Glut und Passion

Wo Sommer, da Griller. Wo Griller, da Holzkohle. Thomas Maurer versuchte sich bei einem der letzten Köhler in der Herstellung von Holzkohle.

Text von Thomas Maurer · Fotos von Ingo Pertramer

Woran man ja eher nicht denkt, wenn man gerade einen Papiersack mit Grillkohle in den Einkaufswagen hievt, ist, dass die Fähigkeit Holz zu verschwelen für gut vier Jahrtausende eine zentrale Rolle in der Kulturgeschichte der Menschheit eingenommen hat.

Mit Holzkohle sind Temperaturen erreichbar, die ein Holzfeuer einfach nicht liefern kann, ohne Holzkohle hätte es weder Eisenzeit noch Bronzezeit gegeben noch den ganzen technologischen Rest danach.

Manche Geschichtswissenschaftler halten die Holzkohle, genauer: einen Mangel an Holzkohle sogar für einen der Hauptauslöser des Kapitalismus. Die Wälder Englands waren zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits so abgeholzt, dass insbesondere die Metallindustrie unter einer ersten Rohstoffkrise litt, was vermutlich zur Erfindung des koksbefeuerten Hochofens zumindest mit beitrug.

Noch bis weit ins zwanzigste Jahrhundert aber gingen die Köhler auch in den Industriestaaten ihrem archa­ischen Gewerbe nach und lebten von Walpurgis bis Martini abseits der Menschen einschichtig im Wald. Das wurde offenbar durchaus geschätzt: In Deutschland hatten einzig die Köhler das Privileg, sich das emblematisch schwarze Gesicht auch bei Besuch des Königs nicht waschen zu müssen, wogegen etwa Bergleute bei solchen Anlässen gefälligst zu Seife und Waschlappen zu greifen hatten.

Allerdings hatten die Köhler deutscher Zunge auch die Last deutscher Küche zu tragen. Während südlich der Alpen Spaghetti Carbonara dem Handwerksstand der Köhler als bis heute populäres kulinarisches Denkmal dienen, hält sich im hiesigen Kulturraum die Sehnsucht nach Köhlersuppe in eher engen Grenzen, sogar wenn man an die Stelle des vermutlichen Originalrezepts (Wasser, Rindertalg, Salz, eingebrocktes Brot) die phantasievoll optimierte Variante mit Tomaten, Wildfleisch und Kraut setzt. Spezifisch österreichische Köhlerrezepte sind offenbar nicht überliefert, was aber keine Rolle spielt.

Schließlich schreiben wir 2017 und traditionelle Kohlenmeiler sind in ganz Österreich ausgestorben …
In ganz Österreich? – Nein!

Eine von einer unbeugsamen Bauernfamilie in 3074 Kleindurlas betriebene Köhlerei hört nicht auf, den Zeitläuften Widerstand zu leisten.

Erfahren habe ich von dieser Tatsache erstmals durch Alain Weissgerber, der ja, seit er in den Taubenkobel einen entsprechenden Ofen hat einbauen lassen, so etwas wie die österreichische Zentralinstanz für High-End-Holzkohlengarung darstellt. Erfahren habe ich bei dieser Gelegenheit auch, dass Holzkohle ebenso wenig gleich Holzkohle ist wie Bier gleich Bier. Und dass, während Zweiteres sich bereits herumzusprechen begonnen hat, Ersteres noch der Entdeckung durch die Allgemeinheit harrt. Und dass im Taubenkobel seit Anschaffung einer ersten Probepackung der Köhlerei Hochecker nichts anderes mehr in den Ofen kommt.

Was für den getreuen Lichtbildner Ingo Pertramer und mich in Summe mehr als Grund genug war, erstmals im Leben das Wort „Kleindurlas“ ins Navi einzugeben.

Kleindurlas stellt sich als nettes kleines, ins idyllisch hügelige Umland St. Pöltens gekuscheltes Nest heraus, und den Hochecker’schen Kohlenmeiler kann man riechen, ehe man ihn sieht.

Eigentlich betreiben die Hocheckers ja einen klassischen Milchwirtschaftsbetrieb mit etwa 25 Kühen, was „zum Leben reicht, aber nicht zum Investieren“. Äcker bewirtschaftet man keine, dafür gehören 30 Hektar Wald zum Hof, und so kam die Idee auf, die alte Tradition des Holzverkohlens wieder in ein Erwerbsmodell rückzuverwandeln.

Mutter Resi und Vater Schani Hochecker haben so den von Schanis Vater 1960 übernommenen Köhlerbetrieb wieder professionalisiert, Sohn Martin, studierter Forstwirt und ebenfalls bereits zweifacher Vater, ist der Dritte im Bunde. Und ehe wir uns mit dem Meiler selbst beschäftigen, der etwa hundert Meter unterhalb des mit besonders mustergültig verkohlten Baumstrünken dekorierten Verkaufsraums sachte vor sich hinqualmt, gibt es erst noch Kaffee und einführende Worte, gespendet überwiegend von Mutter Resi, bei der Beruf und Berufung offenbar eine glückliche Paarung eingegangen sind.

Bescheiden wird zunächst einmal in Abrede gestellt, die letzte Köhlerei in Österreich zu sein, insgesamt gebe es noch vier, fünf andere, sie seien aber, zumindest so weit sie wüssten, die einzigen, die dem Handwerk noch zu Erwerbszwecken und nicht aus Liebhaberei nachgingen.

Früher hätten alle Bauern ringsum für den Hausgebrauch geköhlert, wenn man ein Auge dafür habe, finde man die Reste der alten Kohlenstöcke noch überall im Wald, heute aber gehe es schon auch darum, das alte Handwerk vor dem Aussterben zu bewahren, weshalb man auch im Europäischen Köhlerverein dabei sei, der regelmäßig das Europäische Köhlertreffen veranstalte, wo dann vermutlich nach allen Regeln der Kunst gefachsimpelt wird.

Tatsächlich komme, obwohl man mit modernen Pyrolyseanlagen auch das entstehende Holzgas nutzen könne, fast alles an Grillkohle aus ähnlich archaischen Anlagen wie der ihren, nur dass diese Meiler in der Regel in Nigeria oder Südamerika stünden, was es für Fachleute wenig überraschend mache, dass immer wieder einmal geschütztes Regenwaldholz mit dabei sei. Innerhalb Europas gebe es gerade noch in Rumänien eine nennenswerte Produktion, die in der Regel gleich in auf Deutsch beschriftete Säcke abgefüllt werde.

Im Handel finde man außerdem viel zu Briketts gepressten Holzkohlenstaub, eine Verwertung, auf die man verzichte, weil der hier anfallende Kohlenstaub zur Erzeugung der besonders fruchtbaren Terra-Preta-Erde verkauft werde, und zwar an die Regenwurmfarm Absdorf, von deren Existenz ich also auf diesem Wege endlich auch erfahre.

Die Frage, ob und wenn ja, warum die Hochecker-Kohle besser sei als die herkömmliche, wird mit einem stolz bescheidenen „Na ja, die Griller sagen’s halt“ beantwortet.

Was sicher einen Unterschied mache, sei der Umstand, dass man bei ihnen auf Wunsch Hart,- und Weichholzkohle getrennt beziehen könne. Die Weichholzkohle sei bei Amateurgrillern beliebter, weil sie leicht und schnell anbrenne, die aus Hartholz wieder bei Profis und Smokern, weil sie heißer und länger glühe, vor allem wenn man die ebenfalls im Angebot befindlichen extra großen Stücke verwende.

Natürlich ist sowas perfekte Nahrung für einen gewissen fundamentalmaskulinen Grillmachismo, es sei aber auch schon vorgekommen, dass Kunden, die markig auf große Hartkohletrümmer bestanden hätten, später reumütig um einen erhöhten Weichholzanteil ersucht hätten, weil ihre Griller für die mit der Premiumware entstehenden Temperaturen schlicht nicht ausgelegt waren.

Und nachdem ich noch anhand eines dekorativen Modells gezeigt bekomme, wie genau so ein Meiler aufgebaut wird, machen wir uns auf, um selber einen aufzubauen.

„Ach ja“, frage ich, während ich meine robustesten Schuhe – eine vorab telefonisch gegebene Empfehlung von Frau Hochecker – zubinde, „sagt man eigentlich ‚Meiler‘ oder gibt’s da noch irgendeinen spezifisch österreichischen Ausdruck?“

„Na ja“, antwortet Frau Hochecker, „mir sagen normal ‚Koin-haufn‘, außer mir machen a Führung, dann sag ma a ‚Meiler‘.“

Der ordnungsgemäße Kohlenhaufen wird auf lehmigem Boden (der durch die Hitze dicht gebacken wird) rund um ein langes Stahlrohr aufgeschichtet, durch welches man ihn auch initial befeuert. Schani Hochecker zeigt mir ein ausgedientes Exemplar, das nach jahrelangem Dienst oxydationsbedingt so dünn und porös geworden ist, dass es außer Dienst gestellt werden musste. „Das hamma komplett durchbrennt“ sagt er mit zufriedenem Stolz.

Wir beginnen zunächst damit, den sogenannten Rost zu bauen, ein Gitter aus Baumstämmen, auf dem der Rest der Konstruktion ruht. Danach wird, so dicht und eng wie möglich, das Rohr mit langen Scheiten umgeben. Gerade hier ist es besonders wichtig, so wenig Hohlräume wie möglich zu haben, um ein langsames Schwelen zu gewährleisten und dem gefürchteten Abbrennen des im Regelfall von oben nach unten abkokelnden Meilers vorzubeugen. Es ist, zumindest wenn man’s nicht immer machen muss, eine leicht anstrengende, aber irgendwie befriedigend spielerische Arbeit, ein Appell an den Pyromanen im Kind im Manne.

Fertigstellen werden wir das Konstrukt heute aber nicht mehr, das würde doch den ganzen Tag beanspruchen.

Wenn der ohnehin schon eindrucksvoll große Holzmugel fertig aufgeschichtet ist, muss er noch mit einer Schicht aus grünen Nadelholzzweigen eingekleidet werden, und auf diese wird im Weiteren die sogenannte „Lösch“ aufgebracht, eine Mischung aus Erde und Kohlenstückchen, Asche, Sand und Kohlenstaub, die das Ganze luftdicht umgibt.

Anstatt uns also dieser ehrgeizigen Bastelaufgabe bis zum Ende zu widmen, wenden wir uns dem nebenan dahinglosenden Kohlenhaufen zu.

Der ist zwar noch nicht ganz fertig, Schani erklärt sich aber nachsichtig bereit, an einer Stelle bereits Kohle zu entnehmen, schließlich sei Ingo ja Fotograf, und die Fotografen bräuchten erfahrungsgemäß immer was zum Fotografieren, und am liebsten sei ihnen halt, wenn’s wo brenne und rauche und glühe.

Das Entnehmen der Kohle heiße übrigens „Stören“, was auf eine gewisse Empathie mit dem Meiler schließen lässt, der offenbar, hätte er denn Wünsche und Vorlieben, lieber seinen ganzen Inhalt ratzeputz verbrennen würde.

Ehe wir aber die Kohle stören gehen, schreiten wir noch einmal den Meiler selbst ab, was, wie alles, was man zum ersten Mal tut, an sich schon ein bisschen aufregend ist, in diesem Fall aber noch durch eine gezügelte Gefährlichkeit extra Würze bietet.

Das Abschreiten des Meilers ist grundsätzlich wichtig, weil man dabei die durch den Verschwelungsprozess entstandenen Hohlräume wieder flachtritt. Gut ein Drittel des ursprünglichen Volumens verliert er dabei, größere Luftkavernen würden dazu führen, dass der ganze Segen abbrennt.

Neben einer grundsätzlichen Schritt-für-Schritt-und-manchmal-vorher-­lieber-mit-der-Schaufel-stochern-­Vorsicht ist dabei Erfahrung sehr hilfreich: „In die Füß spür i ja, wo das Feuer is“, erklärt Schani, fügt aber an, auch schon mit beiden Füßen gleichzeitig eingebrochen und nur mit Hilfe der flugs quergelegten Schaufel unversehrt wieder aus dem heißen Loch gekommen zu sein.

Tatsächlich spürt man die urtümliche Gewalt der Hitze unter den Sohlen, tatsächlich ist das Begehen und Zurechtstampfen des Meilers eine prickelnd aufregende Angelegenheit, für die man mit zwölf Jahren vermutlich vierzehn Tage Hausarrest plus ein Jahr Blockflötenstunden auf sich genommen hätte, andererseits ist es aber ja nie zu spät, zwölf Jahre alt zu sein.

Das Kohlenstören selbst ist im Vergleich dazu beinahe unspektakulär, obwohl die Kombination aus Qualm, Glut, Flammen und körperlicher Arbeit für sich genommen schon auch was kann.

Die neu geöffneten, unter frischer Sauerstoffzufuhr auflodernden Stellen werden normalerweise sofort mit ordentlich Wasser gelöscht, es sei denn, dass, wie in unserem Fall, ein Fotograf anwesend ist, weil ja Fotografen erfahrungsgemäß nichts so sehr lieben wie Flammen, Glut und Qualm und die paar Minuten Gelodere im Grunde auch schon wurscht sind.

Wir verlassen die Köhlerei Hochecker im Besitz einiger schöner Erinnerungen sowie einer so gründlich durchgeräucherten Oberbekleidung, dass ich noch vierzehn Tage später, wenn ich an den zum Auslüften vor der Tür abgestellten Schuhen vorbeigehe, spontan Gusto auf Geselchtes bekomme.

Und so findet denn diese Geschichte ihr Ende befriedigenderweise dort, wo sie ihren Anfang genommen hat, bei Alain Weissgerber nämlich beziehungsweise seinem beruflichen Augenstern, dem eigens maßgemauerten Ofen.

Wie viele glückliche Beziehungen ging auch diese zunächst durch eine dichte Abfolge spektakulärer Turbulenzen.

Die ersten beiden Exemplare wurden wegen ausnehmender Hässlichkeit wieder abgerissen, das ästhetisch befriedigende dritte Modell hatte zunächst die Eigenschaft, das gesamte Taubenkobel-Ambiente in eine massive Rauchwolke zu hüllen, bis ein in den eigens geschaffenen Kamin eingebautes Ventilationssystem Abhilfe brachte. Und danach „hab ich mindestens noch einmal zwei Jahre gebraucht, bevor ich das Ding wirklich im Griff gehabt hab. Das Wichtigste ist da gar nicht das Kochen, sondern das Feuer. Dass du das dann hast und so hast, wie du’s brauchst. Sonst steht der Service, und alles geht den Bach runter. So ein richtig großes Trumm braucht jedenfalls eine halbe Stunde, bis es richtig glüht, jetzt zünd ich’s so eine dreiviertel Stunde an, bevor ich weiß, es geht los.“

Ein für die Angestellten des Betriebs angenehmer Neben­effekt dieser Investition ist es, dass es inzwischen einmal die Woche als Personalessen „die sicher beste Pizza im Burgenland“ gibt, eine Behauptung, von deren Stichhaltigkeit wir uns im Zuge unseres Besuches überzeugen durften.

Davor jedoch „hab ich alles gemacht, was man machen kann. Halt nicht absichtlich. Fisch vergackt, Fleisch verbrannt oder roh angeschnitten. Aber jetzt passt’s.“

Folgerichtig kommt auch im großen Menü mindestens ein Gang aus dem Ofen, aber auch viele Komponenten, etwa die im gleichen Stoober Ton, aus dem auch das Geschirr des Lokals gemacht ist, gebackenen Roten Rüben oder das Zwiebelpüree. „Dafür legen wir einfach über Nacht die ungeschälten Zwiebeln in den nachglühenden Ofen, das kann man daheim genaso machen.“

Er ist mittlerweile sogar davon überzeugt, dass Holzkohle aus unterschiedlichen Hölzern nicht nur in der Temperatur, sondern auch im Geschmack einen Unterschied macht: „Tanne zum Beispiel brennt aggressiver, aber weniger lang. Dafür hast du dann so eine harzige Komponente im Geschmack, die manchmal super ist.“

Die großen, lang glühenden Stücke aber, die er mit gekonnt unterspieltem Grillmachismo für die Basishitze verwendet, waren durch die Bank in ihrem früheren Leben Harthölzer.

Und damit das alles nicht graue Theorie bleibt, schiebt Herr Weissgerber dann auch noch zunächst einen kapitalen Zander und wenig später noch ein mordstrumm Rib-Eye-Steak in sein kulinarisches Zentralgestirn.

Und, wenig überraschend, aber doch beeindruckend: Der Zander – der im Verlauf der Garung wegen der dezentralen Hitze mehrmals von hinten nach vorn und von rechts nach links gedreht wird – glänzt mit einer aberwitzig knusprigen Haut über einem Fleisch, das die meisten Köche auch im Dampfgarer nicht zarter hinbekämen; das Steak wiederum ist einfach die platonische Idee eines Steaks, komponiert aus resch karamellisierter Oberfläche und saftiger Fleischigkeit darunter.

Auch wenn ich weiß, dass mir ein langer Marsch durch die mühevollen Ebenen der Mittelmäßigkeit bevorsteht: Ich glaube, ich lege mir jetzt einen Griller zu. Einen Sack Hartholzkohle der Familie Hochecker hätte ich schon.

Erlaaer Straße 171, 1230 Wien
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Eisenwaren Schindler
Mitterndorfer Straße 1, 3133 Traismauer

Fam. Hochecker
Kleindurlas 13, 3074 Michelbach
Tel.: 02744/85 56 oder 0664/933 67 82
hochecker@aon.at
www.holzkohle.at

Taubenkobel
Hauptstraße 31–33, 7081 Schützen
Tel.: 02684/22 97
www.taubenkobel.com