in den Zwanzigerjahren. Da war die Blende immer offen."
Teile eines unfertigen Bildbands über New York hat er ins Programmheft seines aktuellen Solos "Encyclopaedia Niavaranica, Ich – alphabetisch geordnet" im Kabarett Simpl gestellt. Der Chef spielt es jede zweite Woche, geht auf Österreichtournee damit und gastiert von 20. Dezember bis Silvester im Konzerthaus. Apropos! Nicht aufs Essen vergessen. Er ordert den Silvestertisch im "Pars". "Ich ess ununterbrochen. So gerne. Hab oft gar keinen Hunger, aber es schmeckt mir so gut. Diese unglaubliche Dekadenz momentan mit Schokolade. Bin haltlos. Wie in meiner Sushi-Phase. War zweimal täglich Sushi essen, bis ich sie nicht mehr sehen konnte." Ja, in seinem Kabarettprogramm geht es um Versuche, Ordnung ins Leben zu bringen, sowie um die Fertigkeit, nicht fertig werden zu können." Beim Ich-Alphabet kam er genau bis BLU: "weil mir dauernd was dazwischen kommt! Komm ja praktisch zu nichts!", erklärt er auf der Bühne. "Da will man endlich seine E-Mails checken – schickt dir jemand eine SMS, um dir zu sagen, dass er auf deinen Rückruf wartet, um mit dir die E-Mail zu besprechen, die du noch gar nicht gecheckt hast, weil du ja gerade seine SMS bekommen hast."
Niavarani wurde 40, hat Zwischenbilanz gezogen. Ziemlich gnadenlos. Autobiografisches in der ORF-Serie "Ex – eine romantische Komödie" drastisch überhöht. Das egomanisch pubertär lustprinzipielle Liebesleben von Stadtmenschen, die dramatischen Folgeschmerzen zerbrechender Familien so komisch, realistisch, scharf gezeichnet, dass an Pilcher und Telenovelas orientierten Durchschnitts-Sehern schwarz vor den Augen wurde. Zu wenig rosarote Hoffnung. Für selbstanalytische Zyniker natürlich Kult. Doch nach Einschaltquoten von 300.000 setzt der ORF die Serie nicht fort. Immerhin soll sie nach Ungarn, Belgien und Lettland exportiert werden. Der Fotograf möchte, dass der Star an der Wasserpfeife zieht. Nia betet die Hasselblad an: "Stellst du alles händisch scharf?" Um zu den Monty Pythons und ihrem Roten Pfeil als Stimme Gottes überzugleiten: Am 13. Juli 2008, es war in Telfs in Tirol bei den neuen Schwiegereltern nach dem Abendessen und dem Gute-Nacht-Zigaretterl, da wurde ihm plötzlich sterbensschlecht. Der Rote Pfeil sauste herab und zeigte auf die Zigaretten. Seither raucht er nicht mehr. Beim Alkohol widerfuhr ihm das bereits 2005. Wein, sagt Nia, habe ihm nie geschmeckt. Bier und Wodka umso besser. Bis ihm der Pfeil irgendwann durchs Hirn fuhr. Seither lobt er klares Leitungswasser als perfektes Getränk zum Essen: "Es lässt den Geschmack der Speisen ideal hervortreten!" Die Feinheiten der persischen Küche, in der es kein einziges scharfes Gewürz gibt.
Hurra, wir sind gelandet! Bei den herdlichen Anfängen Niavaranis in Boston, bei den Besuchen seiner (kürzlich verstorbenen) Oma. Dort hat er die Zubereitung von Kräutersuppen, Fleischsaucen und der Unzahl persischer Reisgerichte perfektioniert: "Andere fahren in den Grand Canyon und in die Rocky Mountains, ich bin mit meiner Oma in einer klanen Kuchel g’standen", sagt er herzlich gerührt. Seither findet er, "dass Kochen eine der sinnlichsten und spannendsten Tätigkeiten ist. Wie Kabarett und Komödie aufzubereiten: Du machst es und die Leute essen und lachen."
Wenn er bei Tag persisch kocht und sich danach auf die Simpl-Bühne stellt, umweht ihn ein Hauch Knoblauch, Koriander, Rosenwasser. Die Kollegen sagen dann: "Alter, du fäulst." Und der Geruch bleibt zwei, drei Tage in der Haut. Aber er findet es schön und wichtig, für seine zehnjährige Tochter Hannah (von Kollegin Bettina Soriat) zu kochen: "Was wir in der Kindheit essen, schmeckt das ganze Leben wie die Geborgenheit von damals." Hannah besteht auf sauerem Huhn: Hühnerkeulchen, die über Nacht mit Granatapfelpaste, Salz und Pfeffer mariniert und dann gegrillt werden – im Sommer natürlich auf Holzkohle. Dazu gibt’s Reis mit Berberitzen. Er liebt das und sie liebt das, dieses erstaunliche Kind, das schon mit vier Jahren Oliven, Kapernbeeren und saure Sardinen in den Mund stopfte. So tritt Nia auch das Erbe der Oma an, die tagelang gekocht und portioniert und eingefroren hat, wenn er dort war, um ihm Essen in die Fremde mitzugeben. "Das ist Liebe. Du wirst gefüttert. Perser reisen mit Essen."
Für den Fotografen lässt er Kräuter rieseln, verfolgt den Gedanken, dass "echte" Filme zielführender sind: "Du konzentrierst dich nicht wie als Schauspieler, wennst weißt, der macht eh 30 Fotos." Der Schauspieler Niavarani hat vergangenen Sommer mit dem persischen Regisseur Ali Samadi Ahadi (The Lost Children) in Deutschland die Komödie Salami Aleikum zum Thema "20 Jahre Mauerfall" gedreht, fast ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht über ehemalige Kommunisten, Neonazis und Vorurteile. Er spielt einen aus dem Iran geflüchteten Fleischhauer, einen Gschichtl-Drucker (wienerisch gesagt), dessen Sohn sich in eine DDR-Kugelstoßerin verliebt. Die Pointe, als die Eltern aufeinanderprallen: "Sie sind Perser. Gott sei Dank keine Wessis!" Der Film wird bei der Berlinale gezeigt und kommt im Frühjahr 2009 in die Kinos. =
Karrieremäßig ist er fein unterwegs, privat glaubt er wieder mal, es könnte sich ausgehen in der Liebe: "Aber genau weiß man das erst am Ende seines Lebens, wenn man 20, 30, 40 Jahre mit jemandem zusammen war." Doziert erwachsen über das faszinierende Missverständnis der romantischen Liebe. Dass wir nicht mit der Enttäuschung umgehen können, im Lauf der Zeit den Kick frischer Verliebtheit zu verlieren: "Die mit den meisten Lieben sind die größten Romantiker. Die wirkliche Basis aber kann nur die willentliche Entscheidung sein: Wir wollen zusammenbleiben."
Was die Küche betrifft, sei Nina Hartmann, die nach einer geplatzten Verlobung ungeplant in sein Leben schneite, jedenfalls hoch begabt: "Sie hat mir nur zugesehen, nichts gefragt – doch als ich nach einer Vorstellung nach Hause kam, hat es gerochen, als ob meine persische Oma gekocht hätte." Den Geruch der Geborgenheit. Erweitert aufs Thailändische: Dank Nina befasst sich Nia jetzt viel mit Kokosmilch, Ingwer, Tamarinde, die in Wasser eingelegt, ausgedrückt und nur als Saft verwendet wird, mit Bambusblättern und Limonen. Mehr noch: Plötzlich frequentiert der Kabarettist auch das Restaurant "Goldene Zeiten" ums Eck vom Simpl. "Ich konnte früher nie chinesisch essen." Dieser Fisch aber neulich, filetiert, in Teig gewälzt und origamimäßig wieder zusammengesetzt (so schön!), mit einer süßsauren Sauce, war grandios. Indisch hat er auch probiert, in London mit Nina. Höllenscharf, aber fantastisch. Achtung! Zyniker sollten Michael Niavarani genau jetzt an seine Sushi-Phase erinnern.