Kochen ohne Grenzen

In Zeiten, in denen allerorts Mauern und Zäune errichtet werden, zeigen drei Köchinnen im vor 100 Jahren noch heftig umkämpften Grenzgebiet zwischen Österreich, Friaul und Slowenien, dass Küchenstile keine Grenzen kennen.

Text Georges Desrues

Für die Italiener ist der Ort Caporetto so etwas wie Waterloo für die Franzosen, nämlich gleichbedeutend mit einer der schmachvollsten militärischen Niederlagen ihrer Geschichte. Im Herbst 1917, während der letzten von insgesamt zwölf Isonzo-Schlachten gegen die Habsburger-Monarchie, starben hier zigtausende italienische Soldaten, ebenso viele wurden verletzt, hunderttausende gerieten in Gefangenschaft. Heute, also fast ­genau 100 Jahre später, liegt der Fünfhundertseelenort in Slowenien, trägt den Namen Kobarid und ist vor allem für eines bekannt, nämlich für das Hiša Franko, das als eines der besten Restaurants des Landes gilt und Essbegeisterte aus aller Welt anzieht.

An das Gemetzel aus dem Ersten Weltkrieg erinnert hier kaum noch etwas. Das Tal ist so friedlich wie lieblich, umrahmt von den grünen Weiden und Almen der Julischen Alpen, erfrischt vom glasklaren Wasser des Isonzo, der hierzulande Soca heißt. Die Grenze zu ­Österreich verläuft vierzig Kilometer von hier, jene zu Italien ist gar nur sieben Kilometer entfernt. „Über Jahrzehnte spielte die Grenze eine ganz besondere Rolle“, sagt Ana Roš, die Wirtin und Köchin des Hiša Franko, „zuerst, weil hier über Jahrzehnte der Eiserne Vorhang verlief. Nach der Unabhängigkeit Sloweniens dann, weil sie etliche Italiener überquerten, um billig einzukaufen und zu tanken.“

In dieser Zeit verliebte sich Ana Roš in Valter Kramar, den Sohn des Landgasthauses, und begann im Betrieb auszuhelfen, obwohl eine Gastronomie-Karriere bis dahin niemals auf ihrem Lebensplan stand. In ihrer früheren Jugend war sie Mitglied im jugoslawischen Ski-Team, danach wollte sie eigentlich Diplomatin werden, studierte internationale Politik an der Universität Triest. Nun also Gastgewerbe. „Das Geschäft ging gut, wir servierten traditionelle Hausmannskost, die Einkaufs- und Benzintouristen aus Italien kamen in Scharen“, erzählt Roš, die fünf Sprachen spricht.

Das ging so lange gut, bis auch in Slowenien die Preise stiegen. Und vor allem, bis die italienische Regierung einen Benzinsonderpreis für ihre Bürger im Grenzgebiet einführte, der den Ausflug nach Slowenien unrentabel machte. Plötzlich brach in der Hiša Franko der Umsatz ein, schlagartig musste man sich etwas einfallen lassen.

„Wir entschieden uns, das Niveau der Küche zu heben“, sagt Roš , die schon zuvor mit ihrem Mann viel gereist war und Spitzenrestaurants in ganz Europa besucht hatte. „Überall hatte ich diese beeindruckenden Gerichte gegessen, die ich nachkochen wollte, aber gar nicht wusste, wie. Das führte anfangs zu einem völligen Chaos, die Mitarbeiter protestierten, weil ich Dinge von ihnen verlangte, die ich selbst nicht beherrschte.“

Nach etlichen Anfangsschwierigkeiten und viel Beharrlichkeit ging das Konzept dann doch auf. Roš wurde zu einem der wenigen weiblichen internationalen Kochstars, im Vorjahr war ihr eine Folge der vielbeachteten Netflix-Serie Chef’s Table gewidmet, und im Jänner wurde sie von der 50 Best-Liste zur Köchin des Jahres 2017 gewählt.

„Meine Küche ist geprägt von der Natur, die uns umgibt, von den Bergen mit ihren Wildpflanzen, und -kräutern und Milchprodukten, von der Adria, die man bei schönem Wetter von den Berggipfeln aus sieht. Aber auch von den Kulturkreisen, die hier zusammenkommen, dem österreichischen, dem italienischen, dem slowenischen und auch vom Balkan, immerhin gehörten wir zu Jugoslawien“, betont die Köchin, deren Mutter aus Istrien stammt und die genauso gerne mit Butter wie mit Olivenöl kocht.

„Mit dem Beitritt zur EU ist zusammengewachsen, was zusammengehört“, sagt Roš. Und so kommen heute auch Österreicher und Italiener wieder über eine Grenze, die es genau genommen gar nicht mehr gibt. Diesmal allerdings nicht, um zu tanken, sondern um die aufregende Grenzlandküche einer der besten Köchinnen der Welt zu erleben.

Nur etwas mehr als eine halbe Autostunde von Kobarid entfernt liegt jenseits der Grenze die italienische Ortschaft Dolegna del Collio. Auch hier wurde vor hundert Jahren heftig gekämpft. „An dieser Stelle stand damals ein Munitionslager“, erzählt Antonia Klugmann, Köchin und Wirtin eines Landgasthauses mit dem Namen L’Argine a Vencó, „gleich hinter dem Haus verläuft heute die Grenze zu Slowenien. Und auf der anderen Seite, vor dem Haus, war einst die Grenze zwischen Österreich und Italien.“ Die gibt es immer noch, allerdings trennt sie heute nur mehr die italienischen Provinzen Udine und Gorizia. Sowie die beiden Weinbaugebiete Colli Orientali del Friuli einerseits und Collio andererseits.

Klugmann selbst ist nicht von hier, sie stammt aus der nahen Hafenstadt Triest. Ihre Vorfahren waren jüdische Bürger aus dem heute ukrainischen Teil des K.-u.-k.-Reichs, die nach Triest auswanderten. Nach einigen Jahren auf Wanderschaft in Italien, unter anderem als Chefköchin des Restaurants Venissa in Venedig, eröffnete die 37-Jährige vor zwei Jahren gemeinsam mit ihrem Mann dieses kleine Landgasthaus im Grenzgebiet zu Slowenien. Bereits im Jahr darauf verlieh ihr der Guide Michelin einen Stern.

„Der Stern hat natürlich einiges an Bekanntheit gebracht“, sagt Klugmann, „wir sind ja hier doch sehr abgelegen, auch wenn der Wein-­Tourismus in den letzten Jahren stark zugenommen hat, wofür wir den exzellenten Winzern der Region sehr dankbar sind.“ Im Vergleich zu Ana Roš, die genau wie sie Autodidaktin ist, kocht Klugmann etwas schlichter, kombiniert weniger provokant, setzt mehr auf Geradlinigkeit.

Dennoch sei sie von Roš’ Küche stark beeinflusst, erklärt sie. „Ana gilt als eine Art Vorbild hier in der Gegend, alleine die Art, wie sie lokale Produkte wie Kräuter oder gereiften Bergkäse mit Meeresfisch und/oder Innereien kombiniert, ist mehr als inspirierend“, so Klugmann. An ihren freien Abenden treffen sich die beiden auch immer wieder, häufig zufällig, in einer auf halbem Weg gelegenen Pizzeria.

Gemein ist den beiden das Kochen und Experimentieren mit Zutaten, Techniken und Traditionen von diesseits und jenseits der Grenzen, mit Sardellen aus der nahen Adria, aber auch mit geräuchertem Süßwasserfisch, mit heimischen Gemüsen und Kräutern aus dem eigenen Garten, wie etwa dem süßlichen Sclopit, der auf italienisch Silene und auf deutsch Taubenkropf-Leimkraut heißt. Aber auch einige Sorten aus Süditalien, von wo ihre Großmutter mütterlicherseits stammt, pflanzt Klugmann aus, wie etwa Cima di rapa (Stängelkohl) oder Puntarelle (eine Art Chicorée).

Mit den Zwetschken von den Bäumen vorm Haus indessen füllt sie Zwetschenknödel – Gnocchi di susine, wie man hierzulande sagt. „Die habe ich schon als Kind in Triest gegessen, wo die Küche ja gleichfalls stark geprägt ist von Einflüssen aus Wien und Mitteleuropa, des Balkans und der Alpen“, sagt Klugmann.

Ebenso grenzüberschreitend, wenngleich in einem etwas unterschiedlichen Kulturkreis, ist auch Sissy Sonnleitners Küche. Ihr Restaurant Zur Kellerwand betreibt die Grande Dame der Kärntner Küche in der Ortschaft Kötschach-Mauthen, am unteren Ende der Plöckenpass-Straße. Hinauf zum Pass und damit zur italienischen Grenze sind es zwölf Kilometer, nach Kobarid weitere hundert – und nach Dolegna del Collio gerade einmal hundertzehn. Auch hier wütete vor hundert Jahren der Krieg, ein erbitterter Stellungskrieg zwischen Italienern und Österreichern, der gleichfalls tausende Opfer forderte.

Zwar ist man nicht mehr in den Julischen, sondern in den Karnischen Alpen, der slowenische und balkanische Einfluss in der Küche folglich geringer als bei Roš und Klugmann, der italienische dafür sehr stark. „In der Küche haben wir uns immer schon nach Süden orientiert“, sagt Sonnleitner, „vieles bei uns hat sein Pendant auf der italienischen Seite und umgekehrt.“ Darunter beispielsweise die Gerstensuppen oder der Sterz beziehungsweise die Polenta. Oder auch die Kärntner Nudeln, die stark den friaulischen Cjarsons ­ähneln, die ebenfalls salzig oder süß gefüllt werden. „Genau wie drüben haben wir auch ­eine Art Ricotta, der bei uns Almschotten heißt. Wir essen und verwenden ihn wie die Italiener die Ricotta – frisch oder geräuchert, etwa über die Nudeln gehobelt.“

Slowenien ist allerdings gleichfalls vertreten, zum Beispiel bei Nachspeisen wie der Nußpotitze oder dem Reindling, der auf slowenisch Pogatscha heißt. Überhaupt ist die Kärntner Küchensprache geprägt von slowenischen Begriffen, wie beispielsweise die Fisolen, die hierzulande Strankalan genannt werden, ein Name, der vom Slowenischen Stronk abstammt.

„Umso absurder empfinde ich den Gedanken, dass man einst genau hier starb im Kampf um Grenzen, die sowieso nur künstlich gezogen wurden“, sagt Antonia Klugmann. Und das in einem Gebiet, wo lange Zeit gar keine Grenzen existierten und Menschen, Kulturen und Essgewohnheiten über Jahrhunderte frei zirkulierten. Und wo sie das heute nach langer Zeit und verheerenden Schlachten endlich wieder können. „Der Normalzustand ist endlich wieder hergestellt“, fährt die Köchin fort. Umso bedauerlicher sei es, wie sie findet, dass es inzwischen wieder Leute gebe, die neue Grenzen ziehen wollen. Ausgerechnet genau ein Jahrhundert später. Und ausgerechnet hier.

L’Argine a Vencó
Dolegna del Collio
www.largineavenco.it
Kleines, modern gestyltes Landgasthaus mit kreativer Küche, großem Obst- und Gemüsegarten sowie einigen Zimmern inmitten der Weinberge des Collio. Im Vorjahr wurde Antonia Klugmanns extrem reduzierte, stark aufs Territorium und seine Traditionen bezogene Küche vom Guide Michelin mit einem Stern ausgezeichnet.

Slowenien
Hiša Franko
Kobarid
www.hisafranko.com
Eines der angesagtesten Restaurants des gesamten östlichen Alpenraums nahe dem kleinen Ort Kobarid in Slowenien. Wirtin und Küchenchefin Ana Roš gilt als eine der wenigen Frauen, die sich in der Spitzengruppe der am meisten mediatisierten Köche der Welt hat behaupten können. Ihr wagemutiger wie experimentierfreudiger Küchenstil basiert auf den exzellenten Produkten des Alpen-Adria-Raums und dem eigenen weitläufigen Gemüsegarten. Um den gepflegten Weinkeller, in dem so gut wie alle renommierten slowenischen und friaulischen Etiketten lagern, kümmert sich Roš’ Lebensgefährte Valter Kramar. Gästezimmer.

Österreich
Sissy Sonnleitner
Kötschach-Mauthen
www.sissy-sonnleitner.at
Gediegenes Landgasthaus mit Zimmern und Genusswerkstatt. Wirtin und Küchenchefin Sissy Sonnleitner gilt als die Grande Dame der Kärntner Küche. Ihr gepflegter und bodenständiger Kochstil ist geprägt von Traditionsbewusstsein, lokalen Qualitätsprodukten und der Slow-Food-Philosophie. Im laufenden Jahr planen Frau Sonnleitner und ihre Tochter Stefanie, den Restaurant- und Übernachtungs-Betrieb zu reduzieren und sich zunehmend mehr auf Seminare, Kochkurse und die Genusswerkstatt zu konzentrieren.