Jedes Essen ein Fest

Kochmatura mit Auszeichnung. Gute Hausmannskost aus dem Eff­eff bereiten. Immer erste Sahne. Lang, bevor Helga Rabl-Stadler als Präsidentin der Salzburger Festspiele internationale Gourmetküchen frequentiert. Vielleicht deshalb. Mag sie Essen am liebsten einfach, bodenständig, klar.

Text von Ro Raftl · Fotos von Christof Wagner

Früh. Steht die Festspielpräsidentin vor den Himbeeren, Erdbeeren, Heidelbeeren beim Allerberger, ihrem Lieblings-Obst-und Gemüsestandl am Salzburger Grünmarkt. Die Kulisse: Barock. Die Kollegienkirche. Das Altstadtgassengewirr. Die schmalen Schlufe zum Konsumglück, zu einem Himmel voller ­Seidendirndln, Abendroben, Filzpatschen, Lederhosen, Glitzerschmuck. Im Sound von dunklen Fotoklicks und hellem Entzücken. Eine Reisegruppe aus Korea zieht eilig vorbei. Bedächtiger gustieren knorrig-geldig-coole Einheimische, für die Helga Rabl-Stadler zum Stadtbild gehört, seit sie ein Mäderl war. Sie müssen was eingesteckt haben. Beste Ware kostet.

Spät. Ist sie letzten Abend aus Hamburg gekommen, vor drei Tagen war sie in Genf, ja, Sponsorengespräche. Doch. In modisch fröhlichem Orange – von Hermès natürlich, ihr Sohn Sebastian führt die Salzburger Boutique – begrüßt sie diesen Morgen wie jeden Morgen. Heiter diszipliniert. Selbst wenn es saukalt ist und schneit. Am 27. April. Offenbar haben die Eisheiligen das Datum gewechselt. Rabl-Stadler bleibt sich treu: „Geh immer zu den gleichen Standln und in die gleichen Wirtshäuser.“ Sie kauft Beeren für das Frühstück, mag sie lieber mit Joghurt, selbst wenn TCM-Mediziner erklären, das verschlacke. Kauft Ananas und Spargel nebstbei. „Gute Kartoffeln und jungen Spargel“, mehr brauche sie nicht. Keinen Schinken. Frische, Qualität, bio, wie man so sagt, sind ihr wichtig. Wie ein schön gedeckter Frühstückstisch: „Na, nie die Knackwurst aus dem Papierl!“ Das hat sie von der Mutti gelernt und beibehalten. Mit jeder bunten Variante Tischsets in den Laden. Jetzt sorgt Frau Eva für den Haushalt.
Rasch. Ein Gang durchs Festspielhaus. Wo sich gleich ein paar Menschen mit Fragen und Wünschen auf die „Außenministerin und Ombudsfrau“ stürzen, die sich genötigt sieht, ihre Standpunkte zu behaupten. Freundlich bestimmt, kopfschüttelnd über manche Ansinnen. Trotzdem ein täglicher Glücksmoment abseits der großen offiziellen Auftritte. „Ich fühl mich so wohl mit Markus Hinter­häuser“, freut sie sich über die Zusammenarbeit mit dem neuen Intendanten, „er denkt anders als alle anderen. Und dass er täglich im Klavierzimmer zum Üben geht, gibt eine gute Atmosphäre für das ganze Haus.“

Freude als Motor einer fabelhaft tüchtigen Frau.

Obwohl. Die Kränkungen, die Prügel vor den Füßen, als sich die promovierte Juristin, Journalistin, ÖVP-Abgeordnete, Unternehmerin und Vizepräsidentin der Salzburger Wirtschaftskammer 1995 in die Kulturwirtschaft verändert hat, die picken noch immer, liegen noch immer da. Als wär sie eine unbedarfte Tussi aus der Modebranche gewesen und nicht von Kindheit auf festspielvertraut, schwerbelesen, theater- und opernaffin. Doch. Sie habe kein Talent zur Frustration, sagt Rabl-Stadler. „Bin in den Brüchen meines Lebens, ob privat, beruflich oder gesundheitlich, niemals im Pessimismus versunken … Mein Erfolgsrezept ist die Verdrängung. Ich schreib noch ein Buch gegen Sigmund Freud.“

Riesig freuen könne sie sich noch immer, sagt sie. Über große und kleine Dinge. „Man muss halt die Leute davon überzeugen, dass man es ernst meint. Als ich bei Resmann war, habe ich die Farbnuancen zwischen Zitronengelb und Dottergelb super wichtig genommen, weil es zum Job gehört.“ Intensiver noch bei der Emanzipation von Übervater Karajan in der Ära Mortier, im Kampf um den richtigen Kurs. Zu Festspielen für die Salzburger. Mit Karten (auch) zwischen 5 und 105 Euro. Mit den öffentlichen Siemens Festspielnächten.
In einem der Foyers hängt Rabl-Stadlers Porträt, zu ihrem Sechziger von Xenia Hausner gemalt. Und. 2020 wird hundert Sommer festgespielt. Lauter gute Gründe, um nach 22 Jahren als Konstante und Prellbock im unsteten Lauf des Salzburgfestivals mit wechselnden Intendanten auf eine weitere Amtszeit zu verlängern. Am 2. Juni war sie 69.

Besessen. Heißen die Kochmemoiren der Kulturwissenschaftlerin und Radikalfeministin Elisabeth Bronfen, die auf dem Büchertischerl – noch im Speisezimmer und nur als Vorgeschmack vieler Bücherecken, vieler Regale – zuoberst liegen. Ein Geschenk. Bronfen denkt im Vorwort des diesjährigen Festspielprogramms über das Thema „Macht“ nach, hat aber auch mit HRS am Internationalen Tag der Frauen im Weinarchiv der Blauen Gans gastiert. „Nie zugeben, wenn einem etwas misslungen ist!“, kann frau von Bronfen lernen, lacht die früh hauswirtschaftlich geschulte Präsidentin und würzt mit der Schilderung ihrer Kochmatura nach. Vorspeise: Kaiserschöberlsuppe, Hauptspeise: Rehrücken mit Serviettenknödel und Preiselbeer­äpfeln, Nachspeise: Grillagetorte. Den selbstgeschossenen Rehrücken steuerte Großvater Resmann aus der Tiefkühltruhe zum Gelingen der Reifeprüfung der Enkelin bei, Assistentin am Herd war eine Freundin seit dem Kindergarten und bis heut. Die allerdings ließ die Platte mit den Preiselbeeräpfeln fallen. Tränen. Alle Schönheit zerfleddert. Doch Helga schnell: „Hat ja niemand gesehen. Wir klauben das auf, wischen den Dreck vom Boden ab und setzen’s neu zusammen. Hihi! Was die Mädels am meisten freute: Die strengen Professoren haben alles mit Vergnügen aufgegessen. Helga hat mit Auszeichnung maturiert.

Zu kochen? Begann sie mit 14, 15. Die Mutti, Rosl Resmann, sehr kurz verehelichte Bacher, lang und glücklich verehelichte Stadler, und Chefin des einstmals nobelsten Salzburger Modehauses, liebte Gesellschaft und Essen mit Freunden. Hat gute Hausmannskost gekocht und die extravagantesten Nouveautés der Sechzigerjahre aus Paris mitgebracht: Haricots verts, die dünnen grünen Bohnen, mit Gänseleber darübergeraffelt. Die Salade niçoise mit harten Eiern, Thunfisch, Kartoffeln, Paradeisern, Sardellen. Und die Crêpes Suzette, die bei Tisch zubereitet wurden, Zucker mit Butter karamellisiert, ach, und dann der französische Likör. Eis dazu. Ein fantastischer Geschmack! Also. Musste die Tochter an den Wochenenden kochen helfen, wenn die Köchin Ausgang hatte, danach noch die Küche aufräumen „die ganze Studentenzeit, ob ich wollte oder nicht. Daheim mussten wir viel tun. Mein Bruder Wilfried, der drei Jahre jünger ist als ich, hat oft Gugelhupf gebacken.“ Dass es ihr Halbbruder ist und sie das einzige Kind aus einer kurzen Ehe ihrer Mutter mit Gerd Bacher, erfuhr sie mit 21 – als Wirtschafts- und Innenpolitikredakteurin nach Wien übersiedelt, bald als erste Frau mit einer innenpolitischen Kolumne samt Bild im Kurier. Hm. Keine leicht verdauliche Kost. Plötzlich zum Prominentenkind hochgepusht. Doch. Dieser Vater. Diese Gene. Tigers Tochter!

Die jedenfalls lieber „zwei Vorspeisen als eine Nachspeise“ mag. „Da die Mutter immer berufstätig war, hatten wir ein Kindermädel. Mit höchster Erziehungsgewalt. Wenn Mutti in Sachen Couture verreist war, gab es selten Fleisch. Meist Scheiterhaufen, Reisauflauf, Milchreis, Griesbrei. Und was auf den Tisch kam, musste schrecklicherweise aufgegessen werden. Überhaupt. Durfte man nicht kompliziert sein beim Essen. Gulasch mochte ich auch nicht und musste es essen. Am besten fand ich Kalbskotelett. Oder Kalbsstelze mit Risibisi. Oder Huhn. Backhuhn, Brathuhn, Suppenhuhn. Wenn’s Knochen zum Nagen gibt. Mutter hat das ebenso geliebt. In der Küche durfte ich gemeinsam mit ihr daran kiefeln.“

Kalbsstelze gab es auch sonntags im Gasthaus. Der Großvater, der als mittelloser Gendarm aus der Steiermark das Kleidergeschäft Resmann gegründet hat, suchte immer ein schönes Landgasthaus aus. Er hatte auch ein schönes Auto, fuhr fürchterlich schlecht und fluchte, während die Großmutter flehte: „Bitte nicht vor den Kindern!“, die wir begeistert waren von seinen ,Trotteln‘ und ,Dummköpfen‘. Nach dem Kalbsstelzenessen im Gasthaus hat er immer gesagt: ,Bitte würden Sie den Knochen für den Hund einpacken‘. Bis mein Bruder einmal dazwischenrief: ,Wir haben ja gar keinen Hund, das sind ja die Mama und die Helga, die den Knochen abnagen.‘ Wie fürchterlich ich mich geniert hab! Aber. Essen war schon wichtig bei uns.“

Wichtig ist es auch beim Festspiel. Möglichst vielfältig, das organisiert die Protokollchefin Suzanne Harf: So hat Johanna Maier diesmal für Cecilia Bartolis Pfingstfestspiele gekocht, Alexander Pereiras Festspielbälle hat Andreas Döllerer aus Golling betreut, das Galadiner kommenden Sommer catert wieder Käfer aus München, während Salzburg den Alpenkaviar von Walter Grüll aus Grödig beisteuert. Die Sponsoren bringen ihre eigenen Caterer mit. Jedenfalls. Ist fast täglich Essen außer Haus angesagt. „Letzten Sommer hab ich 46 Mal nach den Festspielen offiziell gegessen. Das Komische: Ich nehm überhaupt nicht zu. 62 Kilo auf 1, 68 Meter, genaue Größe 38. Bissl der Schlafmangel. Aber man isst auch bedachter. Schiebt sofort den Brotkorb weg. Nimmt keine dickmachenden Nachspeisen. Nur Fisch, Fleisch, viel Gemüse. Bemüht sich, gesund zu essen.“ HRS ist eine Verfechterin der gemischten Kost. Lacht, da sie umzingelt ist von veganen Künstlern, die dann Vitaminzusätze schlucken …

Sie macht stattdessen eine Mayr-Kur einmal im Jahr. Urlaub sehr wenig, für die Präsidentin spielt’s das Sommerfest übers ganze Jahr. Vielleicht wird das mit dem neuen kaufmännischen Geschäftsführer Lukas Crepaz leichter. Obwohl. Weder Golfspielen noch Gehen noch ein Gipfelsturm Glückshormone in ihr wachkitzeln: „Ich bin ein Stadtkind. Tauch lieber übers Wochenende in die Atmosphäre einer fremden Stadt ein. Und in Salzburg täglich ins Kaffeehaus.“ Die Espressotrinkerin pendelt zwischen Tomaselli und Bazar – „für mich die schönsten Kaffeehäuser der Welt“. Schätzt auch das Uni:Versum, dank Nestlé direkt gegenüber vom Festspielhaus etabliert, „denn dort sparen sie nicht an den Zeitungsexemplaren“. Da können’s schon zwei Espressos werden. Italienische Röstungen mag sie alle, von Illy bis Nannini, egal, „vielleicht, weil sie dem Gaumen auch Ferien suggerieren“. Die aktuellen Experimente der Baristas findet sie interessant, bloß den französischen Kaffee zu scharf geröstet.

Obwohl. Sie gerade als 16-jährige Austauschschülerin bei einer „ganz normalen Mittelstandsfamilie“ in Paris gelernt hat, „dass jedes Essen ein Fest sein kann. Sie haben aus einer Mahlzeit, die wir in einem runterschlingen würden, drei Gänge gemacht. Zum Entrée: Radieschen mit Butter. Als Hauptgang: Lamm mit Kartoffelpüree. Als Dessert: Salat mit Chèvre, also Ziegenkäse. Gut. Ich mochte vorher keinen Käse. Doch der Papa, ein stolzer Franzose, bestand darauf, dass ich ihn versuche, und seither weiß ich, dass Käse der genussvolle Abschluss eines guten Essens ist. Beibehalten hab ich’s nicht. Aber eher aus Figur-Gründen.“

Die Präsidentin ist treu. Geht immer wieder in die Blaue Gans oder ins Prosecco, das die Frau Heidi Kronberger ganz alleine schupft, wenn ihr Koch ausfällt. Fährt zu Brandstätters (die auch das Bazar führen) nach Liefering oder als besonderes Fest zu den Obauers nach Werfen: „Im Sommer herrlich, der kleine Garten zwischen Berg und Wirtshaus.“ Und der täglich-nächtliche Einsatz der Obauer-Brüder in 39 Jahren Selbstständigkeit. Im Sommer nie vor zwei Uhr Schlaf. Die Festspielaufführungen enden um halb elf, und die Baustellen zügeln den Verkehr. Und. Gerd Bacher war Stammgast. Also nichts wie solidarisch hin zum delikaten Wechselspiel zwischen Perlhuhn-Gänseleber-Sulze, Zander an Treviso-Radicchio, Pignoli & Apfelbalsamessig, Werfener Lamm, Sauerrahmrettich & Bröselkäsenockerln. Hurra! Es gibt auch kalten Hollerkoch, à la Obauer natürlich, mit Roggenbrotauflauf und Sauerampfereis – doch diese köstliche Kindheitserinnerung! Vier Gänge. Und aus. Mehr würde die Präsidentin nicht verkraften wollen. Die Sechs-, Neun- oder Zwölf-Gänge-Menüs da und dort kürzt sie ab. Zu solchen Serien fehlt ihr die Geduld. „Soo wichtig ist Essen auch wieder nicht.“ Außerdem. „Bin ich schon sehr österreichisch im Geschmack. Mag gern klare Gerichte, bei denen man sieht, welches Fleisch, welcher Fisch, welche Beilage das ist.“

Was sie überhaupt nicht isst, sind Bries und Hirn. Das Schlitzige. Austern hat sie noch nicht einmal probiert. Ausnahme sind die Schnecken beim Winkler am Wallersee in ihrer unvorstellbar buttrigen Sauce, die man mit Weißbrot auftunkt. Dafür. Ist ihr Eiskasten in der Hellbrunner Villa „deprimierend leer“ (an Essbarem). Nur Joghurt und Beeren. Und ein Suppengemüsesackerl vom Allerberger. Um bei Bedarf in feinste Hühnersuppe geschnitten zu werden, die im Tiefkühlfach friert. Der übrige Platz ist mit Champagner, „von Roederer, klar, dem besten der Welt“, grünem Veltliner aus dem Kremstal und Cola Zero gefüllt. Einmal zu Hause, genießt die Präsidentin Dinner Canceling – und die göttliche Stille. Den zierlichen weißen Kachelofen aus der Mozart-Zeit, der im Resmann-Geschäft stand, und die weitgespannte Bibliothek zu ebener Erde, die Couch vom Bacher und die besten „Tiger“-Karikaturen im ersten Stock. Mit Blick auf die duftig wehenden Blätter einer Riesenbirke, auf die Magnolien, die grad unter Schnee erblühen. Ein Blick in saftig grüne Weite: „Da schreib ich meine Reden, da fällt mir alles ein.“ Dazu trinkt sie dann Kräutertee. „Mag die ganz faden, Kamille sogar.“

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Tel.: 06468/521 20
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