Ich hab Tränen in den Augen

- und sie spiegeln ein Gericht." Satiriker Dirk Stermann interpretiert seine Esslust frei nach dem Volksmusikschlager von DJ Ötzi. Schräg. Aber genussvoll: "Ich schlinge. Weil ich Essen so unglaublich liebe."

Ich hab Tränen in den Augen

Text von Ro Raftl Fotos: Peter M. Mayr
Willkommen! Youtube hat einen neuen Hit. Den schrägen Blick auf Frisch gekocht. Die User sehen sich nicht satt: Grissemann gatscht vorliebend mit den Händen. Im Püree, im Sauerkraut, in den Roten Rüben. Stermann wirft sich für die Leberwurst ins Zeug, das Leberwurstbrot, den Leberwurstpunsch. Grissemann übertrumpft ihn: Lässt sich fünf Liter Blut abzapfen, um Eigenblutwurst herzustellen. Deftig. Unterspickt mit Wirtshaustisch-Witzen – über Blondinen, Ausländer oder den Opa, der immer gesagt hat, früher hatte ich vier bewegliche Glieder und ein steifes, jetzt hab ich vier steife und ein bewegliches. Hahaha! Schaurig lustig sind sie, Stermann & Grissemanns kultige Parodien auf Andi und Alex.
Andreas Wojta, der echte Frisch-Kocher vom ORF, hat aber ausreichend Selbstbewusstsein, um sich weniger gehäckselt als gebauchpinselt zu fühlen: "Die zwei können’s schon fast so gut wie wir." Fernsehen und Leben. Satire und Ernst.
Der Tiroler Christoph Grissemann verweigert sich einer "Ess-Geschichte". Es sei ihm peinlich, auf dem Cover eines Gourmet-Magazins zu erscheinen, lässt er ausrichten. Kochsendungen gingen ihm wahnsinnig auf die Nerven. Er koche und esse auch nicht gerne. "Viel Fastfood. Macies", merkt sein Unzertrennlicher auf allen öffentlichen Bühnen, der Duisburger Dirk Stermann, dazu an: "Christoph findet es auch total gesund, viel zu rauchen." Er sei anders, ergänzt der eingewienerte Deutsche so unaufgeregt und gelassen, wie er politische Statements dahersalzt: "Ich ess gern und viel und alles. Schlinge! Was ja als Zeichen gewertet wird, dass man nicht sehr genussbereit ist. Aber ich schlinge genussvoll, weil ich Essen so unglaublich liebe, dass ich es verschlingen muss. Hab auch gerne viel im Mund. Den ganzen Mund ausgefüllt. Mit unterschiedlichsten Konsistenzen und Geschmäckern."
Schlutz! Beim badezimmergroßen Japaner Kuishimbo an der Linken Wienzeile führt er vor, was er meint. An einer Nobeyaki Udon, einer dampfenden, duftenden klaren Suppe, in der Seetang, Ei, Hühnerfleisch, Fischpaste und dicke Nudeln so ästhetisch wie in einem Aquarium schwimmen. Die dicken Nudeln glitschen von Stäbchen und Löffel und schlenkern, sobald man sie erwischt, Suppenspritzer auf Blusen, Shirts, Krawatten. Man kann sie nur mit Schwung in den Mund bringen, schnell abbeißen und den Rest in die Schüssel zurückgleiten lassen. "In Japan essen sie Nudeln total laut", erklärt der Schnellesser schon wieder mit leerem Mund. "Und wenn man diese Nudeln sieht, weiß man, dass man sie total laut essen müsste." Unadon – Reis mit gegrilltem Aal, auf den Zeichner Tex Rubinowitz so steht – schaufelt sich natürlich leichter: "Aber wenn man im Herbst mit der Suppe beginnt, dann wird man den ganzen Winter nicht krank", doziert Stermann. Je nach Blickwinkel söhnlich oder väterlich. Jedenfalls vernünftig, ruhig, besonnen. Natürlich ist er seit ewig verheiratet, seine Frau Christine arbeitet im Umweltbundesamt. Schade, denn obwohl er von Weitem wirkt wie ein Bär, bei dem man nicht weiß, wann er die Tatzen ausführt, erscheint er näher besehen als Traumbild eines Schwiegersohns.
Im Kuishimbo können (maximal) zehn Leute essen, stehend oder auf Barhockern gekrümmt, doch es ist umständehalber geheiligt: Der Kabarettist wohnt auf der anderen Naschmarktseite (also im Fünften) und seine 17-jährige Tochter Hannah nimmt Schlagzeugunterricht im Tonstudio neben dem Japaner, der "so echt kocht wie in Tokyo. Sagen alle, die schon dort waren, ich leider nur in Vietnam, und wir hätten auch zu dem Vietnamesen gehen können, der so kocht, wie man in Vietnam isst, aber bei dem war ich erst gestern und ich hab’s so gerne, wenn es immer anders schmeckt." – Jedenfalls spazierte er mit der Tochter sommers ins Tonstudio, verletzte sich am Fuß und "rumpelte mit total stark blutendem Zeh ins Kuishimbo bei der Familie Numata rein". Sie haben ihn verbunden, gelabt, unterhalten: Die japanische Wirtschaft lag darnieder, worauf Herr N. nach New York, Frau N. nach Wien auswandern wollte: Sie ist Musik-, speziell Jazzfan, Gitarrist Wolfgang Muthspiel und Geiger Aleksey Igudesman sind ihre Stammkunden. Denn Frau N. hat sich, wie man sieht, durchgesetzt.
"Igudesman", erzählt Stermann fasziniert, "tritt gern in Asien auf und liebt kleine Kraken: Sie leben noch, man sticht ihnen mit einem Staberl durch den Kopf, taucht sie in Sojasauce und Sesam und dann muss man sie ganz schnell schlucken. Sonst krallen sie sich mit ihren Tentakeln am Gaumen fest und du kannst ersticken." Hat was Pornografisches, was Existenzielles: Friss oder Stirb. Ginge ihm aber ein wenig zu weit: "Mit meinem Essen kämpfen zu müssen, gefiele mir nicht." Nach Japan, sagt er, muss er trotzdem. Bevor er mit 21 nach Wien kam, um Theaterwissenschaften zu studieren, wohnte er in einem Vorort von Düsseldorf, wo es das größte japanische Handelszentrum Deutschlands und ein riesiges Hotel mit einem Japan-Restaurant gab: "War natürlich sehr teuer, deshalb sind wir nicht so oft hingegangen. Sah alles aber immer total schön aus. Und ich hab schon als Kind gehört, dass Misosuppe so gesund ist: Wenn man krank wird, soll man Misosuppe essen." Er bekam Eis zum Gesundwerden – nach der Mandeloperation: "Das erste Essen, an das ich mich erinnern kann, ist Eis." Eine gute Erinnerung. Ob er die Kindheitsgerüche nach Blut, Wurst und Geräuchertem auf dem Bauernhof seines Großonkels gut fand, weiß der 44-Jährige bis heute nicht: "Jedenfalls war’s intensiv. Mein Vater fühlt sich so wohl am Land, Kuhscheiße ist für ihn das Größte." Klingt nicht danach, dass der Sohn diese Vorliebe teilt, die Enkelin hat sie ziemlich beeindruckt: "Wenn wir an einem Bauernhof vorbeikamen, hat Hannah immer gedrängt: ,Geh ma schnell rein und schick ma dem Opa einen Fladen.
Was Dirk gigantisch fand, war die Rheinische Kaffeetafel bei Großonkel Hein, der überdies Plattdeutsch sprach: "Das Beste und Leckerste, was man essen kann", betet Stermann Schichte um Schichte her: "Süßes Weißbrot, darauf Landbutter, darauf eine Scheibe Holländerkäse, darauf Marmelade (eher geleeartig) oder Rübenkraut (ein picksüßer Sirup), und darauf eine Scheibe Pumpernickel. Traumhaft – alles salzig-süß, deftig-kräftig." Seine Leibspeise. Für die er selbst den vorgeblichen Essenshasser Grissemann begeistern konnte: Im früheren Ostdeutschland, wohin sie nach der Wende fuhren, fing der Sohn des Hauses allerdings zu schreien an, als er die Onkels aus Österreich Käse mit Marmelade frühstücken sah: "Schau mal Mama! Schau!"
In Wien muss Stermann nicht weit gehen, um seine Vorgaben, 1. Essen soll immer anders schmecken und 2. schön ausschauen, zu erfüllen: Der "Inder" mitten am Naschmarkt ist nicht nur für den Schriftsteller Thomas Glavinic eine Kapazität, der "Dr. Falafel" nicht nur für die Sopranistin Diana Damrau. Der Kabarettist frequentiert sie genauso gern wie den "grandiosest kochenden dicken toskanischen Weinimporteur" vom "Bacco" auf der Margaretenstraße oder "Die goldene Glocke", wo’s gutes österreichisches Essen gibt. Ha! Und das "ON", den Chinesen, bei dem Stermann behauptet, die beste Leber der Stadt gegessen zu haben. Die kocht er natürlich zu Hause nach: "Kalbs- oder Hühnerleber, scharf
anbraten, ein bissel Chili, Koriander, Pfeffer, Salz." So simpel, so lecker. "Wenn ein Essen gut schmeckt, kann ich Tränen in den Augen haben." Verarscht er mich jetzt? Bei Kabarettisten weiß man das nie ganz genau. Doch Stermann beschwichtigt, setzt noch eins drauf: "Als ich das erste Mal teuer essen war, im Taubenkobel, da gab’s eine Suppe, die hat auf allen Seiten anders geschmeckt – da sind mir Tränen die Wangen runtergekullert, weil ich das so schön fand."
Beim Wein sei er nicht so ein Connaisseur: "Manche trinken ja gar nicht beim Essen. Ich find’s viel schöner, sich beim Essen zu
betrinken. Auf der Bühne weniger als früher: "Eine Flasche zu zweit. Chardonnay. Man muss zumindest schauen, dass man bei der
gleichen Sorte bleibt!" Warum überhaupt? "Schon wichtig, um in Stimmung zu kommen. Es hat auch einen Reiz, sich die Chance zu geben, sich bei einer Vorstellung zu verlieren."
100 bis 150 Tage im Jahr verbringen Stermann & Grissemann auf Tournee. Wobei ungesichert ist, ob sich kulinarische Höhepunkte auftun wie neulich in Düsseldorf dieses Grünkohlpüree mit Mettwurst. Das Stermann seither städig nachkocht: "Kannst auch’n bisschen Lauch dran tun und statt der Mettwurst geht auch Burenwurst." Gesicherter ist, dass er privat auch deshalb verreist, um zu essen: Pastrami-Sandwiches in Tel Aviv, dabei überlegt "Was ist koscher?", an die schräge Behandlung dieser Frage durch den jüdisch-kanadischen Schriftsteller Mordecai Richler denkt und an Richlers Szene, in der er kanadische Exilanten Goodies aus dem Deli von Montreal nach London importieren lässt. Wegen des Autors und seiner Figuren Duddy Kravitz, Jakob Hersch, Barney Panofsky ist Stermann nach Montreal gefahren und hat sich gefreut, als ein Richler-Porträt über drei Stockwerke an einer Buchhandlungs-Fassade herabhing. Meint, dass er in 20 Jahren auch Romane schreiben wird. Rezepte in Romanen liest er gern. Die von Adalbert Stifter zum Beispiel und wie sie Kurt Palm herausgefiltert hat. "Super" seien auch die Essens- und Milieugeschichten von diesem frankophilen amerikanischen Freak Anthony Bourdain, einem Koch, der von der Brutalität in Profiköchen erzählt, mit Schwarzarbeit, Sex und Drogen. So geht’s ja in Wirklichkeit zu, da ist er sich mit Grissemann einig, nicht wie bei Jamie Oliver und den anderen Fernsehköchen, die locker ohne weiße Haube mit offenem Hemd und quellendem Brusthaar daherkommen.
Gewissermaßen ein Umkehrschub, ihr Dauerbrenner im Kasernenton, Die deutsche Kochshow und ihre DVD Wollt Ihr das
totale Sieb?: "Wir wollten das Rad zurückdrehen, der Küche das zurückgeben, was sie im Innersten zusammenhält: Disziplin.
Jedes Menü ein Krieg", erklärte Grissemann irgendwann in einem Interview. Zwei Jahre sind die Kumpels mit diesem Programm unterwegs. Doch Stermann kocht noch immer wild und chaotisch (im Gegensatz zu seiner Frau, die’s akkurat tut), weshalb bei ihm nicht alles klappt, "aber ich lass mich nicht beirren". Und was kocht er? "Wir wohnen beim Markt und wir lieben ihn. Da können wir alles kaufen und kochen. In unserer Gasse spielt’s ja Chinatown, aber am Chinesischen haben wir uns überfressen." Er kauft am liebsten (und immer viel zu viel), wenn alles total schön ausschaut und gut riecht. Am Bauernmarkt geht er zum Ochsenherz-Stand, wo der Mann mit dem kleinen Sohn verkauft, was in seinem Garten wächst: "Salat oder Erdbeeren – die besten Erdbeeren der Welt, aber nur drei Wochen lang. Dann sagt er schon, jetzt nicht mehr, jetzt schmecken sie nicht mehr so gut." (Stermann-Zusatz: "Wennst im Fernsehen bist, sind alle freundlich zu dir.")
Er glaubt, dass man eh fast alles essen kann, dass alle Tabellen Quatsch sind, dass das Zählen von Kalorien und Energieverbrauch Schrott ist: "Jeder ist anders, jeder verbraucht anders Energie." Stermann outet sich als Adept des deutschen Ernährungswissenschaftlers Udo Pollmer, der mit dem Diätwahnsinn aufräumt und den irritierend unterschiedlichen Denkschulen, was man angeblich essen muss, um gesund zu bleiben: "Die Menschen wissen in der Regel, was für sie selber gut ist", sagt Pollmer, sagt Stermann. Der skizziert die Horrorvision unserer Meere, knallevoll mit Plastikrückständen, sodass der angeblich so gesunde Fisch Männer unfruchtbar machen kann. Fühlt sich jedoch erhellt von einer Doku über Okinawa, die Insel der Hundertjährigen, in der eine Frau mit 103 einen Job im Supermarkt angetreten hat. Weil? "Weil sie ihr ganzes Leben nur Sachen an ihren Körper ließ, die sie gut fand – egal ob bei Musik, beim Sex oder beim Essen."

Ich hab Tränen in den Augen

– und sie spiegeln ein Gericht.